Auszug - Ausübung des Vorkaufsrechtes in Milieuschutzgebieten in Mitte: Lehren aus dem gescheiterten Vorkaufsversuch für die Birkenstraße 30  

 
 
18. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin (mit LIVE-STREAM)
TOP: Ö 9.3
Gremium: BVV Mitte von Berlin Beschlussart: beantwortet
Datum: Do, 17.05.2018 Status: öffentlich
Zeit: 17:30 - 21:20 Anlass: ordentlichen Sitzung
Raum: BVV-Saal
Ort: Karl-Marx-Allee 31, 10178 Berlin
1216/V Ausübung des Vorkaufsrechtes in Milieuschutzgebieten in Mitte: Lehren aus dem gescheiterten Vorkaufsversuch für die Birkenstraße 30
   
 
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion Bündnis 90/Die GrünenFraktion Bündnis 90/Die Grünen
Verfasser:Neugebauer, Schneider, Bertermann 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
 
Wortprotokoll

Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat im Rahmen seines Beschluss zur “Ausübung des Vorkaufsrechts gem. § 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB in sozialen Erhaltungsgebieten“ u. a. festgelegt: Das Vorkaufsrecht soll zugunsten Dritter ausgeübt werden gem. § 27a BauGB. Zu diesem Zweck soll ein Interessenbekundungsverfahren zur Ermittlung vorkaufsberechtigter Dritter durchgeführt werden.“

-Die BVV hat mit Beschluss DS 0243/V am 16.02.2017 zu „Konzept Vorkaufsrecht gem. § 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB in sozialen Erhaltungsgebieten (Milieuschutz)“ u. a. beschlossen: „Das Bezirksamt wird ersucht, die erforderlichen konzeptionellen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen, die eine Ausübung des Vorkaufsrechts gem. § 24 Abs. 1 Nr. 4 BauGB in sozialen Erhaltungsgebieten in Mitte gewährleistet. Hierbei sind insb. folgenden Rahmenbedingungen zu berücksichtigen: Das Vorkaufsrecht soll zugunsten Dritter ausgeübt werden gem. § 27a BauGB. Zu diesem Zweck soll ein Interessenbekundungsverfahren zur Ermittlung vorkaufsberechtigter Dritter durchgeführt werden.“

In der diesbezüglichen Vorlage zur Kenntnisnahme teilt das Bezirksamt u.a. mit: Der Fachbereich Stadtplanung ist darüber hinaus im engen Kontakt mit dem Fachbereich Stadtplanung des Bezirksamtes Friedrichshain Kreuzberg, dessen Pilotfunktion im Umgang mit der

Wahrnehmung von Vorkaufsrechten richtungsweisend in Berlin ist. Der letzte Erfahrungsaustausch unter der Leitung des Bezirksstadtrats für Stadtentwicklung, Soziales und Gesundheit fand am 06.07.2017 statt. Auf diesen Grundlagen werden bereits jetzt die Grundlagen einer bezirklichen Verfahrenspraxis vorbereitet.“

-Das Bezirksamt Mitte beschließt am 19.12.2017 zu „Das Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB wird gemäß Anlage 1 - Richtlinien zur Ausübung des Vorkaufsrechts in sozialen Erhaltungsgebieten nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BauGB ausgeübt“ zum Sachverhalt: “Geeignet und frühzeitig in dem Verfahren zu beteiligen sind im Bezirk Mitte die WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH und die degewo AG. Der BVV-Beschluss DS 0243/V wird damit bezogen auf das Interessenbekundungsverfahren zur Ermittlung vorkaufsberechtigter Dritter ignoriert.

-Die Beschränkung des Bezirksamtes auf zwei Wohnungsbaugesellschaften hat im Fall der versuchten Vorkaufsrechtsausübung für das Grundstückck Birkenstraße30 zur Folge, dass das Vorkaufsrecht nicht ausgeübt werden konnte, da sich keine der beiden Gesellschaften zum Kauf des Grundstücks bereiterklärten. Maßgeblicher Hintergrund der Ablehnung soll dabei die Erkenntnis der Gesellschaften gewesen sein, dass der Ankauf für sie unwirtschaftlich sei.

 

Ich frage daher das Bezirksamt:

 

 

1.       Warum war das Bezirksamt bisher - entgegen der Beschlussfassung der BVV - nicht bereit, ein Interessenbekundungsverfahren zur Ermittlung vorkaufsberechtigter Dritter durchzuführen, um im Vorkaufsfall auf einen Pool von interessierten Wohnungsbaugesellschaft, Wohnungsbaugenossenschaften oder sonstiger ankaufinteressierter Erwerber*innen zurückgreifen zu können?

2.       Warum hat das Bezirksamt die Praxis des Bezirkes Friedrichshain-Kreuzberg nicht übernommen, zur Ermittlung vorkaufsberechtigter Dritter ein Interessenbekundungsverfahren durchzuführen?

 

Herr BzStR Gothe antwortet: Grundsätzlich hat der Senat jedem Bezirk zwei Wohnungsbaugesellschaften zur Seite gestellt, die erstrangig zu prüfen haben, ob ein solches Haus im Zuge eines Vorkaufsrechts angekauft werden kann. Das halten wir auch für die richtige Methode, dass man das auf jeweils zwei Wohnungsbaugesellschaften begrenzt. Es wäre auch ein unverhältnismäßiger Aufwand, wenn man alle sechs kommunalen Wohnungsbaugesellschaften ins Rennen um das gleiche Grundstück schickt.

Wir arbeiten im Bezirk an der Erweiterung und einen solchen Pool zusammenstellen. Und dass wir im Einzelfall bereits jetzt weitere mögliche verkaufsberechtigte Dritte mit prüfen. Das war schon bei der Amsterdamer Malplaquetstraße so, da haben sich zwei Stiftungen als Käufer positioniert. Das fanden wir auch wirklich interessant und haben es mit großer Ernsthaftigkeit mitverfolgt und haben auch mit ihnen gesprochen. Im Einzelfalls sind wir somit auch schon dran.

 

 

3.       Gab es einen Austausch mit dem Bezirksamt von Friedrichshain-Kreuzberg zum dort beabsichtigten Interessenbekundungsverfahren zur Ermittlung vorkaufsberechtigter Dritter und wenn ja, mit welchem Ergebnis?

 

Herr BzStR Gothe antwortet: „Es gibt nicht nur mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg regelmäßig und im Einzelfall einen Austausch, sondern auch mit den anderen Bezirken und der Senatsverwaltung. Es gibt eine Arbeitsgruppe, in der alle Bezirke, die Milieuschutzgebiete haben, mit dabei sind. Es ist auch Thema dieser AG, sich damit auseinanderzusetzen, welche weiteren Dritten in Frage kämen. Das Vorgehen in Friedrichshain-Kreuzberg ist dabei beispielgebend und wird mit großem Interessen von allen Bezirken und der Senatsverwaltung verfolgt.“

 

4.       Welche Gespräche wurden im Falle der Birkenstraße 30 mit Stiftungen, Genossenschaften oder anderen potenziellen Partnern geführt, die neben einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft in Frage hätten kommen können?

 

Herr BzStR Gothe antwortet: Das ist im Regelfall nur dann sinnvoll, wenn sich schon im Vorfeld ein Verkauf abgezeichnet hat und sich auch im Vorfeld ein Dritter damit schon befasst hat und quasi am Start ist. Wenn im Regelfall das normale Verfahren hat und wir von einem Verkaufsvorgang wissen, und dann auf eine Stiftung oder eine Genossenschaft zugehen, dann ist die Zeit meist zu kurz. das heißt, wir müssen auch bei diesem Pool, den wir bilden wollen, quasi Verfahren verabreden, bei denen die möglichen Dritten auch schnell entscheiden können, ob das etwas für sie ist. da müssen wir noch weiter daran arbeiten. In diesem Fall war es aus Gründen der Kurzfristigkeit nicht möglich, weitere mögliche Interessenten zu ermitteln und dann auch einzubeziehen.

 

5.       Haben sich die Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte mbH und die degewo AG an die Senatsverwaltung für Finanzen gewandt, um evtl. vorhandene Unwirtschaftlichkeitsbedenken prüfen zu lassen und ggf. um finanzielle Unterstützung des Senates zu ersuchen?

3q.Wenn ja wann und mit welchem Ergebnis?

3b.Wenn nein, warum nicht?

 

Herr BzStR Gothe antwortet: Beiden Wohnungsbaugesellschaften fehlt aufgrund des sich abzeichnenden hohen kurzfristigen Investitionsbedarfes für die Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am Gebäude die wirtschaftliche Grundlage. Die Kapitalzuwendungen durch die Senatsverwaltung lediglich für den Erwerb von Grundscken möglich sind, aber nicht für den kurzfristigen Investitionsbedarf.

 

6.       Welche Lehren zieht das Bezirksamt aus dem gescheiterten Vorkaufsrechtsvorgang zum Grundstück Birkenstraße 30 hinsichtlich der Einschränkung im Verfahren auf nur zwei Wohnungsbaugesellschaften?

 

Herr BzStR Gothe antwortet: „Sie könnten sagen, dass das zu kurz gedacht ist. Die Lehre aus dieser bisherigen Praxis muss sein, an den Senat und die Wohnungsbaugesellschaften stärker zu appellieren, noch offensiver bei der Prüfung von Vorkaufsfällen vorzugehen und die wirklich strenge Handhabung in den Wohnungsbaugesellschaften, nach denen die vorgehen, wenn sie über einen solchen Ankauf entscheiden, zu verändern. In den Aufsichtsräten der sechs Wohnungsbaugesellschaften wird jeder Einzelvorgang in sich geprüft wird und in sich auf eine Wirtschaftlichkeit untersucht wird. Wenn eine rote „minus 2 %“ oder so winkt, dann wird das Projekt fallengelassen. Es müsste die Idee sein, dass man auch mit den Aufsichtsräten bespricht, dass solche Maßnahmen, Ankauf im Einzelfall, anders gehandhabt werden müssen, dass man beispielsweise regional die Bestände zusammenfassen kann und schaut, ob da nicht so eine teure Ankaufsmaßnahme sich in einer übergeordneten Wirtschaftlichkeitsrechnung mit den Beständen, die dort in der Gegend der Wohnungsbaugesellschaft dieser sowieso schon gehören, anders bewertet werden kann und man somit quersubventionieren kann. Diese Einzelfallbetrachtung ist, da bin ich fest davon überzeugt, zu wenig. Die Wohnungsbaugesellschaften müssen dort offensiver werden. Ich bin völlig sicher, dass wenn man sich zu einer offensiveren Vorgehensweise entschließt, die möglicherweise auf den Einzelfall bezogen erstmal keine Rendite abwirft oder eine schwarze Null, dass man sich in zehn Jahren darüber freuen wird, dass man diesen etwas riskanteren Weg gegangen ist. Wir werden in zehn Jahren rückblickend über jeden Kauf eines Wohnhauses glücklich sein, den wir auch wenn unter einem kritischen Blick der Wirtschaftlichkeit, vollzogen haben. Es muss unser gemeinsamer Appell in Richtung Senat und Wohnungsbaugesellschaften sein.“

 

 

Herr BV Draeger von der Fraktion der SPD verweist auf die noch zu behandelnde DS 1249/V, in der diese übergreifende Finanzierung befürwortet werde.

 

Herr BV Bertermann von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gehe davon aus, dass die Fraktion Bü90/Die Grünen diesem Antrag zustimmen werde.

Bezüglich der Ausführungen des Herrn BzStRats Gothe appelliert er an den Bezirk, ebenfalls offensiver zu sein. Der Stadtrat der vorangegangenen Wahlperiode sei mit der Umsetzung der Milieuschutzgebiete nicht offensiv umgegangen. In dieser Wahlperiode sei der Bezirk Mitte nicht offensiv in der Anwendung des Vorkaufsrechts, so auch in der Akquise von Leuten, die einspringen, insbesondere vor dem Hintergrund der schlechten Erfahrung. Er erfragt, wie die Akquise für den Pool erfolge, ob z.B. ein Interessenbekundungsverfahren eingeleitet worden sei. Die Absicht sei noch keine offensive Umsetzung. Sich auf den Senat zu berufen sei ebenfalls nicht offensiv.

Herr BzStR Gothe erklärt, dass die Umsetzung in der Verwaltung eine gewisse Zeit benötige, zum Teil länger, als es sich die Politik wünsche. Die Idee sei auch, dass ein Pool gebildet werde, der allen Bezirken zur Verfügung stehe. Die Energie und Schnelligkeit von Mietergemeinschaften im Fall einer Veränderung sei nicht zu unterschätzen, eine offensive Handlung des Bezirksamts könne mit dieser Schnelligkeit nicht mithalten. Die Mieter erhalten die Informationen meist schneller, sodass der Bezirk auf deren Hellhörigkeit angewiesen sei. In Friedrichshain-Kreuzberg gebe es eine weitere interessante Entwicklung, die Beratungsagentur, in der Mietergemeinschaften beraten werden.

 

Herr BV Torno von der Fraktion der AfD schließt sich der Kritik Herrn BV Bertermanns zur wenig offensiven Politik an. Bezüglich des Milieuschutzes habe er nach Gesprächen mit Mietern den Eindruck, dass diesen „etwas vorgemacht“ werde. Trotz Milieuschutzes umgehen die Eigentümer die Gesetze ohne Androhung von rechtlichen Maßnahmen. Er appelliert an Herrn BzStR Gothe, den Mietern und der Mieterberatung die Tatsachen zu kommunizieren.

Herr BzStR Gothe weist die Ansage Herrn BV Zurück, das Milieuschutzgebiete nichts brächten. Durch die Milieuschutzgebiete gebe es eine qualifizierte Mieterberatung. Weiter gebe es eine erfolgreiche Zwischenbilanz bezüglich der Modernisierungsvereinbarungen. Durch die schärfere Prüfung des Vorkaufsrechts seien auch mehr Abwendungsvereinbarungen abgeschlossen worden. Der Milieuschutz sei in Berlin das einzige Mittel, um die Aufwertungsprozesse halbwegs mit beeinflussen zu können und zu dämpfen. Aus diesem Grund werde das Bezirksamt das fortsetzen. Auch der Vergleich mit den anderen Bezirken zeige, dass dieses, auch wenn schwache Instrument, zum Wohl der Mieter eingesetzt werde.

 

Herr BV Diedrich von der Fraktion DIE LINKE schlägt Herrn BV Bertermann vor, die DS aus Februar 2017 nicht weiterzuführen, sondern den Vorschlag Herrn BzStR Gothes anzunehmen und sich dem Pool Friedrichshain-Kreuzbergs anzuschließen. Bezüglich der zur Verfügung stehenden Instrumente erinnert Herr BV Diedrich an das Sanierungsrecht und verweist auf einen diesbezüglichen Antrag des vergangenen Jahres.

 

 
 

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