Tamara Regosz berichtet aus Breslau

im Zentrum Breslau

Tamara Regosz arbeitet im Bezirksamt Mitte im Stadtentwicklungsamt und bearbeitet Bauanträge im Bereich der Bau- und Wohnungsaufsicht

  • Abschlussbericht Tamara Regosz

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Erste Woche in Wrocław: die polnische Bürokratie

Bei frühlingshaften Temperaturen starte ich in die ersten Tage des Lernaufenthalts im Rahmen des Hospitationsprogramms „LoGo Europe“ in Wrocław.

Das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum Niederschlesiens mit knapp 640.000 Einwohnern und zusätzlich 140.000 Studenten war 2016 Kulturhauptstadt Europas und begrüßt am vergangenen Sonntag vor stolz platzend ihre Ehrenbürgerin: Olga Tokarczuk. Sie erhält rückwirkend für 2018 den Literaturnobelpreis und die Stadt empfängt sie im „Narodowe Formum Muzyki“.Der Platz vor dem 2015 errichteten Konzerthaus ist voll, hier wird auch der feierliche Empfang übertragen.

In Berlin arbeite ich im Stadtentwicklungsamt des Bezirks Mitte und bearbeite dort Bauanträge im Bereich der Bau- und Wohnungsaufsicht.
Für die nächsten vier Wochen werde ich den Kolleg*innen des hiesigen Stadtplanungsamtes „Urząd Miasta – Department Strategii i Rozwoju Miasta – Wydział Architektury i Budownictwa“ über die Schultern schauen.

Und los geht`s im Behördendschungel. Der erste Tag ist geprägt von Formularen und Schulungen zu den Themen Datenschutz, Brandschutz und – der umfangreichste Teil – Arbeitsschutz. Diese obligatorischen Seminare finden wöchentlich für alle neuen Mitarbeiter der Verwaltung statt – da wir uns in der Mitte des Monats befinden, bin ich die einzige Teilnehmerin. Aufgrund dieses ungewöhnlichen Lehrer-Schüler-Schlüssels habe ich viel Zeit neugierige Fragen zu stellen.

Ich lerne die Amtsleiter kennen und bekomme einen Arbeitsplatz und äußerst hilfsbereite Kollegen zugewiesen, mit denen ich in der ersten Woche das Baugenehmigungsverfahren in Wrocław kennenlernen und die Herangehensweise in Berlin erläutern kann.

Anhand von konkreten Beispielen und Problemstellungen untersuchen wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der Beteiligung anderer Ämter im Verfahren, des Prüfumfangs und auch planungsrechtliche Instrumente.

Beeindruckend ist, dass mittels des Geoportals ein Überblick über erteilte Baugenehmigungen der vergangenen Jahre für alle Bürger einsehbar ist.

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Zweite Woche: Arbeit, Feiertag und Kurztrip nach Warschau

In der zweiten Woche meines Lernaufenthaltes bekomme ich Einblicke in konkrete Anfragen und Bauanträge und darf diese prüfen – natürlich nur zum besseren Verständnis der Vorgehensweise. So kann ich besser nachvollziehen, welche Schritte zum Erteilen einer Baugenehmigung gehören. Im Bezirksamt Mitte bearbeite ich Bauanträge für Bauvorhaben, welche gemäß der Bauordnung für Berlin als Sonderbau eingestuft werden.
Unter anderem werden hier in Wrocław, wie auch in Berlin, die Aspekte des Brandschutzes, der Statik, des Denkmalschutzes, das Einhalten der Bauordnungsrechtlichen Vorschriften und die planungsrechtliche Zulässigkeit geprüft, allerdings sind hier die Zuständigkeiten anders geregelt. Die Aufteilung der Fachbereiche unterscheidet sich deutlich von der im Bezirk Mitte, da der Bereich Stadtplanung enger mit der Abteilung, in welcher die Baugenehmigungen erteilt werden, verknüpft ist.
Viele Fragestellungen gleichen denen in Berlin und mit meinen Kolleginnen diskutiere ich über die Hintergründe bestimmter Gesetzesgrundlagen.
Diese Woche ist eine kurze Woche Arbeitswoche. Am 01.November wird Allerheiligen gefeiert. Anders als in Berliner Gefilden, ist dies einer der wichtigsten Feiertage des Landes.
Ganz Polen macht sich auf den Weg, um auf den Friedhöfen der verstorbenen Angehörigen zu gedenken. Schon Tage vorher werden die Gräber zurecht gemacht und mit Kränzen, Gestecken und Grabkerzen geschmückt.
Die Atmosphäre auf den Friedhöfen an diesem Tag ist einzigartig: eingehüllt in den Duft aus Wachs und Blumen erstrahlen sie in einem Meer aus Kerzen und sind voller Besucher – ein unvergessliches Erlebnis.
Auch ich habe mich auf den Weg gemacht und fahre nach Warschau, um unter anderem den berühmten Powązki Friedhof zu besuchen…

die Zwerge vor dem Deutschen Generalkonsulat

Hunderte von Zwergen und der besondere Schutz der Altstadt

Jeden Morgen passiere ich auf dem Weg zu meiner Arbeitsstelle die Zwerge Polonikus und Germanikus, die auf einem Stück gefallener Mauer sitzen und sich mit Bierkrügen zuprosten. Sie sitzen vor dem Gebäude des Deutschen Generalkonsulats in Wrocław.

Es handelt sich hierbei um einen Teil der kleinen großen Sehenswürdigkeit Wrocławs, und ihre Artgenossen sind an jeder Ecke in der Stadt zu finden: die ca. 30 cm großen Zwergenfiguren aus Bronze. Aus dem Stadtbild sind sie nicht mehr wegzudenken.

Sie musizieren im Orchester (vor dem Musikforum), sitzen auf Fensterbänken und essen Lebkuchen (vor der Lebkuchenmanufaktur) oder oder rudern (vor dem Ruderclub an der Oder). Mittlerweile sollen es schon mehrere hundert sein und es kommen stetig welche dazu.

Was in den 80er Jahren als Symbol der politischen Oppositionsbewegung begann wurde in den 2000er Jahren von Studenten der Kunsthochschule in einem Projekt aufgegriffen und entwickelte sich zum Touristenschlager. Auf die digitalen und analogen Karten sind die Standorte der Zwerge verzeichnet und man sieht ständig “Zwergenjäger“ in der Stadt umherlaufen.
Diese Woche besuche ich die Arbeitsgruppe, welche sich mit der Altstadt beschäftigt. Das “Stare Miasto“, das kulturelle Herz der Stadt mit dem Marktplatz (Rynek), dem imposanten Rathaus, den Universitätsgebäuden, zahlreichen Kirchen und Theatern genießt einen besonderen Schutz und wird als “Park Kulturowy“ bezeichnet. Von der Farbe der Markisen und Sonnenschirme über die festgelegte Größen für Werbetafeln bis zu definierten Standorten für Foodtrucks dient eine Verordnung dazu, die Ästhetik des Stadtzentrums zu bewahren. Weiterhin gilt ein Verbot für das Verteilen von Werbeflyern und ein Gebot, Fassaden frei von Plakaten und Graffiti zu halten. Die Arbeitsgruppe überprüft in Begehungen, ob die Regelungen eingehalten werden, bearbeitet spezielle Anträge und arbeitet an einer weiteren Verordnung, um in der gesamten Stadt Ordnung in den Werbe-Dschungel zu bringen.

Ich freue mich schon auf die nächste und letzte Woche.

Wenn es so schön ist, vergeht die Zeit wie im Flug

Der 11.11. ist ein Feiertag in Polen. 1918 erlangte das Land die Unabhängigkeit, nachdem es für 123 Jahre zwischen Russland, Österreich-Ungarn und Preußen aufgeteilt war. Schon Tage vorher sind die Fahnenmasten an den Fassaden der Häuser bestückt. Aus diesem Anlass gibt es einige Feierlichkeiten in der Stadt: diese finden vor dem Narodowe Forum Muzyki statt und im Rot-Weißen Fahnenmeer gibt es natürlich Musik (unter anderem die Ode an die Freude), eine kleine Militärparade, Reden verschiedener Politiker und auch das Singen der polnischen Nationalhymne darf an diesem sonnigen Tag nicht fehlen.

Nach Einbruch der Dunkelheit begebe ich mich erneut in die Altstadt. Der Unabhängigkeitslauf findet statt. Dieser führt über 10 km kreuz und quer durch das Stadtzentrum, auch der Bürgermeister nimmt Teil und die ersten drei Plätze belegen, was für eine schöne Symbolik, Staatsbürger aus Polen, der Ukraine und Kenia.
Nach dem Lauf ist die Stadt voll von Läufern in ihren knisternden Umhängen aus warmhaltender Gold-Silber-Folie.

Ich habe in dieser Woche ein kurzes Treffen mit dem Vizepräsidenten von Wroclaw Jakub Mazur im Rathaus und die Gelegenheit, für die herzliche Aufnahme und interessanten Wochen des Lernaufenthalts zu danken und mit ihm über die Formen und Projekte des Austausches und der Kooperationen zwischen unseren beiden Städten zu sprechen. Außerdem werde ich durch den großen Sitzungssaaal des Rathauses geführt – in dem gerade die letzten Vorbereitungen für die kommende Sitzung mit den Bürgermeistern und Amtsleitern stattfinden.

Wieder zurück im Stadtplanungsamt habe ich eine kleine Präsentation mit meinen Erkenntnissen für die Amtsleitung sowie die drei Fachbereichsleiterinnen vorbereitet und wir haben ein gutes abschließendes Gespräch über die Herausforderungen der Stadtplanung in Wroclaw und Berlin.

Zwei Besichtigungen bringen mich zu bedeutenden Wohnsiedlungen.
Die erste ist die WuWA: 1929 fand im damals Deutschen Breslau die „Wohnung und Werkraum Ausstellung“ statt. In diesem Rahmen entstand eine Wohnsiedlung, welche durch ihre neue Sichtweise die Entwicklung der europäischen Architektur und der Stadtplanung bedeutsam mitgeprägt hat. Auch der Architekt der Berliner Philharmonie, Hans Scharoun, hat hier sein Werk hinterlassen.

Die zweite Siedlung – Nowe Żerniki – wird „WuWa 2“ genannt. Sie liegt Westen der Stadt und ist ein aktuelles Modellprojekt, die “komplette Siedlung“:
ein durchmischtes nachhaltiges Quartier mit hochwertiger Architektur, unterschiedlichen Wohnungstypologien, Gärten, vielen gestalteten öffentlichen Grünflächen, einer Infrastruktur mit Märkten, einem Kulturzentrum, Kindergärten, Schulen und kleinen Gewerbebetrieben, wobei man das Stadtzentrum gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen kann. Auch wenn erst die erste der drei Realisierungsphasen beendet ist, so kann man sich ausmalen, dass hier mal ein lebendiges, lebenswertes Quartier stehen wird.

Meinen letzten Außentermin mache ich Mitarbeiterinnen, die,vor der Erteilung einer Baugenehmigung die Umgebung des zu bebauenden Grundstücks analysieren und kartieren.

Die vergangenen Wochen vergingen wie im Fluge – ich habe tolle Menschen kennengelernt und die Arbeit des Stadtentwicklungsamtes gut kennenlernen können. Hiermit übersende ich ein herzliches Dankeschön an alle, die mir das ermöglicht haben.