„Oh ich bin klug und weise und mich betrügt man nicht“

Stempel auf schwarzem Stoff

Behördenstempel auf einem Vorhang

Am achten Arbeitstag meiner Hospitation hatte ich Gelegenheit, eine Abwechslung im Waste-Watcher-Alltag zu erleben und einen vollkommen anderen Zweig der Wiener Magistratsverwaltung und dessen Tätigkeit kennenzulernen. Die MA 36 ist u.a. zuständig für technische Gewerbeangelegenheiten, behördliche Elektro- und Gasangelegenheiten sowie für Feuerpolizei und Veranstaltungswesen.

Frau Stefanie Franz, Juristin in der Stabstelle Recht dieser Abteilung und u.a. verantwortlich für die Entwicklung eines neuen Wiener Veranstaltungsgesetzes, befand sich im vergangenen Sommer zu einem Austausch in Berlin, ebenfalls im Rahmen europäisch geförderter Hospitationsprogramme. Da sie auch für zwei Wochen Einblicke in unser Ordnungsamt gewinnen konnte, kannten wir uns bereits und sie vermittelte mir die Teilnahme an der behördlichen Abnahme einer Veranstaltung in der Wiener Volksoper. Es handelte sich für mich also gewissermaßen um einen Ausflug in die Hochkultur, um einen echten Kontrast zum Thema Stadtreinigung, wenngleich auch hier das Ordnungsrecht im Mittelpunkt stand.

Opernhaus innen

Volksoper Wien

Der Leiter dieser Abteilung, Herr Senatsrat Dr. Dietmar Klose, dem ich zuvor in den Räumen der Dienststelle vorgestellt worden war, nahm selbst an dem Termin teil.

In der Volksoper angekommen, trafen wir die Dezernentin des Bereichs Technische Angelegenheiten des Veranstaltungswesens, Frau Oberstadtbaurätin Dipl.Ing. Regine Brustbauer, die nicht nur in einer offensichtlich sehr kompetenten Weise die Abnahme durchführte, sondern mir dabei auch zusätzlich noch ausführliche Erklärungen über Abläufe und Hintergründe vermittelte.

Wie ich erfuhr, ging es um die behördliche Abnahme der Neuinszenierung der Komischen Oper „Zar und Zimmermann“ von Albert Lortzing, die am darauffolgenden Samstag Premiere haben sollte. Die behördliche Kontrolle konzentrierte sich dabei im Wesentlichen auf Sicherheitsbelange. Wert gelegt wird z.B. darauf, nicht brennbare Materialien zu verwenden, lediglich nicht scharfe bzw. stumpfe Bestecke oder Waffen(attrappen) zu benutzen. Besondere Anforderungen gelten etwa auch beim Einsatz von Kerzen bzw. von Pyrotechnik sowie bei artistischen Darbietungen. Bedeutsam ist einerseits die Sicherheit der Zuschauer und andererseits natürlich auch die der Mitwirkenden an der Aufführung.

Zunächst wurden die Aufbauten und Requisiten hinter der Bühne inspiziert. Für mich eine einmalige Gelegenheit, im wahrsten Sinn des Wortes einen Blick hinter die Kulissen des Theaterbetriebs zu werfen. Ansprechpartner auf Seiten des Theaters waren der Bühnenmeister sowie weitere Verantwortliche der technischen Leitung der Volksoper, insbesondere Herr Dipl.Ing. Johannes Bättig (aus Deutschland stammend; verantwortlich für Betriebstechnik, Betriebsfeuerwehr und Veranstaltungssicherheit).

Danach fand die sogenannte „Behördenprobe“ statt, d.h. das gesamte Stück wurde mit Orchester und allen Darsteller/innen bzw. Sänger/innen einmal gänzlich in Anwesenheit der Behördenvertreter/innen durchgespielt.

Behörde drückt keineswegs beide Augen zu

Auch wenn es den Anschein hat: die Behörde drückt keineswegs beide Augen zu

Im Anschluss stellte Frau Brustbauer Herrn Bättig noch kritische Fragen, beispielsweise zur Benutzung einer Kurtine (=Vorhang), und wies noch kleinere Änderungen an, wobei ich unweigerlich ihre dabei zutage tretende Kompetenz und Autorität mit dem wohl berühmtesten Zitat des Bürgermeisters aus „Zar und Zimmermann“ assoziierte, welches zuvor während der Probe mehrfach zu vernehmen war: „Oh ich bin klug und weise und mich betrügt man nicht“. Im Gegensatz zu der Kollegin der MA 36 war die Figur im Stück in Wahrheit aufgeblasen und inkompetent.

Die Bedeutsamkeit solcher Behördenproben sowie die Akkuratesse, mit der sie durchgeführt werden, kommt nicht von ungefähr. Wien ist bis heute dabei, ein Theatertrauma zu verarbeiten. Am 8. Dezember 1881 kam es bei einer Aufführung des Ringtheaters zu einer der größten Brandkatastrophen des 19. Jahrhunderts mit mindestens 384 Todesopfern. Kurz vor dem Vorstellungsbeginn sollte hinter der Bühne eine Gasbeleuchtung entzündet werden. Durch Versagen der Zündvorrichtungen strömte Gas aus, welches beim nächsten Zündversuch explodierte. Das entstandene Feuer breitete sich über die Bühne sowie rasch auch im Zuschauerraum aus.

Die Katastrophe war anlassgebend für bahnbrechende sicherheitsrechtliche und –technische Neuerungen. So mussten sich fortan Notausgänge nach außen öffnen lassen, Dekorationen aus brennbarem Material imprägniert werden, uniformierte Sicherheitskräfte anwesend sein; und schließlich wurde der eiserne Vorhang eingeführt, der Bühne und Zuschauerraum voneinander trennte und in einem vorgegebenen Zeitraum heruntergefahren werden konnte. Diese Regelungen sowie weitere, später hinzugekommene Anforderungen gelten bis heute.

Die Volksoper verfügt darüber hinaus über eine eigene Betriebsfeuerwehr, ein Umstand, der den Behörden die Abnahme erleichtert. Eine solche Einrichtung ist jedoch nicht verpflichtend, jedoch verfügen mehrere große Theater in Wien darüber.

Zum Abschluss des Termins setzte Frau Dipl.Ing. Brustbauer in einem Nebenraum des Theaters gleichsam feierlich ihre Unterschrift unter das Dokument der „Inszenierungsabnahme“. Für jede Neuinszenierung bedarf es einer solchen Abnahme. Der Bescheid enthält die besonderen, auf die konkrete Inszenierung bezogenen Anforderungen. ,Für das Haus selbst existiert eine „Eignungsfeststellung“ für die Durchführung von Aufführungen vor Zuschauern. Sie ist einmalig für jedes Haus notwendig für die eigentlich betagte Volksoper wurde sie jedoch – im Wesentlichen inhaltsgleich – erneuert, nachdem anstelle der früheren bundesrechtlichen Zuständigkeit der Wiener Magistrat als Landesbehörde in der nunmehr eigenen Zuständigkeit tätig werden musste. Darüber hinaus ist ein „genereller Inszenierungsbescheid“ erforderlich, der grundsätzliche Anforderungen an alle Inszenierungen stellt, an die sich die Veranstaltenden halten müssen. Die Inszenierungsabnahme nimmt auf diesen allgemeinen Bescheid jeweils Bezug.

Diese Kombination aus der detaillierten Befassung mit den Details des Wiener Veranstaltungsrechts, dem Blick hinter die Kulissen eines Theaters und schließlich dem damit verbundenen Kulturgenuss wird mir nachhaltig in Erinnerung bleiben. Noch ein weiterer Termin mit der MA 36 steht in den nächsten Tagen an, auf den ich schon sehr gespannt bin.