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Sozialrecht im Alltag: Anspruch auf Witwenrente nach nur zwei Monaten Ehe - Beschaffung von Papieren aus dem Ausland verhinderte frühere Hochzeit

Pressemitteilung vom 29.09.2017

Sozialgericht Berlin, Urteil vom 11. September 2017 (S 11 R 1839/16): Obwohl bereits
am Hochzeitstag absehbar war, dass der krebskranke Ehemann sehr bald sterben würde,
hat die überlebende Ehefrau Anspruch auf Witwenrente. Wesentlicher Grund für die späte
Hochzeit war nach den Ermittlungen des Gerichts der Umstand, dass sich die Beschaffung
von erforderlichen Papieren aus der Ukraine monatelang hingezogen hatte. Trotz der kurzen
Dauer der Ehe von weniger als einem Jahr liegt deshalb keine – einen Anspruch
ausschließende – Versorgungsehe vor.

Zum Hintergrund: Die gesetzliche Hinterbliebenenversorgung soll Unterhaltsansprüche
gegen einen Ehepartner ersetzen, die durch dessen Tod weggefallen sind. Allerdings setzt
der Anspruch auf Witwenrente grundsätzlich voraus, dass die Ehe mit dem Versicherten
mindestens ein Jahr gedauert hat. Bei einer kürzeren Ehedauer ist laut Gesetz zu vermuten,
dass die Ehe gezielt zum Zweck der Versorgung geschlossen wurde. Ein Anspruch auf
Witwenrente ist dann ausgeschlossen. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe
kann jedoch widerlegt werden (vgl. § 46 Abs. 2 a SGB VI – Gesetzliche
Rentenversicherung).

Zum Fall: Die 1957 geborene, aus der Ukraine stammende Klägerin lernte 2007 ihren
späteren Ehemann kennen, der bei der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg
(der Beklagten) versichert war. Im Dezember 2010 wurde bei ihm anlässlich einer
Krankenhausbehandlung eine bereits fortgeschrittene Krebserkrankung festgestellt. Im
Februar 2011 beantragten beide die Eheschließung beim Standesamt, Ende März heirateten
sie in Berlin. Bereits zwei Monate später, Anfang Juni 2011, starb der Versicherte.

Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente lehnte die Beklagte ab. Ihrer
Auffassung nach sei die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe nicht widerlegt
worden. Obwohl die Klägerin den Versicherten bereits 2007 kennengelernt habe, sei mit der
Vorbereitung der Eheschließung erst begonnen worden, als der lebensbedrohliche Zustand
des Versicherten unübersehbar geworden sei.

Im Januar 2016 erhob die Klägerin hiergegen Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Die 11.
Kammer des Sozialgerichts Berlin (in der Besetzung mit einem Berufsrichter und zwei
ehrenamtlichen Richtern) beraumte eine mündliche Verhandlung an und hörte vier

Zeuginnen aus dem Umfeld der Eheleute. Im Ergebnis gab es der Klägerin durch Urteil vom
11. September 2017 Recht und verpflichtete die Beklagte zur Gewährung einer Witwenrente
mit folgender Begründung:

Zur Prüfung, ob eine Versorgungsehe vorliege, sei eine Gesamtbetrachtung anzustellen.
Immer dann, wenn für eine Heirat andere Beweggründe als eine Versorgungsabsicht
überwiegen würden oder zumindest gleichwertig seien, sei die gesetzliche Vermutung einer
Versorgungsehe nicht gerechtfertigt. Das Vorliegen anderer Beweggründe müsse der
hinterbliebene Ehegatte beweisen. Eine gewichtige Bedeutung komme hierbei dem
Krankheitsbild des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu. Je offensichtlicher die
Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit gewesen sei, desto größer seien die Zweifel daran,
dass die Ehe nicht mit dem Ziel der Versorgungsabsicherung geschlossen worden sei. Nicht
ausschlaggebend sei hingegen, wie lange eine Liebesbeziehung bereits bestanden habe. Im
Gegenteil spreche eine lange Partnerschaft ohne Trauschein vielmehr dafür, dass eigentlich
gar keine Eheschließung beabsichtigt war.

Vorliegend sei die lebensbedrohliche Krankheit des Versicherten zum Zeitpunkt der Hochzeit
zwar offenkundig weit fortgeschritten gewesen. Darüber seien sich auch die Eheleute völlig
im Klaren gewesen. Die Ermittlungen des Gerichts hätten jedoch ergeben, dass konkrete
und ernsthafte Heiratsabsichten schon mehrere Monate bestanden hätten, bevor beim
Versicherten im Dezember 2010 die tödliche Krankheit festgestellt wurde. So hätten sich
sowohl der Versicherte als auch die Klägerin bereits im Laufe des Jahres 2010 um die
Beschaffung der erforderlichen Papiere bemüht. Dies sei besonders schwierig gewesen, weil
beide Eheleute zuvor schon einmal verheiratet gewesen seien. Die Klägerin habe
monatelang auf Unterlagen aus der Ukraine warten müssen. Auch das Standesamt habe
bestätigt, dass bei der Eheschließung mit einer ausländischen Staatsangehörigen zwischen
einer ersten Auskunft über die erforderlichen Papiere bis zu deren Beschaffung im
Allgemeinen mehrere Monate vergingen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann von der Rentenversicherung mit der Berufung
zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in Potsdam angefochten werden.

Anmerkung der Pressestelle: vgl. auch die Pressemitteilung vom 14. Juni 2012 zu einem
ähnlich gelagerten Fall: „Sozialrecht im Alltag: Witwenrente nach nur 19 Tagen Ehe –
Langes Scheidungsverfahren verhinderte frühere Hochzeit“

Sozialrecht im Alltag – Unter dieser Rubrik berichtet das Sozialgericht Berlin über typische Fälle aus
dem Sozialrecht. Die ausgewählten Entscheidungen stehen beispielhaft für die allgemeine
Rechtsprechung zum jeweiligen Problemkreis. Sie befassen sich mit Rechtsfragen aus dem täglichen
Leben vieler Menschen.