„Marzahn-Hellersdorf ist ein sehr dynamischer Bezirk“

Porträt der Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle

Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle

von Ingo Hoppe

Marzahn-Hellersdorf wächst seit einigen Jahren – das birgt Konflikte. Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle (Linke) sagt im Interview mit Ingo Hoppe für den rbb 88,8, warum der Bezirk altert, warum es dort viele Hartz-IV-Empfänger gibt – und über welche Klischees sie sich aufregt.

Ingo Hoppe: Frau Pohle, wir haben mal rumgefragt bei den Menschen, die in Ihrem Bezirk leben – und die haben oft gesagt: Was uns stört, ist die schlechte Verkehrsanbindung. Die S-Bahn fährt nicht häufig genug. Kann man daran noch ein bisschen was drehen?

Dagmar Pohle: Ja, wir sind dazu mit der BVG und der Bahn im Gespräch, weil wir merken, dass Straßenbahnen, Busse und S-Bahnen voll sind. Als Außenbezirk sind wir darauf angewiesen, dass möglichst viele Menschen mit den Öffentlichen fahren. Dazu kommt, dass auch viele aus Brandenburg hier bei uns ihr Auto abstellen, manchmal auch an Stellen, wo es uns nicht so recht ist, und dann öffentlich weiterfahren. Deshalb brauchen wir einfach einen dichteren öffentlichen Personennahverkehr.

Ingo Hoppe: Wenn man die Menschen in Marzahn-Hellersdorf fragt, wie sie sich fühlen, ist deren Stimmung viel besser als das Image des Bezirks…

Dagmar Pohle: Ja, das ist so, das erlebe ich seit vielen Jahren. Alle Versuche, die wir bisher unternommen haben, das mal zu ändern, sind noch nicht wirklich gelungen.

Ingo Hoppe: Die Gärten der Welt haben auch nichts gebracht?

Dagmar Pohle: Das ist genauso: Wenn ich Menschen treffe, die noch nie dort waren, und ich ihnen sage: ‘Geht doch mal hin.’ – dann sagen sie nachher immer: ‘Das ist ja toll – warum sind wir nicht schon eher hingegangen!’ Das soll jetzt keine Journalistenschelte sein, aber ich habe immer das Gefühl: Wenn jemand etwas über Marzahn-Hellersdorf recherchiert und alte Beiträge guckt, findet er immer nur bestimmte Standardsätze, die die Klischees bedienen.

Ingo Hoppe: Plattenbauten zum Beispiel. Dabei gibt es da auch Unmengen Einfamilienhaus-Siedlungen, das ist vielen gar nicht so bekannt.

Dagmar Pohle: Genau. Als jetzt gerade zum Sommerpausenstart etwas gealterte Architekten der Meinung waren, man müsste in Buch neu bauen, war ein Satz dabei, der mich wirklich tierisch aufgeregt hat: Es solle nicht zu einer Schlafstadt wie Marzahn-Hellersdorf werden. Da habe ich gedacht: Hallo? Was ist denn das? Das hat mit uns gar nichts zu tun.

Ingo Hoppe: Die Bewohnerinnen und Bewohner, die wir befragt haben, beklagen auch fehlende gute Spielplätze und zu wenig Schulen. Marzahn-Hellersdorf ist lange geschrumpft, jetzt wächst der Bezirk wieder. Sie ziehen auch Familien an, weil die Mieten nicht so hoch sind. Schule ist ein Thema für Sie, oder?

Dagmar Pohle: Schule ist auf jeden Fall ein Thema. Ich will mal die Zahlen nennen: Anfang der 1990er Jahre haben in Marzahn-Hellersdorf 310.000 Einwohnerinnen und Einwohner gewohnt. Dann sind wir geschrumpft bis 2004/05 auf 242.000 Einwohnerinnen und Einwohner – und jetzt sind wir bei knapp 270.000. In der Zeit, als wir geschrumpft sind, standen Wohnungen leer, brauchten wir nicht alle Schulen und Kindertagesstätten. 4.900 Wohnungen sind abgerissen worden, aber eben auch viele Gemeinschaftseinrichtungen. Leerstehende Gebäude werden zerstört, sind einfach in einem Kiez nicht zu ertragen, und es konnte nicht alles nachgenutzt werden. Jetzt wären wir froh, wenn wir diese Gebäude noch hätten. Wir haben sie nicht – und deshalb bauen wir auch neu. Die ersten neuen Schulen sind eröffnet, beziehungsweise werden jetzt zum Schuljahresbeginn eröffnet – und wir müssen weitere Schulen bauen. Wir haben auch an bestimmten Standorten Ergänzungsbauten in der Planung, die jetzt sukzessive umgesetzt werden. Wir sind ja ein sehr dynamischer Bezirk in der Bevölkerungsentwicklung – und alle, die schon lange dabei sind, wissen, dass es auch mal wieder weniger werden kann.

Ingo Hoppe: Im Moment altert der Bezirk, obwohl so viele Familien mit Kindern kommen oder die jungen Einwohner Kinder bekommen.

Dagmar Pohle: Wir liegen über dem Berliner Durchschnitt. Jahrzehntelang, kann man fast sagen, lagen wir deutlich drunter – jetzt liegen wir drüber. Das hat etwas damit zu tun, dass viele, die wann auch immer in den Bezirk Marzahn-Hellersdorf kommen, sich hier wohlfühlen und auch bleiben. Wer geht, sind die jungen Leute. Sie haben die Schule abgeschlossen, gehen in die Ausbildung und zum Studium. Interessant ist für mich, die ja schon sehr lange im Bezirk lebt, dass sie dann, wenn sie eine Familie gründen, wiederkommen. Ich finde, das spricht für den Bezirk.

Ingo Hoppe: Zu meiner Überraschung ist der Anteil von Hartz-IV-Empfängern doch sehr hoch im Bezirk, es gibt auch viele Alleinerziehende, was ja oft damit einhergeht. Sind Sie nicht überrascht?

Dagmar Pohle: Nein, ich bin nicht überrascht, weil ich natürlich die Situation in meinem Bezirk kenne. Sie müssten noch eine andere Zahl des Bezirkes dazusetzen – und die macht auch das Problem des Bezirkes deutlich, vor allen Dingen in unseren Großsiedlungen: Wir liegen unter dem Arbeitslosen-Durchschnitt des Landes Berlin, wir haben die viertniedrigste Zahl der zwölf Bezirke. Wir haben einen sehr hohen Anteil von Menschen, die erwerbstätig sind, deren Einkommen aber nicht ausreichend ist und die deshalb auf weitere finanzielle Unterstützung angewiesen sind. Das betrifft insbesondere Alleinerziehende: Familien mit ein, zwei, drei Kindern, aber nur einem Einkommen. Da bedarf es Transferzahlungen. Es sind oft Arbeitstätigkeiten, mit denen sie nicht gerade zu den Spitzenverdienerinnen und Spitzenverdienern gehören.

Ingo Hoppe: Die letzte Frage, die ich all ihren Kolleginnen und Kollegen stelle, ist die Kristallkugel-Frage: Wo sehen Sie Ihren Bezirk in zehn Jahren?

Dagmar Pohle: Ich habe jetzt 40 Jahre Marzahn-Hellersdorf in unterschiedlicher Art und Weise miterlebt und bin sehr optimistisch, dass der Bezirk weiterhin eine positive Entwicklung nimmt. Zurzeit wird sehr viel gebaut. Wohnungsneubau, der zum Glück – und darauf achten wir sehr – nicht dazu führt, dass unsere Grünflächen sich reduzieren oder dass wir Innenhöfe extrem zubauen. Deshalb glaube ich, dass in zehn Jahren Marzahn-Hellersdorf ein sehr angesehener Wohnort wird, in dem auch – wir haben nämlich sehr große Gewerbeflächen – die Wirtschaft sich weiterentwickelt. Damit müssen dann auch die Menschen gar nicht mehr so durch die Gegend fahren, sondern sie finden auch Arbeit bei uns im Bezirk.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Ingo Hoppe für rbb 88,8. Der Autor gestattete der „Spätlese“ freundlicherweise den Nachdruck dieser leicht gekürzten Fassung.