Amigo

Computer-Arbeitsplatz

von Waltraud Käß

Der Tag heute war nicht so gut gelaufen. Sarah hatte endlich diese aufreibende Beziehung beendet. Trotzdem fühlte sie sich ziemlich mies.
Immerhin hatte sie schöne Jahre mit ihm verbracht. Er war kontaktfreudig und ein Hans Dampf in allen Gassen. Durch ihn hatte sie neue Freunde gefunden. Er war klug und kannte für die meisten Probleme eine Lösung. Er war immer für sie da gewesen. Aber seit längerer Zeit schon spürte sie dieses Gefühl der Entfremdung. Ihre Seelen waren nicht mehr im Gleichklang. Er ignorierte ihre Wünsche und manchmal ließ er sie auch im Stich.

„Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“ und „Nach jedem Abschied gibt es einen neuen Anfang“ dachte sie trotzig und dann schloss sie dieses Kapitel ab. Er würde nicht mehr da sein, wenn sie heute Abend nach Hause kam. Für die geplante Session waren heute Probeaufnahmen mit dem neuen Model angesetzt. Als Werbepsychologin war Sarah zwar nicht unmittelbar beteiligt. Aber sie musste die neuen Models begutachten und ihre Ausstrahlung einschätzen.

Sarah betrat den Probenraum und bemerkte ihn sofort. Der Fotograf hatte die Szene schon ausgeleuchtet und er sah sehr vorteilhaft aus. Seine Ausstrahlung verschlug Sarah den Atem. Er war nicht sehr groß. Aber darauf kam es nicht an. Unter seinem seriösen Outfit vibrierten Spannung und andere geheime Kräfte.
Ihre Wangen röteten sich und sie hatte Mühe, ihre Gefühle zu verbergen. Dann dachte sie nur noch „Ich will ihn. Oh mein Gott, ich muss ihn haben.“ Eifersucht schoss in ihr hoch, als die Maskenbildnerin ihn berührte. Er blieb ganz gelassen.

Doch als sich ihr Blick mit dem seinen kreuzte, meinte sie ein Blinzeln in seinem Gesicht zu sehen. Sie war sich sicher, dass er ihre Gefühle erwidern würde. In der Nacht war er in ihren Träumen. Sie spürte seine Power, als sie ihn berührte. Er war ihr ganz nahe. Sie träumte von gemeinsamen Unternehmungen, von gemütlichen Stunden zu zweit. Sie würden sich nicht mehr trennen. „Eigentlich möchte ich Dich Mausebärchen nennen, das würde zu Dir passen“, flüsterte sie mit leiser Stimme vor sich hin. „Aber das geht nicht, meine Freunde würden darüber lachen.“ Sarah nahm das Werbefoto vom Nachttisch und schrieb mit schwungvoller Schrift den Namen „Amigo“ darunter. So wollte sie ihn nennen.

Am nächsten Morgen kamen die Zweifel. Ob ihm ihre Wohnung gefallen würde? Sie war zwar gut eingerichtet, aber er sollte sich doch sofort wie zuhause fühlen. Sie rückte da und dort noch eine Vase zurecht und schob an anderer Stelle ein Kissen gerade. Gemütlich sollte es auch sein. Das Foto in den Werbeflyern war gelungen. Die Kollektion würde einschlagen wie eine Bombe. Sarah war rechtzeitig zur Eröffnung des Verkaufs zur Stelle und deutete aufgeregt auf ihn. Dann nahm sie ihn in den Arm. „Kommst Du mit zu mir?“ fragte sie ihn leise und er drückte sich eng an sie.

Dann stand er in ihrer Wohnung. Gleich würde sie ihn berühren. Durch ihren Körper lief ein Zittern und die Flaumhaare auf ihren Armen standen senkrecht. Langsam berührte sie seine sensible Oberfläche und kraulte langsam an ihm auf und ab. Er begann zu strahlen. Er musste nicht sprechen. Seine Gefühle standen ihm ins Gesicht geschrieben. Erregt las sie seine Botschaft „Willkommen bei Windows 10“.

Sie liebte ihn schon jetzt, ihren neuen PC ACER ASPIRE TC 780. Er hatte alles, was sie wollte. Und er gab ihr alles, was sie brauchte. Sie bereute keine Minute, dass sie den Alten vor einigen Tagen entsorgt hatte.