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Sozialrecht im Alltag: Rentenversicherung darf Namen von Informantin geheimhalten - Hoffnung des Klägers auf "Wiederherstellung des Familienfriedens" überwiegt Geheimhaltungsinteresse nicht

Pressemitteilung vom 31.03.2017

Sozialgericht Berlin, Urteil vom 1. Dezember 2016 (S 9 R 1113/12 WA) Die Rentenversicherung darf die Identität von Dritten geheimhalten, die einen rentenrelevanten Sachverhalt angezeigt haben. Nur in Ausnahmefällen können Betroffene verlangen, dass der Name eines Tippgebers offengelegt wird. Die Hoffnung des Klägers, durch Klärung der Frage, wer die Versicherung informiert habe, könne „der Familienfrieden wiederhergestellt“ werden, genügt nicht, um das Geheimhaltungsinteresse der anzeigenden Person zu durchbrechen.

Der 1941 geborene deutsche Kläger bezieht eine Altersrente von der Deutschen Rentenversicherung Bund (Beklagte). Er wohnt in einem kleinen Fischerdorf an der Costa Blanca in Spanien. Diesen Umstand verschwieg er der Beklagten. Stattdessen gab er eine deutsche Wohnanschrift an, zuletzt die Adresse seines Bruders.

2010 teilte eine Person – die Informantin – der Beklagten schriftlich mit, dass der Kläger nach seiner Scheidung mit einer jüngeren Frau nach Spanien ausgewandert sei. Die Beklagte möge dem Sachverhalt nachgehen, da er rechtlich garantiert nicht belanglos sei.

Tatsächlich überprüfte die Beklagte die Rentenangelegenheit. Im Ergebnis stellt sie fest, dass der Auslandsaufenthalt in diesem Falle keine Auswirkungen auf die Rente hatte.

In der Folgezeit verlangte der Kläger mehrfach eine Kopie des „ominösen Briefes“, was die Beklagte ablehnte. Auch als der Kläger eine Liste vorlegte, auf der sich 7 von 9 namentlich genannten Familienmitgliedern damit einverstanden erklärten, dass der Brief herausgegeben werde, änderte der Beklagte seine ablehnende Haltung nicht.

Im August 2011 rief der Kläger daraufhin das Sozialgericht an. Er trug vor, ein Mitarbeiter des Beklagten habe ihm erklärt, dass das Hinweisschreiben aus seiner Familie stamme. Zur Herstellung des Familienfriedens sei es nun notwendig, dass ihm das Schreiben vorgelegt werde.

Mit Urteil vom 1. Dezember 2016 hat die 9. Kammer des Sozialgerichts Berlin (in der Besetzung mit einem Vorsitzenden Richter und zwei ehrenamtlichen Richtern) die Klage nach mündlicher Verhandlung abgewiesen.

Bei der Entscheidung über die beantragte Akteneinsicht bzw. Auskunft müsse die Beklagte zwischen dem Geheimhaltungsinteresse der Behördeninformantin und dem Auskunftsinteresse des Klägers abwägen. Der Name der Informantin sei ein rechtlich besonders geschütztes „Sozialdatum“.

Das Auskunftsinteresse überwiege nur unter engen Voraussetzungen, zum Beispiel wenn leichtfertig rufschädigende Behauptungen aufgestellt wurden oder wenn die Informantin als Zeugin in Betracht komme. Vorliegend habe die Mitteilung über den Auslandswohnsitz indes der Wahrheit entsprochen und im übrigen keine Auswirkungen auf die Höhe der Rente gehabt. Deshalb werde die Informantin auch nicht als Zeugin benötigt.

Selbst der Umstand, dass Art. 6 des Grundgesetzes Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stelle, könne kein überwiegendes Auskunftsinteresse begründen. Es sei schon nicht erkennbar, dass die Vorlage des Schreibens zur Herstellung des Familienfriedens dienlich sei. Die eigentliche Ursache für die Störung des Familienfriedens habe der Kläger durch Angabe eines falschen Wohnsitzes selbst gelegt, und nicht das pflichtbewusste Verhalten der Informantin. Darüber hinaus sei eine Familie ein komplexer Verantwortungs- und Beistandspakt. Ob er funktioniere oder nicht, hänge nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht von der Vorlage eines einzelnen Schreibens ab, sondern von der generellen Bereitschaft der Akteure, sich mit Respekt, Offenheit und Toleranz zu begegnen.

Die Kammer äußere sich im übrigen nicht dazu, ob der Name der Informantin auf der vom Kläger vorgelegten Unterschriftenliste überhaupt auftauche. Jedenfalls fehle es an einer Einwilligung der Informantin in die Offenlegung ihrer Identität.

Sozialrecht im Alltag – Unter dieser Rubrik berichtet das Sozialgericht Berlin über typische Fälle aus
dem Sozialrecht. Die ausgewählten Entscheidungen stehen beispielhaft für die allgemeine
Rechtsprechung zum jeweiligen Problemkreis. Sie befassen sich mit Rechtsfragen aus dem täglichen
Leben vieler Menschen.

Anmerkung der Pressestelle: Das Sozialgericht Berlin ist das größte Sozialgericht Deutschlands. Neben Angelegenheiten der Rentenversicherung bearbeitet es vor allem Fälle aus dem Bereich der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV). 2016 gingen insgesamt 33.876 neue Verfahren ein. Rund 9 % davon betrafen die Rentenversicherung.
Die größte Herausforderung des Gerichts besteht bis auf weiteres darin, das abzutragen, was sich in 11 Jahren Hartz IV aufgetürmt hat. Der Aktenberg der noch zu erledigenden Verfahren (alle Sparten zusammengerechnet) umfasst zurzeit 36.986 Fälle. Das ist das Arbeitspensum eines ganzen Jahres.
Das Sozialgericht Berlin steckt mitten in der Übergangsphase von der Papierakte zur E-Akte. Auf dem Gebiet des elektronischen Rechtsverkehrs ist es das Pilotgericht der Berliner Justiz (siehe hierzu auch die Pressemitteilung vom 27. Februar 2017 „Vorfahrt für den elektronischen Rechtsverkehr“).
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