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Sozialrecht im Alltag - Trotz langer Wartezeiten: Kassenpatienten können nur im akuten Notfall auf private Psychotherapie ausweichen
Pressemitteilung vom 31.07.2015
Sozialrecht im Alltag – Unter dieser Rubrik berichtet das Sozialgericht Berlin über typische Fälle aus dem Sozialrecht. Die ausgewählten Entscheidungen stehen beispielhaft für die allgemeine Rechtsprechung zum jeweiligen Problemkreis. Sie befassen sich mit Rechtsfragen aus dem täglichen Leben vieler Menschen.
Sozialgericht Berlin, Beschluss vom 24. Juli 2015 (S 72 KR 1702/15 ER PKH): Auch im Notfall darf ein gesetzlich Krankenversicherter eine nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Psychotherapeutin nur dann in Anspruch nehmen, wenn er auf eine Akutbehandlung angewiesen und ein zugelassener Therapeut nicht erreichbar ist.
Zum Hintergrund: Kassenpatienten müssen oft mehrere Monate auf eine Psychotherapie warten – zu lange, wenn bei einer schwerwiegenden Erkrankung dringender Behandlungsbedarf besteht. Wer in der Not ohne Absprache mit seiner Krankenkasse auf eine private Therapie ausweicht, läuft indes Gefahr, auf seinen Kosten sitzen zu bleiben.
Die Verkürzung von Wartezeiten für eine psychotherapeutische Versorgung ist eines der Ziele des am 23. Juli 2015 in Kraft getretenen Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung -GKV-VSG. Weiterführend zum Thema auch Jana Hauschild, spiegel-online vom 28. Juli 2015: „Brauche Therapie, warte Monate“.
Zum Fall: Der Antragsteller aus Berlin-Pankow benötigt aufgrund einer schwerwiegenden Depression psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung. Ohne dies mit seiner gesetzlichen Krankenkasse abzusprechen, begann er im Dezember 2014 eine Verhaltenstherapie bei einer Psychotherapeutin, die von der Krankenkasse zur vertragsärztlichen Versorgung nicht zugelassen war.
Nachdem seine Krankenkasse eine Kostenübernahme abgelehnt hatte, beantragte er im Juni 2015 beim Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Kasse zur Kostentragung zu verpflichten.
Mit Beschluss vom 24. Juli 2015 lehnte die Vorsitzende der 72. Kammer des Sozialgerichts Berlin den Eilantrag ab. Gemäß dem Gesetz (§ 76 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Krankenversicherung – SGB V) bestehe grundsätzlich nur ein Anspruch auf psychotherapeutische Behandlung durch zugelassene Leistungserbringer. Andere Ärzte dürften nur in Notfällen in Anspruch genommen werden. Die Inanspruchnahme eines nicht zugelassenen Psychotherapeuten komme damit nur dann in Betracht, wenn der Versicherte auf eine Akutbehandlung angewiesen und ein zugelassener Leistungserbringer unter zumutbaren Bedingungen nicht erreichbar sei.
Im vorliegenden Fall bedürfe der Antragsteller zwar dringend einer Behandlung. Es sei jedoch nicht erkennbar, dass die von ihm in Anspruch genommene Therapie eine Akutbehandlung darstelle: Seine Depression bestehe seit 2011, die Behandlung habe jedoch erst im Dezember 2014 begonnen. Der zweite Termin sei erst drei Monate später im März 2015 gewesen. Seitdem finde lediglich eine Sitzung pro Monat statt.
Auch eine Versorgungslücke, die unter dem Gesichtspunkt des Systemversagens ausnahmsweise zur Behandlung durch nicht zugelassene Therapeuten berechtige, liege nicht vor. Aufgrund der Notwendigkeit einer zügigen Behandlung habe die Krankenkasse eine gesteigerte Beratungspflicht gehabt. Dementsprechend habe sie dem Antragsteller mehrere Praxen und Terminvermittlungsstellen genannt. Zum einen sei nicht klar, ob der Antragsteller diese Stellen überhaupt kontaktiert habe. Zum anderen habe das Gericht von der Berliner Fortbildungsakademie für Psychotherapie die Auskunft erhalten, dass zwar grundsätzlich eine Wartezeit von drei bis sechs Monaten bestehe, bei besonderer Dringlichkeit aber ein zeitnahes Vorgespräch angeboten werde.
Es sei im übrigen angesichts des bisherigen Behandlungsverlaufs schon nicht ersichtlich, dass dem Antragsteller die Wartezeit unzumutbar gewesen sei. Außerdem sei nicht nachvollziehbar, warum nicht wenigstens zukünftig ein Wechsel der Therapeutin möglich sei. Von einem besonders schützenswerten Vertrauensverhältnis zwischen Behandlerin und Antragsteller könne schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil bisher gerade einmal fünf Termine stattgefunden hätten, die Behandlungsdauer also sehr kurz gewesen sei.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Der Antragsteller kann sie mit der Beschwerde zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in Potsdam anfechten.