So vermeiden Führungskräfte das „Pensionsloch“

Älteres Paar auf einer Bank am Strand

Älteres Paar auf einer Bank am Strand

von Prof. Dr. med. Curt Diehm

Für Führungskräfte, die immer viel Herzblut in ihren Job gesteckt haben, kann der Ruhestand schwierig werden. Sich darauf vorzubereiten, ist deshalb besonders wichtig.

Arbeiter in physisch harten Jobs und Büroangestellte mögen den Tag herbeisehnen. Den Tag, an dem man nicht mehr morgens aufstehen muss und keine beruflichen Verpflichtungen mehr hat. Endlich Rente. Bei Führungskräften sieht das oft anders aus. Insbesondere bei jenen, die es auf der Karriereleiter besonders weit nach oben geschafft haben. Der Pensionseintritt kann für sie der blanke Horror sein.

Einmal Alphatier, immer Alphatier! Mit dem Verlust der Macht, die die Stellung im Unternehmen verleiht, schwindet auch die Verantwortung, die Aufmerksamkeit, die Bedeutung. Manager haben Angst, nach dem letzten Arbeitstag in ein schwarzes Loch zu fallen. Und viele fallen dann auch wirklich hinein. Sinnlosigkeit macht sich breit, man wird nicht mehr gebraucht. Selbstzweifel, Zukunftsängste, oft Depression, nicht selten Suizidgedanken stellen sich ein. Für diesen Zustand gab es früher den Begriff des „Rentnertodes“. In den USA nennt man das Phänomen auch „Empty-Desk-Syndrom“. Es gibt auch tatsächlich viele ehemalige Manager, die nach dem Übergang in den dritten Lebensabschnitt relativ bald und viel zu früh sterben. Neben Führungskräften der Wirtschaft sind davon auch Spitzenpolitiker betroffen. Und Unternehmer. Gerade bei jenen Patriarchen, die ihren Rückzug selbst bestimmen können, beobachten wir oft, wie der Senior-Chef nicht loslässt, weil er Furcht vor der großen Leere hat.

Es gibt natürlich auch viele positive Beispiele, wo der Abschied von der Macht gelingt. Ex-Kanzler Gerhard Schröder gehört aus meiner Sicht zu den Vorbildern. Er hat sich ein neues Leben jenseits des Kanzleramts aufgebaut, nutzt sein Netzwerk, geht Hobbys nach und genießt ganz offensichtlich die Freiheit und seine Möglichkeiten als ehemaliger Weltpolitiker. Wie gelingt der Übergang?

Ein ehemaliger Kollege hat einmal zu Recht gesagt: „Menschen stehen grundsätzlich auf vier Säulen: Dem Beruf, der Familie, Hobbys/Freunden und der Gesundheit“. Sind diese vier Felder in Balance, geht es Menschen in der Regel gut. Nun ist es offensichtlich, dass bei besonders erfolgreichen Managern das Standbein „Beruf“ in besonderem Maße trainiert ist. Karriere macht man nicht so nebenbei, sie erfordert viel Kraft und Einsatz, darunter mögen die anderen Säulen leiden. Wem also der Ruhestand bevorsteht, dem kann man nur raten, frühzeitig an den anderen Standbeinen zu arbeiten und die dafür nötigen Soft Skills zu üben.

Damit nach dem Hochleistungsjob kein Absturz folgt, hilft eine funktionierende Partnerschaft. Darum muss man sich aber sein Leben lang kümmern. Es gibt übrigens das sogenannte „Pensionierter-Ehemann-Syndrom“. Unausgelastete Pensionäre können für Ehefrauen schnell zu einer Belastungsprobe werden. In vielen Ländern steigt die Scheidungsrate in diesem Alter nochmals stark an. Typischerweise suchen dann die Frauen den Arzt auf mit Rückenschmerzen, Depressionen und Herzbeschwerden. Vicco von Bülow alias Loriot hat dazu einmal die wunderbare Komödie „Papa ante Portas“ gedreht. Wem das private Netzwerk fehlt, sollte schleunigst damit anfangen, alte Freundschaften wieder zu pflegen, nicht nur als Angst vor dem „Pensionsloch“.

Und auch die Betätigung in Sportgruppen gibt dem Leben Halt und ist nicht nur für die Gesundheit gut. Und: es gibt vielfältige Tätigkeiten, die nach dem Pensionseintritt mit Verantwortung und Pflichten verbunden sind. Top-Manager, die von ihren Firmen oft viel zu früh in den Ruhestand geschickt werden, nehmen deshalb gerne Aufsichts- und Beiratsmandate an oder betätigen sich als Business Angel und helfen dabei jungen Gründern beim Aufbau eines Start-ups. Wer nicht so hoch auf der Karriereleiter gestiegen ist, kann sein Know-how in Vereinen, Nachbarschaftshilfen und anderen Pro-bono-Initiativen einbringen.

Wir sind im Alter immer fitter

Auch um dem Rentnerdasein zu entfliehen, gehen immer mehr ältere Menschen einer Erwerbstätigkeit nach. Sie wollen den kompletten sozialen Rückzug vermeiden. Es gibt inzwischen spezialisierte Agenturen, die im In- und Ausland arbeitswillige Ruheständler an Unternehmen vermitteln. Diese Entwicklung hängt auch damit zusammen, dass wir im Alter immer fitter sind. Wir erleben gerade, dass viele Menschen mit 63, 65 oder 67 Jahren noch nicht wirklich zum alten Eisen gehören.

Berufliche Tätigkeiten, es muss ja nicht immer ein Job am Limit sein, machen daher Sinn, auch aus volkswirtschaftlicher Perspektive. Eine Gesellschaft, die leistungsfähige und -willige Menschen zwangsweise aufs Sofa verbannt, verschenkt erhebliche Ressourcen. Teilzeitarbeit, Plichten und die Übernahme von Verantwortung helfen, das Gefühl von Leere und Nutzlosigkeit zu vermeiden. Das ist gut für die Gesundheit. Bei unglücklichen Pensionären mehren sich nämlich die körperlichen, vor allem aber somatischen Beschwerden. Das ist ein Teufelskreis. Viele ehemalige Führungskräfte werden zu Hypochondern und sitzen permanent in Arztpraxen.

Eine andere Situation stellt sich bei Managern ein, die eine Entlassung unvorbereitet trifft oder bei Mitarbeitern, die betriebsbedingt in Frührente geschickt werden. Sie haben nicht die nötige Zeit, um an ihren anderen drei erwähnten Lebenssäulen rechtzeitig zu arbeiten. Wir wissen, dass ein abrupter Renteneintritt ein massives Gesundheitsrisiko darstellt. Ich empfehle daher, sich mit einem balancierten Leben, das einen im Krisenfall auffängt, nicht erst kurz vor der Pension zu beschäftigen. Interessiert es Sie, was mein persönliches Konzept für den Ruhestand ist? Im Scherz sage ich immer: Ich arbeite halbtags, aber erst ab meinem 95. Geburtstag.