Leitsatz:
In der gesetzlichen Krankenversicherung haben Versicherte keinen Anspruch auf Versorgung mit einem Sportrollstuhl zur Teilnahme am Vereinssport. Das gilt auch für Kinder und Jugendliche.
Orientierungssätze:
Aus dem am 3. Mai 2008 in Kraft getretenen „Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (UN-Konvention) können keine über § 33 SGB V hinausgehende Leistungsansprüche hergeleitet werden.
Eine nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX begründete Zuständigkeit eines Rehabilitationsträgers (hier: Krankenkasse) erstreckt sich im Außenverhältnis zum Versicherten auf alle Rechtsgrundlagen, die überhaupt in dieser Bedarfssituation rehabilitationsrechtlich vorgesehen sind (vgl. z.B. BSG vom 26.10.2004- B 7 AL 16/04 R= BSGE 93, 283?SozR 4-3250 § 14 Nr. 1).
Urteil des 3. Senats des Bundessozialgerichts vom 18.05.2011 – B 3 KR 10/10 R
Auszüge aus dem Kurzinhalt:
Der 1999 geborene und bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte Kläger leidet an einer spastischen Tetraplegie. Er ist deswegen auf den Rollstuhl angewiesen, mit dem er auch von der Beklagten versorgt ist. Zusätzlich zu dem Sport- und Bewegungsangebot der von ihm besuchten Schule für Körperbehinderte beteiligt er sich seit Mitte 2007 an dem wöchentlichen Training und Spielen einer Rollstuhlbasketball-Jugendmannschaft eines Rollstuhl-Sportclubs, der mit seiner Ersten Mannschaft in der Rollstuhlbasketball-Bundesliga vertreten ist. Deshalb beantragte er im Januar 2008 die Versorgung mit einem zusätzlichen Sportrollstuhl. Der vorhandene Aktivrollstuhl bremse beim Rollstuhlbasketball die Geschwindigkeit ab und sei viel zu schwer zu handhaben als ein Sportrollstuhl. Zudem sei das Unfallrisiko mit einem Sportrollstuhl deutlich geringer.
Die Beklagte Lehnte den Antrag ab.
Das Sozialgericht (SG) hat den Sport-Übungsleiter des Rollstuhlsportvereins als Zeugen vernommen und die Beklagte sodann antragsgemäß verurteilt, den Kläger mit einem „geeigneten Sportrollstuhl“ zu versorgen; ein solcher Rollstuhl sei zu dessen sozialer Integration und damit zur Erfüllung eines Grundbedürfnisses erforderlich (Urteil vom 15. Juli 2009).
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen: Die Versorgung mit einem zusätzlichen Sportrollstuhl überschreite den Bereich des Basisausgleichs, für den die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) beim mittelbaren Behinderungsausgleich ausschließlich zu sorgen hätte. Vereinssport müssen nach der Zuständigkeitsverteilung des SGB IX nicht die Krankenkassen, sonder die Sozialhilfeträger ermöglichen. Für dessen Leistungspflicht bestünden vorliegend mangels Bedürftigkeit indes keine Anhaltspunkte (Urteil vom 21. Januar 2010).
Mit der vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt der Kläger, dass die Entscheidung des LSG in Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) stehe. Danach sei der durch die Hilfsmittelversorgung anzustrebende Behinderungsausgleich auf eine möglichst weitgehende Eingliederung des behinderten Kindes in den Kreis Gleichaltriger auszurichten. Dazu gehöre auch die aktive Betätigung in einem Sportverein.
Der Senat hat die Revision zurückgewiesen, weil der Kläger durch den ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellten Aktivrollstuhl bereits ausreichend versorgt und damit seinem Grundbedürfnis auf Mobilität erfüllt ist. Besondere zusätzliche qualitative Merkmale, die eine ergänzende Ausstattung mit einem Sportrollstuhl rechtfertigen können, bestehen vorliegend nicht.
Eine darüber hinausgehende sportliche Betätigung oder die Ausübung von Vereinsport, auch in reinen Behinderten-Sportgruppen, müssen nach Zuständigkeitsverteilung des SGB IX nicht die Krankenkassen, sondern allenfalls die Sozialhilfeträger ermöglichen; für deren Leistungspflicht bestanden vorliegend mangels Bedürftigkeit indes keine Anhaltspunkte.
Der Kläger konnte sich auch nicht mit Erfolg auf das „Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (UN-Konvention) berufen. Diese Konvention war zum Zeitpunkt der Entscheidung des LSG als geltendes Recht zu beachten.
Art. 20 UN-Konvention: Danach verpflichten sich die Vertragstaaten zu wirksamen Maßnahmen, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen. Zudem kann aus den Regelungen der UN-Konvention kein subjektiv-öffentliches Recht des Einzelnen abgeleitet werden, ein konkretes und der persönlichen Mobilität dienendes Hilfsmittel von einem bestimmten Leistungsträger verlangen zu können. Die Bundesrepublik Deutschland trägt dem von der UN-Konvention angestrebten Zweck ausreichend durch das gegliederte Leistungssystem des SGB, insbesondere des SGB IX, Rechnung. Weitergehende Einzelansprüche werden zumindest für den Bereich der GKV durch die UN-Konvention nicht begründet.
Die Krankenkasse ist auch nicht nach dem Leistungsrecht eines anderen Reha-Trägers zur Gewährung des Sportrollstuhls verpflichtet. Allerdings oblag der Beklagten nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX als erstangegangenem Reha-Träger die Prüfung aller weiter in Betracht zu ziehenden rehabilitationsrechtlichen Anspruchgrundlagen. Denn der materiell-rechtlich-eingentlich zuständige Reha-Träger verliert im Außenverhältnis zum Versicherten oder Leistungsempfänger seine originäre Zuständigkeit für eine Teilhabeleistung, sobald der zuerst angegangene Reha-Träger eine im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB IX fristgerechte Zuständigkeitsklärung versäumt und demzufolge die Zuständigkeit nach allen in Betracht kommenden rehabilitationsrechtlichen Rechtsgrundlagen auf ihn übergegangen ist.
Zuständig ist also derjenige Träger, der von dem Versicherten oder Leistungsbezieher erstmals mit dem zu beurteilenden Antrag auf Bewilligung einer Leistung zur Teilhabe befasst worden ist, hier die beklagte Krankenkasse.
Im Ergebnis ist die Entscheidung der Beklagten indes auch unter Berücksichtigung von § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nicht zu beanstanden. Insbesondere ist dem Kläger ein Sportrollstuhl zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nicht auf sozialhilferechtlicher Grundlage zur Verfügung zu stellen. Denn nach den Feststellungen des LSG fehlt es dafür jedenfalls an einer Bedürftigkeit des Klägers. Das die Vorinstanz Anlass gehabt hätte, dieser Frage im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht nach § 103 Satz 1 SGG weiter nachzugehen, kann dem Revisionsvorbringen nicht entnommen werden. Im Gegenteil ist im aufgeforderten LSG-Urteil ausdrücklich festgehalten, dass die fehlende Bedürftigkeit des Klägers von seiner Prozessbevollmächtigten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 21. Januar 2010 bestätigt worden ist, diese Feststellung des LSG ist vom Revisionsvorbringen nicht als fehlerhaft gerügt worden. Offen bleiben kann deshalb, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen
die Versorgung mit solchen Rollstühlen als Leistung der Eingliederungshilfe von der Sozialhilfe beansprucht werden kann.