In der Erinnerung und auch in der wissenschaftlichen Forschung erscheint der Volkaufstand als Männerdomäne. Es geht um Bauarbeiter, die Protestresolutionen verfassen und zum Streik aufrufen, um Stahlarbeiter, die sich von Hennigsdorf auf den Weg nach Ost-Berlin machen, und um Streikführer, die mutig vorangehen und dafür auch ihr Leben riskieren. Auf Regimeseite zeigt sich ein ähnlich männliches Bild. Und auch in der Geschichtsschreibung zum Volksaufstand sind kaum Autorinnen zu finden. Ist der 17. Juni männlich oder wird er nur männlich erzählt? Es lohnt sich, einen Blick darauf zu werfen, in welchen Rollen Frauen am 17. Juni 1953 in Erscheinung traten.
Ist der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 männlich?

Streikende in Ost-Berlin am 17. Juni 1953
Bild: Bundesarchiv, Bild 146-2003-0031, CC-BY-SA 3.0 [gemeinfrei, wikimedia commons]
Unsere Autorinnen Andrea Bahr und Michèle Matetschk haben die Rolle der Frauen beim Volksaufstand in der DDR für die Bundeszentrale für politische Bildung genauer untersucht:

Margot Feist (später: Honecker)
Bild: Bundesarchiv, Bild 183-08923-0001, Rudolph, CC-BY-SA 3.0 [gemeinfrei, wikimedia commons]
Die FDJ-Funktionärin
Käthe Stern ist nicht die einzige Frau, die den 17. Juni beobachtete. Auch die 26-jährige Margot Feist, die später Margot Honecker sein wird, verfolgte die Geschehnisse. Während des 17. Juni beobachtete die damalige Funktionärin der FDJ (Freie Deutsche Jugend) im Arbeiterbezirk Friedrichshain die Aufstände. Akribisch machte sie sich Notizen und gab diese später, mit einigen Namen versehen, an die Staatssicherheit weiter. Entgegen des verbreiteten Bildes zeigte sich: Auch Frauen nahmen aktiv am 17. Juni 1953 teil und füllten dabei unterschiedliche Rollen aus.

Beschäftigte von Hennigsdorfer Werken schließen sich dem Aufstand an und marschieren durch den West-Berliner Bezirk Wedding nach Ost-Berlin
Bild: AdsD/FES, 6/FOTB001831
17. Juni 1953 – Volksaufstand in der DDR
Sicherlich gibt es noch viele andere spannende Geschichten von Frauen zu erzählen, die den 17. Juni 1953 nicht nur erlebten, sondern die ihn auch mitgestalteten. Welche Rollen nahmen Frauen bei den Protesten ein? Welche Konsequenzen hatten sie zu tragen und wie änderten sich ihre Leben nach der Niederschlagung der Proteste? Warum tauchen sie in der Geschichtsschreibung nicht auf?
Im Jahr 2019 konstatierten drei amerikanische Historikerinnen, dass Geschichtsschreibung zur DDR und zur Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten weitgehend ohne geschlechter- und frauengeschichtliche Fragestellungen ausgekommen ist. Die Geschichte des Volksaufstandes in der DDR im Juni 1953 ist somit keine Ausnahme.
Doch deutlich wird: Frauen sind ein Teil des Aufstandes. Sie wurden instrumentalisiert, wie Erna Dorn, die in vielen Köpfen die einzige mit dem 17. Juni 1953 verbundene Frau ist. Sie beobachteten, wie Käthe Stern, die als Journalistin ganz nah dran war. Sie unterstützten das Regime mit ihren Beobachtungen, wie Margot Feist. Und sie vertraten ihre Forderungen, wie die zahllosen Arbeiterinnen in den Reihen der Demonstrierenden. Sie füllten am 17. Juni 1953 viele Rollen aus. Es lohnt sicherlich, sich auf die Suche nach diesen Geschichten zu machen und damit auch das ein oder andere festgefügte Bild vom Volksaufstand zumindest zu hinterfragen.
Kontakt
Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (BAB)