Ignaz Semmelweis – der „Retter der Mütter“

Hände unter dem Wasserhahn

von Ursula A. Kolbe

Es war der ungarische Arzt Ignaz Semmelweis, der vor 200 Jahren herausfand, dass Desinfektion Leben retten kann. Man nannte ihn dann auch bald den „Retter der Mütter“. Der am 1. Juli 1818 in Buda (heute Budapest) geborene Gynäkologe gilt als der Entdecker der Ursachen des Kindbettfiebers. Diese, mit hohem Fieber begleitete Infektion (Puerperalsepsis) kostete damals geradezu epidemieartig Wöchnerinnen das Leben.

Von 1846 bis 1849 war Semmelweis Assistenzarzt an der ersten Wiener Klinik für Geburtshilfe, die aus zwei Abteilungen bestand. Die eine oblag der Obhut der Ärzte und Medizinstudenten, für die andere waren Nonnen verantwortlich. Während bei ihnen Kindbettfieber mit tödlicher Blutvergiftung fast nicht vorkam, starben auf der Arzt-Station zwischen fünf und 15 Prozent der Frauen daran.

Semmelweis ließ das keine Ruhe, und er führte unzählige Untersuchungen durch. Doch erst später wurde ihm klar, dass sie, die Ärzte selbst, der Todesengel waren. Weil sie nämlich nach Autopsien meist direkt zur Untersuchung der jungen Mütter ans Bett kamen. Er erkannte den fatalen und ursächlichen Zusammenhang zwischen unsauberen Händen (z. B. durch „Leichengift“) und erkrankten Wöchnerinnen.

Als hygienische Maßnahme führte er schlussfolgernd daraus die Händedesinfektion mit Chlorkalk ein. Obwohl Semmelweis die Sterberate in seiner Abteilung dadurch aufsehenerregend senken konnte, erntete er von den Kollegen beileibe nicht Anerkennung, sondern offene Feindschaft. „Je stärker seine Beweise waren, desto energischer wurde der Widerstand gegen ihn“, sagt der Gründer des Semmelweis-Vereins, Bernhard Küenburg.

Denn dass Keime Infektionen auslösen, war damals noch längst nicht gängige Lehrmeinung. Und die Vorstellung, dass Ärzte mit ihren eigentlich helfenden Händen den Tod brachten, sei vielen schon aus Gründen des Standesdünkels absurd erschienen, so Küenburg.

Hygiene galt als Zeitverschwendung und wurde als unvereinbar mit den geltenden Theorien über Krankheitsursachen gesehen. So ist z. B. von vielen das Kindbettfieber auf schlechte Luft, das Ausbleiben der Menstruation oder einen Milchstau zurückgeführt worden.

Semmelweis versuchte aber mit Nachdruck, die Praxis der Hände-Desinfektion zu etablieren. „Er hat Ärzte und Schwestern praktisch gezwungen“, meint Didier Pittet von der Universitätsklinik Genf. Zugegeben, es war eine unangenehme Prozedur: Mindestens fünf Minuten sollten damals Ärzte und Schwestern ihre Hände in die aggressive Chlorkalk-Lösung halten und so für keimfreie Haut sorgen. „Es war ein sehr gutes Mittel, aber sehr schlecht für die Hände“, so der Genfer Arzt.

WHO-Credo: „Rette unser Leben

Pittet leitet eines der wichtigsten Hygieneprogramme der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und setzt sich unter dem Motto „Save Lives: Clean Your Hands“ („Rette Leben: Wasch‘ deine Hände“) seit Jahrzehnten für Händedesinfektion ein. Laut WHO werden dank der Kampagne jährlich fünf bis acht Millionen Menschenleben gerettet.

Dennoch ist das wiederholte Desinfizieren der Hände in Krankenhäusern noch immer keine Selbstverständlichkeit. Selbst in Europa würden nur in 50 Prozent der von der WHO definierten Anlässe die Hände mit einer Alkohollösung keimfrei gemacht, erklärt die Hygiene-Expertin des Allgemeinen Krankenhauses Wien, Elisabeth Prestl. Das macht den Keimen das Leben unnötig leicht.

Etwa 10.000 bis 15.000 Todesfälle in Deutschland gehen nach Schätzungen jährlich auf Infektionen zurück, die sich Patienten erst in der Klinik holen. „Rund ein Drittel dieser Infektionen ist durch mehr Hygiene vermeidbar“, sagt Petra Gastmeier, Leiterin des Nationalen Referenzzentrums (NRZ) für Surveillance von nosokomialen Infektionen. In Berliner Krankenhäusern sind seit 2009 von 3.482 infizierten Menschen 534 gestorben. Die meisten von ihnen am Keim Clostridium difficile (34 Prozent), acht Prozent am MRSA-Keim.

Ein besonders hohes Infektionsrisiko haben Patienten mit schwachem Immunsystem und solche, denen ein Katheder gelegt wurde. Um das Risiko von Infektionen zu senken, sollten laut Gastmeier auch Besucher von Krankenhäusern ihre Hände desinfizieren, am besten beim Betreten des Krankenhauses und bei Eintritt ins Krankenzimmer.

Dass Ärzte und Pflegepersonal die Handhygiene teils vernachlässigen, ist laut Gerd Fätkenheuer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI), vor allem auf Zeitknappheit zurückzuführen. „Die Einwirkzeit von alkoholartigen Desinfektionsmitteln beträgt in der Regel 30 Sekunden. Eine Pflegekraft hat in ihrer Schicht locker 100 Patientenkontakte“, so der Infektiologe. Das bedeute mindestens 50 Minuten Desinfektionszeit. „Bei Personalknappheit und der Eile auf vielen Stationen ist das kaum zu machen“, sagt Fätkenheuer.

Kampagne „Aktion Saubere Hände“

Semmelweis‘ Botschaft für mehr Hygiene wird in Deutschland seit 2008 durch die Kampagne „Aktion Saubere Hände“ verstärkt verbreitet. Zehn Jahre nach Projektbeginn meldeten die teilnehmenden Krankenhäuser ein deutliches Plus bei der Nutzung von Handdesinfektionsmitteln. „Von 2008 bis 2018 wurde der Verbrauch um 50 Prozent gesteigert.“, stellt Gastmeier fest. Die Bundesrepublik ist laut Pittet inzwischen eines der Vorzeigeländer.

„Am besten werden die Vorschriften in Australien umgesetzt, dann folgt aber bald Deutschland. Die Handdesinfektion muss wie das Anlegen des Sicherheitsgurts im Auto in Fleisch und Blut übergehen“, ist Gastmeier überzeugt. Insbesondere ältere Ärzte seien oft schlechte Vorbilder für die Assistenzärzte, weil die Handhygiene kein Teil ihrer Ausbildung gewesen sei.

Posthumane Anerkennung

Ignaz Semmelweis kann man als den Vorreiter der modernen Antisepsis bezeichnen. Leider hat er seinen späten Ruhm und Anerkennung nicht mehr erlebt. Sein Leben endete tragisch. 1865 starb er, erst 47jährig, in einer Irrenanstalt bei Wien an einer Blutvergiftung, die er sich bei einer Operation zugezogen hatte.

Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse auf dem Gebiet der chirurgischen Desinfektion haben bis heute Generationen von Menschen das Leben gerettet. Heute würde er mit Sicherheit zu den Favoriten für den Nobelpreis zählen“, ist sich Markus Müller sicher, der Rektor der Medizinischen Universität Wien.