Arbeitsgericht Bonn, Urteil vom 18.01.2012, 5 Ca 2499/11
Der gesetzliche Jahresurlaubsanspruch erlischt gemäß § 7 Abs.3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) spätestens im Folgejahr zum 31. März. Doch hinter dem BUrlG steht die Europäische Richtlinie 2003/88/EG, die nach einem grundlegenden Urteil des Europäischem Gerichtshofs (EuGH) vom 20.01.2009 (C-350/06 – Schultz-Hoff) den Verfall des Mindesturlaubsanspruchs von vier Wochen ausschließt, wenn der Urlaub aus Krankheitsgründen nicht genommen werden konnte. Damit soll die Schlechterstellung erkrankter Arbeitnehmer verhindert werden.
Daher änderte das Bundesarbeitsgericht (BAG) im Jahre 2009 seine Rechtsprechung (BAG, Urteil vom 24.03.2009, 9 AZR 983/07). Ende 2011 kam dann aber eine Kehrtwende des EuGH: Der EuGH entschied, dass krankheitsbedingt nicht genommener Urlaub nicht “ewig” aufrecht erhalten werden muss, sondern 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen darf – vorausgesetzt, es gibt eine entsprechende nationale Rechtsvorschrift, die einen solchen Verfall vorsieht (EuGH, Urteil vom 22.11.2011, C-214/10 – KHS gg. Schulte).
Seit dem Urlaubs-Urteil des EuGH vom November 2011 wird diskutiert, ob krankheitsbedingt nicht genommener Urlaub in Deutschland automatisch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres untergeht (so das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 21.12.2011, 10 Sa 19/11) oder nicht. In einem aktuellen Urteil entschied das Arbeitsgericht Bonn, dass Resturlaub und Urlaubsabgeltung nicht automatisch 15 Monate nach dem Entstehungsjahr untergehen: Arbeitsgericht Bonn, Urteil vom 18.01.2012, 5 Ca 2499/11:
Arbeitsgericht Bonn: Urlaub und Urlaubsabgeltung verfallen bei langer Krankheit nicht automatisch 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres
Im Bonner Streitfall war ein Arbeitnehmer von Mai 2006 bis November 2007 durchgehend krank und erhielt Krankengeld. Im Anschluss daran bezog er Arbeitslosengeld. Nachdem das Arbeitsverhältnis Ende Oktober 2010 durch Eigenkündigung des Arbeitnehmers beendet worden war, verlangte er Urlaubsabgeltung für die Jahre 2006 bis 2010.
Das Arbeitsgericht Bonn sprach dem Arbeitnehmer aber nur für die Jahre 2006 und 2007 Urlaubsabgeltung zu. Denn mit Beginn des Arbeitslosengeldbezugs soll das Arbeitsverhältnis “geruht” haben, so dass für diese Zeit kein weiterer Urlaub angesammelt werden konnte. Aber immerhin für 2006 und 2007 gab es eine Urlaubsabgeltung. Denn ein automatischer Verfall dieser Urlaubsansprüche zum 31. März des Folgejahres, hier also zum 31. März 2007 und zum 31. März 2008, ist nach Ansicht des Arbeitsgerichts Bonn dem BUrlG nicht zu entnehmen. Hier erteilt das Arbeitsgericht der Ansicht des LAG Baden-Württemberg eine Absage. Die entscheidenden Passagen des Bonner Urteils lauten (Rn.28):
“Entgegen der Auffassung der Beklagten verfallen Urlaubsansprüche auch nicht gleichsam automatisch nach Ablauf von 15 Monaten nach Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres. Hierfür fehlt es an einer Rechtsgrundlage. Die Kammer hält sich insoweit nicht für befugt, ohne jede gesetzliche Grundlage von der Existenz eines starren fünfzehnmonatigen Übertragungszeitraums für Urlaubsansprüche im Fall langfristiger Erkrankungen auszugehen.”
Fazit: Dem Arbeitsgericht Bonn ist zuzustimmen, da die gegenteilige Ansicht des LAG Baden-Württemberg rechtlich nicht haltbar ist. Eine eindeutige Begrenzung des Ansammelns von Urlaubsansprüchen bei langer Krankheit gibt es im deutschen Arbeitsrecht nur auf der Grundlage von Tarifverträgen. Arbeitsverträge können eine solche 15-Monatsgrenze nicht enthalten, da dies eine unzulässige, weil für den Arbeitnehmer ungünstige Abweichung vom BUrlG bzw. von § 7 Abs.3 BUrlG in seiner derzeit (noch) gültigen Auslegung durch das BAG wäre.