Drucksache - VIII-0553  

 
 
Betreff: Prüfkriterien für die Beurteilung von Anträgen auf Rückbau, Änderung oder Nutzungsänderung baulicher Anlagen in den Erhaltungsgebieten nach § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 BauGB (soziale Erhaltungsgebiete) im Bezirk Pankow
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:BezirksamtBezirksamt
   
Drucksache-Art:Vorlage zur Kenntnisnahme § 15 BezVGVorlage zur Kenntnisnahme § 15 BezVG
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin
04.07.2018 
17. ordentliche Tagung der Bezirksverordnetenversammlung Pankow von Berlin mit Abschlussbericht zur Kenntnis genommen   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlagen:
VzK§15 BezVG 17. BVV am 04.07.18

Siehe Anlage


Begründung:

Bezirksamt Pankow von Berlin

2018

An die
Bezirksverordnetenversammlung 

Drucksache-Nr.:
VIII-   

Vorlage zur Kenntnisnahme
r die Bezirksverordnetenversammlung gemäß § 15 BezVG

Prüfkriterien für die Beurteilung von Anträgen auf Rückbau, Änderung oder Nutzungsänderung baulicher Anlagen in den Erhaltungsgebieten nach § 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 BauGB (soziale Erhaltungsgebiete) im Bezirk Pankow

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

Gemäß § 15 Bezirksverwaltungsgesetz (BezVG) wird berichtet:

Das Bezirksamt hat in seiner Sitzung am   .  .2018 folgenden Beschluss gefasst:

  1.                 Der Bezirksamtsbeschluss Nr. VII-0294/2012 vom 18. Dezember 2012 (Bekanntmachung im Amtsblatt für Berlin Nr. 1, vom 04.01. 2013, S. 26) wird aufgehoben.
  2.               Die Beurteilung von Anträgen auf Genehmigung des Rückbaus, der Änderung oder der Nutzungsänderung baulicher Anlagen in den Erhaltungsgebieten gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB des Bezirks Pankow von Berlin erfolgt in Konkretisierung der Voraussetzungen des § 172 Abs. 4 Satz 1 und Satz 3 Nr. 1 und 1a BauGB ab dem Tag nach Bekanntmachung im Amtsblatt für Berlin nach folgenden Prüfkriterien:
  1.               Zu § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. mit § 172 Abs. 4 Satz 1 BauGB:

a)                 Der Rückbau von baulichen Anlagen, die ganz oder teilweise Wohnzwecken zu dienen bestimmt sind, ist grundsätzlich nicht genehmigungsfähig.

b)                 Die Schaffung neuen Wohnraums im Dachgeschoss ist genehmigungsfähig. Soll die Errichtung des neuen Wohnraums unter Einbeziehung von Bestandswohnungen erfolgen, z. B. Maisonette, so ist dies nicht genehmigungsfähig.

c)                 Wohnungsteilungen, Grundrissänderungen und die Zusammenlegung von Wohnungen sind grundsätzlich nicht genehmigungsfähig. Grundrissänderungen sind nur unter Beibehaltung der Wohnungsstruktur in Ausnahmen zulässig, insbesondere wenn der Einbau eines Bades (jeweils ein WC und Waschbecken und Dusche oder Wanne)  in einer einzelnen Wohnung auf Grund der Größe oder der Grundrissgestaltung sonst nicht möglich ist.

d)                 Nutzungsänderungen von Wohnraum in Gewerbe sind nicht genehmigungsfähig. Die gewerbliche Überlassung von Wohnraum zu Wohnzwecken bis zu einem Zeitraum von 12 Wochen stellt eine Nutzungsänderung im Sinne des Erhaltungsrechts dar und ist nicht genehmigungsfähig. Ausnahmen sind dann zulässig, wenn die Wohnräume aufgrund ihrer Lage nur eingeschränkt zum längerfristigen Wohnen geeignet sind, z. B. aufgrund von unzumutbarer Lärmeinwirkung, unzureichender Belichtung und Belüftung.

  1.               Zu § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BauGB:

a)               Der Anbau von Aufzügen in Standardausführung ist genehmigungsfähig. Er ist jedoch zu versagen, wenn er aufgrund der Vorbildwirkung geeignet ist, Entwicklungen in Gang zu setzen, die tendenziell eine überdurchschnittlich hohe Verdrängungsgefahr für die im Erhaltungsgebiet vorhandene Wohnbevölkerung nach sich zieht, z.B. wenn auf Grund der Grundstückssituation nur individuelle Lösungen für den Aufzug (z. B. Fassadengleiter) möglich sind.

b)               Änderungen baulicher Anlagen, die den zeitgemäßen Ausstattungsstandard durchschnittlicher Wohnungen überschreiten, sind nicht genehmigungsfähig. Hierzu gehören insbesondere:

-  Einbau eines zweiten Bades/Dusche oder WCs. Ausnahmen sind als Einzelfallregelung in Wohnungen mit vier oder mehr Aufenthaltsräumen möglich

-  Einbau einer Fußbodenheizung

-  Einbau eines Kamins

-  Schaffung von Balkonen oder Loggien oder Terrassen oder Wintergärten, wenn die Wohnung bereits einen Balkon oder eine Terrasse oder eine Loggia oder einen Wintergarten aufweist

-  Balkonvergrößerungen

-  Gegensprechanlage mit Videoübertragung

  1.               Zu § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1a BauGB:

Änderungen baulicher Anlagen, die sich auf die Anpassung an die baulichen oder anlagentechnischen Mindestanforderungen der EnEV beschränken, z. B. Wärmedämmmaßnahmen, sind genehmigungsfähig.

Dass die Mnahmen nicht über die Mindestanforderungen der EnEV hinausgehen, ist vom Antragsteller durch Vorlage eines Gutachtens eines Sachverständigen nachzuweisen. Außerdem ist nachzuweisen, dass die Dämmung der obersten Geschossdecke und Kellerdecke bereits erfolgt bzw. Bestandteil der Maßnahme ist.

  1.          Die Beschlusspunkte zu I. und II. sind durch das Stadtentwicklungsamt im Amtsblatt für Berlin zu veröffentlichen. Der Veröffentlichung ist folgende Vorbemerkung voranzustellen:

Ziel der Erhaltungsverordnung ist es, in deren Geltungsbereichen die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu erhalten. Den in einem intakten Gebiet wohnenden Menschen soll der Bestand der Umgebung gesichert und so die Bevölkerungsstruktur in einem bestimmten Ortsteil vor unerwünschten Veränderungen geschützt werden (BVerfG, DVBl. 1987, 465). Daher dürfen geplante Maßnahmen vorhandenen Wohnraum nicht derart verändern, dass er für die im Gebiet ansässige Wohnbevölkerung nicht mehr geeignet ist. Entscheidend sind die Auswirkungen auf den Bestand, die Größe und die Ausstattung des vorhandenen Wohnraums. Der Genehmigungspflicht unterliegen sowohl bewohnte als auch leer stehende Wohnungen.

Voraussetzung für die Erteilung einer Genehmigung ist, abhängig von den geplanten Maßnahmen, insbesondere:

- die Einhaltung des zeitgemäßen Ausstattungszustands einer durchschnittlichen Wohnung

- die Berücksichtigung der Mindestanforderungen an Wohnraum nach der Bauordnung für Berlin

- der Erhalt des Wohnraumangebotes im Geltungsbereich der Erhaltungsverordnung

Die Durchführung ungenehmigter Baumaßnahmen (Änderung der baulichen Anlage, Rückbau) stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die gem. § 213 BauGB mit Bußgeld bis zu 30.000,00 € geahndet werden kann.

Begründung

Die Aktualisierung der Genehmigungskriterien dient einerseits dem Erfordernis, die Zielsetzung des sozialen Erhaltungsrechts zu präzisieren und trägt andererseits der Anpassung an die Rechtslage sowie der Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns Rechnung. Sie soll eine schlüssige, transparente und zugleich praktikable Genehmigungspraxis ermöglichen. Deshalb folgt sie dem grundlegenden Handlungsprinzip, Maßnahmen entweder zu versagen oder zu genehmigen. Da das Erhaltungsrecht ein städtebauliches Instrument darstellt und nicht dem individuellen Mieterschutz dient, können auch keine Erklärungen zum Verzicht auf Umlagen oder vertragliche Vereinbarungen eine Genehmigungsfähigkeit herstellen. Bei einem Mieter- bzw. Eigentümerwechsel greifen diese nicht mehr bzw. haben Erfahrungen in der Vergangenheit gezeigt, dass eine Kontrolle und eine Einforderung von vertraglichen Vereinbarungen so gut wie nicht möglich sind.   

Bauliche Maßnahmen dürfen den vorhandenen Wohnraum nicht derart verändern, dass er für die im Gebiet ansässige Wohnbevölkerung nicht mehr geeignet ist. Entscheidend sind die Auswirkungen auf den Bestand, die Größe und die Ausstattung des vorhandenen Wohnraums.

Dem Schutzziel „Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ soll insbesondere dadurch verstärkt Rechnung getragen werden, dass eine geplante Reduzierung des Wohnungsangebots, durch veränderten Wohnungsbestand/-größe, grundsätzlich nicht genehmigungsfähig ist.

Begründung zu den einzelnen Beschlusspunkten:

Zu I. und III.

Die Beschlusspunkte dienen der Herstellung einer rechtlich angepassten Genehmigungspraxis sowie der Transparenz des Verwaltungshandelns.

Zu II. 1.

Der Rückbau von baulichen Anlagen, die ganz oder teilweise Wohnzwecken zu dienen bestimmt sind, ist grundsätzlich nicht genehmigungsfähig, weil es dadurch zu Verlust von Wohnraum käme und dies dem Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung entgegenwirkt.

Der Ausbau von Dachgeschossen ist gemäß § 172 BauGB eine Änderung einer baulichen Anlage und daher genehmigungspflichtig. Da die Schaffung von neuem Wohnraum jedoch erhaltungsrechtlich nicht relevant ist, wird hierfür eine Genehmigung ohne weitere Prüfung erteilt. Dies gilt nicht, wenn eine bestehende Wohnung und eine neue Dachgeschosswohnung zu einer Maisonettwohnung zusammengeführt werden sollen (siehe auch Zusammenlegung von Wohnungen, Punkt II Nr. 1 Buchst. c).

Wohnungsteilungen, Grundrissänderungen und Zusammenlegungen von Wohnungen sind grundsätzlich nicht genehmigungsfähig. Der Erhalt der Wohnungsstruktur in ihrer Mischung von unterschiedlichen Wohnungsgrößen und Lagekriterien ist Grundvoraussetzung für den Erhalt der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung.

Die grundsätzliche Erhaltung des Wohnungsbestandes und der Wohnungsgrößen ist eine wesentliche städtebauliche Voraussetzung für den Erhalt der im Gebiet vorhandenen Wohnbevölkerung und damit deren Zusammensetzung. Erfordernis und Legitimation dieser Zielsetzung sind in den Untersuchungen der einzelnen festgesetzten sozialen Erhaltungsgebiete nachgewiesen worden.

Zu II. 2.

Kurzfristige Überlassungen von Wohnraum bis zu 12 Wochen führen generell dazu, dass die Wohnungen auf Dauer dem Wohnungsmarkt im Erhaltungsgebiet  entzogen sind und es deshalb zu einer Verdrängung der angestammten Wohnbevölkerung hinsichtlich dieser Wohnungen kommen würde.

Die Nutzungsänderung von Wohnraum in Gewerbe wird nur dann nicht versagt, wenn eine Wohnnutzung auf Grund ungesunder Wohnverhältnisse nach allgemeiner Erfahrung nicht möglich oder zumutbar ist, gesunde Arbeitsverhältnisse aber gegeben sind. Dies sind in der Regel Wohngebäude an Straßen mit hohem Verkehrslärm.

In seinem Urteil vom 31.Mai 2012 geht das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg davon aus, dass Aufzugsanlagen im Geltungsbereich einer sozialen Erhaltungsverordnung grundsätzlich genehmigungsfähig sind (Aktenzeichen OVG 10 B9.11). Hierbei ging das OVG davon aus, dass Aufzüge Teil der bauordnungsrechtlichen Mindestanforderungen sind, für die nach § 172 Abs. 4 Satz 3 Nr. 1 BauGB ein Genehmigungsanspruch besteht. Durch  Änderung der Bauordnung Berlin 2017 muss bei der nachträglichen Errichtung bzw. dem Ausbau eines obersten Geschosses zu Wohnzwecken bei einem bestehenden Gebäude kein Aufzug hergestellt werden. Eine bauordnungsrechtliche Mindestanforderung zum Anbau von Aufzügen liegt somit nicht mehr vor. Da Aufzüge in den Erhaltungsgebieten nach Vorliegen des Urteils bisher genehmigt wurden, wird es als unverhältnismäßig angesehen, sie auf Grund der Änderung der Bauordnung in Zukunft generell zu versagen. In seinem Urteil wies das Gericht auch darauf hin, dass durch diese Maßnahme ein unerwünschter Verdrängungseffekt erfolgen kann. Daraus folgt, dass eine sorgfältige Einzelfallprüfung erforderlich ist. Es ist zu prüfen, ob es sich bei dem Aufzug um eine Standardausführung handelt oder um eine Maßnahme, die für sich genommen oder im Zusammenwirken mit anderen Mietsteigerungen hervorrufen würde, die zur Verdrängung der angestammten Wohnbevölkerung beitragen könnten. Die Bezugnahme auf bauordnungsrechtliche Vorschriften betrifft nur das „ob“ bezogen auf die Genehmigungsfähigkeit, nicht aber das „wie“, z. B. in Bezug auf die Größe oder stufenlose Erreichbarkeit.

Als Standardausführung gelten:

- Anbau an die Fassade mit Halt auf den Zwischenpodesten des Treppenhauses

- Aufzug ohne sonstige kostentreibende Ausstattungselemente mit einer max. Geschwindigkeit von 1 m/s

- Schachtmaß von 2,25 qm Grundfläche wird nicht überschritten

Nicht genehmigungsfähig sind in Bestandswohnungen die Maßnahmen, die den zeitgemäßen Ausstattungsstandard einer durchschnittlichen Wohnung überschreiten. Hierunter fallen die Herstellung von Zweitbädern in Wohnungen mit weniger als vier Aufenthaltsräumen sowie die Anbringung von Zweitbalkonen.

Die übrigen Bestimmungen des § 172 BauGB, insbesondere §172 Abs. 4 Satz 2 BauGB, wonach die Genehmigung zu erteilen ist, wenn auch unter Berücksichtigung des Allgemeinwohls die Erhaltung der baulichen Anlage wirtschaftlich nicht mehr zumutbar ist, bleiben unberührt und werden im Rahmen der Antragsprüfungen beachtet.

Haushaltsmäßige Auswirkungen

keine

Gleichstellungs- und gleichbehandlungsrelevante Auswirkungen

keine

Auswirkungen auf die nachhaltige Entwicklung

Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung

Kinder- und Familienverträglichkeit

entfällt

ren Benn
Bezirksbürgermeister
 

Vollrad Kuhn
Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung und Bürgerdienste

 

 

 
 

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