Morgonstund har guld i mund (Morgenstund hat Gold im Mund)

Der Lieblingsspruch meiner Mutter existiert also auch im Schwedischen. Er passt gut zu meinem ersten Eindruck. Bereits einige Tage bevor ich nach Stockholm geflogen bin, hat meine Ansprech-person aus der Arbeitsmarktverwaltung (Arbetsmarknadsförvaltningen) der Stadt Stockholm ver-lässlich den Zeitplan und das Programm der nächsten Tage geschickt. So weiß ich bereits wann ich mit Anna (wirklich alle duzen sich, mit Ausnahme des Königshaus) von der Migration Agency (Migrationsverkeret) ein Treffen habe und das in den nächsten 10 Tagen mindestens zwei Meetings pro Tag anstehen.

Karte Stockholm

Das Programm ist super organisiert, alle Kolleg*innen sind sehr freundlich und hilfsbereit, und das Beste ist alle sprechen ein wahnsinnig gutes Englisch. Am Anfang bin ich noch etwas gehemmt, ob der drei Brocken Schwedisch die ich kann, aber nach kurzer Zeit habe ich vergessen, dass hier alsMuttersprache Schwedisch gesprochen wird, da von der Person im Supermarkt bis hin zu jedem Mitarbeitenden in der Verwaltung ausnahmslos jeder passables Englisch spricht. Not bad.
Erwähnenswert ist, dass ich in den fünf Tagen die ich in Stockholm bin, noch kein Bargeld aus der Nähe gesehen habe und die Aufmachung der unterschiedlichen Behördenbüros nachhaltig beein-druckt. Alle haben Notebooks, arbeiten in Büros und Meeting-Räume die mich eher an ein Cowor-kingspace als an eine Behörde denken lassen und überall gibt es Sofaecken mit Café und Obst. Ich fühle mich wie Marty McFly in Zurück in die Zukunft II.

Soviel zum Klischee. Nachdem ich die unterschiedlichen Behörden, die über die Stadt verteilt sind, von der Kommune Stockholm (Stockholms Stad) bis zur Bundesbehörde (Migrationsverkeret vergleichbar mit dem BAMF in Deutschland) besuche, um einen ersten Überblick zu bekommen welche Behörde für was im Bereich Asyl und Migration verantwortlich ist und wie der Status quo ist. Da sich der Asylprozess und so auch die Verantwortlichkeiten der Kommunen, vom deutschen System unterscheiden, raucht mein Kopf gewaltig. Durch viele Nachfragen und den geduldigen Antworten meiner schwedischen Kolleg*innen bekomme ich langsam Ordnung und Struktur in meine Gedanken. Ohne ins Detail zu gehen, ist ein bemerkenswerter Unterschied, dass die schwedischen Kommunen fast nur mit Menschen zu tun haben, die eine sichere Bleibeperspektive haben. Die Menschen die sich in Asylverfahren befinden, sind entweder in Versorgung/ Unterbringung der Nationalbehörde oder sie sind selbst für ihr Unterbringung (bei Freunden oder Familie) verantwortlich. Was für ein fundamentaler Unterschied, wenn ich an Berlin und das Bezirksamt denke, wo ich jeden Tag mit den Angelegenheiten von Menschen im Asylverfahren und nach dem Asylverfahren zu tun habe.

Ähnlich wie in Berlin ist die größte Herausforderung, das mit dem Wachsen der Stadt der Mangel an Wohnraum immer virulenter wird. Dies trifft besonders hart Zugewanderte (Newcomers) sowohl in Stockholm als auch in Berlin. Es gibt viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum, einige Viertel sind stärker segregiert und diese strukturelle Diskriminierung sorgt für eine ungleiche Ausgangslage der Bewohner*innen. Erstreckend und in einer wissenschaftlichen Studie, welche die Kommune analysiert hat, gibt es Schätzungen die davon ausgehen, dass die Lebenserwartung je nach Bezirk in Stockholm variieren: Von bis zu sieben Jahren.

Was sich ebenfalls durch mein Gespräche zieht ist die Unsicherheit über die politische Zukunft des Landes. Jedes Jahr im Oktober werde die Budgets und Maßnahmen für das kommende Jahr vergeben. Dank der Wahlen von Anfang September und der unklaren Regierungsbildung befindet sich die Verwaltung in einer Art Vakuum. Obwohl alle weiterarbeiten bleibt völlig unklar, wie die Budgets oder die politische Ausrichtung der nächsten Jahre sein wird. Da die Schweden Demokraten, als eine Art Zünglein an der Waage fungieren, kann es passieren das Programme oder Maßnahmen nicht weiter finanziert werden. Die Angst vor einer restriktiven Ausrichtung der Migrations- und Asylpolitik ist bei allen mit denen ich gesprochen habe deutlich zu spüren.

Soviel Ungewissheit scheint für viele Schweden eine ganz neue Erfahrung.