Pressemitteilung
Die Präsidentin des Kammergerichts – Pressestelle der Berliner Strafgerichte -
Auf eine Jugendstrafe in Höhe von drei Jahren und sechs Monaten hat heute eine Jugendkammer des Landgerichts Berlin wegen Körperverletzungsdelikten und Beleidigung gegen den mittlerweile 20 Jahre alten Kaan U. erkannt. Zugleich beschloss die Kammer die Fortdauer der Untersuchungshaft.
Wütend und aggressiv sei U. am Mittag des 16. November 2007 gewesen, als ihm auf dem Gehweg in Berlin- Neukölln die 16 Jahre alte Schülerin K. begegnet sei. Eine Auseinandersetzung mit dem älteren Bruder – einzige familiäre Bezugsperson, nachdem die Eltern ihn bereits im jugendlichen Alter allein in der ehemaligen Familienwohnung in Neukölln zurückgelassen hatten und in die Türkei zurückgekehrt waren- hatte ihn nach den Feststellungen des Gerichts verärgert. Gegen Fahrzeuge habe er getreten, einen Ein-kaufswagen herumgeschleudert. Dies habe auch K. bemerkt und sei dem Angeklagten ausgewichen. Ohne Vorankündigung aber habe sie der Angeklagte, als er sich bereits in ihrem Rücken befunden habe, von hinten am Nacken gepackt, an den Haaren gezogen und sie festgehalten. „Steif vor Angst“ habe die Schülerin aufgeschrien, so die Vorsitzen-de in ihrer mündlichen Urteilsbegründung. Der Angeklagte aber habe sie zum Objekt sei-ner Aggressionen gemacht und diesen
freien Lauf gelassen: Er habe ein Messer gezückt und mit einer weit ausholenden Bewegung gleichsam wie eine Ohrfeige, in Richtung des Gesichtes der Geschädigten gestochen.
Kaan U., zum Tatzeitpunkt noch 18 Jahre alt, verletzte das zwei Jahre jüngere Mädchen schwer. Sie erlitt eine klaffende Schnittwunde an der Oberlippe, eine Prellung der linken Gesichtshälfte, ein Hämatom am Auge und eine Gehirnerschütterung. Schwerwiegender noch die seelischen Folgen: Das plötzlich über sie hereinbrechende unausweichliche Geschehen, die Verletzung ihrer körperlichen Integrität, der sie sich schutzlos habe ausgeliefert gesehen, hätten bei der jungen Geschädigten andauernde Angstzustände und Albträume verursacht. Sie sei nach wie vor in ihrer Lebensführung beeinträchtigt.
Auch zwei weitere durch das Gericht zu beurteilende Taten richteten sich gegen Frauen. Am 5. Februar 2008 habe der Angeklagte eine Geschädigte, auch diese ihm völlig unbekannt, zunächst beschimpft und sie schließlich getreten. Am 23. April 2008 sei er in einer gegen ihn geführten Hauptverhandlung im Kriminalgericht Moabit aufgesprungen, habe eine Zeugin beschimpft und versucht, diese so einzuschüchtern, dass sie keine belastenden Angaben mache.
Ausreichende Hinweise für ein bestehendes pathologisches Verhältnis zu Frauen seien im Anschluss an die entsprechenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen indes nicht vorhanden, hieß es in der mündlichen Urteilsbegründung. Der Angeklagte sei keineswegs in seiner Steuerungsfähigkeit vermindert, sondern voll schuldfähig.
„Vernachlässigt von den Eltern“ habe er in den Tag hinein gelebt. Eine enge emotionale Bindung an andere Menschen existiere nicht. Er bilde eine erhebliche Gefährdung für seine Umwelt, und zwar auch für Personen, die ihm zufällig begegneten. Der intellektuell und emotional retardierte Angeklagte benötige dringend Unterstützung und müsse auf dem „langen und schwierigen Weg“, der vor ihm liege, Hilfe und Behandlung akzeptieren, erklärte die Vorsitzende.
Erzieherisch notwendig, aber unter dem Aspekt des gerechten Schuldausgleichs auch dringend geboten seien daher – bei dem vom Gesetzgeber vorgesehenen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Jugendstrafe- die erkannten drei Jahre und sechs Monate Haft.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es kann binnen einer Woche mit dem Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof angegriffen werden.
Presseberichterstattung vom 24. April bis 18. Oktober 2008
Iris Berger
Pressesprecherin