Drucksache - 0271/4  

 
 
Betreff: Bodenpolitik entwickeln - Charlottenburg-Wilmersdorf neudenken!?
Status:öffentlich  
 Ursprungaktuell
Initiator:Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 
Verfasser:Dr.Vandrey/Kaas Elias/Dr.Heise/Wieland/Gusy 
Drucksache-Art:Große AnfrageGroße Anfrage
Beratungsfolge:
Bezirksverordnetenversammlung Beratung
14.06.2012 
10. Öffentliche Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin beantwortet   

Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Große Anfrage
Beantwortung

Wir fragen das Bezirksamt:

 

Wir fragen das Bezirksamt:

 

  1. Welche Anforderungen sieht das Bezirksamt an die Liegenschaftspolitik des Landes Berlin, um im Bezirk den Wohnungsmarkt besonders im unteren und mittleren Preissegment zu unterstützen, kulturelle und soziale Projekte zu erhalten sowie dem kurzfristigen Gewinnstreben durch einen Verkauf einen nachhaltigen ökonomischen und sozialen Gewinn für den Bezirk durch temporäre Überlassungen, Zwischennutzungskonzepte, durch Vermietung oder Erbpacht entgegenzusetzen?
     
  2. Wie sichert das Bezirksamt den Bedarf an den für die Daseinsvorsorge (Schule Spielplätze, Erholungsraum) benötigten Flächen für nachkommende Generationen im Bezirk?
     
  3. Welche Maßnahmen hält das Bezirksamt für geeignet, den Verwertungsdruck auf Grund und Boden im Bezirk zu entschärfen, um weiterhin Raum zu haben für gemeinnützige Projekte, die die Stadt so attraktiv machen?
     
  4. Welche Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt mit welchen Auswirkungen für einzelne Kieze erwartet das Bezirksamt in den nächsten 15 Jahren aufgrund der Schließung des Flughafen Tegels; den zahlreichen (Groß)-Verkäufen von Wohnungsbeständen durch und an Investoren, der notwendigen energetischen Sanierung und der Kapitalflucht in Immobilien?
     
  5. Welche Instrumente stehen dem Bezirksamt zur Verfügung, um den durch Sanierungen, Modernisierungen und Instandsetzungen bedingten Veränderungsprozess so zu gestalten, dass langfristig für Bestandsmieter der Verbleib in ihrer Wohnung gesichert ist und auch bei Neuvermietungen ein Preissegment für alle Einkommensschichten im Bezirk zur Verfügung steht?

 

 

Zur Beantwortung Herr BzStR Schulte:

 

Frau Vorsteherin, meine Damen und Herren.

Man liest ja die Großen Anfragen und überlegt, was sagt man dazu. Ich hab jetzt überlegt, ob ich so eine Wahrsagekugel mitnehme und dann versuche, irgendwas zu erläutern. Dann dachte ich, das kommt nicht so gut an. Aber dann ist mir auch eins vor Augen geführt worden, es hat mir auch ein wenig die Tränen in die Augen getrieben: Die Anfrage hat mal wieder gezeigt, als Bezirk haben wir in vielen Politikbereichen nahezu keine Kompetenzen, keine Zuständigkeit und das ist eben mir bei dieser Beantwortung der Frage wieder schmerzlich bewusst geworden, dass, was andere Kommunen können, dass sie tatsächlich auch mit Bodenpolitik bestimmte politische Ziele umsetzen können, das steht uns in keiner Weise offen. Die Bodenpolitik, was ist denn das, ich hab da mal schnell gegoogelt, weil für mich dieser Begriff als Historiker immer etwas belastet ist, jedenfalls hab ich es mal so wahrgenommen, aber es gibt tatsächlich auch Bodenpolitik als eine moderne Definition: Die Gesamtheit aller politischen Maßnahmen, die auf die Herrschaft über die Nutzung des Bodens und auf die Verteilung des Bodeneinkommens einwirken. Wie schon gesagt, da kamen die ersten Tränen.

 

Landespolitisch, und hier komme ich zur Frage 1, gibt es erfreulicherweise  im rot-schwarzen Koalitionsvertrag klare Aussagen: "Berlin braucht zusätzlichen Wohnungsbau, insbesondere um das Angebot an günstigen Mietwohnungen zu erhöhen. Zur Förderung des Neubaus von Wohnungen wird der Senat das Instrument der kostenlosen oder ermäßigten Grundstücksvergabe nutzen." Das sind ja Ziele, aber wenn man die Konflikte dann zwischen Finanzsenator und Stadtentwicklungssenator sieht, wo es mühsam ist, gerade mal 15 Liegenschaften dafür hinzubekommen, dann ist das noch ein weiter Weg, bis dann auch dieser Leitsatz umgesetzt wird, insofern auch eine Aufforderung an unsere Fraktionen CDU/SPD, dass das dann auch wirklich umgesetzt wird, was im Koalitionsvertrag steht.

Und auch die in der Anfrage genannten Bereiche stellen in der Tat die Anforderungen dar, die wir uns im Rahmen einer intelligenten Liegenschaftspolitik wünschen würden.

 

Deswegen die Frage, die ich mir dann gestellt habe, nach dem ich sozusagen durch den Koalitionsvertrag ein wenig wieder lachen konnte oder mich freuen konnte:

Können wir als Bezirk diese Stoßrichtung überhaupt unterstützen?

 

Nein, eher im Gegenteil, durch die hohen Infrastrukturkosten sind wir gezwungen, Gebäude und Flächen abzugeben. Zudem erwarten wir auch in unserem Haushaltsplan einen möglichst hohen Verkaufserlös. Bestandsflächen als Standortreserve vorzuhalten ist quasi schon verboten, weil Flächen, die wir nicht mehr als Fachvermögen brauchen, müssen wir eigentlich nach den Vorgaben sofort dem Liegenschaftsfonds melden. Also, wenn wir sagen, wir halten ganz bewusst eine Fläche vor und dann wird gefragt: Nutzt ihr sie auch? Und wir sagen nein, dann müssen wir sie sofort zum Liegenschaftsfonds geben.  Also, eigentlich dürften wir keine vorhalten und zudem ist es ja auch so, dass es aus Kosten- und Leistungsrechnungsgründen ganz fatal wäre, weil die Kosten dann anfallen für diese Fläche und uns dann wieder auf die Füße fallen. Und Flächen erwerben, nun das ist nun wirklich völlig tabu und muss über das Abgeordnetenhaus gehen und wenn wir dann sagen, wir wollen dann ein wenig Vorsorgepolitik machen oder uns einen Grundstock sichern, um dann Bodenpolitik zu machen, ich glaube, damit haben wir keine Chance.

 

Zudem muss man sagen, es gibt sehr wenige Flächen, die aus dem Fachvermögen entlassen werden können - es sei denn, und jetzt bin ich froh, dass nicht so viel Presse da ist, sonst könnte es wieder falsch verstanden werden, es sei denn wir wollten Kleingartenflächen, Spielplätze oder Sportanlagen oder ähnliches im großen Maßstab aufgeben. Das ist natürlich nicht geplant.

Zwischennutzungen, die auch vorgeschlagen sind in Frage 1, schlagen ebenso haushalterisch zu Buche und haben den entscheidenden Nachteil, dass solche Projekte gerade im sozialen und kulturellen Bereich trotz einer rechtlich vereinbarten Befristung gerade nach Ablauf der vereinbarten Nutzungszeit politisch nur schwer zu beenden sind. Das ist auch eine Erfahrung, die man ehrlicher Weise auch kommunizieren muss. Das heißt, es gibt nichts beständigeres als provisorische Vermietung an soziale oder kulturelle Träger.

 

Zu 2.

Durch diese fehlende Vorhaltepolitik stehen wir vor dem Dilemma, dass strukturelle Änderungen in der öffentlichen Daseinsvorsorge immer stärker durch private Angebote für Senioreneinrichtungen, Kitas und Schulen aufgefangen werden. Ob das immer so gut ist, ist eine Frage. Bei Kitas ist es ja auch erklärte Politik des Senates, aber ob es wirklich für alle Angebote der Daseinsvorsorge so richtig ist, muss man bezweifeln. Deswegen ist es umso wichtiger, Flächen der Daseinsvorsorge möglichst umfassend im Landesbesitz zu belassen.

 

 

Zu 3.

Zu der Frage bin ich natürlich wieder in meine alten Zeiten als Jungsozialist zurück versetzt worden und musste natürlich feststellen, dass im bestehenden System der sozialen Marktwirtschaft solch eine Frage nur schwer zu beantworten ist.

Denn, gesellschaftspolitische Änderungen, die Eingriffe durch den Staat zulassen würden, wie sie vielleicht wünschenswert wären, sind momentan nicht absehbar. Die Attraktivität unseres Bezirks führt zu einer hohen Nachfrage und damit zu dem in der Anfrage formulierten Verwertungsdruck. Planungsrechtlich wären natürlich auch Veränderungen in der Ausweisung denkbar. Wir könnten natürlich Bauland in Grünflächen umwidmen, hindert uns ja keiner dran. Der Nachteil ist dann, dass wir Planungsschaden zahlen müssten und dafür sind ja auch keinerlei Gelder da. Insofern besteht lediglich die Möglichkeit, den Liegenschaftsfonds in Einzelfällen aufzufordern, bei bestimmten Verfahren auf das Höchstpreisverfahren zu verzichten und Baugenossenschaften oder eben gemeinnützige Projekt bei der Vergabe durch eine Direktvergabe zu  bevorzugen. Das tun wir auch, das machen wir auch. Aber manchmal ist das eher so der Vorgang des Bettelns und des Jammerns und das darum drängen und wenn man dann sieht, wie dann andere Personen Einflüsse geltend machen, die dann über andere Schienen kommen, dann merken wir, dass wir manchmal es sehr, sehr schwer haben, unseren Einfluss geltend zu machen.

 

Zu 4.

Leider haben wir im Bezirksamt keine Planungsabteilung, die solche Fragen beantworten kann, wie es in 15 Jahren aussehen würde, zumal eine prognostische Abschätzung für einzelne Kieze für 15 Jahre nahezu unmöglich ist. Die Schließung des Flughafens Tegel wird den Charlottenburger Norden insgesamt attraktiver machen. Dass der vielleicht 2013 fehlende Fluglärm in den Wohngebieten eine Kostenexplosion auslösen wird, erscheint unwahrscheinlich, zumal die Wohnungsbaugesellschaften hier steuernd einwirken können.

 

Die weitere Entwicklung wird auch stark davon abhängen, wie sich die Zinsen und die Kaufkraft insgesamt entwickeln. Aber Fakt bleibt auch, dass Privateigentümer bestrebt sind, die Marktmiete für ihr Objekt zu realisieren. Und die meisten Wohnquartiere in unserem Bezirk gehören nun einmal zu den bevorzugten Wohnlagen.

Deswegen bin ich auch froh, dass auf Landesebene ein Bündnis für soziale Wohnungspolitik und bezahlbare Mieten des Senats mit seinen städtischen Wohnungsbaugesellschaften in Vorbereitung ist. Zwar sind es nur 15 % der Mietwohnungen, aber immerhin ist es schon eine ganz große Menge.

Elemente hierbei sind z.B.: die Mitnahme des Quadratmeterpreises bei dem Umzug in eine kleinere Wohnung, weil sie vielleicht die Lebensverhältnisse geändert haben und die Beschränkung der individuellen Nettokaltmiete auf 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens.

 

Zu 5.

Das städtebauliche Instrumentarium steuert die Nutzungsstruktur der Baugebiete. In Relation zu den Bestandsflächen ist eine signifikante Ausweitung der Siedlungs- und Bauflächen kaum möglich, zumindest in unserem Bezirk, so dass die Wohnungsnachfrage weiter das Angebot übertreffen wird mit all den Folgen für das Mietpreisniveau.

 

Natürlich werden wir das landesweit angestrebte Bündnis mit den Wohnungsbaugesellschaften unterstützen und  werden versuchen, eine ergänzende Sanierungsvereinbarung, ob nun ein Beschluss der BVV vorliegt oder nicht, zusammen mit der GEWOBAG speziell für den Kiez Klausenerplatz abzuschließen.

Durch eine Veräußerung von Grundstücken des Landes unter Verkehrswert und z.B. den Verzicht auf Tiefgaragen in der Planung könnten Wohnungsneubauten kosten- und damit mietgünstiger realisiert werden. Doch auch hier sind die Flächen im Bezirksbesitz, die in Frage kämen, schon fast an einer Hand abzuzählen. Durch die Wiedereinführung des WBS haben wir natürlich auch das Belegungsrecht aktiviert. Es ist ja so, dass wir als Bezirk für 4.774 Sozialwohnungen die Belegungsrechte haben, wo man dann eben einen WBS mit besonderer Dringlichkeit vorweisen muss.

 

Besonders erfreulich ist es auch, dass ein neuer Versuch gestartet wird, die Zweckentfremdungsverbotsverordnung wieder aufleben zu lassen.   

 

Und, am Ende der Beantwortung stand ich dann da und dachte mir, dass ist eigentlich so eine untypische Beantwortung einer Anfrage durch mit, weil sie irgendwo so niveaulos und wenig konkret ist, eigentlich das, was ich nicht richtig mag. Naja, wenn man in einem Bereich keine Kompetenz hat, ist es eben wirklich schwierig, wenn man die bezirklichen Kompetenzen hat und so muss man einfach feststellen, dass der bezirkliche Köcher wirklich äußerst spärlich gefüllt, um im Sinne der Fragestellung gezielt tätig werden zu können.  Es bleibt zu hoffen, dass die auf Landesebene ergriffenen und zu ergreifenden Maßnahmen tatsächlich wirken und da werden wir natürlich versuchen, das unterstützend zu begleiten.

 


 

 
 

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