Auszug - Rote Stolpersteine gegen das Vergessen  

 
 
18. (öffentliche) Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung
TOP: Ö 14.5
Gremium: BVV Treptow-Köpenick Beschlussart: in der BVV abgelehnt
Datum: Do, 24.04.2008 Status: öffentlich
Zeit: 16:30 - 22:00 Anlass: ordentliche
Raum: Rathaus Treptow, BVV-Saal, Raum 218/217
Ort: Neue Krugallee 4, 12435 Berlin
VI/0664 Rote Stolpersteine gegen das Vergessen
   
 
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:NPDNPD
   
Drucksache-Art:AntragAntrag

Der BzVV informiert zu seinen Gründen, die vom Antragsteller zum Antrag eingereichte schriftliche Begründung nicht auf der Drucksache abdrucken zu lassen

Der BzVV informiert zu seinen Gründen, die vom Antragsteller zum Antrag eingereichte schriftliche Begründung nicht auf der Drucksache abdrucken zu lassen. Er habe sie abgelehnt. Seiner Auffassung nach wurde in der Begründung die Menschenwürde anderer angegriffen. Sie wurden beschimpft, verächtlicht gemacht oder verleumdet. Mittels Verachtung und Ablehnung sollte eine schärfere Haltung gegen Bevölkerungsteile erzeugt werden. Dieses ist seiner Meinung nach nicht zulässig. Nach GO kann jeder Antrag nach Aufruf des Tagesordnungspunktes auch mündlich begründet werden. Dazu erteilt er Herrn Voigt das Wort.

Ab hier wurde ein Wortprotokoll erstellt.

Herr Voigt: Herr Vorsteher, verehrte restliche Damen und Herren, die noch anwesend sind. Ich lasse mir natürlich das ausdrückliche Begründungsrecht, was ja im § 34 Abs. 1 geregelt ist, nicht nehmen. Ich verwehre mich natürlich ausdrücklich gegen den Versuch einer Zensur. Wie wichtig es ist, unsere Forderung Rote Stolpersteine gegen das Vergessen, können wir alleine daran sehen, dass in 2 großen Berliner Tageszeitungen in den letzten Tagen die Behauptung aufgestellt wurde, im Bereich des Bezirkes Neukölln würde sich die NPD mit solchen Anträgen lächerlich machen, da dies ja amerikanische Besatzungszone gewesen sei und offensichtlich eine völlige Unkenntnis in der Redaktion und bei der Redakteurin und bei dem Redakteur darüber gewesen ist, dass Berlin ab dem 23. April in Gänze von sowjetischen Truppen besetzt worden ist. Herr Vorsteher, erlauben Sie mir ein Zitat aus einem Fischer-Taschenbuch zu meinen Ausführungen. Und zwar möchte ich gerade, um hier nicht den Eindruck zu erwecken, einseitige Schuldzuweisungen zu machen, einen unverdächtigen Schriftsteller nehmen, einen politisch nicht rechtslastigen, nämlich Bertolt Brecht. Der schreibt 1948 über die Enttäuschung und Verbitterung unter den Arbeitern und ich zitiere wörtlich: Immer noch, nach 3 Jahren, zittert unter den Arbeitern, höre ich allgemein die Panik, verursacht durch die Plünderungen und Vergewaltigungen, nach, die der Eroberung von Berlin folgten. In den Arbeitervierteln hatte man die Befreier mit verzweifelter Freude erwartet. Die Arme waren ausgestreckt. Aber die Begegnung wurde zum Überfall, der die 70-Jährigen und 12-Jährigen nicht schonte und in aller Öffentlichkeit vor sich ging. Es wird berichtet, dass die russischen Soldaten noch während der Kämpfe, von Haus zu Haus, blutend, erschöpft, erbittert, ihr Feuer einstellten, damit Frauen Wasser holen konnten, die Hungrigen aus den Kellern in die Bäckereien geleiteten, die unter Trümmer begrabende Ausgegrabenen halfen. Aber nach dem Kampf durchzogen dann betrunkene Horden die Wohnungen, holten Frauen, schossen die Widerstand leistenden Männer und Frauen nieder, vergewaltigten vor den Augen der Kinder, standen in Schlangen an vor den Häusern. Dies, denke ich, ist eine Realität, die man in Berlin nicht vergessen darf und nicht vergessen sollte, wenn man diesen Tag, den 23. April umdeuten will in einen Tag der Befreiung. Da ich hier Brecht in Gänze zitiert habe, möchte ich noch einmal betonen, dass es der NPD nicht darum geht, die Russen an sich zu diffamieren, denn es ist natürlich bekannt, dass es einen entsprechenden Befehl gab, dies nicht zu tun. Es ist auch bekannt, dass dies in der Sowjetarmee unter Strafe stand. Aber uns ist auch bekannt, dass in den ersten 14 Tagen davon so gut wie kein Gebrauch gemacht worden ist. Und wenn man den allgemeinen Zeugenaussagen Glauben schenkt, dass 60 bis 70% der Frauen in Berlin vergewaltigt worden sind, dann sind das in der Tat etwa 800.000 bis 980.000 Frauen, die damals geschändet worden sind, ganz zu schweigen von denen, die umgebracht worden sind, die verschleppt worden sind und wenn sie wieder kamen, teilweise erst nach 10 Jahren wieder kamen. Uns ist dieser Antrag sehr, sehr wichtig, um einmal nicht zu vergleichen sondern dafür, zu sagen, dass wir diese Zeit in Berlin nicht vergessen dürfen und wie wichtig es ist, haben die beiden großen Tageszeitungen von Berlin gezeigt, dass offenbar hier keine Unterrichte mehr in den Schulen darüber stattgefunden haben, dass Berlin von der Roten Armee besetzt worden ist, ja selbst die Schlussredaktionen nicht in der Lage waren, dies rechtzeitig zu korrigieren. Wenn man nun in der Tat rote Stolpersteine in Köpenick oder in ganz Berlin pflastern würde, dann bräuchten wir sicherlich keinen roten Platz sondern wäre die Stadt oder der Bezirk Köpenick rot gepflastert. Und ich denke, dass man diesem Antrag auch mit der notwendigen Würde begegnen soll und mit dem Respekt vor den Zeitzeugen, die heute noch leben. Ich fühle mich schon betroffen, wenn, Herr Igel, Sie eben einen E-Post-Brief vorlesen von entsprechenden Drohungen, die mich tagtäglich per E-Post, per Brief oder Telefonanruf erreichen und die heute an der Tagesordnung sind und sie in einer Demokratie unüblich sein sollten. Wir wollen gerade mit diesem Antrag einmal dazu beitragen, dass man am 23. April auch in Köpenick nicht von Befreiung sondern von Besetzung sprechen muss.

Hier endet das Wortprotokoll.

3 Minuten Pause gemäß einem GO-Antrag der CDU-Fraktion.

Aussprache:

Herr Thuge: Sicher werden sich einige Anwesende wundern, warum ausgerechnet er, als Einzelbezirksverordneter der Allianz Graue Panther gegen diesen perfiden Antrag der NPD spreche. Seine Biographie möchte er möglichst emotionslos und aber doch mit allen Nachdruck hier vortragen. Sein Vater Ernst S. wurde im Herbst 1943 im Circus Krone von der Gestapo verhaftet, weil er als Circusclown Späße über den "Gröfatz" gemacht hat. Er wurde im Januar 1944 ins KZ-Bergen/Belsen transportiert und dort von den Nazis ermordet.
Seine Mutter, Irmgard Thuge, wurde in das KZ-Außenlager Scheuen bei Celle gebracht. Sie musste dort zusammen mit Russischen Zwangsarbeitern, die sich fast ausschließlich von Kartoffelschalen und Birkenrinde ernähren mussten – viel mehr bekamen die anderen Häftlinge auch nicht zu essen – russische Panzermunition entschärfen, was nicht ungefährlich war. Seine Mutter hat überlebt. Damit kein falscher Zungenschlag entsteht, seine Familie fiele nicht unter das Rassenwahngesetz der NSDAP, allenfalls unter "Politische". Der Familienstammbaum gehe bis in das 16. Jahrhundert in der Lüneburger Heide zurück. Die Familie Sembach/Krone hat sich später bei ihm entschuldigt und in sofern Wiedergutmachung geleistet, indem er in den Sommerferien als Kind in den 50er Jahren mit dem Circus durch Europa reisen konnte. So lernte ich schon früh, dass mit den Völkern arbeiten, lachen, tanzen, feiern besser ist, als aufeinander zu schießen! Eine Entschuldigung oder gar "Wiedergutmachung" der Nazi-Schergen erfolgte nie und nach 64 Jahren würde er auch keine mehr annehmen. Seine Geschichtsaufarbeitung und damit Erkenntnisse über das KZ-Bergen/Belsen, Anne Frank und bis dato viele namenlose KZ-Insassen konnte er erst Anfang 1970, dank eines Geschichtsprofessors der TU Berlin, beim damals noch nicht frei zugänglichem BERLIN DOCUMENT CENTER machen. Seit 1995 ist das Center frei zugänglich. Alle Unterlagen, Briefe seiner Familie sind heute in der Dokumentationshalle des KZ Bergen-Belsen aufbewahrt.

Und nun zum perfiden NPD-Antrag " Rote Stolpersteine". Der NPD-Antrag ist eine unerlaubte und perfide Kopie des Projekts Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig, der seit 1994 bereits mehr als 13 000 kleine Betonwürfel mit einer Messingplatte direkt vor der Haustür von Opfern des Nationalsozialismus einließ, in mehr als 280 Städten und Gemeinden Deutschlands, in Berlin fast 1700, ausschließlich finanziert von privaten Spendern! Das weiß die NPD offensichtlich nicht, wenn sie damit ein Bezirksamt befassen will. Möge die NPD doch mal versuchen den Antrag in Moskau oder gar Wolgograd einzubringen, mal sehen, was das von der Hitlerdeutschen Wehrmacht überfallene Russische Volk dazu sagt. Auch er habe als Kleinkind die Bomben der Angloamerikanischen Bomberverbände in Hamburg-Rothenburg auf den Kopf bekommen, in Luftschutzbunkern leben und später in Ruinen spielen müssen. Kein Demokrat aber käme heute auf die Idee, gegen die Briten und Amerikaner Stolpersteine einzulassen. Wir haben längst begriffen, das alle 4 Alliierten uns vom Hitlerfaschismus befreit haben. Die NPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern hat im November 2007 einen ähnlich lautenden Antrag zu "Roten Stolpersteinen" unter der Drucksache Nr. 5/985 eingebracht, die er im Anschluss dem Bezirksverordnetenvorsteher übergeben möchte. Dort wurde der Antrag nicht nur politisch sondern auch formal-juristisch abgelehnt, weil der Künstler die Markenrechte für Stolpersteine angemeldet hat und sie ausschließlich an die Opfer des Faschismus erinnern sollen. Entweder will uns hier der Antragsteller für dumm verkaufen, oder er weiß als Bundesvorsitzender nicht, was in seinem eigenen Laden los ist. Es gibt in unserem wunderschönen weltoffenen Bezirk mit seiner eigentlich gut arbeitenden Verwaltung und seinen vielen tollen Menschen, Initiativen und Vereinen, die ehrenamtlich für das Allgemeinwohl arbeiten, noch viel zu viele imaginäre "Braune Stolpersteine", die ein Schandfleck sind und noch weg müssen. Er empfehle allen demokratischen Fraktionen und der FDP-Gruppe die Ablehnung des Antrags. Das ist das schnelle und endgültige Aus für diese skandalöse Provokation. Er möchte schließen mit dem Anfangsspruch der Freiheitsglocke auf dem Rathaus Schöneberg, die uns das amerikanische Volk zur Befreiung und zum Aufbau einer wehrhaften und wachsamen Demokratie geschenkt hat: "Wir glauben an die Unverletzbarkeit der Menschheit – Wir werden jeder Tyrannei Widerstand leisten.“

GO-Antrag Herr Igel: Übergang zur Tagesordnung.

Der BzVV erläutert den Gästen die Auswirkung des GO-Antrages.

Abstimmung (GO-Antrag): Bei 2 Gegenstimmen wird dem GO-Antrag mehrheitlich entsprochen.

 

Es wird folgender Beschluss gefasst:

Es wird folgender Beschluss gefasst:

 

Der Antrag:

Das Bezirksamt wird ersucht, eine Aktion „Rote Stolpersteine gegen das Vergessen“ durchzuführen und zur Umsetzung Schulen und Jugendeinrichtungen einzubeziehen. Zur Erinnerung an die Opfer der sowjetischen Besatzung im Bezirk sollen vor den Häusern der Betroffenen „Rote Stolpersteine gegen das Vergessen“ mit den Namen der Opfer und ihrem Schicksal eingelassen werden.

wird abgelehnt.

Abstimmungsergebnis:

Abstimmungsergebnis:

 

GO-Antrag: Übergang zur TO: dafür:          mehrheitlich        dagegen:   2.         Enthaltung:        0.


 
 

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