Die Präsidentin des Kammergerichts
- Pressestelle der Berliner Strafgerichte -
Eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Berlin hat heute eine 61 Jahre alte Angeklagte vom Vorwurf des Totschlags zum Nachteil ihres Sohnes freigesprochen.
Die Kammer ging davon aus, dass die Mutter ihren mittlerweile 26 Jahre alten Sohn M. am 28. Oktober 2007 in ihrer Wohnung in Berlin-Schöneberg durch die Verabreichung eines „Medikamentencocktails“ in Verbindung mit der Öffnung seiner Pulsadern getötet hatte. Zuvor habe sie selbst Medikamente genommen und versucht, sich die Pulsadern zu öffnen, weil sie keinen Ausweg mehr gesehen habe.
Eine Verurteilung wegen der Tötung des Sohnes scheide aber aus, weil die Angeklagte zur Tatzeit an einer schweren depressiven Erkrankung gelitten habe. Ihre Schuldfähigkeit sei daher bei Begehung der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgehoben gewesen.
Der Sohn der Angeklagten habe aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers bei der Geburt an einer schweren Körperbehinderung gelitten und ständiger Pflege bedurft. Die Angeklagte habe diese von Beginn an weitgehend alleine zu Hause geleistet. Ihr eigener Alltag sei vollständig bestimmt gewesen durch die aufopferungsvolle Pflege, an die sie hohe Maßstäbe gestellt habe und die sie nicht Dritten überlassen wollte. An dieser persönlichen Belastung sei die Ehe zum Kindesvater ebenso gescheitert wie spätere Beziehungen. Ihre -nicht erkannte- schwere depressive Erkrankung habe sich zudem verschlimmert als auch die Beziehung zum letzten Lebensgefährten in eine Krise geraten sei. Hinzugekommen sei ihr Gefühl, ständig um die für ihren Sohn notwendige stundenweise gewährte Einzelfallhilfe kämpfen zu müssen. Die vollständige Überforderung der kranken Angeklagten mit der häuslichen Situation sei schließlich eskaliert und habe zum eigenen Selbstmordversuch und der Tötung des Sohnes geführt.
Die Angeklagte hatte die ihr vorgeworfene Tat, soweit sie sich ihrer erinnern konnte, in der Hauptverhandlung nicht bestritten, jedoch angegeben, auch ihr Sohn habe den Wunsch gehabt zu sterben. Dies habe er, der nicht sprechen konnte, durch einen Augenaufschlag zu verstehen gegeben.
Die Kammer sah dieses Vorbringen durch Zeugenaussagen als widerlegt an. M. habe leben wollen und trotz seiner Behinderung große Lebensenergie besessen.
Eine Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus schied aus, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorlagen: Die Angeklagte sei für die Allgemeinheit nicht gefährlich, weitere Taten seien nicht zu erwarten.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es kann binnen einer Woche mit dem Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof angefochten werden.
Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Berlin Nr. 70/07 v. 29. Oktober 2007
Presseberichterstattung v. 30. Oktober 2007 bis zum 2. September 2008
Iris Berger
Pressesprecherin