Drucksache - 0525/4  

 
 
Betreff: Abschiebestopp in den Wintermonaten
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Piraten-Fraktion 
Verfasser:Pabst 
Drucksache-Art:AntragVorlage zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Beratung
21.02.2013 
17. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin überwiesen   
Integrationsausschuss Beratung
27.03.2013 
14. Öffentliche Sitzung des Integrationsausschusses mit Änderungen im Ausschuss beschlossen   
Ausschuss für Soziales, Gesundheit und Arbeit Beratung
28.03.2013 
13. Öffentliche Sitzung des Ausschusses für Soziales, Gesundheit und Arbeit mit Änderungen im Ausschuss beschlossen   
Bezirksverordnetenversammlung Beratung
18.04.2013 
19. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin ohne Änderungen in der BVV beschlossen   

Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Antrag
Beschlussempfehlung
Beschluss
Vorlage zur Kenntnisnahme

Die BVV möge beschließen:

Die BVV hat in ihrer Sitzung am 18.04.2013 Folgendes beschlossen:

 

Das Bezirksamt wird beauftragt, den Berliner Senat umgehend zu ersuchen, einen sofortigen Abschiebestopp für besonders schutzbedürftige Personen zu erlassen. Diese Regelung soll für jeden Winter vom 1. November bis 31. März gelten. Angehörige diskriminierter Minderheiten wie z. B. Roma, Ashkali, Ägypter und Goranen in den Balkanstaaten sowie in anderen Regionen mit problematischen Witterungs- und Unterkunftsbedingungen bedürfen in besonderer Weise des Schutzes. Auch für die besonders schutzbedürftigen Personen gemäß Art. 17 der EU-Aufnahmerichtlinie, deren medizinische Versorgung im Herkunftsland nicht gesichert ist (Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere sowie Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, sowie Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben) müssen die Wintermonate als Abschiebehindernis gelten.

 

Das Bezirksamt teilt dazu mit:

 

Entsprechend dem Beschluss der BVV hat sich das Bezirksamt mit Schreiben vom 07.05.2013 an die Senatverwaltung für Inneres und Sport gewandt.

 

Herr Staatssekretär Krömer hat mit Schreiben vom 01.07.2013 dazu folgendes mitgeteilt:

 

"Ich bedanke mich für Ihr oben genanntes Schreiben, mit dem Sie unter Bezugnahme auf den Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf zum Abschiebestopp in den Wintermonaten um Auskunft darüber bitten, welche Möglichkeiten meine Senatsverwaltung sieht, Regelungen im Sinne dieses Beschlusses zu treffen.

 

Der Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung entspricht dem fast wortgleichen dringlichen Antrag, den die Oppositionsfraktionen am 16.01.2013 im Abgeordnetenhaus von Berlin eingebracht haben. Dieser Antrag wurde im Ausschuss für Innere Sicherheit und Ordnung und im Plenum des Abgeordnetenhauses von Berlin beraten und hat dort nach ausführlicher Beratung keine Mehrheit gefunden. Vor diesem Hintergrund verweise ich zu der von Ihnen angesprochenen Thematik zunächst auf die Beratungen auf parlamentarischer Ebene, die in den entsprechenden Sitzungsprotokollen nachvollzogen werden können.

 

Unabhängig davon kann ich Ihnen versichern, dass meine Verwaltung für die Wintermonate 2012/13 für besonders schutzbedürftige Menschen aus den genannten Gebieten Lösungen gefunden hat, die besonderen humanitären Gesichtspunkten in angemessener Weise Rechnung tragen.

 

Zu bedenken ist allerdings, dass eine zeitlich begrenzte Aufnahme von Angehörigen ethnischer Minderheiten aus dem Westbalkan in den Wintermonaten auf Dauer keine Lösung sein kann. Die Probleme der Armutswanderung können nicht durch Berlin und auch nicht durch die Bundesrepublik allein gelöst werden. Erforderlich sind gemeinsame Anstrengungen auch auf EU-Ebene, die darauf gerichtet sein müssen, die soziale Situation der ethnischen Minderheiten in ihren Herkunftsländern durch strukturelle Maßnahmen nachhaltig zu verbessern.

 

Angesichts der auf Bundesebene und auch in Berlin im Jahr 2013 weiter steigenden Asylbewerberzahlen - auch aus den Westbalkanstaaten - wird dies immer dringlicher.

 

Serbien und Bosnien-Herzegowina waren in Berlin im Jahr 2012 nach der russischen Föderation die Hauptherkunftsländer, deren Staatsangehörige zusammen genommen insgesamt 1.143 - zu fast 100 % als offensichtlich unbegründet abgelehnte - Asylanträge gestellt haben. In den ersten 5 Monaten des Jahres 2013 liegt Serbien in Berlin in der Liste der Hauptherkunftsländer erneut an zweiter Stelle (nach der Russischen Föderation, aber noch vor Ländern wie Syrien und Afghanistan, in denen konkrete Gefährdungslagen bestehen). Bosnien-Herzegowina nimmt in Berlin aktuell Platz 6 der Hauptherkunftsländer ein. Ein Vergleich mit den bundesweiten Zahlen verdeutlicht, dass Berlin von der Zuwanderung aus den Westbalkanstaaten überdurchschnittlich betroffen ist: In der bundesweiten Statistik der 10 Hauptherkunftsländer Bundesstatistik liegt Serbien im Jahr 2013 - hinter der russischen Föderation, Syrien und Afghanistan - nur an 4. Stelle. Bosnien-Herzegowina ist in dieser Statistik im Jahr 2013 bislang gar nicht vertreten.

 

Zu berücksichtigen ist weiter, dass in den Berliner Unterkünften am 15.04.2013 noch 1.431 Personen aus den Westbalkanstaaten untergebracht waren. Die Lage bei der Unterbringung der Asylbewerber in Berlin spitzt sich immer weiter zu. Die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen bzw. der Gemeinschaftsunterkünfte sind restlos erschöpft. Im April dieses Jahres standen 5.379 Übernachtungsplätze zur Verfügung, die mit 5.547 Personen bereits überbelegt waren. Die Beschaffung weiterer Einrichtungen gestaltet sich schwierig. Vor dem Hintergrund eines prognostizierten Unterbringungsbedarfs von ca. 6.800 Personen, verschärft sich die Situation zusehends und belastet insbesondere auch die Bezirke. Der in früheren Jahren meist festzustellende Rückgang der Asylbewerberzahlen in den Sommermonaten ist im Jahr 2013 bislang nicht erkennbar. Im Herbst muss mit weiteren massiven Steigerungen der Antragszahlen gerechnet werden.

 

In dieser Situation muss eine verantwortungsbewusste Rückführungspolitik auf der einen Seite im Einzelfall bestehende besondere Härten, die einer Rückführung als inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse entgegenstehen, berücksichtigen. Dies geschieht im übrigen nicht nur im Rahmen der Prüfung der Rückführungsvoraussetzungen durch die Ausländerbehörde. sondern auch schon durch das BAMF, dessen Prüfungen der Asylgesuche auch zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse - den so genannten subsidiären Schutz - mit umfassen. Auf der anderen Seite muss aber auch darauf geachtet werden, die aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz ohnehin hohen Migrationsanreize nicht noch weiter zu verstärken. Das gilt ganz besonders im Hinblick auf Staaten, in denen - anders als derzeit zum Beispiel in Syrien - Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation der Betroffenen in den Herkunftsländern möglich sind und auch schon ergriffen werden. In den Westbalkanstaaten wird eine Verringerung der Migrationsanreize inzwischen selbst von Flüchtlingsorganisationen gefordert, weil die asylbedingten Aufenthalte in der EU die Bildungswege der Kinder und damit auch die Bekämpfung des Analphabetentums massiv erschweren. Dies macht es der nächsten Generation umso schwerer, sich von den Fesseln der Armut zu befreien.

 

Ein genereller, im Wesentlichen an die bloße Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit anknüpfender Winterabschiebestopp für Asylantragsteller aus den Westbalkanstaaten würde einen erheblichen zusätzlichen Migrationsanreiz darstellen und zu einer weiteren Steigerung der Asylbewerberzahlen beitragen. Mit einer Rückführungspolitik, die den aktuellen Herausforderungen in Berlin gerecht wird, wäre dies nicht zu vereinbaren."

 

Regelungen zum Aufenthaltsrecht gehören nicht in den Verantwortungsbereich des Bezirksamtes. Insbesondere vor dem Hintergrund der dargestellten Beschlusslage im Abgeordnetenhaus bittet das Bezirksamt, den Beschluss als erledigt zu betrachten.

 

.

 

 

 

 

Reinhard Naumann                                                                                                            Carsten Engelmann

Bezirksbürgermeister                                                                                     Bezirksstadtrat

 


 

 
 

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