Für Sie gelesen: „War das die Wende, die wir wollten?“ Gespräche mit Zeitzeugen/ aufgeschrieben von Burga Kalinowski

Buchcover

von Waltraud Käß

Unaufgeregt, behutsam, immer wieder nachfragend, interviewt Burga Kalinowski in diesem Buch insgesamt 27 Menschen zu ihren Erlebnissen und Gefühlen vor und während der Zeit des Umbruchs/ der Wende in den Jahren 1989/1990 in der DDR. Sie hatte Journalisten, Schauspieler, Anwälte, Chirurgen, Theologen und andere Berufsgruppen vor dem Aufnahmegerät.

Auf die einfache Frage „War das die Wende, die wir wollten?“ bekommt sie jedoch keine einfachen Antworten. Ihre Gegenüber sagen nicht nur „Ja“ oder „Nein“, sondern aus den Gesprächen werden Bekenntnisse – von totaler Hinwendung zur DDR bis zur totalen Ablehnung dieses Staatswesens. Die Interviewerin versteht es gut, in jedem dieser Gespräche nicht nur auf der Oberfläche zu bleiben, sondern auch die Grautöne, die Erlebnisse, die zwischen schwarz und weiß liegen, heraus zu filtern. So entstanden sehr nachdenkliche Überlegungen im Rückblick auf das eigene, persönliche, gelebte Leben in der DDR, auf die geschichtlichen Zusammenhänge, auf politische Fehler und verpasste Chancen. Mit wenigen Zitaten will ich Sie neugierig auf dieses Buch machen:

„Da es heute keine Alternative gibt, herrscht der Kapitalismus jetzt wirklich ungeniert. Angefangen mit den Entlassungen bis hin zu den vielen Kriegen, zur Zeit ist die Welt außer Rand und Band. Alles ganz ungeniert, wie man es kannte aus dem kalten Krieg.“ (Peter Bause, Schauspieler)

„Die Politik in dieser Gesellschaft hat eine lobbyistische Struktur. Das heißt, es ist wie im Marionettentheater. Da gibt`s kleine Holzfiguren, die hängen an langen Fäden. Und die, die die Fäden in der Hand halten, die sitzen nicht im Deutschen Bundestag. Die Entwicklung unseres Landes wird zum Teil durch die Politik bestimmt und beeinflusst, aber die Masse dieser Entwicklungstendenzen entsteht in den großen Konzernen, in den großen Versicherungen, in den Vorständen, in den riesigen Anwaltskanzleien. Man hält sich Politiker, man hält sie sich, man macht sie sich gefügig, nimmt auf ihre Entscheidungen Einfluss…“ (Peter Michael Diestel, Anwalt)

„Sagen wir so: In der DDR war die Nähe zu einer menschlicheren Gesellschaft. Das war mir näher, obwohl sie dort auch viel falsch gemacht haben, sie haben es eben auch nicht geschnallt. Heute ist hier die reine Raubtiergesellschaft. Das einzige System: Es gibt keine Alternative – nichts ist schlimmer. Und es wird härter. Von heute rückwirkend: Die DDR, das war ein Schlaraffenland eigentlich. Aber kein Schwein hat es gemerkt. Und wenn – dann ganz wenige.“ (Nico Hollmann, Musiker)

„Und dann habe ich gedacht: Was wird der Kapitalismus aus uns machen? Erstens werden wir höchstwahrscheinlich nicht mehr alle Arbeit haben. Einige werden vielleicht denken: Ach, prima. Schwere Täuschung. Das ist aber nur der Anfang, ein erster Satz. Die Antwort geht tiefer. Stellen Sie sich eine Leiter vor und dann: Sprosse für Sprosse steigen Sie hinunter auf den Boden der Tatsachen und finden die ganze Antwort. Das Land ist geteilt, nun nicht mehr in Ost und West, schlimmer: in oben und unten. Die einen heißen Elite oder so, die anderen werden Prekariat genannt oder Arbeitslose oder Alte. Dazwischen fummelt der Staat, nennt das Ganze die wahre Freiheit und sagt, noch wären wir ein Volk.“ (Arno Kiehl, Maschinenbauer)

„…wenn es den nächsten großen gesellschaftlichen Umbruch gibt – und den wird es geben. Davon bin ich seit der Wende überzeugt. Es können Dinge eintreten, die man nicht für möglich gehalten hat. Es wird nicht immer so weiterlaufen, wie es läuft.“ (Hellmuth Henneberg, Journalist)

„Ist das die Wende, die wir wollten?“ / Burga Kalinowski
ISBN 978-3-355-01834-0