Deutsch lernen im Soldiner Kiez

Gruppenbild Deutschkurs Soldiner Kiez

Nihaya, Ghada, Zozan, Anna Maria, Richard und Selami (von links nach rechts) sind Teilnehmer*innen im Elternkurs Deutsch A 1.2 im Weddinger Kinder- und Stadtteiltreff frisbee. Kursleiterin Natalie Wasserman steht rechts im Bild. (Sie wechselt sich mit der zweiten Kursleiterin Claudia Vuai ab, die nicht im Bild ist).

Wer im Berliner Wedding durch die Koloniestraße geht, sieht bei der Nummer 129 eine bunt bemalte Hausfassade und große Schaufenster. Hier ist das frisbee, ein Treffpunkt für Kinder zwischen 6 und 14 Jahren und deren Familien aus der Nachbarschaft im Soldiner Kiez. Nachmittags ist immer viel los, dann gibt es Spiele oder andere Freizeitaktivitäten und Unterstützung bei den Hausaufgaben.

Schaufenster Kinderzentrum frisbee

Was ist hinter diesen Schaufenstern los? Wer montags, dienstags und donnerstags zwischen 9.00 und 12.15 Uhr hineinschaut, wird sehen, dass da Leute Deutsch lernen. Und wer Lust hat, einen Kurs zu besuchen, macht die Tür auf und informiert sich über Deutschkurse an der Volkshochschule.

Weil dieser Treffpunkt seit 1999 bei den Bürgern so bekannt ist, bietet die Volkshochschule hier seit einigen Jahren Deutschkurse im Rahmen der “Elternkurse” an. Das Angebot wird gut angenommen, wie die hohen Teilnehmerzahlen in den Kursen zeigen. So treffen sich an drei Vormittagen in der Woche Menschen, die aus unterschiedlichen Ländern nach Berlin gekommen sind und Deutsch lernen wollen. Meist wohnen sie in der Nachbarschaft und haben einen kurzen Weg zum Deutschkurs.

Lerngruppe Elternkurs im frisbee, Soldiner Kiez

Die 17 Teilnehmer*innen im Elternkurs Deutsch A 1.2 kommen aus den Ländern Syrien, Libanon, Ghana, Italien, Kosovo, Indien, Vietnam, Türkei und Spanien.

Wer sind die Leute, die sich die Mühe machen, die deutsche Sprache neben ihrer Berufstätigkeit und ihren Alltagsbeschäftigungen zu lernen? Die meisten haben Kinder, deshalb besuchen sie den Elternkurs. Zuhause in den Familien wird meist zweisprachig gesprochen. Die Kinder lernen in der Schule und beim Zusammenleben mit ihren Freunden schneller Deutsch. Bald sprechen die Kinder untereinander hauptsächlich Deutsch und mit den Eltern in der Sprache ihrer Herkunftsländer.

Kursleiterin Natalie Wasserman aus dem Elternkurs im frisbee

Kursleiterin Natalie Wasserman rät den Lernenden: "Sprecht immer Deutsch, egal wo ihr seid!". Wichtig ist es, regelmäßig Kontakt zur Sprache zu haben und das passiert beim Radiohören oder Fernsehen, beim Einkaufen im Supermarkt und vor allem bei der Kommunikation mit Leuten bei jeder Gelegenheit.

Der Kurs im “frisbee” hat im Herbst 2019 mit der Anfängerstufe A 1.1 begonnen. Wer sich später angemeldet hat, konnte noch aufgenommen werden. Manche Teilnehmer*innen hatten schon vorher andere Kurse begonnen oder auch über einige Zeit besucht. Teilweise wurden aber die Kurse als zu schnell empfunden oder andere Gründe führten zum Abbruch. Die Elternkurse sind dann ein gutes Angebot, um noch einmal mit dem Deutschlernen neu zu beginnen oder zu wiederholen.

Für die Kursleiterin ist die Herausforderung, auf die unterschiedlichen Voraussetzungen der Lernenden einzugehen und zu versuchen, ihre Deutschkenntnisse auf ein gemeinsames Niveau zu bringen. Dies ist oft sehr schwierig, da auch nicht alle regelmäßig zum Unterricht kommen können. Dann müssen Einzelne intensiv betreut werden. Eine Binnendifferenzierung des Unterrichts ist auch ein wichtiges Instrument. Dabei wird darauf geachtet, dass Stärken gefördert und Schwächen aufgefangen werden. Wer schneller lernt, bekommt andere neue Aufgaben, während mit Schwächeren noch intensiver gearbeitet wird. Oder es werden Gruppen gebildet, in denen man sich gegenseitig hilft. Da gibt es eine Reihe hilfreicher Methoden. Vor allem aber werden immer wieder einzelne Lernschritte und Lektionen wiederholt.

Eine entscheidende Voraussetzung für die Teilnehmenden ist die Motivation zum Sprechen. Es wird in Paaren oder Kleingruppen daran gearbeitet, Dialoge in deutscher Sprache aufzubauen. Das Ziel ist dabei, frei kommunizieren zu können. Die meisten Teilnehmenden können sich auch in ihrem Alltag und auch bei ihrer Arbeit gut auf Deutsch verständigen. Dabei ist nicht wichtig, grammatisch fehlerfrei zu sprechen. Es wird im Kurs immer wieder ermutigt, sich so viel wie möglich in der deutschen Sprache auszudrücken. Viele reden mit Nachbarn oder stellen beim Einkauf Fragen, wie z.B. “wo steht die Milch?”.

In den höheren Kursen ab Stufe A.2 besuchen manche der Lernenden Kurse der Volkshochschule wie Keramik, Tanzen oder Kochen. Dabei können sie sich ihrem Hobby widmen und dabei zugleich im alltäglichen Rahmen Deutsch sprechen. Der Elternkurs gibt auch Anregungen, sich in Berlin interessiert zu bewegen, indem Bibliotheken, Museen oder Konzerte besucht oder andere Exkursionen durchgeführt werden.

Hausaufgaben werden aufgegeben, was einige mehr oder weniger erledigen können und andere nicht. Manche haben nur geringe Lernerfahrungen, weil sie die Schule nicht länger besuchen konnten. Entscheidend ist aber, dass die Motivation zum Sprachenlernen stark ist. Dies äußert sich meist darin, dass man gerne kommuniziert und Freude an sozialen Kontakten hat. Der Deutschkurs ist dann auch eine Chance, das Lernen zu erlernen.

Drei Kursteilnehmende im frisbee

Richard, Zozan und Selami (von links nach rechts) aus der Lerngruppe bringen jeweils ganz unterschiedliche Erfahrungen, Vorkenntnisse und Fähigkeiten mit. Aber sie fühlen sich in der Gruppe gut und helfen sich gegenseitig beim Deutschlernen.

Richard kommt aus Ghana, er hat zehn Jahre in Italien gelebt. Seit sechs Jahren lebt er mit seiner Frau in Berlin. Er unterstützt seine Kinder, damit sie in Ghana studieren können. Als Leiter eines Küchenhilfeteams in einem Restaurant am Potsdamer Platz muss er bei seiner Arbeit ständig Deutsch sprechen. In Ghana gibt es viele einheimische Sprachen und Dialekte, deshalb ist Englisch in dem afrikanischen Land die Amtssprache. Neben Englisch spricht Richard noch Italienisch.

Zozan ist mit ihrem Mann und den Kindern vor fünf Jahren aus dem türkischen Grenzgebiet in Syrien nach Deutschland geflohen. Der anstrengende Fluchtweg führte über die Türkei nach Libyen und über das Mittelmeer nach Italien und schließlich weiter nach Deutschland. Zozan hat drei Kinder, zwei gehen in die Schule, ein Junge in den Kindergarten. Der Vater geht in die Schule zu den Elternsprechstunden. Zozan spricht Kurdisch und Arabisch. Wenn die Kinder zu Hause Deutsch sprechen, dann oft zu schnell und Zozan versteht sie nicht. So wird meist Kurdisch gesprochen. Sie hat schon einmal einen längeren Deutschkurs besucht, jetzt möchte sie im Elternkurs noch einmal intensiver lernen. Die gelernte Friseurin würde später gerne wieder arbeiten, dazu will sie aber besser Deutsch können. Sie möchte dann ihren Beruf wechseln. Ihr Traumberuf ist Bäckerin oder Konditorin, denn Kuchenbacken ist ihre Leidenschaft.

Selami kommt aus dem Kosovo. Seine Heimatsprache ist Albanisch, er ist multilingual und beherrscht noch Serbisch, Ungarisch und Englisch. Deshalb lernt Selami systematisch und schnell. Seine Frau spricht gut Deutsch und die Kinder natürlich auch. Deshalb wird zu Hause deutsches Fernsehen gesehen und deutsche Kinderbücher gelesen. Wenn die Familie unter sich ist, spricht sie am liebsten Albanisch.

Hassan kam vor 10 Jahren aus dem Libanon nach Deutschland. Er arbeitet in einer Konditorei. Seine Kollegen und Kolleginnen sprechen überwiegend Arabisch, aber mit den Kunden spricht er Deutsch. Er beherrscht die Sprache mündlich gut, aber er will durch den Deutschkurs noch besser Lesen und Schreiben lernen. Seine vier Kinder sprechen alle fließend Deutsch, in der Familie wechseln sie oft zwischen Arabisch und Deutsch.

Nihaya kommt aus Syrien. Ihre drei Kinder sind schon fast erwachsen. Zuhause wird Arabisch und Deutsch gesprochen. Auch Ghada kommt aus Syrien. Ihr Ehemann spricht viel Deutsch mit den drei Kindern. Sonst wird Arabisch in der Familie gesprochen.

Yulia ist Spanierin, sie hat drei Kinder. Neben Spanisch spricht sie Russisch, weil ihre Familie aus Russland kommt. Anna Maria aus Italien ist vor zehn Monaten nach Berlin gezogen, weil hier ihre Söhne leben und arbeiten bzw. studieren. Die Lehrerin und heutige Rentnerin spricht neben Italienisch auch etwas Spanisch, Französisch und Englisch.

Die Gruppe lernt seit etwa einem halben Jahr gemeinsam Deutsch. Worüber können sich die Teilnehmer*innen unterhalten? Beim Gruppengespräch für diesen Bericht beginnen wir mit dem Thema Essen. Alle kennen Kartoffelsalat, Suppe, Käse, Reis, Tomate, Gurke, Salat oder Gulasch. Bei den Kindern sind Nudeln und Hamburger beliebte Gerichte. Gern werden Rezepte gekocht, die aus den Heimatländern bekannt sind. Meist sind es die Frauen, die die traditionellen Gerichte gut beherrschen. Eingekauft wird im deutschen Supermarkt oder bei den arabischen, türkischen, afrikanischen oder asiatischen Händler, die in Berlin mit ihren Läden zahlreich vertreten sind.

Die meisten der Kursteilnehmer*innen leben in Häusern mit internationaler Nachbarschaft. So viele Sprachen dann auch in einem Haus vorkommen, miteinander sprechen sie alle Deutsch. Auch die Kinder sprechen mit ihren Freunden untereinander meist nur Deutsch. Es gibt immer wieder Gelegenheiten, sich in der Wohnung gemeinsam zu verabreden, um zu spielen oder Geburtstag zu feiern.

Bei den Kindern sind Computerspiele beliebt. Manche Eltern legen dafür Zeiten fest. In der Schule sind die einen Schüler und Schülerinnen in Mathe gut, andere schreiben in Deutsch gerne Texte, einer der Söhne hat vier Jahre lang geboxt. Beliebt sind im Sommer die Freibäder.

Das Leben in Deutschland finden die Kursteilnehmer*innen ganz gut. Ihnen gefällt, dass alles in Ordnung und geregelt ist. Genervt ist man allerdings von den vielen Papieren, die ständig auszufüllen sind. “Deutschland ist ein Papierland” sagt Zozan. Hassan findet auch alles positiv, nur der Dreck auf den Straßen stört ihn und dass oft nachts Jugendliche auf dem benachbarten Spielplatz Krach machen.

In Deutschland ist das Leben sehr günstig, viele Waren sind billiger als in anderen Ländern. Aber die Mieten steigen ständig und es gibt nur wenige freie Wohnungen.