Drucksache - 2074/2  

 
 
Betreff: Kinderschutz / Sozialraumorientierung sichern
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Jugendhilfeausschuss 
   
Drucksache-Art:BeschlussvorschlagVorlage zur Kenntnisnahme
Beratungsfolge:
Jugendhilfeausschuss Beratung
26.09.2006 
96. Öffentliche Sitzung des Jugendhilfeausschusses      
Bezirksverordnetenversammlung Beratung
26.10.2006 
1. konstituierende Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin ohne Änderungen in der BVV beschlossen   

Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Beschlussvorschlag
Beschluss
Vorlage zur Kenntnisnahme

Die BVV möge beschließen:

 

Die BVV beschließt:

 

Das Bezirksamt wird aufgefordert, sich gegenüber dem Senat dafür einzusetzen, dass im Bereich Kinderschutz / Sozialraumorientierung eine gesamtstädtische Mindestausstattung festgelegt wird.

 

Um den Kinderschutz / die Sozialraumorientierung als für alle Bezirke verbindlichen unverzichtbaren Bestandteil der Kinder- und Jugendhilfe allen Bezirksverordneten darzustellen, wird das Bezirksamt gebeten, über

1.      den Leistungsumfang des Jugendamtes den Kinderschutz / die Sozialraumorientierung betreffend,

2.      den finanziell notwendigen Rahmen,

3.      die Qualitätsstandards des Jugendamtes hinsichtlich des Kinderschutzes / der Sozialraumorientierung

in einer Vorlage zur Kenntnisnahme bis zum 30.11.2006 aufzuklären.

 

 

 

 

 

Das Bezirksamt teilt dazu mit:

 

Die folgende Darstellung über den Kinderschutz und den die Sozialraumorientierung betreffenden Leistungs- bzw. Aufgabenumfang des Jugendamtes, die zugrunde liegenden Qualitätsstandards und die daraus resultierende Personalmindestausstattung soll der für Jugend und Familie zuständigen Senatsfachverwaltung zur Verfügung gestellt werden mit der Bitte, auf dieser Grundlage eine gesamtstädtische Mindestausstattung für diesen Teilbereich der Jugendamtsarbeit festzulegen.

 

Die Senatsfachverwaltung hat bereits in den letzten Sitzungen der Bezirksstadträt/innen Jugend und der Jugendamtsdirektor/innen angekündigt, sich gemeinsam im 1.Quartal 2007 dieses Themas annehmen zu wollen. Dies wird im Zusammenhang mit der Umsetzung des Berichtes an das Abgeordnetenhaus zum Netzwerk Kinderschutz geschehen, in den bereits eine Reihe von hier aufgeführten Standards, Indikatoren und Methoden wechselseitig eingeflossen sind.

                                                                                                                                          Seite

      Einleitung                                                                                                                         3

 

1.      Kinderschutz                                                                                                                   4

 

1.1   Schutz und Hilfe bei Kindeswohlgefährdung                                                           4

 

1.1.1   Kindeswohlgefährdung                                                                                    4

Klärung von Begrifflichkeiten                                                                                           4

Erreichbarkeit des Jugendamtes                                                                                    5

Meldung und Kooperation mit Fremdmelder/innen                                                         5

Risikoeinschätzung und Prognose                                                                                 6

 

1.1.2   Hilfeangebote                                                                                                     8

Hilfen durch den Sozialpädagogischen Dienst

a) Erstberatung                                                                                                               9

b) Falleingangsphase (mit Beispiel Familienhilfe – Arbeitsschritte und Verlauf - )         9

Frühe Hilfen durch das Haus des Säuglings                                                                12

Frühe Hilfen durch Aufsuchende Elternhilfe                                                                  13

Weitere präventive Angebote                                                                                        13

 

1.1.3   Zusammenarbeit mit nicht-freiwilligen Klient/innen                                   13

Beispiel eines Fallverlaufs in Anlagen 3a und 3b

 

1.1.4   Zusammenwirken von Fachkräften                                                               15

 

1.1.5   Mitwirkung in familiengerichtlichen Verfahren                                           16

 

1.2   Handlungsleitlinien und Standards                                                                          18

1.3   Arbeitsumfang in Zahlen                                                                                            19

Meldungen

Mitwirkung in familiengerichtlichen Verfahren

Hilfen zur Erziehung (HzE)

 

        Weitere Aufgaben des Sozialpädagogischen Dienstes neben

        der Erfüllung des Kinderschutzes                                                                            20

 

 

2.      Sozialraumorientierung                                                                                               21

 

2.1   Sozialraumorientierte Arbeit                                                                                     21

2.2   Ziele für die weitere Umsetzung                                                                              22

 

3.         Finanziell notwendiger Rahmen                                                                              23

 

3.1   Sachmittelausstattung                                                                                               23

3.2   Personalausstattung                                                                                                  23

 

Anlagen

Anlage 1          Vorgehensweise bei Meldungen über Kindeswohlgefährdung

Anlage 2          Zeitaufwand beim Eingang einer Meldung

Anlage 3a        Beispiel eines Fallverlaufs

Anlage 3b        Kooperation mit anderen Stellen in diesem Fallbeispiel

Anlage 4          Hilfeplan

Anlage 5          Empfehlungen zur Zusammenarbeit zwischen den Familiengerichten und

                        den Jugendämtern bei der Mitwirkung im familiengerichtlichen Verfahren

Anlage 6          Sozialraumorientierung in Charlottenburg-Wilmersdorf

Einleitung

 

 

Gemäß Berichtsauftrag werden im folgenden diejenigen Aufgabenfelder der Jugendhilfe dargestellt, die das Ziel verfolgen,

 

-          nicht-zufällige Beeinträchtigungen der Gesundheit und/oder Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern abzuwenden (Kinderschutz) und

-          die Lebensumstände junger Menschen und Familien zu verbessern (Sozialraumorientierung).

 

 

Während sich bei der Wahrnehmung der Kinderschutz-Aufgaben auf der Grundlage jahrzehntelanger Praxis ein spezifisches Profil im Jugendamt entwickelt hat, befindet sich das Projekt ‚Sozialraumorientierung‘ noch mitten in der Umsetzung. Im Jahr 2006 wurden zunächst die organisatorischen Voraussetzungen geschaffen und Fortbildungen in erheblichem Umfang durchgeführt; die Veränderung der inhaltlichen Arbeit hat erst im Jahr 2007 begonnen. Aus diesem Grund wird im weiteren die Umsetzung der Aufgabe ‚Kinderschutz‘ in Charlottenburg-Wilmersdorf detailliert beschrieben, während zum Fachkonzept ‚Sozialraumorientierung‘ vorerst nur einige grundsätzliche Hinweise und ein Ausblick auf die bevorstehenden Aufgaben gegeben werden können.

 

 

Nicht in diesen Bericht aufgenommen sind sozialpädagogische Aufgaben, die entweder auf der Grundlage des SGB XII geleistet werden oder sich aus anderen speziellen Leistungsbereichen des SGB VIII ergeben, wie z. B. nach den §§ 11 ff (Jugendarbeit), den §§ 22 ff (Tagesbetreuung, insbesondere §§ 23 und 43), § 44 (Überprüfung und Erlaubnis von Pflegestellen), § 52 (Jugendgerichtshilfe) sowie die Aufgaben der Amtsvormundschaft, der Wirtschaftlichen Hilfen sowie der Erziehungs- und Familienberatungsstelle oder des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes (KJPD). Diese gehören allerdings ebenso zu den Pflichtaufgaben des Jugendamtes, für die eine Mindestausstattung an Personal- und Sachmitteln vorgehalten werden muss. Dies ist jedoch nicht Thema dieses Berichtsauftrages.

 

 

Sowohl auf politischer als auch auf fachlicher Ebene besteht im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf Übereinstimmung, dass es angesichts der fortwährend immer geringer werdenden personellen Ressourcen für ganz Berlin dringend erforderlich ist, dass sich Landes- und Bezirksebene endlich auf eine verbindliche personelle Ausstattung zur Erfüllung der gesetzlichen Pflichtaufgaben der 12 Jugendämter unter besonderer Berücksichtigung des Kinderschutzes und der Realisierung der Sozialraumorientierung verständigen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1.         Kinderschutz

 

 

1.1 Schutz und Hilfe bei Kindeswohlgefährdung

 

Kindeswohlgefährdung umfasst ein komplexes und vielschichtiges Problemfeld, das mit diesem Bericht nur ansatzweise beschrieben werden kann. Hervorzuheben ist der Aspekt, dass die sozialpädagogische Praxis des Jugendamtes sich immer zugleich mit dem Schutz von Kindern und der Hilfe für die Familie befasst und befassen muss.

 

Die den Kinderschutz betreffenden Aufgaben sind vorrangig Teil der vier großen Aufgabenfelder des Regionalen Sozialpädagogischen Dienstes (RSD) und der Jugendberatung (JB) als Basisdienst für Familien und junge Menschen in den hiesigen 5 Regionalteams sowie zum Teil der Behindertenhilfe (Behi) in den Zentralen Fachdiensten und partiell des Pflegekinderdienstes:

 

(1)        Beratung und Unterstützung

(2)        Kinderschutz und/oder Hilfe in Familienkrisen

(3)        Mitwirkung in familiengerichtlichen Verfahren

(4)        Hilfe zur Erziehung, Hilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche und Hilfe für

junge Volljährige

 

Zur Veranschaulichung werden die Aufgaben und das sozialarbeiterische Handeln in Fällen von Kindeswohlgefährdung detailliert und kleinschrittig beschrieben, um einen Einblick in das schwierige Aufgabenfeld zu geben. Zur Verdeutlichung wird zum Beispiel die Zusammenarbeit mit nicht-freiwilligen Klient/innen dargestellt. Auf ausführliche Darstellungen in den ergänzenden Anlagen 1 – 5 wird verwiesen. Unter 1.2 folgen die zugrundeliegenden Handlungsleitlinien und Standards. Unter 1.3 werden die kinderschutzrelevanten Handlungsanlässe mit den Zahlen aus dem Jahr 2006 unterlegt. Am Schluss wird das Bild über die Aufgabenvielfalt des Sozialpädagogischen Dienstes mit einer kurzen Aufzählung über die sonstigen wesentlichen Aufgaben abgerundet.

 

 

1.1.1    Kindeswohlgefährdung

 

Klärung von Begrifflichkeiten

 

Gemäß § 8a SGB VIII übt das Jugendamt den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung aus.

 

Der Beschreibung von Kindeswohlgefährdung ist die Definition von Kindeswohl voranzustellen: Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Kindeswohl umfasst nach der UN-Kinderrechtskonvention folgende Bedürfnisbereiche von Kindern:

 

-          Liebe, Akzeptanz, Zuwendung

-          Stabile Bindungen

-          Ernährung und Versorgung

-          Gesundheit

-          Schutz vor Gefahren materieller und sexueller Ausbeutung.

 

Die konkrete Ausgestaltung für eine angemessene Gewährleistung des Kindeswohls ist abhängig von den jeweiligen konkreten gesellschaftlichen Bedingungen und Möglichkeiten eines Landes.

 

Die Erscheinungsformen von Kindeswohlgefährdung sind:

-          Körperliche und seelische Vernachlässigung

-          Körperliche Misshandlung

-          Seelische Misshandlung

-          Sexuelle Gewalt

-          Häusliche Gewalt.

Gefährdung von Kindeswohl tritt am häufigsten in der Ausprägung von Vernachlässigung oder Misshandlung auf:

Gewalt gegen Kinder (Misshandlung) kann im Prinzip von jedem Erwachsenen gegen jedes Kind ausgehen. Sie geschieht meist durch eindeutige Akte.

Vernachlässigung ist die andauernde oder wiederholte Unterlassung fürsorglichen Handelns sorgeverantwortlicher Personen, welches zur Sicherstellung der physischen und psychischen Versorgung des Kindes notwendig wäre. Diese Unterlassung kann aktiv oder passiv aufgrund unzureichender Einsicht oder unzureichenden Wissens erfolgen. Die durch Vernachlässigung bewirkte chronische Unterversorgung des Kindes durch die nachhaltige Nichtberücksichtigung, Missachtung oder Versagung seiner Lebensbedürfnisse hemmt, beeinträchtigt oder schädigt seine körperliche, geistige und seelische Entwicklung und kann zu gravierenden Schäden oder gar zum Tode des Kindes führen.

 

 

Erreichbarkeit des Jugendamtes

 

Der Zugang zum Jugendamt muss Kindern und Familien in Krisen und anderen Personen und Institutionen, die auf gefährdete Kinder aufmerksam machen, tagsüber leicht und schnell möglich sein. Die Sozialarbeiter/innen aller 5 Regionen des Jugendamtes sind montags bis mittwochs von 9.00 bis 15.00 Uhr, donnerstags von 10.00 bis 18.00 Uhr und freitags von 9.00 bis 14.00 Uhr erreichbar. Durch Bereitschaftsdienste in jeder Region ist die Ansprechbarkeit in dieser Zeit gesichert.

 

Darüber hinaus wird in der Umsetzung des Konzeptes Netzwerk Kinderschutz vom 16.04.2007 an ein Krisentelefon eingerichtet, das unter einer Apparatnummer– angestrebt für alle Bezirke – von 8.00 – 18.00 Uhr erreichbar sein wird. Für Fälle von Kindeswohlgefährdung sind von 8.00 – 14.00 Uhr die Bereitschaftsdienste der 5 Regionen und von 14.00 – 18.00 Uhr der regionenübergreifende Bereitschaftsdienst verantwortlich.

 

 

Meldungen und Kooperation mit Fremdmeldern

 

Kindeswohlgefährdung wird dem Jugendamt bekannt durch Meldungen von außen oder anlässlich bereits bestehender Betreuung durch das Jugendamt. Fremdmelder/innen sind zum Beispiel:

 

-          Polizei

-          Nachbarn

-          Bekannte

-          Verwandte

-          anonym bleiben wollende Anrufer/innen

-          Kinder- und Jugendnotdienst, Mädchennotdienst

-          Familien- oder Einzelfallhelfer/innen

-          Ärzte und Ärztinnen

-          Fachkräfte aus anderen Institutionen wie Schule, Kindertagesstätte, Krankenhaus

-          Vermieter/innen, Hausverwaltungen.

Jede eingehende Meldung wird qualifiziert geprüft, sowie sorgfältig und differenziert dokumentiert.

Meldungen über gefährdete Kinder haben Vorrang vor allen anderen Aufgaben, in akuten Fällen müssen diese zurückgestellt werden.

 

Der Umgang mit Fremdmelder/innen erfordert hohe Präsenz und versierte Gesprächsführung der Sozialarbeiter/innen, da zügig die Meldung angenommen, geklärt und bewertet werden muss. Oberstes Gebot ist die Wertschätzung der anrufenden Person, unabhängig von der Art des Anrufes. Befragt wird zur Art, zum Ausmaß und zur Dauer der Gefährdung.

 

Zur Vorgehensweise bei Meldungen über Kindeswohlgefährdung wurde ein Standardbogen entwickelt (Anlage 1).

 

Anhand dieses Bogens wurde beispielhaft zusammengetragen, wie zeitaufwändig allein das Entgegennehmen und die anschließenden ersten Handlungsschritte nach einer Meldung sind (Anlage 2).

 

Die zum Standard erhobene Vorschrift, in Fällen von Kindeswohlgefährdung die ersten Kontakte mit der Familie immer durch die/den zuständige/n Sozialarbeiter/in und eine/n Co-Sozialarbeiter/in durchzuführen, kann wegen fehlender Fachkräfte nicht konsequent aufrecht erhalten werden.

 

Zunehmend treten Situationen ein, in denen Sozialarbeiter/innen allein handeln müssen wegen Unterbesetzung, was kaum zu verantworten ist, da die Co-Sozialarbeit in solch brisanten Situationen wie der einer akuten Ab- und Einschätzung einer Kindeswohlgefährdung ein hilfreiches und schützendes Instrument ist

-          zur Handlungsfähigkeit

-          zur sicheren Einschätzung

-          zur eigenen psychischen Entlastung

-          zu adäquaten Reaktionen in bedrohlichen Situationen

-          zur Arbeitsteilung der vielfältigen sofort erforderlichen Handlungsschritte.

 

 

Risikoeinschätzung und Prognose

 

Die Aufgabe des Sozialpädagogischen Dienstes ist es, das Risiko für die gefährdeten Kinder einzuschätzen und danach zu handeln. Bei der Feststellung einer Kindeswohlgefährdung geht es um die fachliche Bewertung beobachtbarer, für das Leben und die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen relevanter Sachverhalte und Lebensumstände bezüglich

 

-          möglicher Schädigungen, die die Kinder in ihrer weiteren Entwicklung aufgrund dieser Lebensumstände erfahren können

-          der Erheblichkeit der Gefährdungsmomente (Intensität, Häufigkeit und Dauer des schädigenden Einflusses) und der Erheblichkeit des erwarteten Schadens

-          des Grades der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts

-          der Fähigkeit der Eltern/Elternteile, die Gefahr abzuwenden bzw. die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen

-          der Bereitschaft der Eltern/ Elternteile, die Gefahr abzuwenden bzw. die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen

-          der Möglichkeiten der öffentlichen Jugendhilfe, erforderliche und geeignete Maßnahmen zur Beendigung der bestehenden Gefährdung einzuleiten und durchzuführen.

 

Das Ziel des Jugendamtes ist es, den Schutz des Kindes zu sichern und zugleich nach Lösungen zusammen mit der Familie zu suchen.

 

Es gibt keine typischen Familien oder Gesellschaftsschichten, in denen Kinder gefährdet sind, aber es gibt bestimmte Lebensumstände, Problemlagen oder Familienkrisen, die zu einer Kindeswohlgefährdung führen können.

Krisen können durch die verschiedensten Umstände ausgelöst werden: Eltern fallen plötzlich aus, junge Menschen wollen nicht mehr zu Hause leben, akute Konflikte führen zu heftigen Auseinandersetzungen bis hin zu Gewalttätigkeiten, von denen Kinder betroffen sind oder die sie miterleben müssen.

Finanzielle Engpässe, materielle Not oder drohender Wohnungsverlust können die Existenz der Familie bedrohen oder als Bedrohung erlebt werden und dadurch zu einer Gefährdung der Kinder werden.

Nicht ausreichender Wohnraum kann Stress und Gewaltbereitschaft auslösen.

Alkoholabhängigkeit und regelmäßiger Drogenkonsum bilden ein hohes Gefährdungsrisiko für Kinder.

Psychisch kranke Eltern/teile können durch inadäquates Handeln oder Unterlassen ihre Kinder gefährden, insbesondere bei fehlender Krankheitseinsicht.

Überforderte Eltern/teile geraten selbst in eine Krise und werden handlungsunfähig.

 

Hinweise für eine Gefährdung können folgende Anzeichen bei Kindern und Jugendlichen sein:

Allgemeine Verhaltensauffälligkeiten oder Auffälligkeiten im sozialen Verhalten, wenig oder gar keine sozialen Kontakte, Entwicklungsverzögerungen, emotionale und psychische Störungen, schulische Probleme durch schlechte Leistungen, soziale Isolation oder Schwänzen. Auch wenn Kinder und Jugendliche etwa durch Diebstähle auffallen, kann dies ein Indiz für eine Gefährdung sein.

Die genannten Problemkreise zeigen das Risiko einer Kindeswohlgefährdung an oder sind Ausdruck bereits erfolgter Vernachlässigung oder Misshandlung.

 

Sobald eine Kindeswohlgefährdung bekannt wird, erfolgt auf der Basis der erhaltenen Informationen eine vorläufige Einschätzung zum Gefährdungsrisiko. Abhängig von der spezifischen Situation und dem Alter des Kindes ist zu bedenken, wer oder was das Kind unmittelbar schützen kann, ob weitere Personen zur Beurteilung der Gefährdungssituation beitragen können und ob eine medizinische Abklärung zu veranlassen ist.

Aus der ersten Bewertung ergibt sich die Dringlichkeit des weiteren Vorgehens und die Planung der nächsten Handlungsschritte:

Wann und wie der Kontakt zur Familie und zum Kind aufgenommen wird: telefonisch, brieflich, durch sofortigen Hausbesuch, durch Hausbesuch innerhalb der nächsten 24 Stunden oder innerhalb der nächsten 3 Tage.

Das gefährdete Kind ist in Augenschein zu nehmen.

Vor Ort ist zu entscheiden, ob das gefährdete Kind in Obhut zu nehmen ist. Sofern sich schon aufgrund der Meldung eine Inobhutnahme vermuten lässt, ist vor dem Hausbesuch ein Platz in einer geeigneten Einrichtung/Pflegestelle zu organisieren.

 

Zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos eines Kindes werden die Beobachtungen, Fakten und Informationen zusammen getragen und bewertet.

Auf der Basis von Fakten allein lässt sich das Gefährdungsrisiko nicht feststellen. Es braucht eine beteiligungsorientierte Sozialpädagogik, die möglichst mit den Eltern gemeinsam Einschätzungen und Schlussfolgerungen vornimmt und ggf. die gegen den Willen der Eltern gerichtete Einschätzung und Entscheidung des Jugendamtes den Eltern gegenüber nachvollziehbar darzulegen und zu vermitteln sucht. Für den Prozess der Einschätzung ist die Herstellung einer tragfähigen Hilfebeziehung der Sozialarbeiter/innen zur betroffenen Familie unverzichtbar. Erst in einem vertrauensvollen Kontakt ist das verstehende Wahrnehmen von Konflikten bzw. die Problemklärung möglich.

Auf dieser Grundlage sind die vier folgenden Fragenbereiche zu klären:

 

Gewährleistung

des Kindeswohls:       Inwieweit ist das Wohl des Kindes durch die Sorgeberechtigten gewährleistet oder ist dies nur zum Teil oder überhaupt nicht der Fall?

Problemakzeptanz:    Sehen die Sorgeberechtigten und die Kinder selbst ein Problem oder ist dies weniger oder gar nicht der Fall?

Problemkongruenz:    Stimmen die Sorgeberechtigten und die beteiligten Fachkräfte in der Problemsicht überein oder ist dies weniger oder gar nicht der Fall?

Hilfeakzeptanz:           Sind die betroffenen Sorgeberechtigten und Kinder bereit, die ihnen gemachten Hilfeangebote anzunehmen und zu nutzen oder ist dies nur zum Teil oder gar nicht der Fall?

 

Aus der Beantwortung dieser Fragen ergibt sich weitgehend der Verlauf der Zusammenarbeit mit der Familie.

 

Wenn keine Verständigung und Zusammenarbeit auf freiwilliger Basis mit den Eltern möglich ist, muss ein Konstrukt der unfreiwilligen Zusammenarbeit durch Auflagen und Kontrolle erreicht werden. Falls dies nicht gelingt, muss das Familiengericht eingeschaltet werden.

 

In für Kinder besonders gefährdenden Situationen interveniert das Jugendamt durch Inobhutnahme gemäß § 42 SGB VIII. Der Inobhutnahme folgt die Klärung mit den Eltern zur weiteren Zusammenarbeit im obigen Sinn. Ist diese nicht im Interesse des Kindes gewährleistet, schaltet das Jugendamt das Familiengericht ein und beantragt familiengerichtliche Maßnahmen in Verbindung mit Vorschlägen erforderlicher Jugendhilfe.

 

 

1.1.2    Hilfeangebote

 

Hilfen durch den Sozialpädagogischen Dienst

 

Der Sozialpädagogische Dienst als der Basisdienst des Jugendamtes erfüllt den gesetzlichen Auftrag zum Schutz von Kindern und Jugendlichen.

Als Kinderschutzdienst ist der Sozialpädagogische Dienst verpflichtet, den Eltern zur Stärkung ihrer Elternverantwortung Hilfe, Entlastung und Unterstützung anzubieten sowie Schutz und Hilfe für Kinder und Jugendliche zu leisten.

Zur Minimierung von Risiken und zur Abwendung der Gefährdung eines Kindes ist die im Einzelfall und in der aktuellen Situation am besten geeignete Hilfe zu wählen oder zu entwickeln.

Die Zusammenarbeit mit den Familien erfolgt nach sozialpädagogischen Beratungsprinzipien, die in allen Fällen, auch bei Kindeswohlgefährdung angewandt werden.

 

 

a) Erstberatung

Jeder Neufall mündet zunächst in die Erstberatung.

In der Erstberatung wird in der Regel das Anliegen der Klienten/innen geklärt. Der Erstberatung kommt eine hohe Bedeutung zu, weil in ihr die Weichen für die weitergehende Beratung und für weitere Jugendhilfeleistungen gestellt werden.

 

In Fällen der Kindeswohlgefährdung dient die Erstberatung der intensiven Klärung der Gefährdungs- und Familiensituation (siehe unter Risikoeinschätzung Seite 6).

 

Die Erstberatung umfasst ein oder mehrere Gespräche.

Sie ist eine Beratungsphase, die entweder

-          erfolgreich abgeschlossen wird oder

-          in eine Beratung durch einen anderen Fachdienst übergeleitet wird oder

-          in die Hinzuziehung eines anderen Fachdienstes mündet oder

-          beendet wird, weil sich die Notwendigkeit einer Hilfe zur Erziehung abzeichnet und damit die Falleingangsphase beginnt.

 

In Fällen von Kindeswohlgefährdung wird eine längerfristig angelegte Hilfeform angestrebt, der Schwerpunkt und die Intention sind darauf gerichtet, die Eltern/teile für eine geeignete Hilfe zu gewinnen und die Basis für die weitere Zusammenarbeit zu schaffen.

In dieser Beratungsphase wird geprüft, ob und welche Ressourcen es in der Familie, in der näheren und ferneren Verwandtschaft, im Bekanntenkreis oder in der Nachbarschaft gibt und ob die Hilfesuchenden in der Lage sind, diese zu nutzen.

In diesem Zusammenhang sind Angebote in der räumlichen Nähe - im Sozialraum - durch Gemeinschaften, Sportvereine, Clubs, Kirchengemeinden, Nachbarschaftsheime, Freie Träger etc. zu ermitteln und zu berücksichtigen.

 

Zusammenfassung Erstberatung:

Zielsetzung:

Änderung und Verbesserung der Lebenssituation, Sicherung des Kindeswohls, Abwendung von Gefährdungen, Verbesserung der Erziehungsfähigkeit der Eltern, junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden und abzubauen.

 

Leistungsumfang:

-          Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung junger Menschen

-          Beratung und Unterstützung bei der Ausübung der Personensorge

-          Beratung, Prüfung und Vermittlung von sozialen Leistungen

-          Beratung in Konflikten und anderen Problemlagen

-          Information über Rechte von Eltern und jungen Menschen, über Hilfen, Einrichtungen und Initiativen im Sozialraum, über öffentliche Hilfen für junge Menschen und Familien

-          Berichte, Stellungnahmen

-          Zusammenarbeit mit anderen Fachdiensten.

 

Beratungsprinzipien:

-          In der sozialpädagogischen Arbeit sind Freiwilligkeit, Beteiligung und Einwilligung die wichtigsten Grundlagen für die Zusammenarbeit mit den Familien

-          Auch Kinder und Jugendliche sind – ihrem Alter entsprechend – an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe zu beteiligen

Auch hier gilt: Wenn bei Gefährdung von Kindern keine Verständigung oder Zusammenarbeit mit den Eltern möglich ist, wird das Familiengericht eingeschaltet, nötigenfalls werden Kinder in Obhut genommen.

 

 

b) Falleingangsphase

Wenn die Erstberatung zu dem Ergebnis führt, dass Hilfe zur Erziehung einsetzen muss, beginnt die Falleingangsphase.

Es wird geklärt, welcher Bedarf besteht und welche Hilfeart die notwendige und am besten geeignete in der bestehenden Situation für diese Familie und dieses Kind ist. Nach Klärung des Bedarfs erfolgt unter Mitwirkung der Familie und der jungen Menschen die Hilfeplanung gemäß § 36 SGB VIII, die die Beratung und die Aufstellung eines Hilfeplans und der erforderlichen Leistungen umfasst.

 

Im folgenden wird am Beispiel des Einsatzes einer Familienhilfe gezeigt, welche Arbeitsschritte erforderlich sind, um die geplante Hilfe einzusetzen, zu begleiten, fortzuführen und zu beenden.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Unterstützungsangebot ambulanter Hilfe zur Erziehung in Form von Familienhilfe

auf freiwilliger Basis des/der Personensorgeberechtigten

 

Arbeitsschritte und Verlauf der Hilfeplanung:

-                 Bedarfsfeststellung und grobe Zielformulierung

-                 Helferprofil erstellen (Profil des für den Einzelfall am besten geeigneten Helfers) nach folgenden Kriterien:

   besondere Qualitäten wie Erfahrung

   Eigenschaften wie gut strukturiert, eher streng, eher warmherzig etc.

   Mann oder Frau

   Nationalität, Sprachkenntnisse

   besondere Qualifikation

   Stundenumfang der Hilfe

   Hilfebeginn

-                 Erstellen des Berichtes “Situation und Bedarf” oder Falldarstellung zur Vorstellung im Fallteam (nach der Sozialraumorientierung ein Team in der Region, das sich aus Fachkräften der Fallarbeit zusammensetzt)

-                 Fallteam/ kollegiale Beratung (Methode nach der Sozialraumorientierung)/ Beratung und Entscheidung durch die Regionalleitung

 

Helfersuche, Helfervermittlung, Hilfeplangespräche:

-                 Anfrage beim in der Region zuständigen Träger(verbund)

-                 Helferangebot durch einen der Träger

-                 Klärendes Gespräch zwischen Familienhelfer/in (und evtl. Trägerkoordinator/in) und zuständiger/zuständigem Sozialarbeiter/in

-                 Information an die Familie

-                      Gespräch und Hilfeplanung zur Feinabstimmung des Auftrages und der Ziele zwischen Familie, Familienhelfer/in und Sozialarbeiter/in

-                      Telefonate nach der dem Helfer und der Familie eingeräumten Bedenkzeit zur Entscheidung für die Zusammenarbeit

 

Administratives Handeln bei Zustimmung:

-                      Leistungsakte anlegen

-                      Dokumentation

-                      7 Seiten Hilfeplanerstellung

-                      Hilfeplanstatistik und Bundesstatistik

-                      Checkliste als Nachweis sorgfältiger Prüfung, dass kostenpflichtige Hilfe erforderlich ist

-                      Feststellung der Unabweisbarkeit der notwendigen und geeigneten Hilfe

-                      Kostenübernahme zur Schlusszeichnung vorbereiten

-                      ggf. Rückfragen der Leitung/en mündlich oder schriftlich beantworten

 

Hilfebeginn in der Regel nach der Kostenübernahme durch die Wirtschaftliche Jugendhilfe. In Risikosituationen kann die Hilfe in Absprache mit der Regionalleitung sofort beginnen.

 

Fachliche Begleitung der Durchführung der Familienhilfe:

-                      Erstes Auswertungsgespräch nach 6-8 Wochen, bei Bedarf früher und häufiger, mit der Familie und der/dem Familienhelfer/in

-                      Telefonischer Austausch mit den Beteiligten ca. 1 mal monatlich

-                      6 - 8 Wochen vor Ablauf der in der Regel auf 6 Monate begrenzten Kostenübernahme Helferbericht einholen

-                      Hilfekonferenz terminieren

-                      Hilfekonferenz mit allen Beteiligten gemeinsam - mitunter auch zeitversetzt -

-                      Auswertung der Hilfe

-                      Überprüfung der Ziele

Ergebnismöglichkeiten:

-                      Fortschreibung der Hilfe mit neuer Zielvereinbarung 

-                      Beendigung der Hilfe

-                      Änderung der Hilfeart

 

Ergänzend außerdem

-                      klärende Telefonate mit anderen Beteiligten oder Fachdiensten (Ärzt/innen, Kita, Schule, Therapeut/innen, Tagesmutter etc.)

-                      kollegiale Beratung

-                      Beratung durch Fachteam

 

Gesamtdauer einer Familienhilfe in der Regel:      1 ½ Jahre

 

Bei Kindeswohlgefährdung erfolgt der Einsatz einer Hilfe und die Durchführung

-          auf freiwilliger Basis bei entsprechender Mitwirkung der Eltern/ Elternteile oder

-          als Auflage des Jugendamtes, die beinhaltet, dass für den Fall der Nichtmitwirkung oder Aufkündigung der Hilfe das Familiengericht angerufen wird oder

-          im Zwangskontext aufgrund einer familiengerichtlichen Auflage.

 

Die Familienhilfe wurde als ein Beispiel ambulanter Hilfe zur Erziehung dargestellt. Wenn Kinder gefährdet sind, muss sorgfältig abgewogen werden, ob zum Schutz der Kinder ambulante Hilfen ausreichen. Andere ambulante Hilfen könnten sein:

Soziale Gruppenarbeit, Erziehungsbeistand und Betreuungshelfer, psychotherapeutische Hilfe, diese ist evtl. ergänzend zu anderen Hilfen erforderlich.

 

Noch intensivere (teilstationäre) Hilfen sind beispielsweise Tagesgruppen mit einem Betreuungsumfang montags bis freitags von 8.00 bis zum Schulbeginn und nach Schulschluss bis 18.00 Uhr.

 

Bei Kindern unter 6 Jahren kommen auch gemeinsame Wohnformen für Mutter und Kind oder Vater und Kind in Betracht, insbesondere für junge, unerfahrene oder überforderte Eltern und Alleinerziehende, die Bedarf an eigener Betreuung und Anleitung bei der Erziehung und Versorgung ihrer Kinder haben.

 

Wenn Kinder wegen akuter Gefährdung in Obhut genommen wurden, erfolgt die Prüfung, ob, wann  und unter welchen Bedingungen eine Rückkehr zu den Eltern möglich ist. Zu erfüllende Bedingungen sind zum Beispiel

-          Aufnahme des Kindes in einer Tagesbetreuung wie Kita oder Tagespflege

-          Mitwirkung bei einer ambulanten oder einer teilstationären Hilfe zur Erziehung.

 

Bei einem sehr hohen Gefährdungsrisiko und / oder schon eingetretener Schädigungen reichen ambulante Hilfen nicht aus. Für das einzelne Kind wird unter fachlichen, familiären und schützenden Gesichtspunkten je nach Prognose und zu erwartender Dauer einer Hilfe der bestmögliche Platz gesucht. Möglichkeiten sind:

Pflegefamilie auf befristete Zeit oder auf Dauer, Kinder- bzw. Jugendheim, Erziehungsstelle oder –wohngruppe und andere, auch individuell zu gestaltende Unterbringungen.

 

 

Zusammenfassung Falleingangsphase:

Zielgruppe:

Junge Menschen, Eltern, Alleinerziehende

 

Lebenssituation/Problemlagen:

Finanzielle, existentielle Notlagen, Gewalt in der Familie, psychische Auffälligkeiten, Überforderung der Eltern bzw. Alleinerziehenden, Gefährdung von Kindern.

 

Zielsetzung:

Qualifizierte Indikation, größtmögliche Wirksamkeit der Beratung, Unterstützung und Hilfen.

 

 

Leistungsumfang:

Prüfung, Einleitung und Durchführung von Hilfen zur Erziehung in unterschiedlichen Formen (ambulante, teilstationäre und stationäre Hilfen).

 

Standards:

Psychosoziale Diagnose, Ressourcencheck, Auswahl geeigneter Helfer/innen, Ermitteln und Auswahl geeigneter Einrichtungen, Hilfeplan (Anlage 4).

 

 

Frühe Hilfen

 

Ein besonderes Augenmerk ist auf Säuglinge und Kleinkinder zu richten.

Säuglinge und Kleinkinder sind in Krisen und Überforderungssituationen von Eltern in besonderer Weise gefährdet, da sie hilflos sind, sich nicht wehren und nicht auf sich aufmerksam machen können. Eltern bzw. Alleinerziehende mit ihren Säuglingen erhalten durch sogenannte Frühe Hilfen daher besondere Hilfeangebote.

 

Frühe Hilfen bietet das Haus des Säuglings an, ein Spezialangebot des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes Charlottenburg-Wilmersdorf (KJGD) für Eltern, Alleinerziehende und Säuglinge.

 

Vorbeugende Maßnahmen und Hilfeangebote im Sinne einer frühzeitigen Diagnose von Vernachlässigungsanzeichen sowie eine an die Entlastungsbedürfnisse angepasste Hilfe können entscheidend dazu beitragen, positiven Einfluss auf die körperliche und seelische Entwicklung gefährdeter Kinder zu nehmen.

Der KJGD – Haus des Säuglings erfüllt seine Aufgaben aufgrund von

-          Geburtsmitteilungen

-          Meldungen über gefährdete oder betreuungsbedürftige Kinder schwerpunktmäßig durch

         den Sozialmedizinischen Dienst

         Niedergelassene Ärzt/innen Hebammen

         Kliniken.

 

Im Falle von Kindeswohlgefährdung bezieht der KJGD sofort den RSD ein. Dieser ist federführend, wenn Jugendhilfeleistungen oder familiengerichtliche Maßnahmen erforderlich werden.

 

Zielgruppe:

Eltern, Alleinerziehende und Kinder bis zum Ende des 1. Lebensjahres.

 

Lebenssituation / Problemlagen:

Insbesondere Alleinerziehende und Eltern in ökonomischen, sozialen und psychischen Problemlagen.

 

Zielsetzung:

Frühzeitige Risikoeinschätzung, Entlastung und Unterstützung von Müttern, Vätern und

Eltern zur Sicherung des Kindeswohls, Förderung der Erziehungsfähigkeit.

 

Leistungsumfang:

Ersthausbesuch, Erstkontakt, Klärung des sozialen Umfelds, Klärung und Sicherstellung der medizinischen Versorgung des Säuglings, Information der Eltern, 2 x wöchentliche Besuche durch Kinderkrankenschwestern auf der Wöchnerinnenstation, Vermittlung von Hebammenbetreuung, Allgemeines Beratungsangebot, Information über finanzielle Leistungen, Angebote zur Frühförderung durch Stillgruppen, Pekipgruppen, Krabbelgruppen und Videogestützte Entwicklungs- und Einzelberatung.

 

 

Frühe Hilfen durch Aufsuchende Elternhilfe

 

“Aufsuchende Elternhilfe” für werdende Mütter und/oder Väter wurde in Charlottenburg-Wilmersdorf entwickelt als eine allgemeine Hilfe zur Förderung der Erziehung in der Familie nach § 16 SGB VIII. Diese Hilfe versteht sich als ein präventives Hilfeangebot an der Schnittstelle zwischen Jugend- und Gesundheitshilfe. Aufgrund der positiven Erfahrungen vor dem Hintergrund einer gut funktionierenden Zusammenarbeit zwischen dem RSD und dem KJGD (bis November 2006 Teil des Jugendamtes, seitdem Teil des Gesundheitsamtes) und dem Sozialmedizinischen Dienst des Gesundheitsamtes in Charlottenburg-Wilmersdorf wird die Hilfe als Modellprojekt im Rahmen des Netzwerkes Kinderschutz nunmehr berlinweit eingeführt.

 

KJGD, SMD oder RSD können die Hilfe initiieren; die Prüfung, Einleitung und Durchführung der Hilfe erfolgt durch den RSD.

 

Zielgruppe:

Werdende Mütter bzw. Eltern im Übergang zu ihrer ersten Elternschaft, die dieser komplexen Situation entweder allein, in sehr jungem Alter (z.T. minderjährig), in konfliktreicher Partnerbeziehung oder in einem schwierigen sozialen Kontext gegenüberstehen.

 

Lebenssituation / Problemlagen:

Zu dieser Zielgruppe gehören u.a. suchtgefährdete Mütter/ und Väter, wohnungslose Mütter/ und Väter, psychisch auffällige Mütter/ und Väter oder Mütter/ und Väter aus einem anderen kulturellen Kontext. Aus Mangel an Erfahrungen, Kenntnissen, fehlender Motivation oder aus Überforderung sind diese werdenden jungen Eltern nicht in der Lage, die notwendige Unterstützung zu organisieren.

 

Zielsetzung:

Klärung der sozialen oder wirtschaftlichen Situation, Klärungen zu Elternrolle, Erziehungsverhalten und Haushaltsorganisation, Frühzeitige Risikoeinschätzung, Entlastung und Unterstützung junger Eltern zur Sicherung des Kindeswohls, Stabilisierung bzw. Aufbau eines sozialen Netzes.

 

Leistungsumfang:

Beratung zur Entwicklung des Kindes und zur Elternrolle nach einem auf 10 Monate angelegten Beratungskonzept. Inanspruchnahme von Hilfeleistungen, Prüfung und Vermittlung sozialer Leistungen, Beratung und Unterstützung zur persönlichen Problembewältigung, Zusammenarbeit mit anderen Fachdiensten, Berichte und Stellungnahmen.

 

 

Weitere präventive Angebote

 

Darüber hinaus gibt es ein breites Spektrum präventiver sozialer Infrastruktur für Kinder und ihre Familien durch

-          Erziehungs- und Familienberatungsstellen in öffentlicher und freier Trägerschaft

-          das Haus der Familie

-          Gruppen- und Freizeitangebote von Freien Trägern, Kirchengemeinden und anderen Institutionen.

 

 

1.1.3    Zusammenarbeit mit nicht-freiwilligen Klient/innen

 

Die Beratungsprinzipien des Sozialpädagogischen Dienstes haben Gültigkeit in allen Gesprächssituationen, unabhängig von der Problemlage.

Im Rahmen des Kinderschutzes ist die Anforderung an die Beratungskompetenz der Sozialarbeiter/innen sehr hoch. Denn die Sozialarbeiter/innen stehen vor der komplizierten Aufgabe, in einer schwierigen Situation in einen möglichst guten Kontakt zu den Beteiligten zu kommen: einerseits werden Eltern damit konfrontiert, ihr Kind gefährdet oder eine Gefährdung nicht unterbunden zu haben, andererseits muss zum Schutz eben dieses Kindes sorgsam umgegangen werden, um die Gefährdung nicht zu erhöhen und die Eltern nicht zu verprellen. Die Gefährdungssituation muss geklärt und das Risiko weiterer Gefährdung richtig eingeschätzt werden. Sozialarbeiter/innen stehen in hoher Verantwortung und bewegen sich auf einem schmalen Grat des Abwägens, Einschätzens und weiteren Handelns: das Risiko besteht darin, dass das Kind nicht genügend schnell notwendigen Schutz und Hilfe erfährt oder eine Intervention möglicherweise übereilt durchgeführt wird. Im ersten Fall macht sie/er sich der Unterlassung schuldig, ist letzteres der Fall, wird der Zugang zu der Familie wesentlich erschwert, wodurch notwendige Hilfen möglicherweise verzögert oder verhindert werden.

 

Wenn Kinder gefährdet sind, muss die Zusammenarbeit nötigenfalls erzwungen werden.

 

Die Zusammenarbeit mit nicht-freiwilligen Klient/innen bedeutet “arbeiten mit und am Widerstand”. Sie ist zäh, kraft- und zeitaufwändig.

 

-          In der Krisensituation wird die bereits oben erwähnte Co-Sozialarbeit bevorzugt, die aber aus Personalmangel häufig nicht mehr zur Anwendung kommen kann.

-          In einzelnen Situationen arbeiten je nach Bedarf oft 2 Mitarbeiter/innen zusammen zum Beispiel aus dem RSD und Fachteam oder RSD und KJGD oder RSD und anderen Fachdiensten.

-          Sobald zwei oder mehr Sozialarbeiter/innen sich terminlich abstimmen müssen, wird die Terminfindung schwieriger. Die flexible Arbeitszeit von 8.00 bis 20.00 Uhr ist oft nicht ausreichend. Termine mit widerständigen Familien werden ganz besonders nach deren Bedarf und Möglichkeiten abgestimmt, auch vor 8.00, nach 20.00 oder an Samstagen.

-          Muss ein Hausbesuch spontan erfolgen und fällt dieser in die Sprechstundenzeit, muss eine Vertretung organisiert werden.

-          Die Sozialarbeiter/innen müssen Klienten-gewinnende Gespräche unter erschwerten Bedingungen führen, da sie selbst häufig Beleidigungen, Aggressionen und Misstrauen ausgesetzt sind.

-          Es ist oft sehr aufwändig, bis ein persönlicher Kontakt zustande kommt.

-          Die Klient/innen entziehen sich durch Nichterreichbarkeit, Nichteinhalten vereinbarter Termine.

-          Überzeugungsarbeit muss geleistet werden, die oft nur zähflüssig verläuft oder behindert wird durch nichtbeteiligte Verwandte oder durch bewusste Falschinformationen der Betroffenen oder durch Nichtwissen anderer Beteiligter.

-          Jede Fehlinformation führt zu größerem Aufwand der Überprüfung und erneuter Kontakte.

-          Bei nicht-freiwilligen Klient/innen ist in stärkerem Maß als bei den anderen eine gute Vernetzung und Abstimmung mit anderen Fachkräften und Fachdiensten erforderlich, die mit größerem Zeitaufwand verbunden ist.

-          Die Einschätzung des Grundes der Abwehr nicht-freiwilliger Klient/innen ist besonders schwierig: Leisten sie Widerstand? Sind sie psychisch krank oder lernbehindert? Besteht eine Drogenabhängigkeit? Es muss mit Vermutungen gearbeitet werden, und es bedarf eines längeren Prozesses, um Klarheit zu diesen Fragen zu bekommen.

-          Wenn Auflagen erteilt werden, wie zum Beispiel, dass das Kind regelmäßig die Kita besucht, muss die Erfüllung dieser Auflage kontinuierlich überprüft werden, was den Arbeitsaufwand erhöht.

 

Zur Veranschaulichung des sozialpädagogischen Handelns in einer Krise wird beispielhaft ein Fallverlauf nach Eingang einer polizeilichen Meldung aufgezeigt. (Anlagen 3a und 3b). In Anlage 3b werden die Fachdienste und Stellen aufgeführt, mit denen allein in diesem Fall zu kooperieren war.

 

 

1.1.4    Zusammenwirken von Fachkräften

In jedem Einzelfall wird erwogen, welcher Fachdienst oder welche Stelle in einer bestimmten Situation die am besten geeignete Unterstützung zur Klärung der erforderlichen Hilfen und Fördermöglichkeiten ist.

Die Zusammenarbeit erfolgt mit Fachkräften aus folgenden Fachdiensten, freien Beratungsstellen, Sozialleistungsträgern, Jugendhilfeträgern, Schulen, Tageseinrichtungen:

-          Zentrale Fachdienste des Jugendamtes:

          Behindertenhilfe

          Pflegekinderdienst

          Jugendgerichtshilfe

          Kita-Gutscheinstelle

          Wirtschaftliche Jugendhilfe

          Amtsvormundschaft

-          Erziehungs- und Familienberatungsstellen:

          Jugendamt

          Caritasverband

-          Kinder- und Jugendpsychiatrischer Dienst (KJPD)

-          Gesundheitsamt:

          Haus des Säuglings

          Kinder- und Jugendgesundheitsdienst KJGD)

          Sozialpsychiatrischer Dienst (SPD)

          Sozialmedizinischer Dienst (SMD)

-          Kinderärzte und Kinderärztinnen

-          Kliniken

-          Andere Jugendämter

-          Freie Träger der Hilfen zur Erziehung für:

          Ambulante Hilfen

          Teilstationäre Hilfen

          Stationäre Hilfen

-          Freizeiteinrichtungen

-          Kindertagesstätten

-          Schulen:

          öffentliche und private

          Förderzentrum

          Schulstation

          Schulsozialarbeit

          Klassenlehrer/in

          Schulleiter/in

          Hortbereich der Schule

          weiterbildende Schulen

          Berufsschule

          Schul- und Ausbildungsprojekte

-          Kirchengemeinden

-          Beratungsstellen:

          Arbeiterwohlfahrt

          Caritasverband

          Diakonisches Werk

-          Sozialleistungsträger:

          Abteilung Soziales: Amt für Grundsicherung, Soziale Wohnhilfe, Eingliederungshilfe

          Job-Center

          Agentur für Arbeit

-          Polizei, Ausländerbehörde,

-          Hausverwaltungen

-          Gesetzliche Betreuer/innen von Alleinerziehenden.

 

Zusammenarbeit und Zusammenwirken kann sowohl telefonischen Austausch von Informationen als auch fachlichen intensiven Austausch bedeuten. Dieser geschieht durch Telefonate, persönliche Gespräche, gemeinsame persönliche Gespräche, gemeinsame Hilfekonferenzen und manchmal auch gemeinsame Hausbesuche. Die Zusammenarbeit bezieht sich auf den jeweiligen Einzelfall.

 

-          Darüber hinaus findet zur Reflexion des eigenen Handelns und zur fachlichen Beratung im Einzelfall Beratung

im Jugendamt statt durch

        Kollegiale Beratung

        Fallbesprechung in der Arbeitsgruppe

        Fallteam

        Regionalleitung

        Fachteam/Kinderschutzkoordination und

außerhalb des Jugendamtes

        Supervision in Form von Einzelsupervision und Gruppensupervision (Gruppensupervision kann durch das Jugendamt oder die Sozialpädagogische Fortbildungsstätte Berlin-Brandenburg finanziert werden, Einzelsupervision nehmen Mitarbeiter/innen auf eigene Kosten in Anspruch)

 

Das Zusammenwirken gelingt um so besser, je größer gegenseitiges Vertrauen, Verlässlichkeit und Verantwortungsbereitschaft sind. Der regelmäßige fachliche Dialog fördert dies. benötigt jedoch Zeit und Energie.

 

 

1.1.5    Mitwirkung in familiengerichtlichen Verfahren

 

a)      Das Jugendamt hat neben den Beratungsleistungen bei Elterntrennung die Aufgabe, gemäß § 50 SGB VIII i.V.m. § 49a FGG in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren vor dem Familiengericht mitzuwirken. Durch gerichtliche Anfragen wird es gebeten, seine sozialpädagogische Fachlichkeit zum Wohle des Kindes in das Verfahren einzubringen.
Die Mitwirkung beschränkt sich im wesentlichen auf die streitig geführten Sorge- und Umgangsrechtsverfahren, die von Eltern/teilen nach Trennung oder Scheidung angestrengt werden, wenn sie die elterliche Sorge nicht mehr gemeinsam ausüben und/oder den Umgang des Kindes mit dem getrennten Elternteil nicht einvernehmlich regeln können.

Die Mitwirkung hat zum Ziel, die konkrete Perspektive des betroffenen Kindes sowie dessen Interessen und Bedürfnisse in das familiengerichtliche Verfahren einzubringen, in der Regel in Form einer sozialpädagogischen schriftlichen Stellungnahme. Darüber hinaus kann auch die Teilnahme an den Verhandlungsterminen erforderlich werden.

Den durch die eigenen Probleme belasteten Eltern bietet der Sozialpädagogische Dienst Beratung zur Konfliktbewältigung und –lösung an und zielt darauf, die Interessen und die Bedürfnisse des Kindes (wieder) in den Vordergrund der Wahrnehmung der getrennten Eltern zu stellen. Situationsbezogen können weitere Unterstützungsleistungen wie zum Beispiel Begleiteter Umgang oder Hilfe zur Erziehung (Erziehungsberatung, Familienhilfe etc.) erforderlich werden.

Die konfliktreichen Auseinandersetzungen erfordern häufig nicht nur eine intensive Phase der Beratung und Betreuung durch den Sozialpädagogische Dienst, sondern auch die Auseinandersetzung mit den Eltern und ihren Rechtsanwälten bzw. deren Schriftsätzen an das Familiengericht, zu denen Stellung zu nehmen ist. Die Sozialarbeiter/innen werden in die parteilich geführten Auseinandersetzungen hineingezogen, und es erfordert neben fachlicher Kompetenz viel Zeit, Geduld und Ertragen von auch gegen sie selbst gerichteten Aggressionen, um zu Lösungen und tragfähigen Vereinbarungen im Interesse der Kinder zu kommen.

In diesem Rahmen gibt es Fälle von Kindeswohlgefährdung, die entweder durch die Sorge- und Umgangsrechtsverfahren bekannt werden oder durch die konfliktreich geführten Auseinandersetzungen der sich trennenden Eltern erst entstehen. Diese werden in der Statistik nicht gesondert ausgewiesen.

 

 

b)      Das Jugendamt hat bei weiteren Verfahren mitzuwirken gemäß § 8a Abs. 3 SGB VIII:

“Hält das Jugendamt das Tätigwerden des Familiengerichts für erforderlich, so In allen anderen Fällen von Kindeswohlgefährdung hat das Jugendamt das Gericht anzurufen und im hat es das Gericht anzurufen; dies gilt auch, wenn die Personensorgeberechtigten oder die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, bei der Abschätzung des Gefährdungsrisikos mitzuwirken. Besteht eine dringende Gefahr und kann die Entscheidung des Gerichts nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen.”

Dieser differenzierte Antrag beinhaltet Empfehlungen von gerichtlichen Maßnahmen gemäß § 1666 BGB auf der Grundlage folgender Fakten: Situations- und Gefährdungsbeschreibungen, Beschreibung des gefährdenden Handelns oder Unterlassens der Personensorgeberechtigten, die Mitwirkung bzw. Nichtmitwirkung der Eltern sowie Lösungsvorschläge zur Abwendung der Gefährdung.

Mit dem Antrag wird ein gerichtliches Verfahren eröffnet; es kann langwierig sein.
Zur gesetzlich vorgeschriebenen gerichtlichen Anhörung der Eltern wird die/der Jugendamtsmitarbeiter/in geladen. Es handelt sich um Terminvorgaben, die einzuhalten sind.
Anhörungstermine sind zeitaufwändig und bedeuten eine erhebliche psychische Belastung nicht nur für die Eltern, sondern auch für die/den Sozialarbeiter/in. Die gerichtlichen Auseinandersetzungen verlaufen in der Sache hart, da der Eingriff ins Elternrecht ein hohes Rechtsgut betrifft, überwiegend sind die Betroffenen anwaltlich vertreten. In diesem Zusammenhang sind regelmäßig aufwändige gutachterliche sozialpädagogische Stellungnahmen zur Einschränkung der elterlichen Rechte erforderlich.

Das Verfahren ist erst abgeschlossen, wenn ein endgültiger Beschluss ergangen ist. Dies kann Monate dauern, insbesondere wenn das Gericht psychologische Gutachten, zum Beispiel zur Erziehungsfähigkeit der Eltern, einholt. Im Laufe des Verfahrens sind in der Regel weitere sozialpädagogische Stellungnahmen zur Familiensituation, zur Entwicklung des Kindes oder zur Wirkung der inzwischen erfolgten Hilfeleistungen, zum Gutachten und zu Einlassungen der Eltern oder der sie vertretenden Anwälte erforderlich.

Zu erwähnen ist, dass die sozialpädagogische Betreuung der Familie und der Kinder parallel zum laufenden Gerichtsverfahren weiterhin erfolgt, nunmehr jedoch unter der schwierigen Bedingung, dass die Eltern/teile aufgrund des Antrags familiengerichtlicher Maßnahmen die/den Sozialarbeiter/in als gegen sie und ihre Interessen gerichtet empfinden.

 

Standard:        “Empfehlungen zur Zusammenarbeit zwischen den Familiengerichten und den Jugendämtern der Bezirke bei der Mitwirkung im familiengerichtlichen Verfahren” vom Januar 2006 (Anlage 5).

 

 

1.2       Handlungsleitlinien und Standards

 

Die Arbeit in Fällen von Kindeswohlgefährdung gehört zu den verantwortungsvollsten Tätigkeiten im Aufgabenspektrum des Sozialpädagogischen Dienstes.

 

Die dieser Arbeit zugrundeliegenden Handlungsleitlinien und Standards des Sozialpädagogischen Dienstes im Jugendamt Charlottenburg-Wilmersdorf werden hier zusammengefasst dargestellt:

 

Professionelles und fachliches Handeln auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen und fachlicher Vorgaben und Regelungen ausschließlich durch sozialpädagogische Fachkräfte.

 

Kinderschutz steht als Kernaufgabe des Jugendamtes im Mittelpunkt unter Berücksichtigung einer familien- und lebensweltorientierten Perspektive. Er bedeutet grundsätzlich Schutz für gefährdete Kinder und Hilfe für die Familie.

 

Kinderschutz hat Vorrang vor allen anderen Aufgaben. Andere – auch wichtige – Aufgaben müssen in akuten Situationen, in denen Kinder gefährdet sind, zurückgestellt werden.

 

Einschätzung und Bewertung eines Gefährdungsrisikos

-          Meldungen sind unverzüglich aufzugreifen

-          Zwei Sozialarbeiter/innen vor Ort zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos (Co-Sozialarbeit)

-          Qualifizierte Prüfung von Meldungen

-          Kind in Augenschein nehmen

-          Zugang zur Familie herstellen und für eine Zusammenarbeit gewinnen

-          Sichtweisen der Familie einbeziehen

-          Multiperspektivische Information einholen

-          Geeignete Fachdienste beteiligen

-          Rücksprache und Information der Vorgesetzten

-          Nachvollziehbare Dokumentation von: Fakten, Ermittlungen (Quellen), zeitliche Abläufe, eigene Position, Bewertung und Schlussfolgerungen

 

Kooperation mit und Beteiligung für die Familie ermöglichen

-          Beratung nach den Prinzipien Freiwilligkeit, Beteiligung und Einwilligung

-          Eltern/teile in ihrer Verantwortung und in ihren Erziehungs- bzw. Problembewältigungskompetenzen stärken und unterstützen

-          Wertschätzende, respektvolle, achtsame und interessierte Grundhaltung

-          Verlässlichkeit, Transparenz und Offenheit im Umgang mit den Familien

-          Differenzierte Betrachtung und besonnenes Handeln

 

Erarbeitung eines Schutz- und Hilfekonzeptes gemeinsam mit der Familie

-          Ernstnehmen aller Familienmitglieder

-          Einbeziehen der Eltern/teile und der Kinder

-          Psychosoziale Diagnose

-          Ressourcencheck

-          Gemeinsame Hilfeplanung mit der Familie

-          Hilfekonferenzen

-          Ermitteln und Auswahl geeigneter Helfer/innen und Einrichtungen

 

Professionelle Kooperation und Koordination vor dem Hintergrund selbstinitiativer und federführender Fallbearbeitung durch den/die fallzuständige(n) Sozialarbeiter/in

-          Konstruktive, ergebnisorientierte und transparente Kooperation mit den fallbeteiligten Personen, Fachdiensten und Institutionen

-          Festlegung konkreter Ziele für die Zusammenarbeit

-          Verbindliche Absprachen, besonders hinsichtlich der spezifischen Verantwortungsbereiche bei Kindeswohlgefährdung

-          Helferkonferenzen

 

Strukturiertes und lösungsorientiertes Handeln bei professioneller Distanz

 

Kollegialer Austausch zur Fallbearbeitung

Kollegiale Beratung zu kriteriengeleiteter Falldarstellung und zielgerichteten Fragestellungen

Supervision zur Beratung und Reflexion des eigenen fachlichen Handelns

Bereitschaft zu Fort- und Weiterbildung zur Vertiefung und Erweiterung fachlicher Qualifikation

 

Weitere Standards, die weniger die Arbeit im Einzelfall betreffen sondern Frage der Qualitätssicherung und –entwicklung müssen diese ergänzen. Sie betreffen eher die Ebene der Regional- und Jugendamtsleitung sowie das Fachteam und werden auch in der Weiterentwicklung des Konzeptes der Sozialraumorientierung eine wesentliche Rolle spielen:

 

-          Überprüfung der Einhaltung der beschriebenen Verfahren, Leitlinien und Standards

-          Auswertung der Wirksamkeit und Nachhaltigkeit der eingeleiteten Schutz- und Hilfekonzepte

-          Aussagefähige Datenlage herstellen und pflegen

-          Evaluation und Weiterentwicklung des Leistungsspektrums

 

 

1.3       Arbeitsumfang in Zahlen

 

Kindeswohlgefährdungen werden in verschiedenster Form an das Jugendamt durch Meldungen herangetragen oder sie werden innerhalb laufender Betreuungen durch das Jugendamt bekannt.

 

Meldungen

Im Jahr 2006 gingen beim Jugendamt Charlottenburg-Wilmersdorf 160 Meldungen über gefährdete Kinder ein. Die Tendenz ist steigend.

 

25% dieser Meldungen erfolgten durch die Notdienste (Jugendnotdienst, Kindernotdienst und Mädchennotdienst Berlin), 25% durch Nachbarn und Verwandte, 17% verteilen sich auf Krankenhäuser, Gesundheitsdienste, Kindertagesstätten, Frauenhäuser und Jugendhilfeeinrichtungen 14% durch die Polizei, 12% aus laufender Betreuung des RSD, der JB und der Behi und 7% aus Schulen.

 

Gemeldet wurden folgende Gefährdungen:

-          23% aufgrund von familiären Auseinandersetzungen, Streitigkeiten, Gewaltanwendungen

-          18% wegen Verdachts auf körperliche Misshandlung

-          17% wegen Vernachlässigung (überforderte Eltern, Alkohol, bedrückte Kinder, medizinisch unterversorgt, ungenügend bekleidet)

-          11% wegen Aufsichtspflichtverletzung (Kind allein in Wohnung, auf der Straße, am Fenster, Sturz aus dem Fenster)

-          9% Verwahrlosung der Wohnung

-          6% Gewalt in der Schule

-          5% wegen suizidgefährdeter und psychisch kranker Elternteile

-          4% weinende oder häufig schreiende Kinder

-          4% weglaufende, auf Trebe befindende Kinder/Jugendliche

-          3% wegen Verdachts auf sexuellen Missbrauch

 

In 40 Fällen - 25% aller eingegangen Meldungen über Kindeswohlgefährdungen - kam es zur Inobhutnahme.

64 Fälle (40%) mündeten in längerfristig angelegte Betreuungen und Hilfen zur Erziehung.

In 32 Fällen (20%) erfolgten kurzzeitige Beratungen.

In 24 Fällen (15%) hat sich eine mögliche Gefährdung nicht bestätigt.

 

 

Mitwirkung in familiengerichtlichen Verfahren

Rund 600 Fälle von Mitwirkung in familiengerichtlichen Verfahren waren in 2006 zu bearbeiten. In 56 Fällen wurde das Familiengericht durch das Jugendamt gemäß § 8a SGB VIII angerufen und familiengerichtliche Verfahren auf der Grundlage des §1666 BGB (Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls) eingeleitet; in weiteren 14 Fällen von Kindeswohlgefährdung waren Stellungnahmen des Jugendamtes aufgrund von Gerichtsanfragen erforderlich. Darüber hinaus gab es Fälle von Kindeswohlgefährdung im Zusammenhang mit den übrigen Gerichtsanfragen, diese werden jedoch nicht statistisch erfasst.

Hilfen zur Erziehung (HzE)

Alle HzE werden in der Hilfeplanstatistik erfasst, die Rubriken zum Anlass der Hilfe enthält. Diese wurden unter dem Gesichtspunkt Kindeswohlgefährdung ausgewertet. Danach wurden im Jahr 2006 von 1042 laufenden Hilfen zur Erziehung in 677 Fällen (65%) HzE aufgrund von Kindeswohlgefährdung gewährt.

 

Weitere Aufgaben des Sozialpädagogischen Dienstes neben der Erfüllung des

Kinderschutzes

 

Beratung und Unterstützung:

 

Als zentraler Basisdienst berät, betreut und unterstützt der Sozialpädagogische Dienst bei nahezu allen Problemen, Fragen und Belastungen, die in der Familie und dem sozialen Umfeld auftreten. Vorrangiges Ziel ist, Krisen- und Konfliktsituationen vorzubeugen, zu mindern und zu bewältigen.

Die Beratung erfolgt gemäß §§ 13, 16, 17, 18, 19, 20, 21 und 50 SGB VIII auf freiwilliger Basis entsprechend den Anliegen und Lebensumständen der Familien.

Bei der Gewährung weiterer Leistungen durch den Sozialpädagogischen Dienst handelt es sich ebenfalls um Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht mit den wie bereits oben beschriebenen Hilfeplanverfahren.

 

Hilfen zur Erziehung:

-          Sozialpädagogische Familienhilfe

-          Soziale Gruppenarbeit

-          Erziehungshilfe und Betreuungshelfer

-          Tagesgruppe

-          Pflegefamilie

-          Stationäre betreute Wohnformen

-          Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung

-          Therapeutische Hilfen

-          Erziehungsberatung in einer Erziehungsberatungsstelle

 

Darüber hinaus kann die Gewährung folgender Jugendhilfeleistungen in Betracht kommen:

-          Unterbringung zur Erfüllung der Schulpflicht

-          Versorgung von Kindern in Notsituationen

-          Unterstützung bei der Ausübung des Umgangsrechts

-          Jugendsozialarbeit

 

Berichte und gutachtliche Stellungnahmen:

Es handelt sich um Befürwortungen von Leistungen und um gutachtliche Äußerungen zu bestimmten familiären Situationen unter sozialpädagogischen Aspekten, und zwar:

 

Sozialpädagogische Stellungnahme und Hilfeplanung bei allen

-          Hilfen zur Erziehung mit dem aufwändigen Hilfeplanverfahren analog dem Beispiel Familienhilfe bezogen auf alle Fälle, die nicht Kinderschutzfälle sind (s.o.)

 

Sozialpädagogische Stellungnahmen zur Mitwirkung in

-          Familiengerichtlichen Verfahren gemäß §§ 49a FGG und 50 SGB VIII ohne Kindeswohlgefährdung

 

Sozialpädagogische Stellungnahmen zu

-          Gutachtenaufträgen an Erziehungs- und Familienberatung, KJPD

-          Prüfungsaufträgen durch den Internationalen Sozialdienst

 

Sozialpädagogische Stellungnahmen zu

-          Namensänderung (Rechtsamt)

-          Adoption durch Stiefvater (Vormundschaftsgericht)

-          Verlauf von Vormundschaften

-          Amtshilfeersuchen

 

Befürwortende Stellungnahmen

-          an Leistungserbringer wie Soziale Wohnhilfe und Job-Center

-          zur Inanspruchnahme von Stiftungsmitteln

-          im Rahmen des Kita-Gutscheinverfahrens:

          Erfordernis eines Kitaplatzes bei zusätzlichem Bedarf aus sozialpädagogischen Gründen

          zur Kostenbeitragsreduzierung oder Bereitstellung eines Freiplatzes

 

-          Ausbildungspläne und Berichte über Sozialarbeiterpraktikanten/innen

 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


2. Sozialraumorientierung

 

2.1.   Sozialraumorientierte Arbeit

 

Die Umsetzung des Projekts ‚Sozialraumorientierung‘ in Charlottenburg-Wilmersdorf hat mit Wirkung vom 01.02.2006 begonnen (Anlage 6) und ist bei weitem noch nicht abgeschlossen.

 

Folgende methodische Prinzipien kennzeichnen die sozialraumorientierte Arbeit in der Jugendhilfe (nach Prof. Hinte):

-          Orientierung an Interessen und am Willen,

-          Unterstützung von Eigeninitiative und Selbsthilfe,

-          Konzentration auf die Ressourcen der Menschen und des Sozialraums,

-          zielgruppen- und bereichsübergreifende Sichtweise sowie

-          Kooperation und Koordination.

 

Das konsequente Erschließen und Nutzen der Potentiale und Ressourcen von Menschen und Wohnquartieren, das In-den-Blick-nehmen der Lebensbedingungen im Stadtteil über den Bedarf im Einzelfall hinaus, insbesondere aber die verlässliche und produktive Vernetzung der lokalen Akteure/innen muss einen spürbaren Arbeitszeitanteil der Fachkräfte in den Regionen ausmachen. Dies kann nur gelingen, wenn gleichzeitig Routinen aufgegeben werden, die sich aus der bisherigen Arbeitsweise ergeben. Zu denken ist insbesondere an bürokratiebezogene Aufgaben (z.B. Vielzahl der Vordrucke, Statistiken und Verwaltungsverfahrensvorschriften) die in den letzten Jahren nach Einschätzung der sozialpädagogischen Fachkräfte (in allen Bezirken) einen immer größeren Raum zu Lasten der unmittelbar klientenbezogenen Tätigkeit eingenommen haben.

 

Erfahrungswerte hinsichtlich der Auswirkungen auf den Personalbedarf liegen noch nicht vor. Realistischerweise sehen weder das Landes- noch das Bezirksprojekt im Zusammenhang mit den konzeptionellen und organisatorischen Veränderungen in der Jugendhilfe einen personellen Ausbau vor. Zugleich ist hervorzuheben, dass Sozialraumorientierung auch nicht als Begründung oder Absicherung für weitere Einsparungen im Personalbereich dient.

 

Die mit der Sozialraumorientierung einhergehenden organisatorischen Veränderungen im Jugendamt Charlottenburg-Wilmersdorf hatten im Frühjahr 2006 den Abbau einer Hierarchiestufe zur Folge und eröffneten damit die Chance, den Sozialpädagogischen Dienst zunächst von personellen Einsparungen auszunehmen. Die im Jahr 2007 bevorstehenden Veränderungen in der Arbeitsweise des Sozialpädagogischen Dienst sollen ohne Auswirkungen auf den Personalbedarf bleiben, indem durch Sozialraumorientierung verursachte Mehrarbeit durch Straffung und Vereinfachung an anderer Stelle kompensiert wird. Dies bedeutet aber auch, dass ein Personalabbau im Sozialpädagogischen Dienst zugleich das Ende des Projekts ‚Sozialraumorientierung” wäre. Dies gilt in Charlottenburg-Wilmersdorf ebenso wie für das Landesprojekt und ist sowohl von der Projektleitung auf Landesebene wie auch von der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts unmissverständlich klargestellt worden.

 

 

2.2.      Ziele für die weitere Umsetzung

 

·         An erster Stelle steht die Zielsetzung, über strukturierte Verfahren in allen Regionen und eine entsprechende Leitungstätigkeit zu nachvollziehbaren fachlichen Standards zu kommen.

 

·         Für die Fallbearbeitung soll künftig eine einheitliche, systematische Ressourcenerhebung während der Falleingangsphase und die Vereinbarung klarer, konkret formulierter und ressourcenorientierter Ziele sowie deren verbindliche Überprüfung gelten. Mittelfristig wird angestrebt, die wirtschaftliche Jugendhilfe frühzeitig in die Fallbearbeitung einzubeziehen. Ebenso sollen Nichtprofessionelle in die Hilfen einbezogen werden.

 

·         Unter einem Netzwerk für Kinderschutz wird die kontinuierliche Unterstützung und Hilfe durch konkrete Menschen in räumlicher Nähe verstanden. Ziel ist deshalb vorrangig der professionell unterstützte Wiederaufbau funktionierender Nachbarschaften und nicht die Vernetzung von im Quartier nicht verankerten Professionellen und noch mehr Vorschriften.

 

·         Nach der Umsetzung regionaler Schwerpunkte in den ambulanten Hilfen wird auch für stationäre Angebote aller Art eine sozialräumliche Integration als Ergänzung zu gruppenpädagogischen und individuellen Komponenten angestrebt.

 

·         Die Mitarbeiter/innen der Erziehungs- und Familienberatung und des Kinder- und Jugendpsychiatrischen Dienstes werden künftig einen Teil ihrer Arbeit außerhalb ihrer Einrichtungen leisten. U.a. wird angestrebt, durch die Unterstützung für Regeleinrichtungen Ausgrenzungsprozesse und nachfolgende Erziehungshilfen zu vermeiden.

 

·         Die Regionalteams entwickeln Verfahren und Strukturen für die fallunabhängige Arbeit. Dazu gehört die Vernetzung der Professionellen im Wohnquartier und die Unterstützung von Nachbarschaften, das “Sich-einklinken” in aktive Gruppen, Vereine, Clubs, Kirchengemeinden etc., das Nutzen von “Events” im Stadtteil u.v.m.

 

·         In den Kinder- und Jugendeinrichtungen soll eine zunehmende Zahl von Aktivitäten von den jungen Menschen selbst organisiert werden. Die Mitarbeiter/innen der Einrichtungen werden einen Teil ihrer Arbeit außerhalb der Einrichtungen im Wohnquartier leisten. Die Öffnungszeiten der Einrichtungen werden noch stärker dem Bedarf der jungen Menschen angepasst, auch mit Hilfe von Nachbarschaft und Selbstorganisation.

 

·         Kindertagesstätten und Kinder- und Jugendeinrichtungen aller Art werden angehalten, sich von einem Selbstverständnis als “pädagogische Reservate” zu verabschieden und ihre Immobilien auch als Stützpunkte für Aktivitäten im Umfeld zu nutzen: Kinder gehören wieder ins Stadtbild!

 

·         Auf Landesebene ist die Beseitigung hemmender Regelungen im derzeitigen Finanzierungssystem der Jugendhilfe vorgesehen. Dies erfordert im Bezirk die Vorbereitung auf das geplante “Gesamtbudget Jugendhilfe” und die aktive Einflussnahme auf die Festlegung von Standards.

 

·         Sozialraumorientierung beschränkt sich nicht auf die Jugendhilfe: Im Schulbereich werden alle Entwicklungen in Richtung von Quartierschulen, Stadtteilschulen, Nachbarschaftsschulen (community education) unterstützt: Ziel ist die Schule als Stadtteil- und Bildungszentrum im Wohnquartier.

 

·         Für die Bereiche Soziales, Gesundheit und Arbeitsförderung liegt eine Annäherung an die methodischen Grundlagen sozialraumorientierter Arbeit nahe: Förderung von Eigeninitiative und Selbsthilfe, Erschließen und Nutzen von Ressourcen etc. Eine enge Kooperation mit der Jugendhilfe im Stadtteil ist dann selbstverständlich.

 

·         Ressourcen dürfen aber nicht nur genutzt, sie müssen auch geschaffen und gepflegt werden: Spielplätze, Grünanlagen, Bibliotheken, Kultureinrichtungen, Gastronomie und Einzelhandel tragen das ihre zu einem funktionierenden Wohnquartier bei und sind Ausgangs- und Treffpunkte von Nachbarschaft. Damit aber ist eine bürgernahe Kommunalpolitik und –verwaltung zur Gänze gefordert: Im Fokus stehen die Lebensbedingungen in den Stadtteilen und Kiezen des Bezirks, um deren integrative und präventive Funktion zu stärken.

 

 

3.      Finanziell notwendiger Rahmen

 

3.1              Sachmittelausstattung

 

Mit dem gegenwärtigen Personaleinsatz im Sozialpädagogischen Dienst ist es erfolgreich gelungen, durch Steuerung des Leistungsangebots die Transferkosten im Bereich HzE deutlich zu reduzieren ( 2002 = 30.080.306,00 €, 2006 = 19.624 634,00 € ). Dies hat leider nicht zur Folge gehabt, dass für sozialräumliches Arbeiten auch nur im Ansatz Mittel für fallunspezifische Arbeit und Infrastrukturverbesserungen vorhanden sind (Charlottenburg-Wilmersdorf fällt bekanntermaßen auch immer aus der Verteilung von Mitteln für Quartiersmanagement etc. heraus).

 

Es wird erneut darauf hingewiesen, dass eine weitere Absenkung der Mittel für HzE vor dem Hintergrund der geschilderten Kinderschutzaufgabe nicht zu verantworten ist, sondern vielmehr in Zukunft eine berlinweite Orientierung an ca. 315.000.000 € erforderlich ist.

 

Notwendig aus Sicht des Jugendamtes sind für eine nachhaltige Stabilisierung des Erreichten weiterhin der Erhalt der Mittelausstattung für Fortbildung sowie zusätzliche Mittel für fallunspezifische Arbeit und Mittel für Evaluation.

 

 

3.2              Personalausstattung

 

Unter Hinweis auf die Zahlen unter 1.3, den Aussagen zur Methodik der Sozialraumorientierung und unter Betonung, dass die Personalausstattung für die übrigen Pflichtaufgaben des Jugendamtes hier nicht Thema sind, können nunmehr folgende Aussagen gemacht werden:

Der sozialpädagogische Dienst des Jugendamtes Charlottenburg-Wilmersdorf - RSD und Jugendberatung in den Regionalteams und Anteile der Behindertenhilfe - umfasst zur Zeit 53 Vollzeitstellen, die für die ca. 39.000 Minderjährigen im Bezirk und ihre Familien zuständig sind (in der Praxis kommt noch die Gruppe der ebenfalls anspruchsberechtigten jungen Volljährigen hinzu). Rechnerisch entfallen damit auf eine Sozialarbeiter/innenstelle ca. 738 Minderjährige. Da bei der Aufteilung der Stellen auf die Regionalteams die jeweilige Sozialstruktur im Einzugsgebiet beachtet wurde, schwankt die Minderjährigenzahl pro Sozialarbeiter/innenstelle zwischen ca. 450 in der Region 1 und ca. 1.116 in der Region 3.

 

Von diesen 53 Stellen wird Arbeitszeit im Umfang von 25 Vollzeitstellen ausschließlich für die unter 1. beschriebenen Aufgaben zum Schutz und Hilfe bei Kindeswohlgefährdungen aufgewendet, das sind rund die Hälfte der in den sozialpädagogischen Diensten zur Verfügung stehenden Stellen.

 

Diese 25 Stellenanteile rechnen sich einerseits aus der Zuordnung Kinderschutzrelevanz aus der Hilfeplanstatistik sowie der Mitwirkung in familiengerichtlichen Verfahren und andererseits aus dem Stellenanteil für das Produkt “Förderung, Unterstützung und Kinderschutz gewährleistende Sozialarbeit”. Mit der anderen Hälfte müssen sämtliche übrigen Pflichtaufgaben, der stets wachsende Verwaltungsanteil sowie alle übrigen Aufgaben, die für Mitarbeiter/innen einer Bezirksverwaltung anfallen können, erfüllt werden. Derzeit sind davon allein 3,7 Stellenanteile – anders als in den Vorjahren – zusätzlich für Sozialraumorientierung-Schulung, -Fortbildung und Vernetzung erforderlich.

 

Eine überdurchschnittliche Reduzierung um 6,5 Stellen (12,3%) von 53 auf 46,5 Stellen real vorhandenes Personal ergibt sich durch Beurlaubung und langfristige Erkrankungen. Auch im Jugendamt macht sich hierbei insbesondere der stetig wachsende Altersdurchschnitt der Mitarbeiter/innen (~ 51 Jahre) bemerkbar, denn seit Jahren ist es faktisch zu keinem Zugang jüngerer Fachkräfte gekommen. Dadurch reduzieren sich in fortgesetzt problematischer Weise die personellen Ressourcen im Bereich der anderen Pflichtaufgaben des Jugendamtes, weil für die vorrangige Wahrnehmung des Kinderschutzes die 25 Stellenanteile real zwingend zur Verfügung stehen müssen.

 

Auch wenn Neubesetzungen unbesetzter Stellen über den Zentralen Stellenpool (ZEP) in der Vergangenheit mit erheblichem Aufwand stattgefunden haben und zur Gewährleistung der gesetzlichen Pflichtaufgaben des Jugendamtes weiterhin stattfinden, stellt dies für die Sozialarbeiter/innen eine erhebliche Zusatzbelastung dar, da zwischen Freiwerden und Neubesetzung lange Zeiträume liegen und neue Fachkräfte häufig aus anderen Arbeitsbereichen stammen, die sehr gründlich eingearbeitet werden müssen.

 

Aufgrund der bisherigen Erfahrungen ist festzuhalten, dass 53 Vollzeitstellen für den Sozialpädagogischen Dienst in den Regionalteams – besetzt mit Personal, das diese Tätigkeit auch tatsächlich ausüben kann – eine knappe, aber immer noch einigermaßen bedarfsgerechte Personalausstattung darstellen, die sowohl Kinderschutzarbeit mit der beschriebenen Qualität zulässt wie auch die Umsteuerung auf eine sozialraumorientierte Arbeit.

 

Trotzdem ist die tatsächlich vor Ort vorhandene Personalausstattung die wesentliche Problematik für die Leitungskräfte des Jugendamtes sowohl bei der Sicherung der anerkannten Fachstandards als auch bei der Realisierung der Sozialraumorientierung. In Verbindung mit den rigiden Regelungen des öffentlichen Personalrechts bedeutet eine um über 10 % dauerhaft verringerte Personaldecke im Sozialpädagogischen Dienst fortgesetzt sehr problematische Einschränkung der Aufgabenerfüllung. Betrachtet man nicht die stellenplanmäßige Ausstattung der Regionalteams, sondern die dort tatsächlich Tätigen und verlässlich Anwesenden, so ist die Ausstattung des Sozialpädagogischen Dienstes auch in Charlottenburg-Wilmersdorf immer häufiger nicht mehr ausreichend, um die o.g. Qualitätsstandards einzuhalten.

 

Wenig hilfreich sind die bisher verwendeten Verfahren zur Beschreibung und zum Vergleich der Personalausstattung der sozialpädagogischen Dienste. Die Kosten- und Leistungsrechnung setzt Produktmengen in Beziehung zur Personalausstattung, was durch die Zählprobleme bei personengebundenen Dienstleistungen zu weitgehend sinnfreien Ergebnissen führt. Andere Personalvergleiche zählen Menschen mit gleicher Ausbildung, unabhängig davon, ob und wo sie tatsächlich tätig sind. Dabei entstehen Ergebnisse und Vergleiche, die mit der Alltagssituation in den sozialen Diensten und in den Regionalteams nichts zu tun haben.

 

Hinzu kommt, dass es bisher keinen Konsens gibt zu einer personellen Mindestausstattung für die soziale Arbeit der Jugendämter. Der quantitative Personalbedarf in der öffentlichen Verwaltung wird häufig aus Fallzahlen, Fallzeit und Verteilzeitfaktor analytisch ermittelt. Dies führt jedoch für den Bereich der Sozialen Arbeit lediglich zu scheingenauen Ergebnissen, da das Leistungsprogramm, die Qualität der Leistung und andere “weiche” Faktoren dabei unberücksichtigt bleiben (nicht einmal die Frage, wann ein “Fall” ein “Fall” ist, lässt sich verbindlich festlegen). Schon vor 40 Jahren hat die Senatsverwaltung für Inneres in einem Organisationsgutachten festgestellt, dass das bis dahin verwendete Berechnungsverfahren über Fallzahlen zu unsinnigen Ergebnissen und einer völligen Fehlsteuerung führt.

 

Heute besteht überwiegend Einigkeit, dass die Festsetzung einer Personalausstattung für den Sozialpädagogischen Dienst des Jugendamtes in Form eines Richtwertverfahrens auf der Grundlage der Minderjährigenzahl in Verbindung mit sozialen Indikatoren erfolgen muss.

 

In Charlottenburg-Wilmersdorf wurden hierfür zuletzt die folgenden Indikatoren verwendet: Die Zahl der jungen Menschen unter 18 Jahren, ein ‚Wohngebietsindikator‘ (nach Stadtmonitoring und Sozialatlas), ein ‚Armutsindikator‘ (nach dem Anteil Minderjähriger mit laufender Hilfe zum Lebensunterhalt) und ein ‚Interventionsindikator‘ (Erziehungshilfen, Räumungsmitteilungen und Gerichtsanfragen im Verhältnis zur Minderjährigenzahl).

Die mit dieser Zielrichtung entwickelten Methoden – auch in Charlottenburg-Wilmersdorf – haben bisher aber keine Mindestausstattung zum Ziel, sondern lediglich die bedarfsgerechte regionale Verteilung einer gegebenen Zahl von Fachkräften. Notwendig ist aber zusätzlich eine strategische Perspektive, da mit der Personalausstattung zugleich auch über den Leistungsumfang und die Qualität der Sozialen Arbeit im Jugendamt und damit auch des Kinderschutzes verhandelt wird.

 

Vor diesem Hintergrund wird mit Nachdruck auf die dringende Notwendigkeit eines spürbar entlastenden Einstellungskorridors für Sozialarbeiter/innen zur Erfüllung der gesetzlichen Pflichtaufgaben des Jugendamtes unter besonderer Berücksichtigung des Kinderschutzes und der erfolgreichen Realisierung der Sozialraumorientierung hingewiesen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Monika Thiemen                                                           Reinhard Naumann

Bezirksbürgermeisterin                                               Bezirksstadtrat

 

 

 

 


 

 
 

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