Gesetz über den Beauftragten oder die Beauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Land Berlin

Gesetz

(Berliner Aufarbeitungsbeauftragtengesetz – AufarbBG Bln)
Vom 10. Oktober 2017

Das Abgeordnetenhaus hat das folgende Gesetz beschlossen:

Inhaltsübersicht

§ 1 Zweck des Gesetzes
§ 2 Aufgaben und Befugnisse des oder der Landesbeauftragten
§ 3 Bestellung und Entlassung
§ 4 Rechtsstellung
§ 5 Beirat des oder der Bundesbeauftragten
§ 6 Evaluation
§ 7 Übergangsvorschrift
§ 8 Inkrafttreten, Außerkrafttreten

§ 1 Zweck des Gesetzes

(1) Dieses Gesetz dient der Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes einschließlich seiner Vorgänger- und Nachfolgeorganisationen in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR auf dem Gebiet des heutigen Landes Berlin.

(2) Das Gesetz soll die Zusammenarbeit insbesondere zwischen öffentlichen Stellen des Landes, den in Berlin tätigen Opfer- beziehungsweise Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen sowie sonstigen Bildungseinrichtungen und dem oder der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (der oder die Bundesbeauftragte) befördern.

(3) Das Gesetz regelt die Stellung des oder der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (der oder die Landesbeauftragte). Es dient damit auch der Ausführung des § 38 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Februar 2007 (BGBl. I S. 162), das zuletzt durch Artikel 5 Absatz 5 des Gesetzes vom 10. März 2017 (BGBl. I S. 410) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung.

§ 2 Aufgaben und Befugnisse des oder der Landesbeauftragten

(1) Der oder die Landesbeauftragte unterstützt den Bundesbeauftragten
oder die Bundesbeauftragte bei der Wahrnehmung seiner oder ihrer Aufgaben nach § 37 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Er oder sie berät den Bundesbeauftragten oder die Bundesbeauftragte über die landesspezifischen Besonderheiten bei der Verwendung der Unterlagen.

(2) Der oder die Landesbeauftragte berät die öffentlichen Stellen des Landes. Er oder sie kann sich auf Antrag an Überprüfungsverfahren beratend beteiligen und dabei in die herangezogenen Unterlagen Einsicht nehmen. Er oder sie ist befugt, die Ergebnisse von Überprüfungen von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sowie Bewerbern und Bewerberinnen bei den öffentlichen Stellen des Landes einzusehen.

(3) Der oder die Landesbeauftragte hat die Aufgabe, Bürgerinnen und Bürger in Fragen der Aufarbeitung der SED-Diktatur zu beraten und zu unterstützen, insbesondere bezüglich Einsichtnahme und Herausgabe von Stasiakten nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz, in Fragen der Rehabilitierung und Entschädigung von SED-Unrecht nach den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen und hinsichtlich der Behandlung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden. Hierzu arbeitet der oder die Landesbeauftragte mit anderen Beratungsstellen zusammen und unterstützt sie bei ihrer Tätigkeit.

(4) Der oder die Landesbeauftragte arbeitet mit den Behörden, die für die Aufarbeitung und Verwahrung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes sowie anderer Organe des Staats- und Parteiapparates der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik zuständig sind, und mit dem oder der Berliner Datenschutzbeauftragten zusammen. Die öffentlichen Stellen des Landes sind verpflichtet, den Landesbeauftragten oder die Landesbeauftragte bei der Erfüllung der Aufgaben zu unterstützen. Dem oder der Landesbeauftragten ist durch öffentliche Stellen des Landes insbesondere
1. Auskunft zu erteilen und
2. Einsicht in deren Registraturen, Archive und sonstige Informationssammlungen zu gewähren, wenn ihm oder ihr hinreichende Anhaltspunkte für das Vorhandensein von Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes sowie anderer Organe des Staats- und Parteiapparates der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vorliegen und er oder sie dies gegenüber den Stellen anzeigt.

(5) Der oder die Landesbeauftragte fördert die politische und historische Aufarbeitung der SED-Diktatur unter besonderer Berücksichtigung des Staatssicherheitsdienstes. Zur Erfüllung der Aufgaben unterrichtet er oder sie die Öffentlichkeit über die Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes und anderer Organe der SED-Diktatur im Gebiet des Landes Berlin. Zu diesem Zweck fördert der oder die Landesbeauftragte die Einrichtung und Unterhaltung eines Dokumentations- und Ausstellungszentrums. Der oder die Landesbeauftragte fördert die Arbeit von in Berlin tätigen Opfer- beziehungsweise Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen. Der oder die Landesbeauftragte unterstützt die politische Bildungsarbeit zur SED-Diktatur. Er oder sie berät Schulen, Hochschulen und Volkshochschulen sowie andere Forschungs- und Bildungseinrichtungen des Landes bei der historischen und politischen Aufarbeitung der SED-Diktatur unter besonderer Berücksichtigung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes. Er oder sie arbeitet mit der Landeszentralefür Politische Bildung zusammen.

(6) Der oder die Landesbeauftragte berichtet dem Abgeordnetenhaus jährlich über seine oder ihre Tätigkeit. Auf Ersuchen des Abgeordnetenhauses oder des Senats hat der oder die Landesbeauftragte über seine oder ihre Tätigkeit weitere Auskünfte zu erteilen, Stellungnahmen abzugeben und Gutachten zu erstellen. Der oder die Landesbeauftragte ist berechtigt und kann von der Mehrheit des Abgeordnetenhauses oder eines Ausschusses verpflichtet werden, vor dem Parlament oder dem betreffenden Ausschuss zu erscheinen und zu reden.

(7) Der oder die Landesbeauftragte ist befugt, personenbezogene Daten, die ihm oder ihr durch Beschwerden, Anfragen und Hinweise bekannt werden, zu verarbeiten, soweit dies zur Erfüllung seiner oder ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich ist. Er oder sie hat das Recht, gemäß § 12 Absatz 1 Satz 2 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes nach Bevollmächtigung durch die berechtigte Person Einsicht in die Unterlagen zu nehmen oder sich Unterlagen herausgeben zu lassen.

(8) Zur Unterstützung seiner Arbeit kann der oder die Landesbeauftragte einen Beirat berufen. Der Beirat gibt sich eine Geschäftsordnung.

§ 3 Bestellung und Entlassung

(1) Der oder die Landesbeauftragte wird auf Vorschlag des Senats vom Abgeordnetenhaus mit den Stimmen der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt und vom Senat ernannt. Zum Landesbeauftragten oder zur Landesbeauftragten kann nur gewählt werden, wer zum Deutschen Bundestag wählbar ist. Die einmalige Wiederwahl ist zulässig.

(2) Der oder die Landesbeauftragte leistet vor dem Präsidenten oder der Präsidentin des Abgeordnetenhauses folgenden Eid: „Ich schwöre, mein Amt gerecht und unparteiisch getreu dem Grundgesetz, der Verfassung von Berlin und den Gesetzen zu führen und meine ganze Kraft dafür einzusetzen, so wahr mir Gott helfe.” Der Eid kann auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden.

(3) Das Amtsverhältnis endet mit

1. dem Ablauf der Amtszeit,
2. der Abwahl,
3. der Entlassung.

(4) Die Amtszeit des oder der Landesbeauftragten beträgt fünf Jahre ; nach dem Ende der Amtszeit bleibt er oder sie auf Aufforderung des Präsidiums des Abgeordnetenhauses bis zur Ernennung eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin im Amt.

(5) Eine Entlassung des oder der Landesbeauftragten kann nur erfolgen, wenn dieser oder diese dies schriftlich verlangt oder Dienstunfähigkeit vorliegt.

(6) Vor Ablauf der Amtszeit kann der oder die Landesbeauftragte mit der Mehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder des Abgeordnetenhauses abgewählt werden.

(7) Endet das Amtsverhältnis des oder der Landesbeauftragten vor Ablauf der Frist nach Absatz 4 Satz 1 Halbsatz 1, wird ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin für fünf Jahre gewählt.

§ 4 Rechtsstellung

(1) Der oder die Landesbeauftragte steht in einem öffentlichrechtlichen Amtsverhältnis im Geschäftsbereich des oder der Berliner Datenschutzbeauftragten. Er oder sie ist in der Ausübung seines oder ihres Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen und von fachlichen Weisungen freigestellt. Die Dienstaufsicht über den Landesbeauftragten oder die Landesbeauftragte wird durch den Berliner Datenschutzbeauftragten oder die Berliner Datenschutzbeauftragte ausgeübt.

(2) Der oder die Landesbeauftragte darf neben seinem oder ihrem Amt kein weiteres besoldetes Amt und kein Gewerbe ausüben und weder der Leitung oder dem Aufsichtsrat oder Verwaltungsrat eines auf Erwerb gerichteten Unternehmens noch einer Regierung oder einer gesetzgebenden Körperschaft des Bundes oder eines Landes angehören. Er oder sie darf nicht gegen Entgelt außergerichtliche Gutachten abgeben.

(3) Im Übrigen wird die Rechtsstellung des oder der Landesbeauftragten durch Vertrag geregelt. Soweit in diesem Gesetz und im Vertrag keine abweichenden Bestimmungen getroffen worden sind, finden die für Beamtinnen und Beamte des Landes Berlin geltenden Vorschriften – mit Ausnahme der Versorgungsregelungen – in dem Umfang sinngemäß Anwendung, als sie dem Wesen des Amtsverhältnisses entsprechen.

§ 5 Beirat des oder der Bundesbeauftragten

Der Senat kann gegenüber dem Bundesminister oder der Bundesministerin des Innern den Landesbeauftragten oder die Landesbeauftragte als Mitglied des Beirats bei dem oder der Bundesbeauftragten und gegebenenfalls weitere in den Beirat zu entsendende Mitglieder benennen.

§ 6 Evaluation

Über die Arbeit und die Aufgabenstellung des oder der Landesbeauftragten
erstellt der Senat einen Evaluationsbericht, der dem Abgeordnetenhaus bis zum 30. Juni 2027 vorzulegen ist.

§ 7 Übergangsvorschrift

Der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes im Amt befindliche Landesbeauftragte bleibt bis zum 27. November 2017 im Amt. Für sein Rechtsverhältnis sind § 2 Absatz 3 Satz 3, § 3 und § 5 Absatz 2 des Gesetzes über den Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik im Land Berlin vom 20. November 1992 (GVBl. S. 335), das zuletzt durch Gesetz vom 5. November 2012 (GVBl. S. 357) geändert worden ist, in seiner bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Fassung weiter anzuwenden.

§ 8 Inkrafttreten, Außerkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz über den Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik im Land Berlin vom 20. November 1992 (GVBl. S. 335), das zuletzt durch Gesetz vom 5. November 2012 (GVBl. S. 357) geändert worden ist, außer Kraft.

Berlin, den 10. Oktober 2017

Der Präsident des Abgeordnetenhauses von Berlin
Ralf W i e l a n d

Das vorstehende Gesetz wird hiermit verkündet.
Der Regierende Bürgermeister
Michael M ü l l e r