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Ansprache der Präsidentin des Sozialgerichts Berlin, Frau Sabine Schudoma, auf der Jahrespressekonferenz am 14.01.2015

Pressemitteilung vom 14.01.2015

Sehr geehrte Damen und Herren!

I.
Wie keine andere Gerichtsbarkeit wird die Sozialgerichtsbarkeit geprägt durch geschichtliche Ereignisse, gesellschaftliche Entwicklungen, politische Entscheidungen. Daran hat sich seit ihrer Gründung vor gut 60 Jahren im Herbst 1954 nichts geändert. Viele Jahrzehnte war die Arbeit der Sozialrichter bestimmt von den schrecklichen Folgen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und des Zweiten Weltkriegs, deren Ende sich in diesem Jahr zum 70. Mal jährt. Schwierige Rechtsfragen – insbesondere im Rentenrecht – warf die deutsche Wiedervereinigung auf, deren 25. Jubiläum wir in diesem Jahr feiern werden. Kein Ereignis jedoch hat die Sozialgerichtsbarkeit so einschneidend verändert wie das Inkrafttreten des SGB II vor 10 Jahren (SGB II = Zweites Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende). Für die deutschen Sozialgerichte gibt es eine Zeit vor Hartz IV und eine Zeit nach Hartz IV. Obwohl seit jeher mit gesellschaftlich hochrelevanten Themen befasst, führte die Sozialgerichtsbarkeit bis zum Jahr 2005 ein Nischendasein. Weder in der öffentlichen Wahrnehmung noch in der juristischen Ausbildung spielte sie eine besondere Rolle. 10 Jahre Hartz IV haben dies grundlegend geändert. Heute ist die Lage an den Sozialgerichten Gegenstand allgemeinen Interesses. Für viele Beobachter ist der Pegelstand der Klageflut geradezu zum Maßstab für den Erfolg der Hartz IV-Reform geworden. Heute stellen die Sozialgerichte die größte Fachgerichtsbarkeit. Unzählige junge Juristen haben inzwischen selbst Erfahrungen mit dem Sozialrecht gesammelt.

II.
Was Hartz IV für das Sozialgericht Berlin bedeutet, lässt sich am Besten an einigen Zahlen festmachen. 2004, also im Jahr vor der Reform, trafen am Sozialgericht gut 17.000 neue Fälle ein. Es ging überwiegend um die klassischen Themen des Sozialrechts: Um Rente, Schwerbehindertenrecht, Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung. 2005 wurde dann die Zuständigkeit für Hartz IV, also die neugeschaffene Grundsicherung für Arbeitsuchende, auf die Sozialgerichte übertragen. Seitdem sind sie auch für die Sozialhilfe zuständig, über die zuvor an den Verwaltungsgerichten gestritten wurde. 2008, also nur drei Jahre später, hatte das Sozialgericht Berlin bereits die doppelte Arbeitslast zu schultern. Was damals niemand ahnte: Vom Gipfel waren wir noch weit entfernt. Die Klageflut hatte gerade erst Fahrt aufgenommen. Den traurigen Höhepunkt bildete das Jahr 2012. Unsere Hauptregistratur erfasste – bezogen auf alle Rechtsgebiete – exakt 44.301 Klagen und Eilverfahren.

Ursächlich für die Klageflut waren die neuen Streitigkeiten auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Auch 2014 machten Hartz IV-Fälle immer noch rund 60 % aller am Sozialgericht Berlin bearbeiteten Fälle aus.

Die Zahl der Fälle aus dem neuen Arbeitsgebiet stieg von Beginn an mit ungeahnter Dramatik. Im ersten Jahr verzeichnete das Sozialgericht Berlin bereits 5.000 Hartz IV-Fälle. Im zweiten Jahr Hartz IV verdoppelte sich die Zahl der eingehenden Verfahren auf 10.000. Immer mehr Klagen in grünen Aktendeckeln türmten sich in den Geschäftsstellen. Grün – die Farbe von Hartz IV, entsprechend der bundesweit geltenden Aktenordnung. Bald überstürzten sich die Ereignisse. Eingebrannt hat sich mir ein Vorfall aus dem Sommer 2006. Schneller als erwartet war unser Vorrat an grünen Aktendeckeln erschöpft. Die Druckerei kam mit der Arbeit nicht mehr hinterher. Wir improvisierten: Statt grünen Aktendeckeln nahmen wir weiße, auf die wir grüne Punkte klebten. Die Hauptregistratur konnte weiter arbeiten. Meine Damen und Herren, 2010 erreichten uns dann über 30.000 SGB II-Fälle – in nur fünf Jahren hatten sich die Hartz IV-Eingangszahlen versechsfacht. Der Ausnahmezustand war zur Regel geworden. Gut erinnere ich mich noch an den Moment, als ich die Zahlen für März 2010 auf den Tisch bekam: Ich traute meinen Augen nicht. Dreimal rechnete ich nach. Dann zwang ich mich, der Realität ins Auge zu sehen: Im März 2010 waren insgesamt 4.524 Verfahren eingegangen. 3.164 davon betrafen Hartz IV.

III.
Es wird Sie nicht überraschen: Der Umstand, dass die Zahl der Klagen und Eilverfahren seit einigen Jahren wieder rückläufig ist, freut mich. Bezogen auf alle Sparten sind im Vergleich zum Vorjahr mit 41.975 Verfahren im vergangenen Jahr 8,5% weniger neue Fälle eingegangen. Mit 38.418 neuen Verfahren liegt die Zahl der Neueingänge 2014 nach vier Jahren erstmals wieder unter der Marke von 40.000. Hauptursächlich hierfür ist der Rückgang im Hartz IV-Bereich. Doch auch 2014 wurden immer noch 23.597 SGB II-Verfahren erfasst. Die Zahlen bleiben auf hohem Niveau. Wir sind über den Berg, aber noch lange nicht im Tal. Insgesamt gingen von Januar 2005 bis Dezember 2014 allein am Sozialgericht Berlin 215.827 Hartz IV Verfahren ein. Das heißt: Ein Hartz IV – Verfahren alle 24 Minuten. Tag für Tag. 10 Jahre lang.

Hartz IV am Sozialgericht Berlin
10 Jahre – 5 Zahlen

215.827 Hartz IV-Verfahren zwischen 2005 und 2014

78 neue Richterstellen seit 2005

82 neue Stellen für Servicekräfte, Wachtmeister, Kostenbeamte

2,8 Kilometer erledigte Hartz IV-Akten im Archiv

4.316.540 mal „Klack“ – jeder Posteingang erhielt einen Stempel

IV.
Sechs Jahre lang ging es nur bergauf. Seit 2011 sinken die SGB II-Zahlen wieder. Doch noch immer erreichen uns im Monatsdurchschnitt fast 2000 neue Hartz IV-Verfahren (exakt 1.966). Das ist die Größenordnung, auf die wir uns auch in Zukunft einstellen müssen.

Die Grundidee von Hartz IV, die Schaffung einer einheitlichen Sozialleistung für alle erwerbsfähigen hilfebedürftigen Menschen, halte ich nach wie vor für richtig. Umso mehr stellt sich die Frage, was die Gründe für eine derartige Klagewelle sind. Meinem Eindruck nach kann man die Ursachen auf drei Ebenen festmachen. Die Gründe liegen in gesellschaftlichen Entwicklungen, in der Umsetzung des Regelwerks und schließlich im Gesetz selbst.

Hartz IV betrifft eine große Zahl von Bürgern. Hartz IV berührt Fragen von existentieller Bedeutung. Hartz IV hat die Diskussion um das Existenzminimum in die Mitte der Gesellschaft katapultiert. Einerseits ist die Gesetzesreform so zur Projektionsfläche für die Angst vor dem sozialen Abstieg geworden, für die Furcht vor der Entwertung der Lebensleistung. Andererseits hat die breite öffentliche Diskussion um Hartz IV vielen Hilfebedürftigen Mut gemacht, ihre Rechte selbstbewusst einzufordern. Unterstützung erfahren sie dabei durch ein engmaschiges, auch per Internet zugängliches Beratungsnetz.

Meine Damen und Herren, die Hartz IV-Reform war eine Mammutaufgabe für alle Beteiligten, ob Gesetzgeber, Gerichte oder Jobcenter. Als völlig neu geschaffene Behörden hatten die Jobcenter in der Anfangsphase mit erheblichen Problemen zu kämpfen. Besonders deutlich zeigte sich dies in der Verletzung gesetzlicher Bearbeitungsfristen. Probleme mit unzureichender Software kamen hinzu. Schließlich bereitete die Einarbeitung in das höchst komplizierte Verwaltungsverfahrensrecht manche Schwierigkeit. Auch diese Umstände trugen zur Klageflut bei: Jedes Gesetz ist nur so gut wie seine Umsetzung in der Praxis.

Viele Probleme resultieren jedoch aus dem Gesetz selbst. Im Vergleich zur alten Rechtslage hat das SGB II die Zahl der zu erteilenden Bescheide in die Höhe schnellen lassen. Naturgemäß wächst die Gefahr von Fehlern mit der Zahl der Verwaltungsakte. Oft lässt das Gesetz auch grundlegende Fragen offen: Viele unbestimmte Rechtsbegriffe müssen immer wieder neu ausgelegt werden: Welche Unterkunftskosten sind angemessen? Welcher Sonderbedarf ist wirklich unabweisbar? Manche Vorschriften sind nur schwer handhabbar, zum Beispiel bei der Einkommensanrechnung. Schließlich ist die Rechtslage in zentralen Punkten immer noch umstritten. Ich erinnere nur an die Frage, ob arbeitsuchende EU-Bürger einen Anspruch auf Hartz IV-Leistungen haben. Hier warten wir immer noch auf eine abschließende Klärung durch den Europäischen Gerichtshof. Und nicht zuletzt: Über 70 Änderungsgesetze führen auch erfahrene Rechtsanwender an die Grenzen.

V.
Meine Damen und Herren, verantwortlich für die sinkenden Hartz IV-Zahlen in den letzten drei Jahren ist meiner Einschätzung nach vor allem das erfolgreiche Bemühen der Jobcenter, die gesetzlich vorgegebenen Bearbeitungsfristen einzuhalten. Zahlreiche sogenannte Untätigkeitsklagen konnten vermieden werden. Klagen, die einzig zum Ziel hatten, die Jobcenter überhaupt zu einer Entscheidung zu bewegen. Klagen, bei denen das Sozialgericht die Rolle eines bloßen Mahnbüros einnahm. Mit der Zahl der Untätigkeitsklagen ist auch die Erfolgsquote zurückgegangen. 49 % der Verfahren endeten 2014 zumindest mit einem Teilerfolg für die Rechtsuchenden. Im Vorjahr waren es 54 %.

Gleichbleibend hoch ist jedoch seit Jahren die Zahl der Eilverfahren. Hier bleibt die Lage angespannt. Wenn eine Stromsperre droht, die Wohnung fristlos gekündigt wurde, das Geld für Lebensmittel fehlt, dauert es bis zu einem endgültigen Urteil zu lang. Auch 2014 beantragten wieder 6.732 Bürgerinnen und Bürger vorläufigen Rechtsschutz. Eilanträge machen damit deutlich mehr als ein Viertel aller Hartz IV-Verfahren aus.

Geblieben sind auch die Klageverfahren, in denen nicht nur um Bearbeitungsfristen, sondern um Inhalte gestritten wird. Wie in den vergangenen Jahren geht es in einem Großteil der Fälle

- um die Rückforderung zuviel gezahlter Leistungen
- um die Leistungskürzung bei Sanktionen
- um die Anrechnung von Einkommen
- um Streitigkeiten rund um die Kosten der Unterkunft.

Manche Punkte sind hier in Bewegung geraten. Bescheide der Jobcenter sind inzwischen oft klarer und bestimmter formuliert als in den Anfangsjahren. Auch manche Gesetzesänderung, die zurzeit in der Diskussion ist, könnte ein Beitrag zur weiteren Klagereduzierung sein. Ich nenne als Beispiel die Vereinfachung der Sanktionsvorschriften oder die Einführung einer Bagatellgrenze bei Überzahlungen.

Nach wie vor mit großem Arbeitsaufwand verbunden sind indes die vielen Verfahren, in denen es um die Anrechnung von Erwerbseinkommen geht. Umfangreiche Ermittlungen und schwierige Abwägungen sind erforderlich. Bilanzen müssen ausgewertet, Belege geprüft werden. Schnell dreht sich der Fall um Detailfragen, so wie in einem Verfahren der 37. Kammer, wo es um eine Selbständige im Bereich Büroorganisation ging. Im Streit waren Kosten für einen Bürostuhl und eine Fahrradreparatur. Musste die Klägerin wirklich nachweisen, dass sie unter Rückenschmerzen litt, um die Ausgaben für den neuen Drehstuhl geltend machen zu können? Nutzte sie ihr Fahrrad tatsächlich oft genug für Dienstfahrten, um die Kosten für zwei neue Bremsklötze abzusetzen? Solche Fragen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. (Urteil vom 28. November 2014 – S 37 AS 11431/14).

Nicht absehbar ist im Übrigen, in welchem Maße zukünftig in Berlin um die Angemessenheit der Mietkosten gestritten werden wird. Die im Mai 2012 vom Senat erlassene Verordnung zu den Wohnaufwendungen (WAV) schien hier für alle Anwender Klarheit geschaffen zu haben. Doch die Ruhe hielt nicht lange vor. Am 4. Juni vergangenen Jahres hat das Bundessozialgericht die Verordnung für unwirksam erklärt (B 14 AS 53/13 R). Ich hoffe, dass hier bald eine für alle Seiten akzeptable Neuregelung gefunden wird. Klare Vorschriften zu den Mietzuschüssen entlasten nicht nur das Sozialgericht. Sie sind ein wesentlicher Beitrag für den sozialen Frieden in unserer Stadt.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Den Jobcentern gelingt es inzwischen, Fehler aus der Anfangsphase zu vermeiden. Manch ein Rechtsproblem der ersten Stunde ist heute dank des Bundessozialgerichts geklärt. Grundlegende Fragen zur Organisationsstruktur der Jobcenter und dem Regelsatz hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Doch sind auch neue Fragen aufgetaucht. Und immer öfter wird nicht mehr um die Auslegung des Gesetzes, sondern um dessen Anwendung im Einzelfall gestritten. Die Fälle werden immer komplexer. Die erste Herausforderung bei der Bearbeitung einer Akte, ist oft die Masse an Papier, die sich in 10 Jahren angesammelt hat. Nichts veranschaulicht das besser als ein Vergleich unserer ersten Hartz IV-Akte mit einem aktuellen Verfahren.

VI.
Es stimmt: die Klageflut geht zurück. Doch aus den Wellen ragt der Aktenberg. Ende 2014 waren 41.834 Verfahren aus allen Rechtsgebieten noch nicht erledigt. Fast 42.000 Bürger warten auf eine Entscheidung: Rentner, Schwerbehinderte, Kranke, Hilfebedürftige, die um existenzsichernde Leistungen streiten. Das ist Arbeit für mehr als ein Jahr, selbst wenn ab morgen keine einzige neue Klage mehr einginge. Angesichts dieser Herausforderung kann ich nur sagen: Es war höchste Zeit für eine Trendwende: Jede Klage weniger verschafft uns Luft, um abzutragen, was sich in 10 Jahren Hartz IV aufgetürmt hat.

Meine Damen und Herren, wir werden diese Aufgabe mit dem gewohnten Einsatz anpacken. Ein jetzt vorliegender bundesweiter Vergleich für 2013 zeigt: Nirgends in Deutschland erledigen Sozialrichter mehr Verfahren als am Sozialgericht Berlin. Doch inzwischen steigt die Verfahrensdauer. Ein Klageverfahren ist im Durchschnitt nach 13,8 Monaten erledigt. So ist bei allen Anstrengungen eines absehbar: Der Aktenberg wird uns auf Jahre beschäftigen.

VII.
In der öffentlichen Wahrnehmung wird das Sozialgericht Berlin oft in einem Atemzug mit Hartz IV genannt. Doch wir sind nicht nur Hartz IV-Gericht. Allein 2014 gingen fast 15.000 Verfahren (exakt waren es 14.821) aus anderen Rechtsgebieten am Sozialgericht Berlin ein. Auch diese Verfahren sind immer wieder Spiegelbild gesellschaftlicher Realitäten unserer Stadt. Beispielhaft erwähnen möchte ich einen Fall aus dem Versorgungsrecht, der mich besonders bewegt hat: Die Klägerin war als 18jährige in der DDR verhaftet worden. Der Tatvorwurf lautete: Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch asoziales Verhalten. Ihre gerade geborene Tochter musste sie zur Zwangsadoption freigeben. Wochenlang wurde sie allein in einem feuchten Keller gefangen gehalten. Erforderliche ärztliche Versorgung wurde ihr verweigert. Panikattacken und Atemwegserkrankungen waren die Folge. Nach ausführlicher Sachverhaltsermittlung hielt die 139. Kammer des Sozialgerichts für erwiesen, dass sich Haftschäden in den letzten Jahren verschlimmert hatten. Sie sprach der Klägerin im April höhere Entschädigungsleistungen zu (Urteil vom 11. April 2014 – S 139 VE 134/10).

Meine Damen und Herren, keine 100 Meter von hier erinnert ein Gedenkstein an Günter Litfin, das erste Opfer der Berliner Mauer. Es ist eine glückliche Wendung der Geschichte, dass heute, 25 Jahre nach dem Fall der Mauer, in unmittelbarer Nähe des früheren Grenzübergangs Invalidenstraße über Wiedergutmachung für die Opfer des DDR-Systems geurteilt wird.

Doch nicht nur geographisch befindet sich das Sozialgericht mitten in Berlin. Drängende soziale Fragen, die diese Stadt umtreiben, erreichen binnen Kurzem auch unser Haus. Am Vormittag des 26. August 2014 erschienen 18 der sogenannten Oranienplatz-Flüchtlinge in der Rechtsantragstelle unseres Gerichts. In Eilverfahren forderten sie Unterstützung ein. Erste Fälle konnten in einem unmittelbar anberaumten Erörterungstermin geklärt werden. Weitere Entscheidungen ergingen in den Folgetagen. Immer noch erreichen uns neue Fälle zu dieser Problematik.

Eine Übersicht über die Bandbreite der Fälle, die das Sozialgericht Berlin im Jahr 2014 beschäftigten, finden Sie im Anhang Ihres Redemanuskripts.

VIII.
Meine Damen und Herren, dass wir in 10 Jahren Sturmflut nicht davon geschwemmt wurden, ist Ergebnis einer gewaltigen Teamleistung. 2005 waren am Sozialgericht Berlin 55 Richter tätig. Ganze fünf Stellen waren für die neu eingehenden Hartz IV-Fälle vorgesehen. Mittlerweile gibt es 133 Richterinnen und Richter am Sozialgericht. Allein 64 davon beschäftigen sich mit der Grundsicherung für Arbeitsuchende. 216 nichtrichterliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sichern einen reibungslosen Geschäftsablauf. Für die Personalentwicklung am Sozialgericht gilt: Hartz IV war ein Jobmotor für junge Juristen. Heute kann ich mit Fug und Recht – und einem kleinen Augenzwinkern – sagen: Zumindest in Berlin sind wir das jüngste Gericht. Auch unsere Frauenquote ist übrigens unübertroffen: Die Hälfte der Richterschaft ist weiblich.

Auch überall im Gebäude hat Hartz IV seine Spuren hinterlassen. Schutt, Staub, Baulärm sind im Haus allgegenwärtig. Bei uns fällt der Blick aus dem Fenster zum Hof auf eine Baustelle: Geschaffen wird dort eine neue Aktenhalle mit Platz für noch einmal 2 km Akten. Wo früher die Gerichtskantine lag, sitzen heute Hartz IV-Richter. Überall wurden Zwischenwände gezogen, um Platz für neue Büros zu schaffen.

IX.
Meine Damen und Herren, 10 Jahre lang hat Hartz IV das Sozialgericht Berlin in Bewegung gehalten. Mehr als einmal blieb uns beim Blick auf die Klagezahlen die Luft weg. Doch nie ist uns die Puste ausgegangen. Hartz IV war und ist die größte Herausforderung in der Geschichte des Sozialgerichts Berlin – wir haben uns ihr gestellt. Im Rückblick bin ich immer noch erstaunt, und auch stolz, wie es uns gelungen ist, den Kopf über Wasser zu halten. Doch auch die nächsten 10 Jahre werden uns viel abverlangen. Unser Aktenberg hat inzwischen ein Niveau erreicht, auf dem die Luft dünn ist. Auch die Verfahrensdauer ist angestiegen. Ich weiß, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Sozialgerichts Berlin diese Aufgaben mit aller Kraft anpacken werden. Ich bin mir auch sicher, dass die Politik uns weiterhin die notwendige Unterstützung gewähren wird. Doch eins ist klar: Wir werden einen langen Atem brauchen.

Ich danke Ihnen.
Sabine Schudoma, Präsidentin des Sozialgerichts Berlin