Von der Havel an die Müggelspree

Peter Eisermann

Peter Eisermann
arbeitet als Schulorganisationsassistent an der Flatow-Oberschule in Berlin-Köpenick. Er ist angestellt über die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie.

Immer wieder etwas Neues, davon hat Peter Eisermann, geboren 1966, langsam genug. In seinem Leben hat er vieles gemacht, aber von Dauer war nichts. Mit der SGE-Stelle an einer Köpenicker Elitesportschule könnte sich das nun ändern.

„Berlin, wie haste dir verändert!“: Dieses Lied kann Peter Eisermann (Name geändert) allemal singen. Als Westberliner Urgestein wuchs er in der Charlottenburger Zillestraße auf. Als junger Mann erlebte er den Mauerfall und die historischen Umbrüche der Wende. Und in den Folgejahren bekam er zu spüren, was sie für den Arbeitsmarkt der Stadt bedeuteten – im Guten, wie im Schlechten.

Es ist gar nicht so leicht, Eisermanns Arbeitsbiografie nachzuzeichnen. Im Laufe seines Lebens übte er nicht nur eine Vielzahl, sondern auch eine erstaunliche Bandbreite an Tätigkeiten aus, arbeitete für Konzertveranstalter, Betreiber von Photovoltaikanlagen und im Jugendklub. Hauptsache, ihm gefiel die Arbeit. „Sonst hätte ich sie nicht gemacht“, sagt er. „Es hat keinen Sinn, zu arbeiten, wenn es keinen Spaß und keine Freude macht. Das ist nicht produktiv. Und das mache ich auch nicht.“

Als Kind verbrachte Eisermann viel Zeit mit seinen Eltern an der Havel, auf einem Campingplatz am Wasser. Noch heute sitzt er regelmäßig am Havelufer in Köpenick, wo er lebt, und ist dem örtlichen Angelverein treu. In Charlottenburg besuchte er die Johann-Peter-Hebel-Grundschule und wechselte auf das Friedrich-Ebert-Gymnasium. Er wollte Abitur machen. Auf dem Gymnasium gefiel dem Heranwachsenden vieles gar nicht, der „Kadavergehorsam“, die autoritäre Haltung des Lehrpersonals, dem man mitunter sogar die Taschen tragen sollte. Eisermann machte nicht mit, eckte an, wollte nicht Buhmann sein und brach die Schule ab – ohne Abschluss. „Das hat alles nicht gepasst“, sagt er, der heute selbst an einer Schule arbeitet und ganz andere Verhältnisse beobachtet. „Das ist gar nicht mehr zu vergleichen, heute gehen Schüler und Lehrer auf Augenhöhe miteinander um.“

Peter Eisermann

Den Hauptschulabschluss holte Eisermann später nach, ins Arbeitsleben trat er zunächst ohne Abschluss. Er kannte sich aus mit Bühnenbau, Ton- und Lichtanlagen, da er selbst in einer Rockband spielte – aus dieser Zeit stammen viele seiner bunten Tattoos. Er bekam Jobs im Rahmen von Konzertveranstaltungen, im Quasimodo, im Theater des Westens, in der Deutschlandhalle und der Waldbühne. Nach der Wende boomte außerdem das Baugewerbe, „und auf dem Bau habe ich mir ein breites Spektrum handwerklicher Fähigkeiten raufgeschafft“, sagt Eisermann.

Learning by doing, auch ohne Ausbildung. Vom Wort „Hilfsarbeiter“ allerdings will er nichts hören, auch wenn Unausgebildete gern in diese Schublade gesteckt werden. „Ton- und Lichtanlagen baut kein Hilfsarbeiter zusammen, und auch auf dem Bau musste ich fachlich ran, ob Ausbildung oder nicht“, sagt er. „Anspruchslos ist das nicht, gerade auf dem Bau gibt es massenhaft Leute, die etwas arbeiten, wofür sie nie offiziell ausgebildet wurden. Im Gegenteil, die meisten, die ich kenne und die eine Ausbildung gemacht haben, arbeiten heute gar nicht in dem jeweiligen Bereich.“

Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur sogenannten Arbeitnehmerfreizügigkeit begann auf dem Bau ein anderer Wind zu wehen. „Da ging es plötzlich darum, alles billiger und noch billiger zu machen“, erinnert sich Eisermann. „Mitte der 1990er-Jahre fing das an. Es kamen immer mehr Arbeitskräfte aus Osteuropa, aber auch aus der ehemaligen DDR, die alles für den halben Preis machten.“

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Diese Lohndrückerei war nichts für Eisermann. Halb überging man erfahrene Arbeitskräfte wie ihn, die an bessere Löhne gewöhnt waren, halb zog er sich selbst zurück, enttäuscht von der Politik. „Bei der Pflege der städtischen Grünflächen zum Beispiel wurde immer nur eingespart, eingespart, eingespart. Firmen sind kaputtgegangen und jetzt gibt es dafür ein paar 1-Euro-Jobs“, sagt er. „Was soll man dazu sagen?“ Vieles bleibe auf der Strecke, weil nur noch Aktionäre bedient werden, „wenn die nicht zufrieden sind, muss auch eingespart werden. Dann eben Leih- anstatt Lohnarbeit. Kapitalismus in Reinform“. Vieles gehöre auf den Prüfstand, vieles müsse geändert werden, doch die Politik tue nicht genug, ist Eisermann überzeugt. „Wie viele Abgeordnete sitzen im Bundestag? Siebenhundert? Dafür kommt unterm Strich wenig bei raus“, sagt er. „Theoretisch vertreten diese Leute ja mich. Aber praktisch?“

Im Jobcenter riet man Eisermann schließlich, eine Lehre nachzuholen. Er ergriff die Möglichkeit und ließ sich um das Jahr 2000 zum Installateur für Elektrotechnik ausbilden, was berufliche Veränderung, vor allem räumliche, nach sich zog. Als frisch gebackene Elektrofachkraft ging er nach Schleswig-Holstein, wo damals viele Photovoltaikanlagen und Solarkraftwerke montiert und in Betrieb genommen wurden. Dort arbeitete er für verschiedene Firmen, rund zehn Jahre.

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„Dann liefen die Subventionen aus. Deshalb traten viele Bauern, auf deren Höfen die Anlagen häufig stehen sollten, von den Verträgen zurück, und es kam die große Kündigungswelle“, sagt Eisermann. Wieder stand eine Neuorientierung an. Da die körperlichen Belastungen der Arbeit es ohnehin nicht erlauben, bis zur Rente im Anlagenbau zu rackern, entschied sich Eisermann noch in Kiel für eine Weiterbildung zum Bürokaufmann. Mit diesem Schein in der Tasche ging er zurück nach Berlin.

Zurück in seiner Heimatstadt, widmete er sich den Debitoren, Kreditoren oder Urlaubsplanungen verschiedener Firmen und arbeitete etliche Jahre als Bürokaufmann, allerdings nie sehr lange für dasselbe Unternehmen. Über die Vermittlung durch das Jobcenter erwarb er sich noch einmal ganz neue Kompetenzen mit der Arbeit in einem Köpenicker Jugendklub. Dort entdeckte er seine pädagogische Ader. „Wenn es Probleme gab, konnte ich die immer ganz gut klären“, sagt er. „Gerade wenn es bei den Jungs Verhaltensauffälligkeiten gab, hatte ich ein Händchen dafür, mit ihnen zu reden. Erst einmal herauszufinden, was los ist. Warum jemand eine Scheibe einschmeißt, wo der Hase im Pfeffer liegt. Am Ende haben wir dann ein Rennrad zusammengebaut oder eine E-Gitarre organisiert, und dann ging es schon besser.“

Bei dem Job im Jugendklub handelte es sich allerdings nicht um eine reguläre Festanstellung, und so endete er mit erneuter Arbeitslosigkeit. Aufgrund der jüngsten Erfahrung sah Eisermann seine Zukunft im Öffentlichen Dienst. Er bewarb sich auf eine ganze Reihe von Stellen, reguläre wie auch die neu geschaffenen SGE-Stellen. Nach etlichen Absagen kam schließlich der Tipp vom zuständigen Mitarbeiter der Senatsverwaltung, dass er sich an der Flatow-Oberschule melden könne, wo eine SGE-Stelle zu besetzen sei. „So ist das gekommen“, sagt er, „seitdem bin ich hier Schulorganisationsassistent.“

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Sein neues Arbeitsumfeld ist idyllisch. Die Flatow-Oberschule liegt auf einem bewaldeten Streifen direkt an der Müggelspree. Die Schüler und Schülerinnen, die hier aufgenommen werden, müssen vom Landessportbund empfohlen worden sein, denn die Ganztagsschule ist der sportlichen Elite vorbehalten und optimal auf deren Bedürfnisse ausgerichtet. Im Einklang mit einer exzellenten schulischen Ausbildung, die alle in Berlin gängigen Abschlüsse ermöglicht, werden leistungssportlich trainierende Kinder und Jugendliche in den Sportarten Rudern, Kanurennsport, Segeln, Fußball und Radsport gefördert.

Die Trainingsanforderungen sind der Maßstab für die Schulorganisation. Dabei unterstützt Eisermann sein neues Kollegium seit Dezember 2020. „Wir sind ein großes Team von insgesamt fünfzig Personen“ – dazu gehören Lehrkräfte, Erziehende und nichtpädagogisches Personal – „und gut eingearbeitet“, sagt er. Als SGE-Angestellter soll beziehungsweise darf Eisermann zwar weder eingetakteten Fremdfirmen noch dem Haus- oder Sportwart die Arbeit „wegnehmen“. Angesichts des spezifischen Schulprofils gibt es jedoch darüber hinaus jede Menge zu tun.

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„Assistent“ heiße nicht, so Eisermann, „dass ich anderen den Kugelschreiber hinterhertrage.“ Je nachdem, welche Schicht er hat, steht er morgens um 6:30 Uhr oder 9:00 Uhr bereit, um einen reibungslosen Schulalltag für beanspruchte junge Sportasse zu gewährleisten. „Mein Aufgabenbereich berührt alle schulorganisatorischen Angelegenheiten“, sagt Eisermann. Mal müssen Stühle und Tische für Veranstaltungen geräumt, dann wieder Gartenarbeiten erledigt werden, er muss die Sauberkeit des Schulgeländes im Blick haben oder eine mitunter grundlos heulende Alarmsirene abstellen.

„Ein bisschen Büroarbeit ist auch dabei, das habe ich ja früher schon gemacht“, sagt Eisermann. Er hat auch ein Auge auf sogenannte Fremdfirmen, die die Schule reinigen, Glühbirnen oder Fensterscheiben wechseln. Mal nimmt er Lieferungen neuer Gerätschaften entgegen, mal kontrolliert er im Keller die Heizung, mal flickt er provisorisch eine Sprossenwand. „Für die Schüler direkt zuständig bin ich nicht, aber natürlich kommt häufig jemand mit einem Anliegen. Zum Beispiel wenn wieder einmal der Schlüssel für einen Spind vergessen wurde und wir mit unseren Zweitschlüsseln aushelfen müssen.“

Eisermann hat in seinem Leben vieles gemacht und bewiesen, dass er flexibel ist und sich auf Neues einlassen kann. Nun möchte er gern Kontinuität einkehren lassen. Noch einmal etwas ganz von vorn anzufangen, kommt für ihn nicht mehr in Frage. „Ich habe zwei Ausbildungen und kann vieles, wofür ich keine habe. Damit kann ich arbeiten, das reicht“, sagt er. „Zwei Drittel meines Arbeitslebens liegen hinter mir und ab einem gewissen Alter will man das nicht mehr, ständig etwas Neues. Die Bereitschaft dazu nimmt im Alter ab.“

Die Probezeit seiner SGE-Stelle hat Eisermann mühelos bestanden. Er hofft auf eine langfristige Perspektive, ob an der Flatow-Oberschule oder anderswo im Öffentlichen Dienst. Ihm bleiben viereinhalb Jahre in einem anständig vergüteten Arbeitsverhältnis, um sich dafür in Stellung zu bringen: „Ich gehe ganz schwer davon aus, dass sich das positiv entwickelt.“

Text: Katrin Rohnstock / Rohnstock Biografien