Auszug - Droht Obdachlosigkeit von Landesebene?  

 
 
9. öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Mitte von Berlin
TOP: Ö 5.1
Gremium: BVV Mitte von Berlin Beschlussart: beantwortet
Datum: Do, 20.07.2017 Status: öffentlich
Zeit: 17:30 - 23:00 Anlass: ordentlichen Sitzung
Raum: BVV-Saal
Ort: Karl-Marx-Allee 31, 10178 Berlin
0605/V Droht Obdachlosigkeit von Landesebene?
   
 
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion der SPDFraktion der SPD
Verfasser:Hauptenbuchner 
Drucksache-Art:Mündliche AnfrageMündliche Anfrage
 
Wortprotokoll

  1. Wie ist der aktuelle Stand der Verhandlungen zwischen der Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales und der Gierso Boardinghaus GmbH bezüglich offener Rechnungen und Kündigung der Zusammenarbeit?
  2. Inwieweit besteht aufgrund der Verhandlungen akut die Gefahr der Obdachlosigkeit für Menschen im Bezirk Mitte bzw. Menschen für die der Bezirk Mitte verantwortlich ist?
  3. Wie stellt sich das Bezirksamt auf die Situation ein um der Gefahr der Obdachlosigkeit zu begegnen?

Herr BzStR Gothe antwortet:

Sehr geehrter Herr Vorsteher, Sehr geehrter Herr Hauptenbuchner,

Ich danke Ihnen sehr für diese Anfrage, weil sie Gelegenheit gibt, das Augenmerk der BVV auf das außerordentlich komplexe als auch arbeitsintensive Handlungsfeld der statusgewechselten Flüchtlinge zu richten.
Dieses Handlungsfeld ist tatsächlich so arbeitsintensiv und komplex, dass wir uns als Bezirksamt entschlossen haben, eine Steuerungsrunde alle 14 Tage einzuberufen, an der der Bezirksbürgermeister, Fr. Dr. Obermeyer, ich und die betroffenen Ämter teilnehmen.
Diese Runde gab es schon mal in der Zeit ’15 / ’16, als die Flüchtlingswelle bekanntermaßen große Herausforderungen an die Berliner Verwaltung stellte. Die haben wir jetzt wieder eingeführt, weil diese Komplexität tatsächlich da ist und es sehr sinnvoll ist, dass man sich dazu regelmäßig austauscht und verabredet, was zu tun ist. Wir haben mittlerweile über 6.600 statusgewandelte Flüchtlinge in unmittelbarer Zuständigkeit in Mitte und wir rechnen, dass diese Zahl im Laufe des Jahres 2018 auf 10.000 ansteigt. Von diesen 6.600 statusgewandelten Flüchtlingen konnten wir bislang selber nur - obwohl es eigentlich auch schon eine Leistung ist, wenn man weiß, was dahinter steckt - 1.600 in Vetragshostels oder Kooperationshostels unterzubringen. Wir wissen, dass der eigentliche Flaschenhals bei der Thematik der Unterbringung mittlerweile die Vermittlung in Wohnraum ist. Da ist die Situation so, dass über die sechs Wohnungsbaugesellschaften jährlich ein Abfluss (ein technischer Begriff), somit eine Vermittlung von 550 Wohnungen berlinweit erfolgt. Dem stehen 16.000 statusgewandelte Flüchtlinge in den Einrichtungen des LAF gegenüber, die eigentlich in eine Wohnung vermittelt werden könnten oder sollten, da diese Wohnungen aber nicht zur Verfügung stehen, werden sie noch weiter in den Einrichtungen des LAF leben müssen. Wir selber haben, wie Sie auch wissen, einen Vertrag mit dem DJF zur Wohnungsvermittlung geschlossen, und dieser Vertrag wurde für dieses Jahr und die nächsten Jahre hinaus verlängert. Dort ist das Minimum, was geleistet werden muss, die Vermittlung von einer Wohnung pro Woche. Da hat das DJF letztes Jahr gerade mal eine Punktlandung hinbekommen, daran sieht man auch wie schwer es ist, die Flüchtlinge wirklich auch in Wohnungen zu vermitteln. Wir haben den Vertrag jetzt so gestaltet, dass es ab der 52. Wohnung, die vermittelt wird, einen Extra-Bonus gibt für das DJF, um noch einen zusätzlichen Anreiz zu schaffen und hoffen und wünschen uns ohne Weiteres, dass sie in den Genuss dieses Bonus im erheblichen Umfang kommen, denn es ist klar, dass die Unterbringung in einer normalen Wohnung, mit einem normalen Mietvertrag, viel preiswerter ist, als das Verbleiben in einer Flüchtlingseinrichtung, wo nach Tagessätzen bezahlt wird. Wir selber haben durch diese mittlerweile hohe Zahl von Statusgewandelten in unserer Zuständigkeit ein Klientenaufkommen von rund 100 Menschen pro Tag, die bis vor kurzem bei uns im Rathaus Wedding, Walther Rathenau Saal, ankamen und dort registriert wurden, tagesweise, um dann über den Tag abgearbeitet zu werden. Da nun das Wahlamt dort einziehen musste, um die Bundestagswahl vorzubereiten, gab es da einen schwierigen Punkt: nämlich einen Ersatz für den Walther Rathenau Saal zu finden. Einer Initiative des Bezirksbürgermeisters und des Geschäftsführers des Jobcenters, Herrn Mania, ist es zu verdanken, dass wir den alten BVV-Saal Wedding, der ja wunderbar restauriert worden ist, dafür akquirieren konnten. Allerdings kann ich Ihnen auch verraten, dass die Inbesitznahme dieses BVV-Saales vor einer Woche ein abendfüllender Krimi ist, wenn man erzählen will, was da für Hindernisse aufgetaucht sind. Und dieser Krimi ist noch nicht zu Ende, es gibt noch ein Schlusskapitel, dass geschrieben werden muss, Ende des Monats. Das will ich aber nicht vertiefen. Die Ursache dafür, dass das Klientenaufkommen im Bezirk Mitte so dermaßen hoch ist, liegt an der sogenannten Geburtsdatumsreglung. Darüber haben wir uns ja auch schon ausgetauscht, die gilt nach wie vor und ist dafür ursächlich, dass 1/3 aller statusgewandelten Flüchtlinge in Berlin in die Zuständigkeit des Bezirksamts Mitte fallen. Ich konnte die Senatorin Breitenbach gewinnen, die Umstellung dieses Prinzips auf das Ortsprinzip ernsthaft zu prüfen. Vor zwei Monaten gab es dazu einen ersten Austausch in der Stadträtesitzung der Sozialstadträte, in der alle eigenhändig zugestimmt haben, dass dieses Geburtsdatumsprinzip ungünstig und das Ortsprinzip das einzig Richtige ist. Allerdings gab es dann vor zwei Wochen eine erneute Sitzung, in der die Senatssozialverwaltung tatsächlich einen Vorschlag zum Verfahren der Umstellung auf das Ortsprinzip auf den Tisch gelegt hat. Da waren alle überrascht, wie schnell das geht und haben befürwortet, die Umstellung zu prüfen. Wir finden es auch richtig, dass man prüft, ob man es umstellen kann. Das heißt aber noch nicht, dass wir es umstellen. Da wurden dann alle möglichen Bedenken geäußert, bis hin zur völligen Undurchführbarkeit eines solchen Verfahrens. Erfreulicherweise war die größte Unterstützerin in der Debatte die Stadträtin Julia Witt aus Marzahn, die eigentlich den größten Nachteil davon hätte, weil sie die 4.000 Statusgewandelten, die mittlerweile in den neuen Einrichtungen in Marzahn wohnen, in Ihre Zuständigkeit bekäme. Sie hat das trotzdem auch nochmal eindrücklich geschildert, was für ein Quatsch das ist, dass sich jeden Morgen mehrere S-Bahn Züge mit Flüchtlingen aus Marzahn Richtung Stadt bewegen, um dann ihre zuständigen Bezirksämter aufzusuchen. Um dann danach, nach Erfolg oder Nichterfolg, wieder zurückzufahren nach Marzahn. Ich hoffe, dass es gelingt an dem Thema dran zu bleiben und dieses völlig unsinnige Prinzip – das könnte ich hier auch noch vertiefen, was das für unsere internen Zuständigkeiten für einen Unsinn bedeutet - auf das Ortsprinzip umzustellen. So es ist gibt noch einen weiteren Punkt, der mir besonders am Herzen liegt, den hier nochmal eindrücklich nahe zu legen. Sie haben ja alle mitbekommen, dass im Bezirk Mitte in der Vergangenheit kein einziger Neubau, sei es eine modulare Unterkunft, oder ein Wohngebäude einer Wohnungsbaugesellschaft oder einer studierenden Einrichtung der berlinovo, die zunächst 3 Jahre als Unterkunft genutzt werden sollen, dass kein einziger Neubau erfolgt ist, weil kein Grundstück gefunden werden konnte. Und ich hoffe, dass ich richtig in der Annahme liege, dass Sie mich eigenhändig als BVV unterstützen nun auch Standorte in Mitte zu finden, wo so etwas gebaut werden kann. Der Hintergrund ist, dass die Finanzverwaltung angekündigt hat, eine zweite Runde mit dem Bezirken anzugehen und neue Standorte zu finden. Der Hintergrund ist einfach der, den teile ich vollständig, dass wir damit rechnen müssen, dass es über kurz oder lang wieder zu einer Welle kommen kann. Wir wissen, dass das Problem der Mittelmeerroute, die alle in Italien landen, nicht gelöst ist und so nicht bleiben kann. Es kann nicht sein, dass die alle in Italien bleiben. Wir wissen, dass die Situation zwischen Türkei und Griechenland sehr heikel ist und deshalb finde ich es sehr richtig und sehr wichtig, dass wir uns darauf vorbereiten, dass wir auch Standorte in Mitte zur Bebauung für diese Zwecke finden. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 
 

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