Veranstaltungen im Jahr 2004

10. November 2004

Hans Corbat:

“Unserer Entwicklung steht er feindselig gegenüber.”
Erlebnisse in kommunistischen Lagern und Gefängnissen 1946-1956

Der 1926 in Berlin geborene Hans Corbat hat zehn Jahre seines Lebens in Lagern und Gefängnissen der sowjetischen Geheimpolizei und der DDR-Volkspolizei verbracht. Nachdem er aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) wegen der bevorstehenden Zwangsvereinigung mit der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) ausgetreten war, wurde er am 3. April 1946 verhaftet. Ein sowjetisches Militärgericht verurteilte ihn zu 20 Jahren Lagerhaft. Der Weg durch Gefängnisse und Speziallager endete erst am 31. März 1956 mit seiner Entlassung aus der Strafvollzugsanstalt Bautzen.

Von diesen zehn Jahren, von einer Jugend in politischer Haft, handelt der Erlebnisbericht von Hans Corbat, der 2004 in der Heftreihe “Lebenszeugnisse – Leidenswege” der Stiftung Sächsische Gedenkstätten erschienen ist.

13. Oktober 2004

Dr. Friedrich-Wilhelm Schlomann:

Vor 15 Jahren: Die friedliche Revolution in der DDR und der Fall der Mauer im Spiegel westlicher Medien

Zur Zeit des Beginns der friedlichen Revolution vor 15 Jahren war Dr. Schlomann Redakteur der Deutschen Welle in Köln. Aufmerksam verfolgte er die Berichterstattung und Kommentierung der sich überschlagenden Ereignisse in Ost-Berlin und der DDR in der ausländischen Presse. Ihn faszinierte, dass in Medien des westlichen Auslands die revolutionäre Entwicklung in der DDR zu Teilen weitaus präziser beobachtet und positiver kommentiert wurde als in den großen Presseorganen der alten Bundesrepublik. An diese widersprüchliche Wahrnehmung und Bewertung der Ereignisse vor 15 Jahren soll sein Vortrag erinnern.

Der Referent: Dr. jur. Friedrich-Wilhelm Schlomann (geb. 1928) studierte in Rostock und Leipzig Jura und floh 1950 aus politischen Gründen in den Westen. Er war Mitglied des “Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen” und der “Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit”. Nach Abschluss des Studiums und der Promotion arbeitete der Referent zunächst für das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, anschließend für das Bundesverteidigungsministerium (Psychologische Kampfführung). Von 1970 bis 1992 war er Redakteur im Abhördienst der “Deutschen Welle”. Er ist Autor zahlreicher Bücher über östliche Spionage.

9. Juni 2004

Dr. Hanns Leske:

Tschekisten an der Fußballfront: Die Spitzeltätigkeit von Fußballspielern und -trainern und die Drangsalierung regimekritischer Spieler

Fußball in der DDR: Das bedeutete nicht nur eine permanente Auseinandersetzung mit den Funktionären der SED, sondern freiwilligen wie erzwungenen Kontakt mit der Staatssicherheit, denn auch der Spitzenfußball wurde systematisch überwacht. Mit einem Heer willfähriger IM aus dem Kreis der Fußballer, Trainer und Sportärzte wurden ihre Kollegen operativ bearbeitet. Trainer wie Hans Meyer, Eduard Geyer oder Bernd Stange lieferten regelmäßige Berichte bei ihrem Führungsoffizier ab. Der heutige Hertha-Trainer Meyer war in diesem Sinn Täter. Gleichzeitig war er Opfer, denn sein Assistenztrainer Bernd Stange berichtete dem MfS wiederum ausführlich über Meyers Tätigkeit in Jena.
Die Mannschaft der SG Dynamo Dresden hätte getrost als Betriebsmannschaft des MfS auflaufen können. Jeder zweite Spieler war in den 80er Jahren IM, dazu der Trainer, der Arzt, der Physiotherapeut. Andere Fußballer wie Jürgen Sparwasser, der sich 1988 mit Ehefrau in die BRD absetzte, und Gerd Kische blieben standhaft und verweigerten eine Zusammenarbeit mit dem MfS.
War ein Trainer allerdings renitent und zudem einer seiner Spieler im Westen geblieben, dann verstanden Mielkes Mannen keinen Spaß. Bei Dresdens Trainer Klaus Sammer betrieb die Stasi seine Absetzung und plante in der OPK “Latte” sogar – zwecks Beweissicherung seiner mangelnden Linientreue – die Installation von Abhörtechnik an der Trainerbank.
Fußball in der DDR: Das war auch Oberligaverbot für einen Torwart wegen republikflüchtiger Tochter mit der Folge mehrerer erzwungener Klubwechsel, Ausdelegierung aus dem Spitzenfußball wegen unsozialistischen Verhaltens, Verhaften und Einsperren wegen angeblicher Fluchtpläne.

Der Politikwissenschaftler Dr. Hanns Leske, der unlängst die bisher umfangreichste Studie über den Einfluss der SED und des MfS auf den Fußballsport in der DDR vorlegte, blättert in seinem Vortrag bisher weitgehend unbekannte Kapitel des Fußballsports in der DDR auf. U.a. wird er der Frage nachgehen, wie sich Fußballer erfolgreich einer Zusammenarbeit mit dem MfS entziehen konnten, aber auch, wie sich bekannte Fußballpersönlichkeiten immer tiefer mit dem Spitzelsystem der Stasi identifizierten.

12. Mai 2004

Jens Niederhut:

Die kontrollierte Elite – Reisekader der DDR

Mit dem Mauerbau riegelte die DDR sich weitgehend vom Westen ab. Reisen ins “nichtsozialistische” Ausland waren nur wenigen gestattet. Die Sehnsucht vieler Ostdeutscher, aus der Enge der DDR wenigstens zeitweise auszubrechen, war dementsprechend groß. Eine dosierte Öffnung nach außen musste die DDR allerdings zulassen. Zu eng und zu wichtig waren die wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Verknüpfungen mit dem Westen. Dienstreisen in den Westen blieben aber den “Reisekadern” vorbehalten, und dieser Status war für viele ein heiß begehrtes Privileg.
Die Kriterien, nach denen die Reisekader ausgewählt wurden, waren undurchsichtig. Vielen war nicht einmal bekannt, wer die Entscheidung traf, warum der eine ausreisen durfte, der andere aber nicht. Die Geheimniskrämerei bot fruchtbaren Boden für Spekulationen, Neid, Eifersucht und sogar für Denunziationen.
In Beispielen aus dem Hochschulbereich und aus der Industrie wird gezeigt, wie sich das Reisekadersystem entwickelte, und wie der DDR-Staatsapparat es dazu nutzte, die ostdeutsche Funktionselite zu kontrollieren und zu disziplinieren. Denn die Reisekader waren nicht nur privilegiert, sie unterlagen auch besonderer Überwachung – nicht zuletzt durch die Staatssicherheit. Die DDR-Führung setzte das Reisekadersystem als Herrschaftsmittel ein. Insbesondere in der Ära Honecker trug es erheblich zur Stabilisierung der Gesellschaft bei.

14. April 2004

Dr. Friedrich-Wilhelm Schlomann:

Erfolge und Misserfolge westlicher Spionagedienste in der DDR und dem Sowjetblock

Die westlichen Dienste versuchten damals mit verschiedensten Methoden, ein möglichst umfassendes Bild über den Sowjetblock – besonders den “Frontstaat” DDR – zu erlangen. Neben technischen Mitteln wie Satelliten setzten sie heimliche Mitstreiter (Agenten) ein, die – aus welchen Motiven auch immer – sich in jedem Land auch in führenden Positionen fanden, selbst in deren Geheimdiensten. Angesichts der scharfen Überwachungsmaßnahmen im Osten, aber ebenfalls durch Verrat in manchen westlichen Diensten, wurden keineswegs wenige enttarnt. Die überaus vielen, bisher durchweg unbekannten Beispiele, die der Vortrag beinhaltet, vermitteln ein gewisses Bild über die Erfolge dieser Aufklärung der CIA, von MI 6, des damaligen SDECE, des Mossad und gerade der Organisation Gehlen (späterhin BND). Indes bleibt der Vortrag zwangsläufig lückenhaft: Die Gründe hierfür sind einmal das immer noch fast totale Schweigen der westlichen Dienste über ihre damalige Tätigkeit sowie andererseits die bis heute erfolgten Darstellungen von MfS- und KGB-Oberen, welche allzu oft wohl mehr einer allgemeinen Desinformation dienen sollen.
Man wird unterstellen müssen, dass vieles der Geheimdienste immer geheim bleiben wird …

Der Referent: Dr. jur. Friedrich-Wilhelm Schlomann (geb. 1928) studierte in Rostock und Leipzig Jura und floh 1950 aus politischen Gründen in den Westen. Er war Mitglied des “Untersuchungsausschusses Freiheitlicher Juristen” und der “Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit”. Nach Abschluss des Studiums und der Promotion arbeitete der Referent zunächst für das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, anschließend für das Bundesverteidigungsministerium (Psychologische Kampfführung). Von 1970 bis 1992 war er Redakteur im Abhördienst der “Deutschen Welle”. Er ist Autor zahlreicher Bücher über östliche Spionage.

10. März 2004

Dr. Michael Schwartz (Institut für Zeitgeschichte):

Integration durch Bodenreform? Vertriebene in der SBZ/DDR im Spannungsfeld von Politik und ländlicher Konfliktgesellschaft nach 1945

Seit einem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist das Thema “Bodenreform” in der SBZ/DDR wieder in aller Munde.
Bis heute wird die 1945 erfolgte Enteignung und Vertreibung der bisherigen großagrarischen Landeigentümer und ihrer Familien häufig auch mit der Notwendigkeit begründet, vertriebene Menschen aus Ostdeutschland und Osteuropa – ihrerseits um engere Heimat und Besitz gebracht und in der sowjetischen Zone ideologiebetont als “Umsiedler” angesprochen – durch Umverteilung von “Bodenreform”-Land einen Neuanfang ermöglicht zu haben.
Der Vortrag fragt danach, inwieweit Vertriebenen-Integration durch Bodenreform-Beteiligung im Spannungsfeld übermächtiger politischer und gesellschaftlicher Interessen nach 1945 tatsächlich erfolgen konnte.

Der Referent: Dr. Michael Schwartz, geb. 1963, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, Abt. Berlin, sowie Privatdozent für Neuere und Neueste Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; Arbeiten zur sozialistischen und konfessionellen Eugenik sowie zur NS-“Euthanasie”, zu ländlichen Resistenz- und Elitenkonflikten im NS-Staat sowie zur Vertriebenenintegration in der SBZ/DDR.

11. Februar 2004

Arik K. Komets:

Die alliierten Sichtungsstellen im Notaufnahmelager Marienfelde 1953-1990

Die alliierten Sichtungsstellen im Notaufnahmelager Marienfelde waren ein wesentlicher Bestandteil des Aufnahmeverfahrens für Flüchtlinge im Westen. Gemäß alliierten Verordnungen mussten alle Ankömmlinge aus dem kommunistischen Machtbereich Sichtvermerke in den Sichtungsstellen erhalten. Erst danach waren deutsche Dienststellen befugt, sich dieser Flüchtlinge und Übersiedler anzunehmen.
Die amerikanische Sichtungsstelle unterstand dem in Berlin-Zehlendorf gelegenen Joint Refugee Operations Center, Berlin (JROC (B)). Die britische Sichtungsstelle unterstand der British Security Services Organization in Berlin-Charlottenburg. Die französische Sichtungsstelle unterstand der Surete in Berlin-Wedding. An diesen Orten wurden auch anschließende Einzelbefragungen von denjenigen Flüchtlingen durchgeführt, die verwertbare Kenntnisse hatten.
Das Personal der Sichtungsstellen bestand hauptsächlich aus deutschen Zivilangestellten der Alliierten. Viele von ihnen beherrschten mehrere Sprachen. Keiner von ihnen durfte irgendwelche Verbindungen zum Osten haben. Besuche im Osten waren untersagt. Bis Mitte der 80er Jahre war den Mitarbeitern auch die Benutzung der Transit-Strecken zwischen Berlin und der Bundesrepublik ebenfalls verboten. Fast alle hatten zu ihrer eigenen Sicherheit Decknamen.

Der Referent, Major Arik K. Komets (USAF) Ret., war von 1976 bis 1990 in leitenden Funktionen des JROC (B) tätig. 1979 wurde diese Dienststelle in das Joint Allied Refugee Operations Center, Berlin (JAROC (B)) umbenannt. Maj. Komets (Ret.) hat einen BA in Internationalen Beziehungen des San Francisco State College und eines MS in Linguistik der Georgetown University, Washington, DC. Von 1972 bis 1976 war er als Assistant Professor of German an der Luftwaffenakademie in Colorado Springs, CO, tätig.

14. Januar 2004

Gertraude Neufert:

Erziehung durch Arbeit?
Das “Erziehungskommando” im VEB Zementwerk Rüdersdorf

Ein Tor in einer öden Gegend in der Nähe eines großen Zementwerkes springt auf. Ein Polizeiwagen passiert den Eingang. Das Tor fällt wieder ins Schloss.
Aus dem Auto klettern Jugendliche im Alter zwischen 14 und 18 Jahren. Noch ehe sie sich umschauen können, wird Laufschritt angesagt. Sie sollen wissen, wo sie die nächsten acht Wochen verbringen: Sie sind eingesperrt im “Arbeits- und Erziehungskommando” Rüdersdorf.

Der Staat DDR reagierte brutal und repressiv auf “Arbeitsbummelei” und “Rowdytum”. Die jungen Menschen wurden in Baracken interniert und – einheitlich geschoren und gekleidet – zur Arbeit im Steinbruch gezwungen.
Rüdersdorf bei Berlin: Dem ortsansässigen Haftarbeitslager war bereits 1961 ein “Arbeitskommando” für “Arbeitspflichtige” zugeordnet worden. Das in den Jahren 1966 bis 1976/77 eigens für Jugendliche geschaffene “Arbeitserziehungslager” war jedoch nicht nur neu, sondern auch nach dem in der DDR geltenden Strafrecht unzulässig.
“Arbeitserziehungslager” kennen wir aus der Zeit des weit grausameren NS-Unrechts; jene der DDR, die für eine fortgesetzte Verfolgung von Nichtanpassung stehen, wurden bei der Beschäftigung mit der DDR-Justiz bislang übersehen.
Zufall? Zeigen doch gerade diese Lager, dass der Strafvollzug in der DDR auch und oft vor allem Kern für Gefangenschaft unter ideologischen Vorzeichen blieb.