Wer sind die Menschen auf dem Cover?

5 Menschen unterhalten sich draußen - mit Abstand und Masken

von links: Helen Haukamp, 31, Kursleiterin für Hula­-Hoop Tanz; Todd Stuchiner, 41, Deutschkursteilnehmer und Englisch­-Kursleiter; Zohar Zehavi, 34, Kursleiterin für Hebräisch; Nari Park, 38, Teilnehmerin in Deutsch­ und Sportkursen; Jana Koch, 39, zuständig für Sozialraumorientierte Planung im Amt für Weiterbildung und Kultur des Bezirksamtes Mitte von Berlin

Deckblatt des Programmhefts Frühjahr/Sommer 2021

VHS: Hallo Helen, Todd, Zohar, Nari und Jana. Danke, dass ihr spontan beim Fotoshooting mitgemacht habt. Wir wollten zeigen, wie der Unterricht und alles andere im Moment aussieht. Und wir wollten einen kleinen Teil der Menschen zeigen, die das Volkshochschul-Leben ausmachen.

Ja, was macht ihr hier eigentlich? Helen, willst Du anfangen?

Frau schwingt Hula Hoop Reifen

"Es steckt so viel Poesie in Hula Hoop"

Helen Haukamp: Ich bin Kursleiterin für Hula Hoop Tanz. Mit den Teilnehmenden in meinen Grundkursen spielen und tanzen wir mit dem Reifen. Ich bringe ihnen einfache und schwere Tricks bei und es ist schön, zu sehen, wie sie langsam ein Gefühl für den Reifen und nebenbei auch ein besseres Körpergefühl bekommen. Später geht es darum, sich intuitiver mit dem Reifen zu bewegen und ein Flow Stadium zu erreichen. Das klappt für manche früher, für andere erst später. Auch wenn wir für viele Tricks Präzision in den Bewegungen und dem Timing brauchen, möchte ich mit den Teilnehmenden aus dem perfektionistischen Denken rauskommen, wo es nur um Aussehen und Richtigmachen geht. Im eigenen Flow geht es nur um das Gefühl von Konzentration und Fluss und das kann für alle anders aussehen. Ich liebe diese Momente. Sie sind meine große Leidenschaft. Und sie können so einfach entstehen. Mit der richtigen Musik, in der Gruppe oder allein, und es sind keine komplizierten Tricks dafür nötig.

Es steckt auch so viel Poesie und Lebensweisheit im Tanz mit dem Reifen. Wir können uns dazu entscheiden, uns von dem Reifen lenken zu lassen. Oder wir lenken den Reifen. Wenn er herunterfällt, ist das kein Fehler, sondern die Chance, etwas Neues zu entdecken, neu reagieren zu können, aus Mustern auszubrechen. Es hilft, den Reifen als zweiten Lehrer zu betrachten, weil er ständig Feedback zu unseren Aktionen und Reaktionen gibt. Dadurch können wir lernen, unseren Körper genau zu beobachten und lernen ihn so besser kennen. Das Tolle ist, dass man bei regelmäßigem Üben gerade am Anfang besonders schnell besonders viele Erfolgserlebnisse haben kann. Ich arbeite nach 6 Jahren intensiven Trainings noch immer mit nur diesem einen Reifen. Es ist so komplex, was man da alles machen kann und wird einfach nicht langweilig.

Frau sieht aus dem Fenster

"Mitte ist nicht gleich Mitte"

VHS: Und Du, Jana?

Jana Koch: Ich schaue mir die Lebenswelten der Menschen in Berlin Mitte an. Jeder Mensch hat ein anderes persönliches und soziales Umfeld und damit eine andere Perspektive auf diesen Bezirk. Mitte ist nicht gleich Mitte. Und das heißt, dass es nicht nur eine richtige Art gibt, das Leben in den Kiezen zu organisieren und zu planen. Ich sehe mir unter anderem Schnittstellen und Netzwerke für die Volkshochschule Mitte, die Bibliotheken, Musikschulen, und für die Bereich Kunst, Kultur und Geschichte an. Das sind die Fachbereiche des Amtes für Weiterbildung und Kultur, wo ich „Sozialraumorientierte Planung“ mache. Das kommt ursprünglich aus der Sozialen Arbeit und ist disziplinenübergreifend. Ich arbeite an den Schnittstellen innerhalb des Amtes und zu anderen Akteur*innen im Bezirk. Es geht viel ums Zuhören. Wirklich erstaunlich, wie viele Blickwinkel es auf ein und dieselbe Sache gibt. Und wie es für alle bereichernd sein kann, wenn man möglichst viele Lebenswelten bei der Planung mitdenkt. Ich mache das erst seit einem Jahr. Was ich in der Zeit gelernt habe: wie komplex es ist, so eine Stadt am Laufen zu halten. Man bewegt sich anders durch die Stadt, wenn man es nur mit der eigenen Perspektive tut oder wenn man versucht, sich auf verschiedene Perspektiven einzulassen. So rasant wie sich diese Stadt wandelt, so sehr wird wohl auch mein Job in Bewegung sein.

Ich mag diese Bereiche im Leben, wo sich viele Disziplinen begegnen. Deshalb habe ich auch jahrelang als Film- und Medienwissenschaftlerin gearbeitet. Der Film ist für mich das große Ganze, in dem viele Ebenen miteinander interagieren. Das lässt sich auch auf die Inhalte unseres Amtes übertragen: In der Soundebene finden die Musikschulen ihren Platz. Im Film als Erzählung die Bibliotheken. Der Film als soziologisches Medium spiegelt, ebenso wie die Volkshochschule, die Gesellschaft wider. Hier bildet sich Meinung, hier entsteht Gesellschaft und findet ihren Ausdruck. In den ästhetischen Strategien des Films begegnen wir dem Bereich Kunst, Kultur und Geschichte. Die komplexer werdende Arbeitswelt verlangt das Einbringen von verschiedenen Perspektiven. Meine Zickzackbiografie ergibt mit dem, was ich jetzt mit Leidenschaft tun kann, auf einmal einen Sinn.

Zwei Menschen unterhalten sich mit Abstand auf einer Bank

"Hast du schon mal versucht, Volkshochschule zu buchstabieren? Oder auszusprechen?!"

VHS: Und ihr, Todd und Nari? (Sie antworten beide auf Englisch)

Todd Stuchiner: Nachmittags lerne ich Deutsch in der Antonstraße. Ich habe bei A1.1 angefangen und bin jetzt bei B1.1! Einmal in der Woche unterrichte ich abends einen TOEFL-Test-Kurs auf Englisch in der Linienstraße.
Es hat mich große Überwindung gekostet, mich endlich zum Deutschkurs anzumelden. Sprachenlernen fällt mir unglaublich schwer und als New Yorker in Berlin kommt man wunderbar ohne Deutsch klar. Ich habe Deutsch gemieden, wo ich konnte. So mache ich das immer, wenn ich etwas nicht gut kann. Es waren immer genügend Dinge da, in denen ich gut war und das hat in meinem Leben bisher wunderbar funktioniert. Bei der deutschen Sprache klappt das nun nicht mehr. Ich habe zwei Kinder und ich will die Daueraufenthaltserlaubnis bei der Ausländerbehörde beantragen. Ohne den B1-Abschluss geht da gar nichts.

Meine Freundin hat mir die Volkshochschule empfohlen. Davon hatte ich vorher noch nie gehört. Wenn man German courses googelt, taucht sie nicht bei den Suchergebnissen auf. Außerdem: Hast du schon mal versucht, Volkshochschule zu buchstabieren? Oder auszusprechen?! Jedenfalls arbeiten jetzt zwei tolle Kursleiterinnen mit mir. Sie sind geduldig und haben pädagogisch echt was drauf. Wegen Corona ist die Kursgruppe jetzt schön klein. Im A1.1-Kurs waren wir 20 Personen, jetzt sind wir maximal 10. Wir sind alle sehr verschieden, aber wir sitzen alle im selben Boot. Wir haben keine andere Wahl und müssen einfach durch diese Sprache durch. Trotzdem wir zig Fehler machen, müssen wir uns nicht dafür schämen. Eine schöne Atmosphäre zum Lernen. Ich fühle mich jetzt selbstbewusster mit der deutschen Sprache. Und ich hoffe, den Test im Februar zu bestehen.

Der Englischkurs, den ich unterrichte, ist mein erster Kurs an der VHS. Ich habe solche TOEFL-Test-Vorbereitungen viel online unterrichtet. In Gruppen- und Einzelkursen mit Teilnehmenden auf allen Kontinenten. Viele von denen, die online Unterstützung suchen, sind vorher ein paar Mal durch die Prüfung gefallen. Selbst wenn man sehr gut Englisch kann, ist es ein spezielles Prüfungsformat, dass man trainiert haben sollte. Das Lustige ist, dass keine einzige Person in meinem Kurs an der Volkshochschule für einen solchen TOEFL-Test angemeldet ist. Aber während wir das Format üben, können sie trotzdem nebenbei ihre Englischkenntnisse verbessern.

Nari Park: Ich habe einige Deutschkurse und Sportkurse hier besucht. Sechs Monate, seit Ausbruch der Pandemie, habe ich gar kein Deutsch gelernt. Seit die VHS wieder geöffnet hat, habe ich leider keinen der wenigen Kursplätze bekommen und lerne gerade mit einer privaten Lehrerin aus Korea bei mir zu Hause. Mit ihr lerne ich schneller, weil ich fokussierter bin und sie mir direkt auf Koreanisch meine Fragen beantwortet. Im Dezember will ich den B2-Test bestehen und danach versuchen, mich zu einem C1.1-Kurs hier an der VHS anzumelden. Auf Dauer ist es motivierender, mit anderen Menschen zusammen zu lernen. Unsere Tochter hat gerade von einer privaten bilingualen Schule zu einer normalen Grundschule hier im Kiez gewechselt. Jetzt lernt auch sie viel schneller Deutsch und auf einmal fühlen wir uns integrierter in die Gesellschaft. Vorher lebten wir ein Expat-Leben. Wir begegneten vielen internationalen Menschen. Jetzt sind die Mitschüler unserer Tochter auch unsere echten Nachbarn. Auf dem Weg zum Spielplatz treffen wir nun Menschen, die wir kennen! Und die Kinder können sich einfach gegenseitig besuchen. Wir fühlen uns jetzt den Deutschen viel näher.

Hebräischdozentin zeigt das Alphabet

"Was man hier noch alles machen kann!"

VHS: Schön, dass Du auch kommen konntest, Zohar. Du warst ja schon ganz schön schwanger. Herzlichen Glückwunsch zu Deinem Baby Beri. Was machst Du hier an der VHS, wenn Du keine Babypause machst? (antwortet auf Englisch)

Zohar Zehavi: Danke! Ich unterrichte hier seit zwei Jahren Hebräisch. Das ist meine Muttersprache und ich bin eine in Israel ausgebildete Lehrerin. Dort habe ich mich auf Kinder mit besonderen Bedürfnissen spezialisiert. Vielleicht werde ich auch mal wieder mit Kindern arbeiten. Aber im Moment genieße ich die Arbeit mit Erwachsenen. Ich mag die Motivation, die sie mitbringen. Sie haben sich selbst dazu entschlossen, eine Sprache zu lernen. Es ist wunderbar, auf diese Art jemandem etwas beizubringen. Hier in meinen VHS-Kursen und beim Einzel-Privatunterricht, den ich gebe. Und auch ich lerne durch meine Teilnehmenden viel über die deutsche Kultur. Auch Freundschaften sind entstanden.

An einer deutschen Institution zu arbeiten, ist der beste Einstieg in ein Leben in Deutschland! Als Zuwanderin hatte ich von der VHS nur als Deutschkurs-Anbieterin gehört. In meinem Deutschunterricht an einer anderen Schule gab es so eine Aufgabe im Lehrbuch: Wir sollten auf die Website der VHS gehen und bestimmte Kurse raussuchen. Am nächsten Tag habe ich das noch mal ausgecheckt und herausgefunden, was man hier noch alles machen kann! In Israel gibt es keine Schule mit so einem großen Angebot für Erwachsene.

Greeterin berät Frau zum Programm

"Wir hatten alle nasse Füße"

VHS: Wie habt ihr diesen Foto-Tag im Juni empfunden?

Helen Haukamp: Zu der Zeit hatte in Berlin ja alles geschlossen. Es war das erste Mal, dass ich in so einem Gebäude in eine Maskensituation mit anderen Menschen kam. Das war ungewohnt, aber erstaunlicherweise nicht unangenehm. Es war cool mit so verschiedenen Menschen durch die VHS zu ziehen. Und auch mal die verschiedenen Räume zu sehen. Ich lerne unglaublich gerne. Wir haben an dem Tag ja wirkliche Unterrichtssituationen gespielt. Das hebräische Alphabet kennen lernen, und in den Schmuck- und Keramikräumen spielen, der Freiraum in den Tanzsälen. Das Tanzen mit euch hat Spaß gemacht und ich hätte euch gern mehr Tricks mit dem Reifen gezeigt. Das haben wir ja in diesem gemütlichen hinteren Garten gemacht. Ich weiß noch, dass wir alle nasse Füße hatten, weil der Hausmeister vorher den Rasen gesprengt hatte. Und ich war schon in diesem Unterrichtswahn, in den man als Lehrerin gerät, als wir wieder gestoppt wurden!

VHS: Ha! Ja. Immer wenn in der Gruppe das Lernfieber eingesetzt hat, hatte der Fotograf genug im Kasten und ich habe euch weiter durchs Haus getrieben.

Helen Haukamp: Genau! Es gibt auch dieses Foto, wo ich die Erste in der Warteschlange bin und die Greeterin Doreen mir am Empfang das Programmheft zeigt. Das haben wir zusammen durchgeblättert und uns vor allem die vielen Sprachkurse angeschaut. Ich hätte mich für jeden zweiten Kurs am liebsten direkt angemeldet.

Nari Park: Ich erinnere mich, wie ich fand, dass die Emotionen hinter den Masken so schwer erkennbar sind. Ich habe mit der Zeit gelernt, genauer hinzusehen, um ein Lächeln zu erkennen. Meine Tochter war an dem Tag dabei und ist überall rumgelaufen. Und ich habe mit Todd über unsere Kinder gesprochen.

Todd Stuchiner: Ja, wir haben darüber geredet, wie es ist, wenn Kinder zweisprachig oder dreisprachig aufwachsen. Und über die Phasen, wenn man Zweifel hat, ob man das schafft mit dem Deutschlernen. Wir haben beide Schwierigkeiten, die Vokabeln zu lernen und ich habe von dir Ermutigung bekommen. Ich weiß noch, dass ich an dem Tag auch Traurigkeit spürte, weil ich durch die Aktion merkte, wie sehr sich das Leben verändert hat. Es wirkte so unpersönlich, zwei Meter entfernt voneinander auf der Bank zu sitzen.

Zohar Zehavi: Bei dem Foto-Tag war es, als würde ich mich selbst entdecken. Die Werkstätten, die Bewegungsräume – unglaublich, wie viele Sachen angeboten werden. Ich bin nach Hause gekommen und habe zu meinem Mann gesagt: „Du verstehst das nicht. Sie bieten wirklich ALLES an!” Besonders als Migrantin in einer großen Stadt ist es wichtig, einen Ort zu haben, wo man anfangen kann.

Jana Koch: Für mich war das Erlebnis neu, dass man einander zugewandt sein kann – mit Maske. Schön, dass man das auch mit unbekannten Menschen erleben und auch eine Neugierde aneinander signalisieren kann. Über Körpersprache, Augen, Haltung, Lächeln. Die Kommunikation sucht sich andere Wege.

Unfassbar, wie viele Ebenen der Volkshochschule da mal eben aufeinander trafen. Es ist so interessant, wer da eigentlich drinhängt, damit die VHS so vielseitig und lebendig sein kann, wie sie ist. Wo die Fäden zusammenlaufen und gehalten werden. Wer packt da seine Ideen rein und drückt welche Knöpfe? Von der Person, die morgens aufsperrt, über die Person, die Programme konzipiert und durchführt. Es ist ja nicht nur das, was man sieht. Es arbeiten so viele verschiedene Menschen an dem Gesamtprodukt Volkshochschule. An dem Tag war es schön zu sehen, dass Menschen dasselbe Interesse haben: einen Raum gemeinsam zu gestalten, der lebendig ist, wo man sich begegnet, sich austauscht. Nur so kann Bildung funktionieren: Interesse aneinander haben, als Gemeinsamkeit Neugierde und Offenheit für die Menschen und für ein Thema haben.

Dieser freie Raum gefällt mir so an der VHS. Der Raum für Experimente. Ich habe als Jugendliche an einer VHS Tschechisch gelernt, weil mein Vater Tscheche ist. Da gab es ein klares Ziel und einen klaren Kurs. Wahrscheinlich kommen die meisten Menschen mit einem klaren Ziel zu einem Kurs. Dieses Zielgerichtete ist sehr schön. Aber es ist auch gut, dass es offene Prozesse gibt, wo man in Kauf nehmen muss, dass es vielleicht scheitert. Da muss man auch mal Entwicklungen aushalten, die man so nicht geplant hat. Nur so können neue Dinge entstehen und alles lebendig bleiben. Das vergisst man manchmal. Schön, dass es das an der VHS auch gibt.

VHS: Wenn ich euch so zuhöre, kommt mir der Gedanke, dass es so logisch ist, dass ihr jetzt genau hier seid. Hattet ihr auch ein Leben vor der VHS und habt eins neben der VHS?

Todd Stuchiner: Mein ganzes Erwachsenenleben lang war ich Lehrer. Ich habe 2004 meinen Master abgeschlossen und dachte, ich würde einen Job finden, den die nächsten 40 Jahre machen und danach in Rente gehen. Ich hasste übrigens das Reisen. So fing ich klassisch an einer High School bei Boston an. Dann ging es aber abwärts mit der US-amerikanischen Wirtschaft. Ich konnte es mir nicht mehr leisten, in Boston zu leben. Mit meinem riesigen Studiendarlehen und meinem geringen Gehalt als Lehrer hatte ich zwei konkrete Optionen: In den Keller meines Zwillingsbruders nach Portland ziehen oder einen Job in Südkorea annehmen. Und so wurde ich für 12 Jahre zum Reisenden. Ich habe dort jahrelang in Schulklassen Englischunterricht gegeben. Danach kam Business English für Erwachsene in Riad, Saudi Arabien und noch einmal 5 Jahre mit Dritt- und Viertklässlern in Abu Dhabi in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Entlang des Weges bekam ich zwei Kinder mit einer deutschen Frau. Also bin ich vor 4 Jahren nach Berlin gezogen, um ihnen nah zu sein.

Ich bin auch ein professioneller Stand-up-comedian. Ich wollte das schon früher ausprobieren, aber der Nahe Osten ist kein Comedian-Gebiet. In Berlin haben mich Freunde ermutigt, es bei einem Open-Mic-Abend auszuprobieren. Seit drei Jahren habe ich mehrmals im Monat Auftritte und manchmal meine eigene Show und Touren in anderen Städten, Ländern und auf Festivals. Es ist schön, wenn Newcomer mich nun um Rat fragen und ich sie bei einem Glas Cola ermutigen kann. Nicht alles, aber vieles kann man in diesem Beruf lernen.

Frau leitet Tanzbewegungen an

"Habe ich erwähnt, dass ich gern lerne?" :-)

Helen Haukamp: Ich habe erst mit 25 mit dem Hula-Hoop angefangen, während ich meinen Master in Biologie in Marburg abgeschlossen habe. Vorher dachte ich, ich könnte das gar nicht und war mehr im Reiten und beim Kampfsport unterwegs. Ich war ziemlich schnell süchtig nach dem Reifen und habe viel mit Videos und Tutorials geübt. Beim Hula Hoop konnte ich mich konzentrieren. Es ist bis heute so, dass mich Hula Hoop Tanz wieder erdet und mir hilft, wenn es mir nicht gut geht.

Seit ich in Berlin bin, habe ich auch begonnen, andere Tanzkurse zu belegen – Bauchtanz, Improvisations-Tanz, Kubanisches Salsa. Hula Hoop unterrichte ich jetzt seit 5 Jahren und Salsa seit 3. Ich hatte nach meinem Studium Arabisch gelernt, weil ich etwas für den Kopf brauchte. Nun habe ich mein nächstes Studium begonnen. Habe ich erwähnt, dass ich gern lerne? Regionalstudien Asien und Afrika an der Humboldt-Uni. Theoretisch ist das ein Vollzeitstudium, aber ich tanze und unterrichte so viel nebenher. Der Tanz mit dem Reifen trainiert wahnsinnig gut beide Gehirnhälften, weil wir mit beiden Händen üben und beide Körperseiten verknüpfen. Das hilft mir auch, wenn ich belebt wieder an meinen Schreibtisch zurückkehre. Ich arbeite mit Kommiliton*innen mittels der Promodoro-Technik zusammen. Wir besprechen uns kurz und haben dann 4 mal 25 Minuten Arbeitszeit, in denen jede*r zu Hause konzentriert arbeitet. Dabei können wir uns gegenseitig auf dem Bildschirm sehen. Funktioniert!

Zohar Zehavi: Klar gibt es ein Leben neben der VHS! (lacht). Meine kleine Familie hier in Berlin, zusammen mit dem 4-jährigen großen Bruder von Beri. Und meine Familie in Israel. Zeit mit Freund*innen und Kolleg*innen. Ich habe gerade meine Ausbildung als Yogalehrerin abgeschlossen. Ich will Yoga authentisch unterrichten und bin deshalb selbst diesen langen Weg gegangen. Beri ist jetzt 7 Wochen alt und langsam kann ich morgens wieder ein paar Minuten auf der Yogamatte verbringen. Wir hatten an der VHS die Idee, kurze Yoga sessions für Kursleitende an der Volkshochschule anzubieten – in den Pausen zwischen ihren Kursen. Aber jetzt ist gerade eine schlechte Zeit, um so etwas anzufangen. Vor meiner Zeit an der Volkshochschule habe ich an der Jüdischen Grundschule gearbeitet. Und als Kita-Erzieherin. In der ersten Zeit habe ich natürlich viel Deutsch gelernt. B1 habe ich geschafft. Bald ist es Zeit für B2.

Zwei Frauen lachen auf der Eingangstreppe (mit Mund-Nasen-Schutz)

"Aus langen Kneipenabenden können gute Podcasts entstehen."

Jana Koch: Ich komme aus einem Dorf bei München und habe Soziale Arbeit studiert. Jetzt kommt die Zickzack-Biografie, von der ich sprach: Studienabschluss der Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien, Arbeit fürs Fernsehen, als Wissenschaftlerin, als Dozentin für Filmtheorie, Administration für die Uni Wien. Ich habe auch an der Uni immer versucht, meine vorherige Tätigkeit reinzubringen. Zum Beispiel haben mein Kollege und ich mit einer Behinderteneinrichtung aus Oberösterreich Begegnungsseminare über Körperbilder durchgeführt. Mit welchen Körperbildern sind wir in den Medien konfrontiert? Was ist der „perfekte“ und der entsprechend „unperfekte“ Körper? Und wer bestimmt das?

Und immer wieder Projekte, wo ich viel übers Aushalten und die Möglichkeiten des Scheiterns gelernt habe…. Und wie bei Studierenden aus langen Kneipenabenden gute Podcasts entstehen können.

Nach einem Jahr Stipendium in Berlin, habe ich schweren Herzens in Wien die Zelte abgebaut. Nun sehe ich meine Lieblingsmenschen seltener. Aber der Start in Berlin war ein leichter. Berlin und Wien sind hinsichtlich der Kulturarbeit sehr eng miteinander verbunden. Es gibt eine wahnsinnige gute Wien-Berlin-Connection. Nun ist mir ein neuer Freundeskreis in Berlin gewachsen. Ich habe dazugewonnen auf ganzer Linie!

Teilnehmende im Schmuckkurs

"Liebe zur Sprache"

VHS: Das Thema kommt bei euch allen immer wieder auf: Berlin – und woanders.

Helen Haukamp: Ja, bei mir ist es die Liebe zur Sprache. Wieder so eine Sache, wo ich früher dachte, ich kann sie gar nicht. Wenn ich Menschen begegne, die mich inspirieren und die ich mag, dann lerne ich leicht von ihnen. So war es bei Spanisch und auch bei den anderen Sprachen, die ich gelernt habe und lerne. Für Persisch (Dari) suche ich noch ein*e Tandempartner*in.

Nari Park: Südkorea geht ganz anders mit dem Coronavirus um. Dafür wurde es in der Welt viel bewundert, weil sie es mit Testen, Nachverfolgen und Quarantäne geschafft haben, die Infektionen niedrig zu halten, ohne der Wirtschaft viel zu schaden. Aber sie sind im Moment mit der zweiten Welle sehr vorsichtig. Vor allem mit den Kindern. In Seoul gehen sie nur einmal in der Woche in die Schule. Den Rest der Zeit kümmern die Eltern sich zu Hause um sie. Das macht viele verrückt. Ich finde, Kinder brauchen die Schule. Es ist nicht gut, wenn menschliche Wesen so viel zu Hause festsitzen, besonders Kinder. Und wir hier in Berlin? Meine Tochter war sogar manchmal in den Sommer- und Herbstferien im Ferienhort! Den gibt es in Korea auch ohne Corona nicht. Die Eltern haben eine Woche Urlaub im Jahr. Und die Kinder 6 Wochen Sommerferien und 4 Wochen Winterferien. In diesen Wochen verdienen andere Betreuungseinrichtungen viel Geld.

Menschen betreten die Volkshochschule

"Watch your mouth"

Todd Stuchiner: Ich liebe Berlin! Ich würde nie mehr woanders wohnen wollen. Ich kann es mehr wertschätzen, weil ich aus einem Land komme, wo Sachen wie Kinderbetreuung und Krankenversicherung für viele unbezahlbar sind. In den USA sind wir daran gewöhnt, dass es massive Armut und große Einkommensunterschiede gibt sowie Menschen, die ihre Häuser und Wohnungen verlieren, weil sie hohe Arztrechnungen bezahlen mussten. Auch verglichen mit dem Nahen Osten, wo ich meine Meinung nicht frei äußern konnte, ist Deutschland eine große Erleichterung für mich. Meine Kolleginnen hatten es dort in vielen Dingen noch schwerer als ich. Aber auch als privilegierter US-amerikanischer „weißer“ Mann wusste ich „watch your mouth“ (pass auf, was du sagst).

Dieser offene Rassismus, der sich auch in den Gesetzen widerspiegelt, ist schwer zu ertragen. Je nach Deiner zugeschriebenen Rasse kommen bestimmte Jobs für dich infrage.

Hier ist es nicht perfekt, aber für mich definitiv besser. Die meisten sind sogar freundlich! Und dieses multikulturelle Leben entspricht mir. Ich bin neulich an einem Restaurant in Berlin vorbeigelaufen, dessen Speisekarte in fünf Sprachen übersetzt war! In den USA hätten sie dich rausgeschmissen, wenn du nach einer Speisekarte in einer anderen Sprache gefragt hättest. Sogar in den liberaleren Orten.

Mein Lieblingsort in Berlin ist der Mehringdamm. Dort habe ich gelebt, als ich das erste Mal länger in Berlin war. Dort werde ich immer ganz nostalgisch. Die lange Schlange bei dem vegetarischen Dönerimbiss neben Curry 36 kann ich noch immer nicht begreifen. Da stehen die Leute mitten im Winter als wäre es das 8. Weltwunder!

Jana Koch: Wien und Berlin haben einen anderen Rhythmus. Bis hin zur Laufgeschwindigkeit auf der Straße. In Wien habe ich z.B. anfangs nicht gemerkt, wenn mich jemand kritisiert und angegriffen hat, weil es so blumig verpackt war. Berlin ist anders zusammen gewachsen und hat eine eigene Geschichte. Auch stadtplanerisch lässt sich Berlin nicht mit anderen Städten vergleichbar. Berlin ist ein Fleckerlteppich. Du kannst nach fünf U-Bahnstationen aussteigen und das Gefühl haben, du bist in einer anderen Stadt gelandet. Jeder Kiez hat einen eigenen Rhythmus und Melodie. Es gibt so viele unterschiedliche Bilder von Berlin – auch in Filmen und in der Musik. Berlin und die Popkultur! Diese Berlinbilder können individuell stimmen und gleichzeitig doch etwas anderes darstellen, als man es in der eigenen Realität vorfindet. Eine schöne Überraschung, dass es so gut funktioniert.

Zohar Zehavi: Ich liebe Israel, wo ich herkomme. Und ich genieße Berlin sehr. Ich komme wie Jana auch aus einem kleinen Dorf und es ist etwas ganz anderes, so eine große Stadt zu entdecken. Nur an die Winter habe ich mich nach 7 Jahren noch immer nicht gewöhnt. Normalerweise versuchen wir immer, im Dezember oder Januar einen Monat in Israel zu verbringen.
Mein Mann hat einen niederländischen Pass und wir wollten beide ein Abenteuer.

Eines Tages haben wir beschlossen, für eine Weile nach Europa zu ziehen. Wir hatten gehört, dass Deutschland und besonders Berlin cool sind. Wir haben noch in Israel Deutsch bis zum Niveau A1.1 gelernt und dann sind wir mit einem One-Way-Ticket hergeflogen. Vollkommen verrückt, zumal wir vorher noch nie hier waren. Aber wir waren jung und wollten es versuchen. Wenn es nicht geklappt hätte, wären wir zurückgegangen. Ich liebe die Musikszene in Berlin. Und die Clubs. Die ersten 3 Jahre haben wir in Kreuzberg gelebt. Als wir nach Prenzlauer Berg gezogen sind, fühlte es sich an, wie in eine neue Stadt zu ziehen. Wieder so viel Neues zu entdecken. Heute ist meine Familie mein Abenteuer.

VHS: Und nun? Wagen wir einen Blick nach vorn?

Jana Koch: Klar! Ich wünsche mir, dass die Dinge an der VHS so lebendig und offen bleiben. Ich kann kein festes Ziel nennen, weil das diesem Ziel widersprechen würde ;-). Mein größter Wunsch und den haben wahrscheinlich alle Mitarbeiter*innen: Dass es ein Ort für alle ist und auch so wahrgenommen wird, weil sich nur dann alle eingeladen fühlen zu kommen. Und vor allem mitzugestalten. Die VHS ist zum einen eine verlässliche Größe für Beständigkeit und bestimmte feste Angebote und zum anderen lässt sie immer einen Raum für Flexibilität, damit es lebendig bleibt.

Teilnehmende im Deutschkurs (mit Abstand)

"Die Zukunft stimmt mich sorgenvoll – und relaxed."

Nari Park: Die Zukunft stimmt mich sorgenvoll – und relaxed. Klar, es sind seltsame Zeiten und es gibt viel Ungewissheit zur Gesundheit und Finanzen. Auf der anderen Seite war ich noch nie so ruhig. Diese Phasen, in denen ich nichts tue und über mein ganzes Leben nachdenke. Ich habe das Gefühl, dass im Moment manches menschlicher ist, als vorher – mehr Familie. Der innere Stress ist weg und die Zeit vergeht langsamer. Ein bisschen wie ich mir das Leben auf dem Land vorstelle. Ich bin in Seoul aufgewachsen und es war nie so leise um mich herum wie jetzt. Ich glaube, ich bin eigentlich der Dorf-Typ. Ich will herausfinden, wie man sich selbst mit allem Nötigen versorgen kann.

Zohar Zehavi: Im Moment ist es schwer über die Zukunft zu sprechen oder Pläne zu machen. Ich lebe gerade Tag für Tag und genieße die Zeit mit unserem Baby. Eigentlich macht es für mich gerade keinen großen Unterschied, ob es mehr oder weniger Kontaktbeschränkungen gibt.

Helen Haukamp: Ich weiß nicht, was jetzt kommt. Es sind keine guten Zeiten für Tänzer*innen. Ich könnte mir aber tausend Sachen vorstellen: Tanzprojekte mit afghanischen Frauen, Bildungsarbeit. Im Moment machen wir ein Projekt zu „Außereuropäischen Geschlechtsidentitäten“ mit Kindern und Jugendlichen. Hier gibt es nicht nur die eine Sicht, z.B. zum Konzept „Gender“.
Auf jeden Fall unterrichte ich weiter Tanz. Diese Erfahrungen mit den Schüler*innen und Teilnehmenden ist für mich unersetzlich. Das weiß ich sicher. Was ich darum herum gestalten kann oder finanziell muss, werde ich dann sehen.

Todd Stuchiner: Ich werde ein professioneller American Football und Baseball Spieler. Und in naher Zukunft möchte ich Burger und Pommes.

VHS: Ihr seid alle schon wieder auf dem Sprung. Wo geht es hin?

Jana Koch: Ich habe jetzt Feierabend und genieße den in Neukölln.
Helen Haukamp: Direkt an den Schreibtisch zu meiner Promodoro-Schreibgruppe.
Todd Stuchiner: Auch direkt an den Schreibtisch. Online Englisch unterrichten.
Nari Park: Meine Tochter hat Ferien. Mal sehen, was wir jetzt machen.
Zohar Zehavi: Na, Windeln wechseln, was sonst?

Das Gespräch fand im Oktober 2020 statt.

Der Fotograf und Filmemacher Thabo Thindi wurde in die Hochphase der Apartheid in Südafrika hineingeboren. Er fühlt sich magisch angezogen von menschlichen Geschichten.

VHS: Thabo, worauf bist du stolz?

Thabo Thindi: Es macht mich stolz, wenn ich ein Lächeln im Gesicht eines von mir porträtierten Menschen sehe. Diesen Menschen würdevoll in seiner Besonderheit zeigen zu können, macht mich glücklich. Wir alle kämpfen einen Kampf, über den andere nichts wissen. Mitfühlend miteinander zu sein, ist das Mindeste, was wir tun können.

  • Fotoshooting Sommer 2020 - hinter den Kulissen
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