Drucksache - VIII-0748  

 
 
Betreff: Ausübung des Vorkaufsrechts am Grundstück Meyerbeerstraße 71, 13088 Berlin
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:BezirksamtBezirksamt
   
Drucksache-Art:Vorlage zur Kenntnisnahme § 15 BezVGVorlage zur Kenntnisnahme § 15 BezVG
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin
20.02.2019 
22. ordentliche Tagung der Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlagen:
VzK 15 BezVG Bezirksamt, 22 BVV am 20.2.19

Siehe Anlage


Bezirksamt Pankow von Berlin
Abt. Stadtentwicklung und Bürgerdienste
Bezirksstadtrat

08.02.2019

Bezirksamt Pankow von Berlin

.2019

An die
Bezirksverordnetenversammlung

Drucksache-Nr.: VIII-0748

 

Vorlage zur Kenntnisnahme
r die Bezirksverordnetenversammlung gemäß § 15 BezVG

Betr.: Ausübung des Vorkaufsrechts am Grundstück Meyerbeerstraße 71, 13088 Berlin

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

Gemäß § 15 Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG) wird berichtet:

Das Bezirksamt hat in seiner Sitzung am 12.02.2019 folgenden Beschluss gefasst:

  1. Das Bezirksamt beschließt, für das Grundstück Meyerbeerstraße 71, 13088 Berlin, gemäß §§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Alt. 2, Abs. 3 Satz 1, 27a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1  BauGB das Vorkaufsrecht zu Gunsten der Gesobau AG auszuüben.
  2. Mit der Durchführung dieses Beschlusses wird die Abteilung Stadtentwicklung und Bürgerdienste beauftragt.

Begründung

Mit Kaufvertrag vom 04.12.2018 (UR-Nr. 18M0740 des Notars Meinel, Berlin) hat die derzeitige Eigentümerin des Grundstücks Meyerbeerstraße 71, 13088 Berlin, das Grundstück verkauft. Mit Datum 10.12.2018 reichte der Notar Meinel den Antrag auf Erteilung eines Negativattestes beim Bezirksamt ein, der am 17.12.2018 durch Nachreichung des vollständigen und rechtswirksamen Kaufvertrags vervollständigt wurde. Das im Auftrag des Bezirksamts erstellte Verkehrswertgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert nicht in einer dem Rechtsverkehr erkennbaren Weise deutlich überschreitet. Damit ist die Ausübung des Vorkaufsrechts nur in der in § 28 Abs. 2 Satz 2 BauGB genannten Weise möglich.

Das Grundstück befindet sich im räumlichen Geltungsbereich der Erhaltungsverordnung „Komponistenviertel“ vom 14. November 2017 (GVBl. 73. Jahrgang, Nr. 31 vom 30. November 2017, S. 632) gemäß  172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB, so dass dem Bezirksamt Pankow von Berlin gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB in Verbindung mit § 1 AG BauGB beim Verkauf eines Grundstücks ein Vorkaufsrecht zusteht.

Das Erhaltungsgebiet „Komponistenviertel“ unterliegt gemäß Untersuchungsbericht der S.T.E.R.N. GmbH vom Juni 2017 „als lagegünstiger Wohnstandort“ einem hohen Aufwertungsdruck  (S.T.E.R.N. aaO, S. 55). Unter anderem bedingt durch die Nähe zu attraktiven Wohngebieten des Ortsteils Prenzlauer Berg, dem Weißen See als Naherholungsgebiet sowie eines guten Anschlusses an den ÖPNV.

Im Zeitraum von 2010 bis 2015 wurden für 4,0 % des Wohnungsbestandes im Erhaltungsgebiet „Komponistenviertel“ Grundbuchumschreibungen zur Begründung von Wohnungseigentum durchgeführt. Dieser Anteil liegt leicht über dem gesamten Berliner Wohnungsbestand von 2,8 %. Insgesamt besteht noch ein großes Potential für Umwandlungen im Untersuchungsgebiet, da 33 % des Wohnungsbestands noch nicht umgewandelt sind (S.T.E.R.N.  aaO, S. 90).

Vornehmlich im östlichen Teil des Erhaltungsgebiets „Komponistenviertel“, in dem auch das Grundstück Meyerbeerstraße 71 liegt, besteht aufgrund der größtenteils gründerzeitlichen Bebauung noch ein hohes Aufwertungspotenzial (S.T.E.R.N. aaO, S. 71). Eine rege Bautätigkeit, insbesondere an gründerzeitlicher Bebauung sowie bauliche Aufwertungspotentiale in diesem Bestand, deuten darauf hin, dass die Nachfrage nach hochwertigem Wohnraum bedient, also der vorhandene Aufwertungsspielraum hier auch genutzt wird (S.T.E.R.N. aaO S. 92). Der Anteil von Wohnungen mit einfacher Ausstattung (74 % im Untersuchungsgebiet) und der Anteil an Wohnungen in Gebäuden ohne Fassadendämmung (68 %) verdeutlichen das große Aufwertungspotential.

Zwar existiert in dem Gebiet bereits eine junge, wirtschaftlich überdurchschnittlich leistungsfähige Bewohnerschaft. So hat die Bevölkerung im Gebiet im Schnitt ein höheres Einkommen, als in Berlin. Gleichwohl gibt es wesentliche Anteile an Haushalten, die auf den Erhalt preiswerten Wohnraums angewiesen sind. Hierbei handelt es sich neben einem relativ hohen Anteil Familien mit Kindern und alleinstehenden Senioren insbesondere um die „Kernbevölkerung“ des Gebiets mit einer langen Wohndauer (über die Hälfte der Bewohner wohnt seit 10 Jahren oder länger im Gebiet) und geringen Umzugsabsichten. In dieser Gruppe befinden sich insbesondere hohe Anteile an alleinstehenden Senioren und Familien, die nur über eine begrenzte Mietzahlungsfähigkeit verfügen. Diese Bevölkerungsteile sind nach den Ergebnissen der Haushaltsbefragung auf die lokalen Einrichtungen und Angebote der sozialen Infrastruktur in besonderem Maße angewiesen und haben eine hohe sozialräumliche Gebietsbindung. (S.T.E.R.N. aaO, S. 94).

Die deutliche Erhöhung des Mietniveaus seit 2010 zeigt, dass sich die Gefahr der Verdrängung, trotz der erlassenen Erhaltungsverordnung schon teilweise realisiert hat. Das mit Abstand höchste Mietniveau wird für die vermieteten Eigentumswohnungen verlangt, das im Mittel ca. 1,80 €/m² über dem der städtischen Gesellschaften liegt. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften bieten mit einer mittleren Netto-Kaltmiete von 5,27 €/m² den mit Abstand preiswertesten Mietwohnungsbestand im Erhaltungsgebiet „Komponistenviertel“ an. Auch die Mieten der stark nachgefragten großen, familiengerechten Wohnungen weisen eine höhere Quadratmetermiete auf. Gleiches gilt für Wohnungen, die über die einfache Ausstattung hinaus,  weitere Ausstattungsmerkmale aufweisen. Diese haben bereits ein um ca. 1,80 € pro m²heres Kaltmietniveau (S.T.E.R.N. aaO, S. 79).

Zusätzlich zu der oben dargestellten abstrakten Gefahr für das Allgemeinwohl durch den bereits aus dem im Erhaltungsgebiet „Komponistenviertel“ festgestellten Verdrängungsdruck für Teile der Wohnbevölkerung besteht auch die konkrete Gefahr der Verdrängung durch den Verkauf des Grundstücks Meyerbeerstraße 71.

Das Objekt ist ein Förderobjekt des Programms Soziale Stadterneuerung ModInstRL 95 mit Bindungszeitraum bis 31.10.2021. Die derzeitigen Bestandsmieten mit Ausnahme des nicht über das Förderprogramm geförderten Dachgeschosses liegen bei 6,32 € pro m² Kaltmiete. Die fördervertraglich zulässige Mietobergrenze im Bindungszeitraum liegt bei 6,70 € m². Aufgrund des baldigen Endes der Bindung liegt es nahe, dass die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung durch Modernisierungsmaßnahmen und die Aufteilung in Wohneigentum gefährdet wird.

Diese ergibt sich zum anderen auch daraus, dass der vereinbarte Kaufpreis beim ca. 33-fachen der Jahresnettokaltmiete liegt. Dies begründet einen starken Zwang zur Refinanzierung des Kaufpreises durch eine möglichst gewinnbringende Verwertung der Immobilie. Da es sich bei der Käuferin um ein „privatwirtschaftliches, nicht gemeinnütziges Unternehmen [handelt, steht zudem zu erwarten, dass dieses] versuchen wird, einen möglichst hohen Gewinn zu erwirtschaften“ (vgl. insoweit VG Berlin, Urteil v. 17.05.2018, VG 13 K 724.17).

Zum anderen weigert sich die Käuferin, die ihr angebotene Abwendungsvereinbarung zu unterzeichnen. Die angebotene Abwendungsvereinbarung enthält Verpflichtungen der Käuferin, die dazu dienen, die Gefahr einer städtebaulich negativen Veränderung der Bevölkerungsstruktur abzuwenden und die Erreichung des Schutzziels zu erleichtern und zu unterstützen.

Hierzu war die Käuferin bis zur angebotenen Frist nicht bereit. Da auch keine geänderte Fassung von der Erwerberin eingereicht wurde und auch ansonsten keine weitere Kontaktaufnahme stattfand, zeigt dies eindeutig, dass sie nicht gewillt ist, die grundlegenden Verpflichtungen zur Erreichung des Schutzzieles der Erhaltungsverordnung zu akzeptieren.

All dies lässt nur den Schluss zu, dass der Eigentümer genau das beabsichtigt, was mit der Abwendungserklärung vermieden werden soll.

Die Veränderung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung hätte deutliche negative städtebauliche Folgen, weshalb das Vorkaufsrecht ausgeübt werden soll.

Der Gefährdung des Wohls der Allgemeinheit durch die Verdrängung von Bewohnern des Erhaltungsgebiets und den daraus resultierenden städtebaulich negativen Folgen, stehen die privaten Interessen des Verkäufers und der Käuferin gegenüber.

„Die Privatnützigkeit des Eigentums wird durch die Ausübung des Vorkaufsrechts gar nicht, die Verfügungsbefugnis des Eigentümers nur unwesentlich eingeschränkt.  Der Eigentümer kann nach wie vor entscheiden, ob und zu welchem Preis er sein Grundstück verkaufen will und wird lediglich in der Freiheit der Wahl seines Vertragspartners beschränkt. Der obligatorische Eigentumsverschaffungsanspruch der Käuferin ist von vornherein mit dem öffentlich-rechtlichen Vorkaufsrecht belastet.“ (vgl. VG Berlin Urteil v. 17.5.2018, VG 13 K 724.17).

Dem steht die oben dargelegte Gefährdung des Wohls der Allgemeinheit gegenüber. Die zu befürchtende Verdrängung einer Vielzahl von Bewohnern hat nicht nur für diese negative Auswirkungen, wie den Verlust der Wohnung, sondern auch für die Gemeinde, die anderenorts preiswerten Wohnraum  und auch Infrastruktur schaffen muss. Dies bindet darüber hinaus öffentliche Mittel, die nicht mehr zur Verfügung stehen, um Aufwendungen für die gesamte Bürgerschaft der Gemeinde zu tätigen.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat zuletzt mit Urteil vom 17.05.2018 (VG 13 K 724/17) bestätigt, dass den Berliner Bezirken unter den Voraussetzungen der §§ 24 ff. BauGB ein Vorkaufsrecht in sozialen Erhaltungsgebieten zusteht. Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist rechtmäßig, wenn das Allgemeinwohl ohne sie gefährdet wäre. Das Verwaltungsgericht hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen, die seitens des dortigen Käufers auch eingelegt wurde, so dass das Urteil noch nicht rechtskräftig ist.

Die Ausübung erfolgt zu Gunsten der Gesobau AG, die sich in einer schriftlichen Verpflichtungserklärung gegenüber dem Land Berlin bzw. Bezirksamt Pankow von Berlin dazu bereit erklärt hat, das Gebäude als Mietshaus im Bestand zu halten, also kein Wohn- oder Teileigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz zu begründen. Ferner hat sie sich verpflichtet, das Gebäude nicht zurückzubauen, die bestehenden Nutzungen nicht zu verändern und bauliche Maßnahmen in Gestaltung des Anbaus von Balkonen, des An- bzw. Einbaus von Personenaufzügen sowie der energetischen Sanierung über die Mindestanforderungen der Energieeinsparverordnung hinaus zu unterlassen. Die Verpflichtungen gelten, solange die Erhaltungsverordnung „Komponistenviertel“ in Kraft ist. Die Gesobau AG ist darüber hinaus Mitglied des Berliner Mietenbündnisses und hat mit dem Land Berlin eine Kooperationsvereinbarung abgeschlossen. Als reines landeseigenes Wohnungsunternehmen unterliegt die Gesobau AG zudem der vollständigen Weisungsbefugnis des Landes, so dass die erhaltungskonforme Verwendung der Immobilie durch die Ausübung des Vorkaufsrechts zu ihren Gunsten sichergestellt ist.

Die Zahlung des Kaufpreises trägt die Gesobau AG.

Das Land Berlin bzw. das Bezirksamt Pankow von Berlin haftet gemäß § 27a Abs. 2 Satz 2 BauGB für die Verpflichtungen aus dem Kaufvertrag neben der Gesobau AG als Gesamtschuldner.

Haushaltsmäßige Auswirkungen

Derzeit nicht bezifferbar

Gleichstellungs- und gleichbehandlungsrelevante Auswirkungen

keine

Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung

keine

Kinder- und Familienverträglichkeit

entfällt

Sören Benn
Bezirksbürgermeister
 

Vollrad Kuhn

Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bürgerdienste

 

 
 

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