Drucksache - 1124/XIX
Das Bezirksamt bittet:
die Begründung für den Erlass einer Erhaltungsverordnung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Baugesetzbuches (BauGB) für das Gebiet „Kaiser-Wilhelm-Platz“, für die Grundstücke zwischen Großgörschenstraße, Wannseebahngraben, Kolonnenstraße, Kaiser-Wilhelm-Platz und Hauptstraße im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Ortsteil Schöneberg und den Entwurf der Erhaltungsverordnung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Baugesetzbuches (BauGB) für das Gebiet „Kaiser-Wilhelm-Platz“ im Bezirk Tempelhof-Schöneberg von Berlin, Ortsteil Schönerberg zu beschließen.
Begründung: Dem Erlass der sozialen Erhaltungsverordnung geht eine städtebauliche Untersuchung (im Jahr 2013) voraus. Die Verordnungs-Begründung basiert auf den Ergebnissen der “Untersuchung zur Begründung einer sozialen Erhaltungsverordnung für das Gebiet Großgörschenstraße/ Kaiser-Wilhelm-Platz“ des Büros TOPOS Stadtplanung Landschaftsplanung Stadtforschung, April 2014 (vgl. Anlage 1), im Weiterem nur kurz Untersuchung genannt.
I. Zentrale Ergebnisse zu Sozialstruktur und Wohnungsversorgung Insgesamt hat sich in dem Gebiet eine Bevölkerungsstruktur entwickelt, die sozialstrukturell überdurchschnittlich gestellt ist. Sie ähnelt in vielen Merkmalen dem zeitgleich untersuchten Nachbargebiet Barbarossaplatz/Bayerischer Platz. Die wichtigsten Merkmale der Gebietsbevölkerung sind: - Das Einkommensniveau ist sehr hoch. Es liegt um 25% über dem Berliner Durchschnitt. - Das hohe Einkommensniveau ist im wesentlichen Ergebnis der Zuwanderung einkommensstärkerer Haushalte ab dem Jahr 2000. - Trotz des hohen Einkommensniveaus gibt es noch einen relevanten Teil Haushalte mit deutlich unterdurchschnittlichem Einkommen. Ein Viertel der Haushalte ist arm bzw. hat ein prekäres Einkommen. - Die Erwerbsquote ist sehr hoch. StudentInnen und RentnerInnen sind jeweils unterdurchschnittlich vertreten. - Die Anzahl der Haushaltsmitglieder ist überdurchschnittlich. Auch der Anteil an Haushalten mit Kindern ist überdurchschnittlich. - Der Wohnflächenkonsum ist sehr hoch. Trotzdem liegt die durchschnittliche Mietbelastung etwas unter dem Berliner Mittel. Ein Viertel der Haushalte hat aber eine sehr hohe Mietbelastung von über 35% des Haushaltsnettoeinkommens. - Die Gebietsbindung ist sehr hoch. - Haushalte mit niedrigen Einkommen sind in besonderer Weise auf das verbleibende Angebot günstiger Mietwohnungen angewiesen. Das Gebiet hat eine hohe bis sehr hohe Anziehungskraft auf Haushalte mit überdurchschnittlichem Einkommen.
II. Überprüfung der Anwendungsvoraussetzungen§ 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 BauGB bestimmt, dass Genehmigungsvorbehalte gemacht werden können, wenn durch bauliche Maßnahmen die soziale Zusammensetzung der Gebietsbevölkerung verändert wird und dadurch negative städtebauliche Entwicklungen ausgelöst werden. Die Untersuchung hat gezeigt, dass im Gebiet - eine Verdrängungsgefahr existiert und Aufwertungspotentiale vorhanden sind, - die konkreten Auswirkungen baulicher Maßnahmen die Struktur der Wohnbevölkerung verändern und - negative städtebaulichen Folgen daraus resultieren.
II.1 Aufwertungsspielraum Im Gebiet verfügen nur noch wenige Wohnungen nicht über den Vollstandard. Allerdings ist der Aufwertungsspielraum nicht auf den unmodernisierten Bestand beschränkt. Im Vergleich zu einem Modernisierungsstandard, der heute im Gebiet üblicherweise realisiert wird, bieten die durchschnittlichen Vollstandardwohnungen im Gebiet erhebliche Aufwertungsspielräume. Lediglich ein kleiner Teil der Vollstandardwohnungen verfügt über eine Wohnungsausstattung, die deutlich über dem zeitgemäßen Ausstattungszustand liegt. Hochwertige Bäder oder hochwertige Wohnraumausstattungen gibt es bisher nur in einem kleinen Teil der Wohnungen. Aufzüge sind vor allem im Altbau noch relativ selten. Der Anteil an Altbauten mit einem ausgebauten Dach ist relativ hoch, enthält aber noch erhebliche Ausbaupotentiale, die häufig mit umfassenden Modernisierungsmaßnahmen im gesamten Gebäude gekoppelt werden. Die hohe Mietzahlungsfähigkeit und -bereitschaft „zuwandernder“ Haushalte und die erhebliche Nachfrage nach Wohnungsqualitäten oberhalb des zeitgemäßen Ausstattungszustandes im Gebiet zeigen die Möglichkeit, dass weiterhin modernisierungsbedingte Aufwertungsinvestitionen vorgenommen werden. Ein weiterer relevanter Aufwertungsspielraum besteht bei den Wohnungen, die MieterInnen mit eigenen Investitionen auf Vollstandard gebracht haben. Hinsichtlich einer energetischen Modernisierung gibt es nahezu in allen Gebäuden noch einen – überwiegend erheblichen – Aufwertungsspielraum.
II.2 Verdrängungspotential Darüber hinaus sind auch MieterInnen mit einem leicht überdurchschnittlichen Einkommen in Gefahr, aufgrund modernisierungsbedingter Mieterhöhungen verdrängt zu werden, wenn in diesen Wohnungen weitere mietpreisrelevante Zusatzausstattungen eingebaut werden, wie sich dies im Gebiet Kaiser-Wilhelm-Platz zeigt. Insgesamt sind gut 40% aller Haushalte aufgrund ihrer Einkommenssituation von Verdrängung bedroht.
II.3 Aufwertungsdruck Im Gebiet Kaiser-Wilhelm-Platz existiert eine große Nachfrage nach Wohnungen im höherpreisigen Segment. Aufgrund der hohen Attraktivität für einkommensstarke Mieterinnen und Mieter konkurrieren die Anbieter mit überdurchschnittlicher Ausstattungsqualität um Mieter bzw. Käuferinnen. Der Aufwertungsdruck zeigt sich vor allem bei der Mietentwicklung, die im Gebiet schnell ansteigt und inzwischen über den Mietspiegelwerten liegt. Zudem zeigen die hohen Einkommen der „ZuwanderInnen“ im Gebiet, dass sich Aufwertungsinvestitionen rechnen. Die durchschnittlichen Quadratmetermieten, die bei Mietabschlüssen im Untersuchungsjahr 2013 vereinbart wurden, liegen um gut 40% über dem Gebietsdurchschnitt. Schließlich zeigt sich der Aufwertungsdruck auch in den gestiegenen Modernisierungsquoten in den letzten Jahren.
II.4 Ergebnis Im Gebiet Kaiser-Wilhelm-Platz zeigt es sich, dass aufgrund der hohen Attraktivität für Haushalte mit überdurchschnittlichen Einkommen eine deutliche Tendenz zu einer Veränderung der Bevölkerungstruktur zu beobachten ist. Es besteht ein erhebliches Aufwertungspotenzial in Wohnungsbestand des Gebiets und 40% aller Haushalte sind aufgrund ihres geringen Einkommens von Verdrängung bedroht, davon mehr als die Hälfte sehr stark.
III. Städtebauliche Folgen einer Veränderung der Sozialstruktur Voraussetzung für den Erlass einer Erhaltungsverordnung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB ist das Vorliegen städtebaulicher Gründe für den Schutz der angestammten Wohnbevölkerung vor Verdrängung. Als Ergebnis der Untersuchung zeigt sich eine Tendenz zu städtebaulichen Fehlentwicklungen, wenn das Instrumentarium der Erhaltungsverordnung nicht eingesetzt werden würde.
Auf allen Teilmärkten des Berliner Wohnungsmarkts einschließlich des Sozialen Wohnungsbaus sinkt das Angebot preiswerter Wohnungen. Preiswerter Wohnraum geht kontinuierlich durch Modernisierungsinvestitionen verloren. Darüber hinaus sind die Wohnungsmieten in Berlin in allen Marktsegmenten des Berliner Wohnungsmarkts während der letzten Jahre schneller als die Einkommen gestiegen. Zur Zeit wird daher im Rahmen der Neufassung des Stadtentwicklungsplans (STEP) Wohnen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung intensiv die Notwendigkeit der Planung und Errichtung zusätzlicher geförderter Wohnungen speziell für einkommensschwächere Haushalte untersucht. Die sich daraus ergebenden städtebaulichen Probleme sind für das Land Berlin umso größer, je höher die Zahl einkommensschwacher Haushalte ist, die aus Gebieten wie dem Gebiet Kaiser-Wilhelm-Platz verdrängt werden. Für die Versorgung der Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen stellen die Altbauwohnungen mit niedrigen Mieten ein derzeit nicht zu ersetzendes Angebot dar. Unter den gegebenen Umständen ist die Deckung des Wohnungsbedarfs der Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen nur zu sichern, wenn vorhandener preiswerter Wohnraum auch längerfristig erhalten wird.
Eine zunehmende Verdrängung einkommensschwacher Haushalte wird zu neuen Problemquartieren und damit zur Verstärkung eines gravierenden städtebaulichen Problems in Berlin führen. Wenn die ökonomisch schwachen Teile der Bevölkerung durch Modernisierungsinvestitionen zum Verlassen der bisherigen Wohnungen gezwungen werden, werden selektive Wanderungsprozesse verstärkt. Ein großer Teil dieser Haushalte, insbesondere aber diejenigen mit geringen Chancen für eine selbstbestimmte Verbesserung ihrer sozialen Lage, wandern nämlich in Gebiete ab, die bereits aufgrund ihrer hochsegregierten Bevölkerungsstruktur als Problemgebiete eingestuft sind. Als eines der wichtigsten städtebaulichen Entwicklungsziele hat daher der Berliner Senat festgelegt, derartige Segregationsprozesse zu verhindern.
Bei der Analyse der Nutzung der gebietlichen sozialen Infrastruktur zeigt sich, dass die Angebote recht gut auf die gebietsspezifische Nachfrage ausgerichtet sind und die Gebietsbevölkerung offensichtlich auf die Angebote vor Ort angewiesen ist. Durch den verstärkten Zuzug von Haushalten mit Kindern in modernisierten Wohnungsbestände entsteht die Gefahr, dass die Infrastruktureinrichtungen für Kinder, speziell im Grundschulbereich nicht mehr ausreichen. Da die Kapazitätsgrenze der Grundschulen erreicht ist, wird ein verstärkter Zuzug von Haushalten mit Kindern eine Erhöhung des Platzangebots erfordern, das im Rahmen der vorhandenen Schulen nicht angeboten werden kann.
IV. Prüfkriterien bei der Anwendung der sozialen ErhaltungsverordnungWelche Prüfkriterien im Rahmen des Antragsverfahrens herangezogen werden sollen, wird im weiterem Verfahren geprüft und erarbeitet. Die „Prüfkriterien für die Umsetzung der sozialen Erhaltungsverordnung“ werden dem Bezirksamt zur Beschlussfassung und der Bezirksverordnetenversammlung zur Kenntnisnahme vorgelegt. Der Beschluss wird im Amtsblatt für Berlin bekanntgemacht werden.
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