Drucksache - DS/0695/IV  

 
 
Betreff: Schulverweigerung
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:SPDSPD
Verfasser:Mollenhauer-Koch, TessaMollenhauer-Koch, Tessa
Drucksache-Art:Mündliche AnfrageMündliche Anfrage
Beratungsfolge:
BVV Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin Vorberatung
24.04.2013 
Öffentliche Sitzung der BVV Friedrichshain-Kreuzberg beantwortet   

Beschlussvorschlag

Ich frage das Bezirksamt:

Ich frage das Bezirksamt:

 

  1. In wie weit kontrolliert das BA die Schulpflicht und Schulverweigerung von Schülerinnen und Schülern?
  2. Gibt es konkrete Zahlen für den Bezirk?
  3. Welche Maßnahmen wendet das BA an um Schulverweiger_innen wieder an den Schulunterricht heranzuführen?

 

 

Beantwortung: Herr Dr. Beckers

 

Zu Frage 1: Die Ausführungsvorschriften über Beurlaubung und Befreiung vom Unterricht, auch von Schulpflicht, regeln, dass die Schule dem Schüler eine Schulversäumnisanzeige zusenden muss, wenn eine Schülerin oder ein Schüler mehr als 10 aufeinanderfolgende Tage unentschuldigt fehlt. Dieser Zeitraum wird häufig unterschritten. Im Interesse eines erfolgreichen Schulabschlusses wird das Schulamt in Friedrichshain-Kreuzberg darüber hinaus in den Einzelfällen auch tätig, wenn keine Schulpflicht mehr besteht, zum Beispiel aber der 11. Klasse, oder berechtigte Zweifel an den vorgelegten Entschuldigungen bestehen, zum Beispiel zu häufige Entschuldigungen durch die Eltern oder ein ausgeprägtes "Ärzte-Hopping".

 

Zu Frage 2: Die zusammengefasste Anzahl der gestellten Schulversäumnisanzeigen für die letzten Schuljahre sind 2009 / 2010 117, 2010 / 2011 154, kann ich Ihnen auch gerne zur Verfügung stellen, dann 2011 / 2012 132 und im 1. Halbjahr jetzt 44 im laufenden Schuljahr. Der Trend ist also ganz leicht rückläufig, was auf die frühe Information an die Eltern bereits am 1. Fehltag und auf die bessere Ausstattung der Schulen und Sozialpädagogen zurückzuführen ist. Von den 132 Schulversäumnisanzeigen des letzten Schuljahres sind noch 11, ich sage mal Problemfälle übrig, die weiterer Maßnahmen bedürfen. Also 122 sind aus unserer Sicht gelöst. Die vom Senat und der Presse veröffentlichten Zahlen zur Anzahl der Schulversäumnisanzeigen differieren zu den hier genannten, weil da keine Anzeigen aus Förderzentren, die wir ja noch haben, und Privatschulen enthalten waren.

 

Zu Frage 3: Gestatten Sie erst mal die Bemerkung, dass man bei der Lektüre von Statistiken und Artikeln in den Medien, gerade in letzter Zeit, wieder zu der Annahme kommen könnte, dass in Friedrichshain-Kreuzberg zu wenig gegen das Schulschwänzen getan würde. Es wird sicherlich hier niemanden überraschen, wenn  ich sage, genau das Gegenteil ist Fall, denn  wir leisten uns ein Personal, dass das Problem der Schulverweigerung sehr gründlich angeht. Die Information an die Eltern am 1. Fehltag oder die Vernetzung aller Beteiligten, sind bei uns bereits Standard. Es stand neulich in der Zeitung, dass es gefordert würde für Berlin.

Ziel des Handelns ist aber nicht, Verhalten lediglich abzustrafen, sondern Eltern und Schüler für eine konstruktive Zusammenarbeit zu gewinnen. Grundsätzlich ist die Androhung eines Bußgeldverfahrens aber hilfreich, da es manchen Eltern den Ernst der Situation verdeutlicht und dabei hilft, dass sie in einem Schritt zur Zusammenarbeit eher bereit sind.  Unser Ziel ist aber, dass wir die Ursache beheben wollen, die daran hindern, dass SchülerInnen regelmäßig die Schule besuchen. Deshalb ist die Durchführung eines Bußgeldverfahrens ehr kontraproduktiv, weil es die Zusammenarbeit belastet oder sogar verhindert.

Übrigens darf ein Bußgeld nur bei nachweislich fahrlässigem oder vorsätzlichem Handeln der Sorgeberechtigten verhängt werden, was eine sehr hohe rechtliche Hürde sein kann. Hinzu kommen, dass Bußgeldbescheide aus sozialen Gründen sehr häufig nicht vollstreckt werden können.

Als erster Schritt wird unbedingt der Kontakt zur Familie eingefordert, d. h., wer nicht der ersten Einladung folgt, bekommt eine zweite. Ist auch diese nicht erfolgreich, wird ein Hausbesuch durchgeführt. Für dieses Vorgehen sprechen folgende Fakten, gerade auch in Friedrichshain-Kreuzberg: Post kommt nicht an, kein Briefkasten oder von den Schülern abgefangen. Eltern können nicht ausreichend Deutsch, nicht lesen oder verstehen das Gelesene nicht. Eltern haben Schwellenängste, wenden sich nicht an die Schule, nicht an das Jugendamt, auch nicht an einen Psychologen. Eltern nehmen aus Krankheits- oder auch sogar aus Krisengründen, was sehr häufig der Fall ist, keine Termine war oder die Familie hält sich schlichtweg gar nicht mehr in der Meldeadresse auf.

Im zweiten Schritt wird die Zusammenarbeit hergestellt und versucht, die Ursache für unentschuldigtes Fehlen zu finden. In weiteren Schritten wird nach Lösungen gemeinsam mit der Familie, der Schule und zum Teil auch dem Jugendamt gesucht. Um dies in der gebotenen Vertraulichkeit zu ermöglichen, ist auch ein entsprechendes Setting möglich, d. h. nötig, d. h., dass zum Beispiel auch kein Lehrer an diesen Gesprächen teilnimmt. Es hat sich gezeigt, dass sehr häufig über sehr schwerwiegende Problemlagen in der Familie gesprochen wird. Mit den Beteiligten werden dann realistische Schritte besprochen und klare Forderungen formuliert, deren Einhaltung kontrolliert wird. Ich sage mal, das kann eine erzieherische Maßnahme durch die Eltern sein, Führen eines Anwesenheitsheftes und wöchentliche Vorlage desselben im Schulamt, Gespräche in der Schule vereinbaren, das kann sein das Annehmen von Beratungs- oder Hilfsangeboten. Es kann sein, dass Schulwegbegleitung durch die Eltern eingefordert wird. Es kann Terminvereinbarung zur Diagnostik, falls sie erforderlich ist, vereinbart werden und es kann auch weitere Gesprächsinhalte geben. Wichtig ist, dass jeder versteht, was man hier vereinbart hat. Es ist also keine abstrakte Vereinbarung, eine sehr konkrete, was zu tun ist, um eben hier das Problem zu lösen.

Eltern, die aktiv mitarbeiten, handeln nicht fahrlässig und somit ist ein Bußgeld unnötig und nicht gerechtfertigt. Im Bereich des vorsätzlichen Handelns, hier sei als Beispiel mal genannt die Verlängerung von Ferienzeiten, wird den Eltern bei sonst unauffälligen Schulbesuchen im ersten Fall nach einem ausführlichen Gespräch eine Verwarnung ohne Geld ausgesprochen. Seit fünf Jahren gab es hier keine Wiederholung. Obwohl derzeit das Stellen einer Schulversäumnisanzeige bei über 10 aufeinanderfolgenden Fehlzeiten vorgeschrieben ist, wird dieser Zeitrahmen häufig unterschritten, eine schnelle Reaktion ist im Hinblick auf den Kinderschutz und das Unterbinden von jugendlichem Probierverhalten besonders wichtig. Zudem wird das Schulamt auch zu häufigen Entschuldigungen durch usw., "Ärzte-Hopping" habe ich schon gesagt, eingeschaltet und es gibt auch die Möglichkeit, eine Attestpflicht zu vereinbaren.

Der aktuelle Stand in unserem Bezirk ist mittlerweile, dass sich Eltern von sich aus, ohne Schulversäumnisanzeige hilfesuchend an das Schulamt wenden, wenn ihr Kind die Schule unregelmäßig besucht. Weiterhin beträgt der Anteil der Familien, die nicht zum Gesprächstermin wegen einer Schulversäumnisanzeige erscheinen, mittlerweile weniger als 2%. Insgesamt beschreitet das Schulamt einen guten Weg, das Problem der Schulverweigerung nachhaltig anzugehen.

 

Zu Nachfrage 1: Ich kenne das Neuköllner Verfahren noch nicht so ganz genau, aber das, was ich weiß, dazu kann ich vielleicht Folgendes sagen, dass die schnelle Reaktion und die konsequente Verfolgung jedes unentschuldigten Fehlens in der Schule sicherlich positiv ist. Diese Kriterien werden in Friedrichshain-Kreuzberg bereits seit Jahren erfüllt, habe ich dargestellt, und sind eben für uns ja auch nicht neu. Als sogar Beispiel gebend für Berlin, soll nach meiner Kenntnis, die strikte Einhaltung von Bußgeldverfahren, wie in Neukölln, was ich in dieser Form, wie bereits ausgeführt, nicht für wirklich nachhaltig und zweckmäßig bewerte.

In diesem Zusammenhang stellen sich u. a. folgende Fragen, die mir vielleicht Neukölln in der angestrebten berlinweiten AG Schulversäumnisse beantworten wird. In Neukölln gab es im Schuljahr 2011 / 2012 777 Schulversäumnisanzeigen. Jetzt ist natürlich die Frage, auf wie viele Schüler entfallen die eigentlich? Sind das wiederholte Anzeigen für den gleichen Schüler? Sind es Anzeigen auf sorgeberechtigte Elternteile, die damit erfasst wurden? Bei den 777 Schulversäumnisanzeigen wurden in 301 Bußgeldverfahren eingeleitet. Was passiert mit den restlichen 476 Fällen und wie viele Bußgelder wurden gezahlt oder konnten überhaupt vollstreckt werden? Was geschieht, wenn ein Schüler trotz Bußgeldbescheid nicht in die Schule geht? Wie arbeitet man mit Schülern, die in der stationären Jugendhilfe untergebracht sind oder für die es einen staatlichen Vormund gibt? Was ist, wenn Eltern oder Schüler psychische Störungen oder psychiatrische Erkrankungen haben? Darunter fallen auch Suchterkrankungen. Welche Reaktionen gibt es, wenn Eltern feststellen müssen, dass sie trotz Bemühens keinerlei Einfluss mehr auf ihre Kinder haben? Wer stellt sicher, dass Eltern und Schüler zunächst einmal unmissverständlich verstehen, was wir überhaupt von ihnen erwarten? Wer forscht nach, wo Schüler abgeblieben sind, die von einem Tag zum anderen der Schule fernbleiben? Wo und mit wem können die Familien vertrauensvoll über ihre Probleme sprechen, nach Lösungen suchen? Wer informiert über weitere Alternativen und Perspektiven?

Im Hinblick auf den gewünschten Erfolg, ein dauerhaft regelmäßigen Schulbesuch zu erreichen, wird in Friedrichshain-Kreuzberg die gehandhabte und hier sehr ausführlich beschriebene Herangehensweise aus meiner Sicht für umfangreicher und für erfolgsversprechender gehalten.

 

 
 

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