Auszug - Bebauungsplanverfahren IX-205a "Kleingartenkolonie Oeynhausen"  

 
 
20. Öffentliche Sitzung des Ausschusses für Stadtentwicklung
TOP: Ö 4
Gremium: Ausschuss für Stadtentwicklung Beschlussart: erledigt
Datum: Mi, 16.01.2013 Status: öffentlich
Zeit: 17:30 - 19:12 Anlass: ordentliche Sitzung
 
Wortprotokoll
Beschluss

vertagt

Herr Häntsch schlägt zur strukturierten Erörterung des Themas vor, zunächst das Bezirksamt, danach den Investor und anschließend die Vertreter der Kolonie Oeynhausen anzuhören. Herr Schulte stellt zunächst den Ablauf der Verhandlungen mit dem Investor dar: Nachdem am 1. März 2012 die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt um Unterstützung bei der Sicherung der Kolonie gebeten wurde, kam nach zwei Monaten eine zwar insgesamt positive Antwort, gleichzeitig ist aber auf ein finanzielles Restrisiko bei der Festsetzung des Bebauungsplanes IX-205 a hingewiesen worden. Die Absicherung möglicher Forderungen der Grundstückseigentümer müsse der Bezirk mit der Senatsverwaltung für Finanzen klären. Am 2. Juni 2012 wurde dieser Umstand in einer Versammlung in der Lindenkirche den betroffenen Kleingärtnerinnen und Kleingärtnern mitgeteilt. Mit der daraufhin vom Bezirksverband gegebenen mündlichen Zusage, 900 000 ? für den Kolonieerwerb bereitzustellen, wurde an die Senatsverwaltung für Finanzen herangetreten. Diese lehnte wiederholt und trotz Intervention von Bezirksbürgermeister Naumann eine haushaltärische Deckungszusage oder sonstige Risikoübernahme durch das Land Berlin ab. Eine Festsetzung des Bebauungsplans wäre nunmehr grob fahrlässig. Die bislang geschätzten Schadensersatzansprüche variierten in einer Bandbreite von 900 000 ? bis 50 Millionen Euro. Aufgrund des bereits seit den 1960er Jahren bestehenden Baurechts und des daraus abgeleiteten Anspruchs auf die Erteilung des im Frühjahr 2011 beantragten Bauvorbescheides wurde der Investor ab September 2012 in Gesprächen und Verhandlungen der schließlich ausgehandelte Kompromiss abgerungen. Voraussetzung sei jedoch, dass die Bezirksverordnetenversammlung in ihrer morgigen Sitzung diesem Kompromiss zustimme. Er besteht im Wesentlichen aus vier Kernpunkten:

  1. Sicherung von 155 der insgesamt 300 Parzellen,
  2. Übertragung des verbleibenden Kolonielandes in das Vermögen des Bezirkes und Festsetzung als Dauerkleingartenanlage,
  3. Erschließung des Baulandes auf Kosten des Eigentümers und Sicherung der öffentlichen Durchwegung,
  4. Einrichtung einer Kindertagesstätte in den neu entstehenden Bauten.

 

Herr Nöfer von der Nöfer Gesellschaft von Architekten mbH stellt den Entwurf der Baukörper vor, deren Lage sich an den alten Straßen- und Baufluchtlinien orientiere. Vorgeschlagen wird eine parzellierte Bebauung in vier Blöcken, die sich wiederum in zum Teil blockweise zurückgesetzte Einzelhäuser unterteile. Die traditionelle fünfgeschossige Bebauung mit Staffelgeschoss biete Platz für 700 Wohnungen mit einer Geschosshöhe von drei Metern. Vorbilder für die Gestaltung sind zum Beispiel die Ceciliengärten. Die Lage der ebenfalls vorgesehenen Kindertagesstätte wäre noch nicht festgelegt. Erschlossen würden die Häuser ausschließlich über die Forckenbeckstraße. Die Bebauung würde ferner einen Lärmschutz für die Bestandsbauten gegen die Emissionen der Stadtautobahn bieten.

 

Herr Warnke, Unterpächter in der Kolonie, weist auf den Flächennutzungsplan Berlin hin, in dem die Kolonie als Kleingartenland festgesetzt wurde. Mit dem eingeleiteten Bürgerbegehren solle auch für den Bezirk Zeit gewonnen werden, der bislang das Angebot der Kleingärtnerinnen und Kleingärtner, ihn beim Erhalt der Kolonie zu unterstützen, nicht angenommen habe. Um die Ausschöpfung des Rechtsweges sicherzustellen, wäre auch der Erlass einer Veränderungssperre nötig.

 

Auf Nachfrage von Frau Klose zum bisherigen Ausschluss der Öffentlichkeit erläutert Herr Schulte, dass bestimmte Dinge vertraulich zu behandeln sind, diese wiederum den BVV-Mitgliedern auf Antrag aber zugänglich gemacht werden können. Über den Widerspruch zum Bürgerentscheid werde in der Sitzung des Bezirksamtes am 22. Januar 2013 entschieden. Frau Centgraf weist auf die bestehende Zuständigkeit des Bezirkes für die Festsetzung eines Bebauungsplans hin. Erklärte Planungsabsicht des Bezirks war und ist die Sicherung der Kolonie, deshalb könne man, wenn man es denn tatsächlich wolle, den Bebauungsplan festsetzen. Ihres Wissens nach handele es sich auch nicht um einen Bauvorbescheidsantrag, sondern um die Bauvoranfrage. Der Kompromiss ist letztlich nur vom Bezirksamt ausgehandelt worden, einem ordentlichen Verfahren war er jedoch nicht unterworfen. Dazu stellt Herr Schulte klar, dass er nicht von einer Alternativlosigkeit des Kompromisses geredet habe. Die BVV kann eine andere Entscheidung treffen und den Bebauungsplan festsetzen, offen bliebe, wer für einen eventuellen Schaden aufkomme. Dazu müsse der Bezirk Vorsorge treffen, was ihm aber angesichts der bekannten Haushaltssituation nicht möglich sei. Eine andere Alternative ist die vollständige Bebauung. Investorenseitig komme der Kompromiss aber nur ohne Planungsverfahren in Frage. Andererseits unterliege auch die mit dem Kompromiss einhergehende Befreiungsentscheidung einer rechtlichen Überprüfbarkeit. Herr Gusy stellt die Fragen in den Raum, wieso die Kolonie nicht in den letzten 10 Jahren gesichert wurde und ob dadurch eine Wertsteigerung des Landes stattgefunden habe. Seine Fraktion beharre auf eine vorhabenbezogene Planung, eine Befreiungsentscheidung werde nicht unterstützt. Nachdem Herr Dr. Heise seine Einschätzung zur Situation und grundsätzlichen Frage im Umgang mit Eigentum verlesen sowie Proteste auch vor Ort beim Investor anregte, weist ihn Herr Häntsch auf die Einhaltung der Geschäftsordnung hin, die ein Ablesen von Redebeiträgen nicht zulasse. Eine andere Informationspolitik bei Vorhaben dieser Art fordert Frau Klose ein. Alle Parteien plädierten im Wahlkampf für den Erhalt der Kolonie Oeynhausen und müssten nun die Verantwortung dafür mittragen. Daher wäre es auch notwendig zu wissen, ob das Bezirksamt die Auffassung zur Planfestsetzung geschlossen teile. Ausführlich schildert Herr Wuttig den bestehenden Dissens und stellt den Abwägungsprozeß unter Einbindung des bestehenden Prozesskostenrisikos und der Bezirksfinanzen dar. Dass die vereinbarte Vertraulichkeit zu respektieren war, räumt Herr Herz ein. Dennoch hätte eine frühzeitige Kommunikation stattfinden müssen, er selbst habe zum ersten Mal im November 2012 vom Kompromiss gehört. Eine Entwicklung sei jedoch seitdem nicht erkennbar, gegebenenfalls wären in einem Bebauungsplanverfahren andere Möglichkeiten darstellbar. Zur Kritik an der Informationspolitik weist Herr Schulte ergänzend auf das Gesprächsangebot eines der Gutachter hin, das, außer von der der Piraten, von allen Fraktionen angenommen wurde. Die ebenfalls erhobenen Forderungen nach niedrigpreisigem Wohnraum wurden ergebnislos verhandelt, da sich die bauliche Verdichtung nicht mit den Vorstellungen zur Mieterlös in Einklang bringen ließ. Bei der Wertermittlung des Grundstückes, das zur Zeit mit 25 Millionen Euro beziffert werde, wurden die Bodenrichtwerte des Jahres 2000 zu Grunde gelegt. Bereits bei der im Jahr 2000 angestoßenen Bebauungsplanung hatte die Post als damalige Eigentümerin angedroht, Schadensersatz zu fordern, sollte die Fläche planungsrechtlich als Kleingarten festgesetzt werden. Auch der Erlass einer Veränderungssperre könne Entschädigungspflichten auslösen, wenn ein Bebauungsplan in seinen Grundzügen nicht festsetzungsfähig ist. Und da eine finanzielle Deckung fehle, liegt eine Festsetzungsfähigkeit nicht vor. Bedauerlich sei, dass es im Abgeordnetenhaus zu keiner Initiative gekommen sei, den Hauptausschuss zu beteiligen und damit der Bezirk in der Wahrnehmung seiner Verantwortung ohne Unterstützung blieb. Auch seien mittlerweile die Planungsvoraussetzungen gegenüber 2000 andere, da damals noch kein Wohnungsmangel in Berlin unterstellt wurde. Zur Frage der Geschlossenheit des Bezirksamtes sei durch die Geschäftsordnung das Ressortprinzip eindeutig geregelt.

 

Herr Neuhaus, anwaltlicher Vertreter der Kleingärtnerinnen und Kleingärtner, relativiert zunächst die von Herrn Dr. Heise vorgetragenen Anmerkungen zum Eigentumsrecht und richtet an den im Saal anwesenden Stadtrat für Bürgerdienste, Weiterbildung, Kultur, Hochbau und Immobilien, Herrn Gröhler, die Frage, ob er bereit wäre, den Bebauungsplan zu unterschreiben. Auch fordert er den Bezirk auf, Konsequenzen aus seinem Verwaltungshandeln wie Entschädigungsfragen vorab zu klären.

 

Unter Hinweis auf das Ressortprinzip weist Herr Häntsch darauf hin, an das Bezirksamt gerichtete Fragen ausschließlich durch Herrn Schulte beantworten lassen zu wollen. Dagegen stellt Herr Schlosser den Geschäftsordnungsantrag, vom Recht Gebrauch zu machen, Bezirksamtsmitglieder in den Ausschüssen zu befragen. Herr Gröhler stellt jedoch klar, dass wiederum die Geschäftsordnung des Bezirksamtes dieses nicht zuließe.

 

Seitens der Kleingärtnerinnen und Kleingärtner wird die Wahrnehmung der Antworten sowie die Diskussion insgesamt als nachdenklich stimmend bezeichnet. Die vielfach beschworene Einheitsgemeinde Berlin scheine nicht mehr existent, die Bedeutung der Kolonie Oeynhausen für das städtische Klima und die Kaltluftentwicklung würde ignoriert. Befremdend wirke ferner, dass ein Bezirksamtsmitglied in einer öffentlichen Diskussion nicht reden dürfe. Insgesamt wurden die Betroffenen nicht über die aktuellen Entwicklungen unterrichtet. Den Kleingärtnerinnen und Kleingärtnern wurde jahrelang vorgegaukelt, der Kolonieerhalt sei gesichert, jetzt werde aber immer nur noch auf die Haftung hingewiesen.

 

Gegen den letztgenannten Vorwurf verwahrt sich Herr Schulte, da er seit seinem Amtsantritt immer auf das bestehende Risiko hingewiesen und nie versprochen habe, den Bebauungsplan festzusetzen. Gerade was die Vorwürfe Einzelner angeht, seien genau diese jederzeit im Rahmen der vermittelbaren Fakten informiert gewesen. Trotzdem sind von ihnen persönliche Vorwürfe bis hin zur Dienstaufsichtsbeschwerde erhoben worden. Auch wurde bereits vom damals zuständigen Bezirksamtsmitglied öffentlich Position bezogen, den Bebauungsplan nicht unterschreiben zu können.

 

Herr Becker, Unterpächter in der Kolonie, zeigt sich verärgert über lange Redebeiträge einzelner Ausschussmitglieder, die zu Lasten der Fragezeit gingen. Zwar ist es richtig, dass man im Juni unterrichtet wurde. Als man aber im Bezirksverband die Mittel aufgebracht habe, wurde die Politik geändert und die gereichte Hand zurückgewiesen. Es würden immer höhere Hürden gebaut, weswegen man sich hinters Licht geführt fühle und das Vertrauen in die Politik schwinde.

 

Die vom Bezirksverband mündlich gegebene Zusage wurde gegenüber der Senatsverwaltung für Finanzen als Druckmittel benutzt, so Herr Schulte. Auf dem Sommerfest am 11. August 2012 wurde dann die negative Entscheidung der Senatsverwaltung vermittelt und das Angebot war mithin nicht mehr notwendig. Vom Angebot, ebenfalls mit dem Gutachter reden zu können, wurde seitens des Verbandes kein Gebrauch gemacht. Erstaunt über den Umstand, dass nur ein Bezirksamtsmitglied oder dessen Vertretung den Bebauungsplan unterschreiben kann, obwohl es andere Signale gebe, zeigt sich Herr Herz. Auch hinterfragt er die Rechtssicherheit der Befreiung. Sollte die BVV entscheiden, den Bebauungsplan festsetzen zu lassen, müsste das Bezirksamt aus Sicht von Herrn Schulte gegebenenfalls über eine Ressortumstrukturierung entscheiden. Gegen die an den Kompromiss gebundene Befreiungsentscheidung stehe wie bereits erläutert den Nachbarn der Rechtsweg offen.

 

Das Schlusswort erhält Herr Dr. Haaß, Anwalt des Investors. Der Weg über die angestrebte Befreiung hält er für rechtssicher. Klagen könnten keinen Erfolg haben, da das Bauvorhaben vom Nachbarschaftsverhältnis her verträglich sei. Den in harten Verhandlungen erzielten Kompromiss bezeichnet er als fair.

 

Herr Häntsch bedankt sich bei allen Anwesenden für die trotz des brisanten Themas insgesamt sachlich geführte Debatte und beendet die Erörterung des Tagesordnungspunktes.


 

 
 

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