Drucksache - 1402/4  

 
 
Betreff: Ausreichend Schutzräume und Hilfsangebote für von Gewalt betroffene Flüchtlingsfrauen schaffen
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:SPD-Fraktion 
Verfasser:Wuttig/Dr.Timper 
Drucksache-Art:AntragVorlage zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Beratung
15.10.2015 
50. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vertagt   
19.11.2015 
51. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin ohne Änderungen in der BVV beschlossen   

Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Antrag
Beschluss
Vorlage zur Kenntnisnahme

Die BVV möge beschließen:

Ausreichend Schutzräume und Hilfsangebote für von Gewalt betroffene

Flüchtlingsfrauen schaffen

 

Die BVV hat in ihrer Sitzung am 19.11.2015 Folgendes beschlossen:

 

Das Bezirksamt wird aufgefordert sich dafür einzusetzen, ggf. in Abstimmung mit dem Land Berlin, dass unverzüglich ausreichende Schutzräume geschaffen werden für von Gewalt betroffene und traumatisierte Frauen in Flüchtlingsunterkünften. Hierzu sind bezirkliche und landesweite Lösungen zu prüfen, z. B. auch die Bereitstellung von zusätzlichen Zufluchtswohnungen/Frauenhäusern.

 

In den bestehenden Unterkünften ist sicherzustellen:

-          Psychotherapeutische Hilfsangebote für die durch sexualisierte Gewalt traumatisierten Frauen und Kinder

-          Schulungen für Betreuungspersonen in den Erstaufnahmestellen und Unterkünften

-          Ansprechpartnerinnen und Dolmetscherinnen für Frauen

-          Abschließbare Räume und Unterkünfte

-          Abschließbare und geschlechtergetrennte Sanitäranlagen

-          Angemessener und geschützter Wohnraum für allein reisende Frauen mit Kindern

-          Niederschwellige gesundheitliche Versorgung

 

Die Gleichstellungsbeauftragte Charlottenburg-Wilmersdorf ist hierbei beratend und

unterstützend einzubeziehen.

 

Der BVV ist bis zum 30.12.2015 zu berichten.


Das Bezirksamt teilt dazu mit:

 

Die Einrichtung und der Betrieb von Flüchtlingsunterkünften gehört in Berlin nicht zu den Aufgaben der Bezirke, sondern zu den Aufgaben der Berliner-Unterbringungs- Leitstelle und des LaGeSo, beide unter der Verantwortung der Senatsverwaltung für Soziales. Herr Bezirksstadtrat Engelmann hat deshalb in einem Schreiben an die Senatsverwaltung vom 8.12.2015 den Beschluss der BVV berichtet und um Umsetzung gebeten.

 

Die Senatsverwaltung hat dazu mit Schreiben vom 4.1.2016 Folgendes mitgeteilt:

 

Da der Zuzug von Asylsuchenden nach Deutschland auf unvermindert hohem Niveau anhält, bemüht sich der Landesweite Koordinationsstab Flüchtlingsmanagement (LKF) in einem rundum- die-Uhr Betrieb intensiv und mit höchster Priorität um die Schaffung zusätzlicher und insbesondere auch winterfester Unterkunftsplätze. Dies kann - in dem erforderlichen Umfang und in der Kürze der Zeit, um Obdachlosigkeit zu vermeiden - nur durch die Ertüchtigung von Großquartieren für die zumindest vorübergehende Unterbringung von neu ankommenden Asylbegehrenden geleistet werden.

 

Ungeachtet dieser Herausforderungen hat die besondere Schutzbedürftigkeit von weiblichen Flüchtlingen als auch Müttern mit Kindern einen hohen Stellenwert. Diesen Personen eine bedarfsgerechte Unterkunft zu bieten ist ein vorrangiges Anliegen der Berliner Verwaltung und zudem im Versorgungs- und Integrationskonzept des Landes Berlin verankert.

 

Die Ausweisung besonderer Schutzräume für bestimmte Personengruppen in allen Gemeinschaftsunterkünften, die präventiv freizuhalten sind, bedeutet aus den eingangs genannten Gründen eine immense Herausforderung für die zuständigen Stellen und die Betreiberinnen und Betreiber. Gleichwohl wird nicht verkannt, dass die Einrichtung von Rückzugsräumen für Frauen - insbesondere in solchen Unterkünften, in denen den Bewohnerinnen und Bewohnern keine abgeschlossenen Wohneinheiten zur Verfügung stehen - aus fachlicher Sicht ein wichtiger Bestandteil eines Gewaltkonzeptes darstellt, da diese Räumlichkeiten in der Regel nicht nur als Schutzraum, sondern auch einen Rahmen für Beratungsangebote externer Einrichtungen bieten. Daher ist die besondere Schutzbedürftigkeit weiblicher Flüchtlinge sowie Müttern mit Kindern, auch in den geplanten Unterkünften in Modulbauweise berücksichtigt, in denen räumlich abgrenzbare Bereiche dieser Personengruppen vorenthalten sind.

 

Derzeit erarbeiten die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen in enger Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales ein Konzept, das die Verbesserung der Situation von Flüchtlingen mit einem besonderen Schutzbedarf zum Ziel hat und das sowohl den Schutz von geschlechterspezifischer Gewalt in den Unterkünften als auch den Zugang geflüchteter Frauen zum Hilfesystem gegen bei Gewalt gegen Frauen berücksichtigen wird. ln diesem Zusammenhang werden auch Handreichungen für ein adäquates Vorgehen des Personals nach Gewaltvorkommnissen erstellt.

 

Um schutzbedürftigen Asylsuchenden jegliche Hilfe sichern zu können, offeriert die BUL ein festeingerichtetes Hilfe- und Beschwerdemanagement, das sowohl telefonisch (030 90229 3040), als auch per E-Mail (anfragemanagement.bul@lageso.berlin.de) erreichbar ist. Hilfesuchende können sich außerdem jederzeit an die jeweiligen Heimleitungen sowie das für die Sozialbetreuung eingesetzte Personal wenden. Ferner bietet der Sozialdienst des LAGeSo eine Unterstützung für Flüchtlinge an, die auch die Hilfestellung bei persönlichen Problemen und Schwierigkeiten umfasst.

 

Sofern sich weibliche Geflüchtete in einer Gemeinschaftsunterkunft Bedrängnissen oder gar Bedrohungen ausgesetzt sehen, werden sich diese Ansprechpartnerinnen und -partner in jedem Einzelfall um eine rasche Abhilfe bemühen; sollte eine hausinterne Lösung, etwa durch Umquartierung nicht möglich sein, kommt notfalls auch die Verlegung in eine andere Einrichtung in Betracht.

 

Insbesondere stehen seit Anfang Oktober 2015 mehrere Notzimmer und -plätze zur räumlichen Trennung von Opfern und Tätern bei einem akuten Gewaltvorfall in einer Unterkunft zur Verfügung. Diese Plätze ermöglichen im Bedarfsfall einen raschen und unbürokratischen Schutz der Gewaltopfer. ln der Notunterkunft in der Marburger Straße 4 werden derzeit nur Familien und allein reisende Frauen untergebracht.

 

Darüber hinaus bemüht sich der Senat intensiv um die Bereitstellung einer Unterkunft ausschließlich für alleinreisende Frauen und deren Kinder.

 

Grundsätzlich ist die Frage des Gewaltschutzes in Flüchtlingsunterkünften dem Senat ein besonderes Anliegen, das auf unterschiedlichen Ebenen und in verschiedenen Arbeitszusammenhängen kontinuierlich verfolgt wird (z. B. beim Frühjahrs- und Herbsttreffen der für Gleichstellungs- und Frauenpolitik zuständigen Abteilungs- und Stabsstellenleitungen des Bundes und der Länder im Februar und November 2015 sowie einer vom niedersächsischen Gleichstellungsministerium einberufenen AG Gleichberechtigung im Kontext  der Flüchtlingsbewegung; AG .. Schutzmaßnahmen für Migrantinnen", in der Mitarbeiterinnen der Anti-Gewalt-Projekte sowie die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen vertreten sind; Ad hoc-Arbeitsgruppe zur Unterstützung von Flüchtlingen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, bestehend aus Vertreterinnen und Vertreterinnen des Landeskriminalamtes, der Polizeidirektionen 1 und 5, der Senatsverwaltungen für Arbeit, Integration und Frauen sowie für Gesundheit und Soziales, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales sowie BIG e. V.).

 

Die Sensibilisierung und - je nach Funktion - auch Qualifizierung des in den Flüchtlingsunterkünften tätigen Personals den Umgang mit gewaltbetroffenen Frauen bzw. für ein adäquates Reagieren auf Gewaltvorfälle ist unbedingt notwendig. Dies hat der Senat auch in seinem am 11.08.2015 beschlossenen Versorgungs- und Integrationskonzept für Asylbegehrende und Flüchtlinge zum Ausdruck gebracht. Im Hinblick auf geschlechtsspezifische Gewalt hat die für Frauen zuständige Senatsverwaltung in enger Kooperation mit der Polizei, BIG e.V., LARA e.V. und Ban Ying am 12.10.2015 eine Fortbildung zum Thema: “Was tun bei Gewalt gegen Frauen?" für Sozialdienste und Heimleitungen in den Unterkünften durchgeführt. Weitere Veranstaltungen sind geplant.

 

Darüber hinaus ist von der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen in Kooperation mit dem Landesamt für Gesundheit und Soziales eine Multiplikator/innen-Fortbildungsreihe für Mitarbeitende des Landesamtes und von Erstaufnahmeeinrichtungen in 2016 auch mit dem Schwerpunkt geflüchtete Frauen geplant.

 

LARA hat zudem Kontakt zu Flüchtlingsunterkünften geknüpft und bietet derzeit ein niedrigschwelliges Angebot für Frauen (Treffpunkt mit der Möglichkeit der Beratung) in einer Gemeinschaftsunterkunft an. Aufgrund der starken Tabuisierung sexualisierter Gewalt hat sich diese Form der Ansprache und Kontaktaufnahme als geeigneter erwiesen als sich explizit auf sexualisierte Gewalt beziehende Angebote. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass alle Angebote der Berliner Frauenprojekte auch geflüchteten Frauen zur Verfügung stehen.

 

Die geltenden Qualitätsanforderungen der Berliner Unterbringungsleitstelle (BUL) vom 01.06.2015 zum Betrieb einer Notunterkunft sind Bestandteil der Vertragsvereinbarungen mit den Betreibern. Neben den Anforderungen an das Gebäude, wie z.B. die Größenvorgabe für den individuellen Wohnbereich, Vorhalten von Spielraum in ausreichender Größe und kindgerechter Ausstattung, muss der Betreiber für alleinstehende Mütter mit ihren Kindern eine separate Unterbringung gewährleisten. Die Sanitäranlagen und Waschräume sind für männliche und weibliche Bewohner getrennt und abschließbar einzurichten. Das Landesamt für Gesundheit und Soziales ist sich der Verantwortung der Sensibilisierung für diese Thematik durchaus bewusst und wirkt intensiv darauf hin, dass gerade diese Standards bei allen Flüchtlingsunterkünften eingehalten werden.

 

In den Flüchtlingsunterkünften ist sichergestellt, dass das eingesetzte Personal persönlich und fachlich geeignet ist, sowie im Bereich Soziale Arbeit Fachkräfte wie Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagoginnen beschäftigt sind, die als Ansprechpartnerinnen den geflüchteten Frauen zur Verfügung stehen. Darüber hinaus sind die Betreiber der Unterkünfte gehalten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Sprachkenntnissen einzustellen, damit diese mit den Bewohnern und Bewohnerinnen kommunizieren und bei erforderlichen Übersetzungen behilflich sein können. Die Qualitätssicherung des Landesamtes für Gesundheit und Soziales kontrolliert dieses bei ihren Begehungen.

 

Unabhängig von einer Registrierung oder Nichtregistrierung erfolgt in allen Fällen die medizinische Versorgung der Geflüchteten. An den Standorten Turmstraße und Bundesallee ist die medizinische Versorgung jeweils vertraglich durch die Charité- Universitätsmedizin Berlin - sichergestellt. Die Versorgung mit Medikamenten wird über in der Nähe liegende Apotheken gewährleistet. Notwendige Behandlungsfälle aus der Kruppstraße werden aufgrund der räumlichen Nähe vom Medipoint in der Turmstraße versorgt. ln der Turmstraße sind zudem ehrenamtliche Ärzte, Zahnärzte und Hebammen im Einsatz. Die Caritas koordiniert die medizinische Versorgung. Hinzu treten entsprechende Medipoints in Standorten der Notunterbringung wie in der Glockenturmstraße, Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne und am Flughafen Tempelhof, in denen zum Teil auch Ehrenamtliche tätig werden.

 

Aktuell bereitet die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales zunächst für die Einrichtungen mit mehr als 500 Personen vertragliche Vereinbarungen zur medizinischen Versorgung von Asylsuchenden vor. Der Vertrag für den Standort Tempelhofer Feld ist bereits geschlossen. Nun werden Schritt für Schritt Verträge für weitere Großunterkünfte folgen und auch für kleinere Unterkünfte werden vertragliche Regelungen angestrebt. Geflüchtete, die mit Sonderzügen am Bahnhof Schönefeld ankommen, werden vor Ort medizinisch oder sanitäts-/ rettungsdienstlich versorgt.

 

Das Bezirksamt bittet, den Beschluss als erledigt zu betrachten.

 

 

 

Reinhard Naumann                                                                                                            Carsten Engelmann

Bezirksbürgermeister                                                                                     Bezirksstadtrat

 


 

 
 

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