Geheimnisvolle Strahlen

Albert von Koellikers Hand mit Ring. Aufgenommen von Conrad Röntgen am 23.01.1896

Tristan Micke

Im Dezember 1895 erschien in den Würzburger “Sitzungsberichten der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft” eine “Vorläufige Mitteilung” von Wilhelm Conrad Röntgen, Professor für Physik an der Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg, unter der Überschrift: “Über eine neue Art von Strahlen.”

In dieser Veröffentlichung beschreibt Röntgen sehr genau seine Forschungsarbeit, die zur Entdeckung der von ihm so bezeichneten X-Strahlen und zur Erfindung des Röntgenapparates geführt hat. Sie lässt sich daher noch heute gut nachvollziehen.

Ab Ende Oktober 1895 beschäftigte sich der Experimentalphysiker Wilhelm Conrad Röntgen (27.03.1845 – 10.02.1923) mit den Kathodenstrahlen. Er baute damit auf Untersuchungen von Heinrich Hertz, Philipp Lenard und anderen Physikern auf. Zu Erzeugung der Kathodenstrahlen verwendete Röntgen eine genügend evakuierte Gasentladungsröhre, die er mit schwarzer Pappe völlig lichtdicht ummantelt hatte. Durch diese Röhre ließ er die elektrischen Entladungen eines Induktors gehen.

Röntgen beobachtete in dem völlig abgedunkelten Raum bei jeder Entladung das helle Aufleuchten eines mit Bariumplatincyanür bestrichenen Papierschirmes in der Nähe des Entladungsapparates. Dabei war es gleichgültig, ob die bestrichene oder unbestrichene Seite des Schirmes der Röhre zugewandt war. Dieses Aufleuchten (Fluoreszieren) des Schirmes war auch noch in fast 2 Meter Entfernung zur Röhre erkennbar.

Bei den Versuchen zeigte sich bald, dass Röntgen bisher unbekannte Strahlen entdeckt hatte, die unsichtbar sind und die Eigenschaft haben, in alle Substanzen einzudringen oder sie zu durchdringen. Wie tief sie in eine Substanz eindringen können, hängt von deren Dichte ab. Die Strahlen können Papier, Holz, Tuch und auch Metalle durchdringen.

Werden Gegenstände zwischen dem Entladungsapparat und dem fluoreszierenden Schirm gehalten, so bilden diese sich auf dem Schirm schattenartig ab. Je nach ihrer Dichte werden sie dabei von den Strahlen mehr oder weniger durchleuchtet. Eine 1,5 Millimeter dicke Bleiplatte ist dagegen so gut wie undurchlässig für die Strahlen.

Manche Stoffe leuchten, wenn sie von diesen Strahlen getroffen werden, wie z. B. das von Röntgen bei seinem Versuchsschirm verwendete Bariumplatincyanür. Fotografische Platten, Fotopapier und Filme werden von diesen Strahlen geschwärzt. Dabei können sie in ihren Kassetten und Papierumhüllungen bleiben, da diese für die Strahlen durchlässig sind.

Der Raum muss deshalb nicht abgedunkelt werden. Als Datum der Entdeckung der X-Strahlen gab Röntgen den 8. November 1895 an. Da die Strahlen auch durch lebendes Gewebe gehen, gestatten sie Körperteile und Organe von Menschen und Tieren zu durchleuchten, wobei sich die Knochen wegen ihrer höheren Dichte von dem sie umgebenen Gewebe dunkel abzeichnen. Es ist möglich, das Bild fotografisch aufzunehmen (Radiographie). Die erste Aufnahme eines menschlichen Körperteils auf diese Art entstand am 22. Dezember 1895, bei der die Hand von Röntgens Frau Berta auf einer fotografischen Platte aufgenommen wurde.

Entgegen Röntgens Willen, der als sehr bescheiden galt und der nach dem Tod seines Vaters, eines Tuchfabrikanten, zweifacher Millionär war, wurden die X-Strahlen später im deutschen Sprachraum und in Polen “Röntgenstrahlen” und das Durchleuchten mit ihnen “Röntgen” genannt. Um eine schnelle Verbreitung des von ihm erfundenen Apparates zu erreichen, verzichtete Röntgen auf eine Patentierung.

Er war der Auffassung, dass seine Entdeckungen und Erfindungen der Allgemeinheit gehören und nicht durch Patente, Lizenzverträge und dergleichen einzelnen Unternehmungen vorbehalten bleiben sollen. Auch lehnte er das ihm angetragene Adelsprädikat ab. Für sein Lebenswerk erhielt Wilhelm Conrad Röntgen im Jahre 1901 als erster Naturwissenschaftler den Physiknobelpreis. Das damit verbundene Preisgeld von 50.000 Kronen stiftete er der Universität Würzburg.

Erzeugung der Röntgenstrahlen

In einer hoch evakuierten Röhre wird eine Glühkathode (bestehend aus Glühfaden und Reflektor) elektrisch geheizt. Dadurch werden Elektronen frei, die durch eine hohe elektrische Gleichspannung (Anodenspannung) zur Anode gerissen werden. Hier prallen sie auf eine zur Seite abgeschrägte Metallplatte. Durch diesen Aufprall werden die Röntgenstrahlen als Bremsstrahlung erzeugt und bevorzugt seitlich der Röhre abgestrahlt. Die Geschwindigkeit, mit der die Elektronen auf die Anode treffen, hängt von der Höhe der Anodenspannung ab. So kann die Wellenlänge und damit auch die Härte der Röntgenstrahlen reguliert werden. Röntgenstrahlen sind elektromagnetische Strahlen mit hundert- bis zehntausend Mal kürzeren Wellenlängen als das Licht. Sie verhalten sich aber ähnlich wie Lichtstrahlen.

Anwendung der Röntgenstrahlen

Das Röntgen wurde sehr schnell in der Medizin für diagnostische Zwecke angewendet. Knochenbrüche und eingedrungene Fremdkörper können damit sehr gut lokalisiert werden. Die Durchleuchtungs- und Aufnahmetechnik wurde ständig weiterentwickelt. Durch den Einsatz geeigneter Kontrastmittel (schlecht Strahlen durchlässige Stoffe) war es später auch möglich, Bilder von Hohlorganen des Körpers aufzunehmen, die sonst auf den Röntgenbildern kaum sichtbar wären.

Dass lebendes Gewebe durch harte oder lange Zeit einwirkende weiche Röntgenstrahlung geschädigt oder zerstört werden kann und dass durch sie Strahlenschäden und Leukämie entstehen können, konnte Wilhelm Conrad Röntgen noch nicht wissen. (Obwohl er sorglos mit den Strahlen experimentierte, ist er immerhin 78 Jahre alt geworden, starb aber an Darmkrebs.) Um die schädliche Auswirkung der Strahlen auszuschließen, müssen Röntgenapparate durch Bleimäntel abgeschirmt sein und es muss verantwortungsbewusst mit ihnen umgegangen werden. Diese schädigende Wirkung auf lebendes Gewebe wird aber auch gezielt in der Medizin genutzt. So können z. B. Geschwulstkrankheiten mit Röntgenstrahlen behandelt werden, indem sie krankes und wucherndes Gewebe zerstören.

Auch in der Technik finden Röntgenstrahlen zur Überprüfung des inneren Zustandes von Werkstücken oder Schweißnähten Anwendung und können so zur Vermeidung von Unglücken und Havarien beitragen. Obwohl es heute auch noch andere Untersuchungsmethoden gibt, hat das Röntgen durchaus seine Daseinsberechtigung behalten.