Pressemitteilung
Die Präsidentin des Kammergerichts – Pressestelle der Berliner Strafgerichte –
Die 7. große Strafkammer hat heute den 21 Jahre alten Angeklagten Ferhat G. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Im Rahmen des Adhäsionsverfahrens muss der Angeklagte darüber hinaus 50.000 Euro an den Geschädigten zahlen.
Grundlage der Verurteilung war nach den Feststellungen der Jugendkammer die schick-salhafte Begegnung des schlecht gelaunten und frustrierten Angeklagten mit den fröhlichen Geschädigten Tom H. und Grit A. auf der Oberbaumbrücke.
Während sich der Angeklagte zur Tatzeit am Morgen des 6. März 2008 auf dem Weg zur Arbeit befunden habe, hätten beide Geschädigte in der Nacht gefeiert und sich in ausgelassener Stimmung befunden. Die Geschädigte A. habe den Angeklagten versehentlich beim Springen über das Straßenpflaster angerempelt, sich aber sofort entschuldigt.
Der Angeklagte habe dies nicht hingenommen. Zu seinem Persönlichkeitsbild gehöre ein grundsätzliches Streben nach Dominanz gepaart mit einem steten Misstrauen gegen „Alles und Jeden“, führt der psychiatrische Sachverständige später in der Hauptverhandlung aus.
Zunächst habe sich der Angeklagte nur mit abfälligen Bemerkungen an Tom H. und Grit A. gewandt, die aber nicht reagierten. Gemeinsam mit weiteren Passanten habe man an einer Ampel bei rotem Licht gewartet. Ferhat G. habe den Blick von Tom H. gesucht und gibt später an, er habe sich durch dessen Blick provoziert gefühlt. Wieder habe er den verbalen Kontakt mit H. aufgenommen, habe ihn in aggressiver Form angesprochen. Nun erst habe der spätere Geschädigte reagiert, möglicherweise gelacht, gefragt, was denn der Angeklagte eigentlich von ihm wolle? Trotz der Schlichtungsversuche von Grit A. kommt es nach den Feststellungen der Jugendkammer zu einer kurzen körperlichen Aus-einandersetzung zwischen den Männern. Tom H. habe dem Angeklagten zwei leichte Schläge versetzt, sei dann zurückgewichen. Der Angeklagte habe gemerkt, dass dieser sich nicht einfach einschüchtern lasse, möchte nach den Feststellungen der Richter aber unbedingt der Dominierende sein, die Angelegenheit
in seinem Sinne beenden.
Tom H. habe keine Chance gehabt: Das Klappmesser ziehen, aufklappen und zustechen sei eins gewesen, so schnell, dass keiner der Umstehenden etwas bemerkt habe. Ferhat G. sticht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme Tom H. die knapp neun Zentimeter lange, maximal zwei Zentimeter breite Waffe in den Kopf. Das Messer dringt sieben Zen-timeter tief in das Gehirn des Geschädigten ein und durchtrennt dort ein größeres arterielles Gefäß. Folge ist die Schwellung des Hirns mit höchster Lebensgefahr für das Opfer. Dieser habe sich das Messer selbst aus dem Kopf gezogen. Sein Bewusstsein habe sich in der Folgezeit schnell eingetrübt; Tom H. habe nur durch eine Notoperation gerettet werden können. Künstliches Koma, mehrere Wochen Krankenhaus, zweite Operation und Reha-Maßnahmen schließen sich an. Der Geschädigte überlebt, muss aber gravierende bleibende Folgen ertragen. Obwohl von positiver Lebenseinstellung geprägt muss er eine grundsätzliche Wesensveränderung hinnehmen. Schwere Konzentrations- und Wortfindungsschwierigkeiten sind nur zwei von vielen Beeinträchtigungen, mit denen der Geschädigte seitdem leben muss. Der Hochqualifizierte, der über die Hälfte seiner Zeit englischsprachig verbringt, verliert den ganz überwiegenden Teil auch der Fremdsprache.
Auch Grit A. bleibt nach den Feststellungen der Kammer nicht verschont: Als sie dem flüchtenden Angeklagten hinterher gelaufen sei, habe dieser sie gegen den Oberkörper getreten. Die Geschädigte sei schmerzhaft auf den Rücken geprallt. Erst nach etwa 200 Metern sei der Angeklagte von einem unbeteiligten Zeugen gestellt, ergriffen und zum Tatort zurückgeführt worden. Bereits dort habe er sich erschrocken geäußert.
In der Hauptverhandlung habe der Angeklagte wiederholt sein Bedauern geäußert und sich entschuldigt. Er habe sich auch teilgeständig eingelassen, den Messerangriff habe er eingeräumt. Er sei in strafrechtlicher Sicht indes voll für sein Tun verantwortlich; seine Schuldfähigkeit sei zur Tatzeit nicht eingeschränkt gewesen. Darüber hinaus sei er bereits zuvor strafrechtlich in Erscheinung getreten, und zwar mit Körperverletzungsdelikten.
Der auch im Jugendstrafrecht geltende Gedanke der Sühne und des gerechten Schuldausgleichs erfordere die auch erzieherisch gebotene nun verhängte Strafe.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es kann binnen einer Woche mit dem Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof angegriffen werden.
Presseberichterstattung vom 7. März bis zum 27. August 2008
Iris Berger
Pressesprecherin