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Bundesweit praktizierte Benachteiligung von Müttern beim Arbeitslosengeld rechtswidrig

Pressemitteilung vom 30.05.2006

Grundsatzentscheidung des Berliner Sozialgerichts:
Pauschalberechnung darf nicht zu Lasten von Müttern angewendet werden – Agentur für Arbeit hatte bei 40jähriger Berlinerin nur zwei Drittel des Gehalts berücksichtigt

Eine Gesetzesverschärfung durch Hartz III bei der Berechnung von Arbeitslosengeld darf nicht zu Lasten von Müttern angewendet werden, die kurz nach der Rückkehr aus der Elternzeit entlassen werden. Diese Grundsatzentscheidung traf gestern die 77. Kammer des Berliner Sozialgerichts. Die Kammer erklärte damit eine bundesweite Berechnungspraxis der Agentur für Arbeit für rechtswidrig (Aktenzeichen: S 77 AL 961/06). Bislang sind keine anderweitigen Gerichtsentscheidungen aus dem Bundesgebiet zu dieser Rechtsfrage bekannt.

Die 40jährige Klägerin ist Betriebswirtin. Seit 1996 arbeitete sie als Gebietsleiterin im Vertrieb eines großen Getränkeherstellers. Wegen der Geburt ihrer beiden Kinder (im Mai 2001 und August 2002) unterbrach sie ihre Tätigkeit und nahm Elternzeit bis zum 15. August 2005 in Anspruch. Schon wenige Tage nach der Rückkehr in ihren Beruf erhielt sie eine Kündigung. Das letzte durchschnittliche Gehalt der Klägerin (August bis November 2005) betrug ca. 3.750 Euro brutto.

Die Bundesagentur bewilligte der Klägerin ab 1. Dezember 2005 Arbeitslosengeld. Ausgangspunkt ihrer Berechnung war ein Pauschalbetrag von lediglich 2.415 Euro und nicht die zuletzt verdienten 3.750 Euro. Die Bundesagentur berief sich auf eine Gesetzesverschärfung der Hartz-Reformen (konkret: Hartz-III-Gesetz vom Dezember 2003): Danach ist zu prüfen, wie lange ein Arbeitsloser in den letzten zwei Jahren gearbeitet hat. Wenn er weniger als 5 Monate lang gearbeitet hat, wird das Arbeitslosengeld nicht, wie sonst üblich, nach dem letzten Arbeitseinkommen berechnet, sondern nach einem Pauschalbetrag (§§ 130, 132 Sozialgesetzbuch – Drittes Buch). Die Agentur für Arbeit wendet diese Regelung bundesweit auch auf Mütter an, denen gekündigt wird, kurz nachdem sie aus der Elternzeit ins Berufsleben zurückgekehrt sind.
Diese Praxis der Agentur für Arbeit verstößt nach Auffassung des Berliner Sozialgerichts gegen den verfassungsrechtlichen Schutz von Müttern (Artikel 6 Absatz 4 Grundgesetz: „Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.“). Die Gesetzesverschärfung durch Hartz-III müsse mit Rücksicht auf diesen Verfassungsgrundsatz einschränkend ausgelegt werden. Sie dürfe nicht angewandt werden, wenn dadurch Mütter benachteiligt würden, die lediglich deshalb ihre Arbeit unterbrochen hatten, weil sie ihre Kinder erzogen haben. Das Arbeitslosengeld dieser Mütter müsse daher auf der Grundlage des letzten Gehalts berechnet werden, auch wenn die Gehaltszahlungen durch die Erziehungszeit unterbrochen worden seien.

S 77 AL 961/06