Als sich Karl Drais 1817 auf sein Laufrad schwang…

Eine Reihe von Fahrrädern

von Ursula A. Kolbe

Das Fahrrad hat in diesem Jahr ein besonderes Jubiläum – den 200. Jahrestag des beliebten Vehikels, wie manche es liebevoll nennen. Ein Veteran, der heute noch und mehr denn je seine Nutzer findet. Von diesen geliebt, von anderen als Verkehrshindernis im rasant wachsenden Straßenverkehr geschmäht.

12. Juni 1817: Der gebürtige Karlsruher Karl Freiherr von Drais schwingt sich auf sein Laufrad und radelt zum ersten Mal von der Mannheimer Innenstadt in die kurfürstliche Sommerresidenz in Schwetzingen. Aber da ahnt er noch nicht, welch bahnbrechende Erfindung ihm gelungen war und dass dieser Tag einmal in die Annalen der Geschichte eingehen sollte.

Ganze sieben Kilometer betrug die Strecke. Den Hin- und Rückweg hatte er in knapp einer Stunde geschafft und war damit mehr als doppelt so schnell wie die damaligen Postkutschen. Diese historische Erstfahrt übrigens können Radfahrer auf der Mannheimer „Drais-Route“ nachempfinden. Später meldete Drais seine Laufmaschine auf zwei Rädern, damals Draisine genannt, zum Patent an. Von Mannheim aus begann das Zweirad seinen Siegeszug rund um den Globus und wird bis heute millionenfach in aller Welt genutzt.

5. Nationaler Radverkehrskongress in Mannheim

Hat Karl Drais 1817 mit seiner brillanten Erfindung die erste Mobilitätsrevolution der Neuzeit eingeleitet, steht das Fahrrad jetzt – zu seinem 200. Jubiläum – vor einem neuen Innovationssprung im Zeichen von Elektrifizierung und Digitalisierung. E-Bikes und Pedelecs finden großen Zuspruch, eröffnen neue Einsatzbereiche. Digitale Anwendungen, Neues in der Datenverarbeitung und intelligente Infrastrukturen ermöglichen neue Geschäftsmodelle, machen das Radfahren attraktiver.

Unter dem Motto „200 Jahre Fahrrad – auf in die Zukunft“ fand kürzlich der 5. Nationale Radverkehrskongress, Leitkongress für die Radverkehrsförderung in Deutschland, in der Geburtsstadt des Fahrrads, in Mannheim, statt. 15 Fachforen mit mehr als 50 Beiträgen boten die Gelegenheit, sich zu informieren und Zukunftsthemen zu diskutieren, wie z. B. Infrastruktur und Planung, Daten und Digitalisierung, Technik und Wirtschaft, Rad und Kultur, Forschung und Entwicklung, Verkehrsfluss und Wirtschaft insgesamt.

Ob Verkehrskollaps, Klimaschutz oder Gesundheit, das Fahrrad rückt immer mehr in den Fokus unseres Alltags. Nicht nur als Transportmittel, sondern auch als Statussymbol, als Klimaretter oder Fitnessmaschine. Das hat auch der Kongress gezeigt.

Ja, rund um den Globus sind Fahrräder die am häufigsten eingesetzten Transportmittel für Menschen und Güter. 2016 wurden weltweit mehr als 130 Millionen Fahrräder hergestellt, aber „nur“ knapp 83 Millionen Autos. Laut Statistischem Bundesamt kamen auf 100 Haushalte 184 Räder, aber 105 Autos. Fast 1,9 Mio. deutsche Haushalte besitzen zudem ein Elektrofahrrad – die Zahl elektrisch aufladbarer Pkw liegen hingegen bei weniger als 80.000.

Zwar ist die Dominanz des Autos im Pendlerverkehr, in Dienstwagenflotten oder in der Logistik unübersehbar. Rund zwei Drittel der Berufstätigen fahren täglich mit dem Pkw zur Arbeit. Doch die Bereitschaft, umzusteigen, wächst. So ist die Zahl der Großstädter, die das Rad als Verkehrsmittel nutzen, zwischen 2000 und 2015 um 40 Prozent gestiegen. Das Fahrrad holt auf, vor allem, wenn es Elektroantrieb hat.

Auch große Unternehmen wie die Telekom, die Commerzbank oder die Deutsche Bahn haben längst Firmen- und Dienstfahrräder im Einsatz. Bei der Bahn, die ihren Mitarbeitern seit September Firmenräder anbietet, sind es schon mehr als 3.900.

Das rasante Wachstum der Elektroräder (Pedelecs oder E-Bikes) bringt ebenso die Logistik-Branche auf neue Ideen. Studien zufolge könnte die Hälfte aller motorisierten Warentransporte in Städten durch Lastenfahrräder erfolgen. Der Berliner Senat will das bislang überschaubare Geschäft mit einer Förderung für Gewerbetreibende aus der Nische holen. Große Anbieter testen beispielsweise Lastenfahrräder auf der „letzten Meile“ zum Kunden. So startete DHL ein Pilotprojekt in Frankfurt (Main) und Utrecht, wo die Post-Tochter mit vierrädrigen „Cubicycles“ Pakete zustellt, deren Containerboxen bis zu 125 kg transportieren können. Um Lastenräder attraktiver zu machen, fordert die Branche schon länger eine staatliche Kaufprämie nach dem Muster des Umweltbonus für E-Autos.

Frankreich zahlt seit dem 1. März bis zu 200 Euro Zuschuss für alle Fahrräder mit Elektroantrieb. Der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) schlägt für Deutschland 500 Euro vor. „Anders als die Autohersteller haben die Fahrradbauer Lösungen für die Elektromobilität gefunden“, sagt ein Sprecher. Nun sollte die Politik jene Nutzer belohnen, die daraus ein Geschäftsmodell machen wollten.

Berlin und das neue Radgesetz

Erklärtes Ziel des Berliner rot-rot-grünen Senats ist es, die Mobilitätswende einzuleiten und den sogenannten Umweltverbund – bestehend aus Fußgängern, Radfahrern und Nahverkehrs-Nutzern – zu stärken. Der breite Dialog soll in einem Radgesetz münden und später Teil eines umfassenden Mobilitätsgesetzes sein. Oberste Maxime: Mehr Platz für Radfahrer.

Die große Zustimmung zu der Initiative Volksentscheid Fahrrad macht deutlich, dass sich viele Berliner bessere Bedingungen für den Radverkehr wünschen. Die Initiatoren wollen u. a. ein 350 km langes Fahrradstraßennetz, zwei Meter breite Radwege an allen Hauptstraßen, 100 km Radschnellwege, 200.000 Abstellplätze und die Entschärfung von jährlich 75 Unfallschwerpunkten gesetzlich festschreiben.

Dass der Straßenraum zugunsten des Rad-, Fuß- und Nahverkehrs umverteilt wird, haben SPD, Linke und Grüne im Koalitionsvertrag vereinbart. Inzwischen hat die Verwaltung auch den Bau von weiteren Abstellanlagen auf den Weg gebracht. Im Auftrag des Landes leitete das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf ein „Interessenbekundungsverfahren“ für den Bau von Rad-Abstellanlagen an fünf S- und U-Bahnhöfen im Bezirk ein. Am S-Bahnhof Zehlendorf soll das erste Berliner Parkhaus vorwiegend für Räder mit Elektromotor entstehen und zum Teil kostenpflichtig sein.

In dieser breiten Diskussion zum Radgesetz setzt sich auch der ADFC Berlin für eine lebenswerte Stadt ein, in der das Fahrrad als modernes, klimafreundliches, gesundheitsförderndes, lärm- und emissionsfreies Verkehrsmittel im Umweltverbund seiner Bedeutung gemäß gefördert wird. In seinem Statement heißt weiter, dass die Voraussetzungen für einen höheren Radverkehrsanteil sehr gut seien. „Wir haben breite Straßen, einen abnehmenden Anteil von Autos am Modal Split und eine gute Erreichbarkeit der Zentren in den einzelnen Bezirken.

Die vom Berliner Senat formulierte und verabschiedete Radverkehrsstrategie ist gut, aber wird unerträglich langsam umgesetzt. Wenn mehr Berliner und Berlinerinnen das Fahrrad statt des Autos benutzen, kommt die Stadt mit einer schlankeren, kostensenkenden Infrastruktur aus. Wir emittieren weniger Kohlendioxid, die Lebensqualität wird besser, die Lärm- und Luftbelastung sowie das Unfallrisiko sinken. Berlin wird insgesamt lebenswerter und darüber hinaus sozialer, weil das Fahrrad auch Menschen mit geringem Einkommen Mobilität verleiht, die verkehrsbelasteten Wohnlagen von Lärm und Luftschadstoffen entlastet. Um die ‚Fahrradstadt Berlin‘ zu erreichen, gibt es noch vieles zu tun.

Das Radverkehrsgesetz, das derzeit vom ADFC Berlin und dem Team des Volksentscheids Fahrrad mit dem Senat verhandelt wird, ist ein guter Anfang. Im Gesetz und dem zugehörigen Rahmenplan sollen verbindliche Maßnahmen der Radverkehrsförderung festgeschrieben werden.“