Drucksache - 2296/IV  

 
 
Betreff: Leerstehenden Wohnraum für Flüchtlinge nutzen
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion DIE LINKEBezirksamt Mitte von Berlin
Verfasser:Sven Diedrich Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Briest Urbatsch 
Drucksache-Art:AntragVorlage zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
BVV Mitte von Berlin Entscheidung
15.10.2015 
43. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin mit Änderungen in der BVV beschlossen   
BVV Mitte von Berlin Entscheidung
19.05.2016 
50. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin      

Sachverhalt
Anlagen:
1. Antrag Linke vom 06.10.2015
2. Austauschblatt vom 13.10.2015
3. Änderungsantrag
4. Beschluss
5. Vzk
6. Schlussbericht

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen:

 

 

 

(Text siehe Rückseite)


Bezirksamt Mitte von Berlin

                                                     19.04.2016

Abt. Soziales und Bürgerdienste

                                                   (918) 42660

 

 

 

 

 

Bezirksverordnetenversammlung

Mitte von Berlin

                                Drucksache Nr. 2296/IV

 

 

 

 

 

 

Vorlage zur Kenntnisnahme 

 

über  Leerstehenden Wohnraum für Flüchtlinge nutzen“                                                            

 

Wir bitten, zur Kenntnis zu nehmen:

 

Die Bezirksverordnetenversammlung hat in ihrer Sitzung am 15.10.2015 folgendes Ersuchen an das Bezirksamt beschlossen (Drucksache Nr.2296/IV):

 

Das Bezirksamt wird ersucht zu prüfen, welche leer stehenden Wohnungen in Mitte vobergehend beschlagnahmt werden können, um sie für die Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen.

Sollte die Beschlagnahme ein besonderes Gesetz auf der Berliner Landesebene erfordern, so soll das Bezirksamt hierfür gegenüber dem Senat von Berlin und gegenüber dem Rat der Bürgermeister eine entsprechend zielführende Initiative ergreifen.“

 

Das Bezirksamt hat am .................................. beschlossen, der Bezirksverordnetenversammlung dazu Nachfolgendes als Schlussbericht zur Kenntnis zu bringen:

 

Als Rechtsgrundlage für die Inanspruchnahme von Gebäuden und Grundstücken eines Dritten kommt nach herrschender und zu folgender Auffassung die Sicherstellung gemäß § 38 Nr. 1 ASOG in Betracht (Reitzig, a.a.O., m.w.N. S. 94 ff). Allein in Baden-Württemberg und Sachsen wird von einer "Beschlagnahme" gesprochen. Andere Bundesländer sprechen von "Sicherstellung". Unterschiedliche Folgen sind damit nicht verbunden. Aus polizeirechtlicher Sicht stellt die unfreiwillige Obdachlosigkeit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, die insbesondere auf Gesundheitsgefährdungen zurückzuführen ist, die mit dem Zustand der Obdachlosigkeit einhergehen und ist ganzjährig zu bejahen.

 

Über die Art der Unterkunft ist nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dem sind enge Grenzen gesetzt, insbesondere auf Grund der Anforderungen an eine menschenwürdige Unterkunft. Da die ordnungsrechtliche Einweisung (nur) eine aktuelle Notlage beseitigen soll, werden von der Rechtslehre an die Ausstattung der so genannten Notunterkunft andere, nämlich geringere Maßstäbe angelegt als an die Unterbringung in einer Normalwohnung (Ruder, NVwZ 2001, 1223). 

 

Nach § 38 Nr.1 ASOG können die Ordnungsbehörden (Landesamt für Gesundheit und Soziales) und die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Die Sicherstellung bedeutet die vorübergehende Entziehung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über eine Sache. Sie erfolgt durch amtliche Verwahrung oder in sonstiger Weise über eine Sache. Insbesondere kann die Sache auch durch einen Dritten verwahrt werden (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 3 ASOG).

 

Insoweit wird die Auffassung vertreten, dass eine Sicherstellung nach § 38 Nr. 1 ASOG nicht vorliegen soll, wenn eine Sache weggenommen werden soll, um mit ihrer Hilfe eine andere Gefahr abzuwehren.

 

Denn die Sicherstellung ist nicht nur auf die Beendigung des Gewahrsams des bisherigen Gewahrsamsinhabers, sondern zugleich auch auf die Begründung amtlichen Gewahrsams gerichtet (Knape, Kiworr, ASOG, 10. Auflage, § 38, Anm. C).

 

Hiergegen wird jedoch eingewandt, dass die Maßnahme zur Folge hat, dass - zumindest für eine juristische Sekunde hoheitliche Sachherrschaft begründet und diese dem Eigentümer für die Dauer der Beschlagnahme entzogen wird, so dass die Voraussetzungen des Sicherstellungsbegriffs erfüllt sind (Reitzig, a.a.O., S.94 ff). Im Übrigen besteht ein amtliches Gewahrverhältnis auch dann weiter, wenn ein Obdachloser in die sichergestellten Räumlichkeiten eingewiesen wird. Denn von einer amtlichen Verwahrung ist auch dann zu sprechen, wenn die sichergestellten Räumlichkeiten von einem Dritten, hier einem Obdachlosen aufbewahrt werden (Bettina Lutz, Polizeiliche Maßnahmen zur Unterbringung von Obdachlosen unter besonderer Berücksichtigung der Wohnraumbeschlagnahme, S. 21 ff).

 

Nach anderer Auffassung kommt die Generalklausel gemäß § 17 Abs. 1 ASOG für die Inanspruchnahme in Betracht (Ewer/v. Detten, NJW 1995, 353 m.w.N.). Gemäß § 17 Abs. 1 ASOG können die Ordnungsbehörden und die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im Einzelnen bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Gefahr) abzuwehren, soweit nicht die §§ 18 bis 51 ihre Befugnisse besonders regeln.

 

Letztlich kann es dahingestellt bleiben, ob man die Sicherstellung gemäß § 38 Nr. 1 ASOG als Rechtsgrundlage für eine Inanspruchnahme heranziehen kann, da ersatzweise auf die polizeiliche Generalklausel gemäß § 17 Abs. 1 ASOG zurückgegriffen werden kann.

 

Gemäß § 16 Abs. 2 ASOG dürfen Maßnahmen nach Absatz 1 nur aufrechterhalten werden, solange die Abwehr der Gefahr nicht auf andere Weiseglich ist.

 

Die insoweit erforderliche „gegenwärtige erhebliche Gefahr“r die öffentliche Sicherheit ist zu bejahen, wenn eine Obdachlosigkeit bereits eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht.

 

Voraussetzung für die Inanspruchnahme eines Dritten ist, dass die Ordnungsbehörde gemäß § 16 Abs.1 Nr. 3 ASOG die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder durch Beauftragte abwehren kann. Die Ordnungsbehörden müssen außerstande sein, der Gefahr mit eigenen Mitteln, z.B. im Zusammenwirken mit anderen Behörden im Rahmen der Amts- und Vollzugshilfe oder mit Hilfsorganisationen oder durch den Abschluss privatrechtlicher Verträge zu begegnen (Knape, Kiworr, a.a.O., § 16, Anm. II. A.3.).

 

Hierbei ist zunächst erforderlich, dass die Möglichkeiten der Unterbringung des Obdachlosen in gemeindeeigenen Obdachlosenunterkünften oder andere dem gemeindlichen Einfluss zugänglichen Wohnraum erschöpft sind (Reitzig, a.a.O., S 112 ff; OVG Münster, WuM 1990, 581, 582). Des Weiteren muss die Ordnungsbehörde die Anmietung von Räumlichkeiten, auch von Hotel- und Pensionszimmern, versuchen.

 

Aus dieser juristischen Bewertung wird deutlich, dass eine Sicherung von privatem Wohnraum nur in Betracht kommt zur Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bei der Unterbringung von Flüchtlingen hat zu keinem Zeitpunkt bestanden. Das Land Berlin war in der Lage, dem Flüchtlingsansturm mit eigenen Mitteln, mit Unterstützung von Hilfsorganisationen oder dem Abschluss privatrechtlicher Verträge z.B. mit Beherbergungsstätten - zu begegnen.

 

Die kurz-, mittel- und langfristige Versorgung der Flüchtlinge mit Wohnraum wird eine dauerhaft zu bewältigende Aufgabe sein und bleiben. Dazu kommt das Mittel der Sicherstellung nur dann in Betracht, wenn nachweisbar alle anderen Unterbringungsmöglichkeiten erschöpft sind. Eine solche Zwangslage ist im Moment in Berlin nicht erkennbar und könnte auf absehbare Zeit wohl maximal für besonders schutzbedürftige Personengruppen entstehen, für die sich die sonst üblichen (Not)Unterbringungen verbieten.

 

 

 

Rechtsgrundlage

 

§ 13 i. V. mit § 36 BezVG

 

Auswirkungen auf den Haushaltsplan und die Finanzplanung:

 

a) Auswirkungen auf Einnahmen und Ausgaben: keine

b) Personalwirtschaftliche Auswirkungen: keine

 

Berlin, ....................

 

 

 

Dr. Hanke von Dassel

Bezirksbürgermeister                                                                                 Bezirksstadtrat

 

 
 

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