Herkules

Kupferstatue des Herkules in Kassel

von Susanne Danowski

Es lebte einmal ein Bürgermeister mit seiner Frau Hilde.
Die Bürger der Stadt waren mit seinen Diensten zufrieden, denn mit ihren Wünschen konnten sie stets direkt ins Rathaus kommen und wurden auch gehört.

Jeder in der Stadt kannte den Bürgermeister und oft wurde er auch direkt auf der Straße oder im Wirtshaus angesprochen. Das gefiel ihm nicht immer, aber wenn seine schöne junge Frau ihn begleitete, sonnte er sich sichtlich in seiner Beliebtheit und Wichtigkeit. Wenn Hilde ihn auf seinem Weg durch die Stadt nicht begleitete, nutzten vor allem die Weibsbilder die Gelegenheit den Bürgermeister anzusprechen.

Sie baten um die unterschiedlichsten Gefälligkeiten und zunehmend wollten sie in ungewöhnlicher Währung dafür zahlen. Aber die Liebe im Bürgermeisterhaus war jung und groß. Und so konnte derartiges Ansinnen den Mann nicht erschüttern. So ging es über viele Jahre.

Hilde gebar in der Zeit drei prächtige Kinder und blühte nach jeder Niederkunft wieder zu einer Schönheit auf. Aber nichtsdestotrotz, die Spuren der Zeit zeigten sich auch bei ihr. Der Bürgermeister ging nur noch selten mit Hilde durch die Stadt. Sie hatte ja viel zu tun mit der Organisation des Haushaltes und der Erziehung der Kinder.

Und da der Bürgermeister ein Mann war, wurde er mit zunehmendem Alter empfänglicher für die Avancen der jüngeren Frauen. Er freute sich über ein viel versprechendes Augenzwinkern hier, über eine zufällige Berührung mit einem Frauenzimmer dort.

Eines Tages kam ein junges dralles Weibsbild zu ihm und trug sehr kokett ihr Anliegen vor und ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass ihr zum Erreichen ihrer Vorstellung jedes Mittel recht war. Der Bürgermeister war geblendet von ihrer Jugend, von ihrer Keckheit und flüsternd fragte der Bürgermeister nach Ort und Zeit.

Aber die junge Frau war gewitzt und antwortete: „Du kannst mich in meinem Gemach treffen am Abend nach der Unterzeichnung der Besitzurkunde, die mich zur Eigentümerin machen wird. Bring das Dokument mit und ich werde dich fürstlich entlohnen.“ Dabei blinkerte sie ihn verführerisch an.

Der Bürgermeister stöhnte auf, war aber von da an sehr bemüht. Er trug eine Menge Gulden zum Richter, damit dieser zugunsten der Bittstellerin entschied. Und am Abend des Besitzwechsels schlich er sich, die Papiere in der Hand, in das Haus der Schönen. Die war hocherfreut und nachdem reichlich gegessen und getrunken wurde, genoss er lustvoll die Bezahlung seiner Bemühungen. In dunkler Nacht schlich er sich dann wieder nach Hause.

Nun war er auf den Geschmack gekommen. Und es sprach sich unter den Frauenzimmern schnell herum, dass die neue Währung immer öfter Einzug in die Verhandlungen mit dem Bürgermeister hielt.

Hilde bemerkte, dass ihr Mann nun sehr oft müde und erschöpft nach den langen Verhandlungen zurückkehrte und sogar zu schwach war, das Abendmahl mit ihr einzunehmen. Sie sorgte sich um sein Wohlergehen. Sie verwöhnte ihn, wo sie nur konnte, aber ihr Mann erlag immer seltener ihrem Liebreiz.

Dafür bemerkte sie, dass in beträchtlichem Maße Gulden ausgegeben wurden, aber nur wenig in ihre Geldkassette zurück kam. Das wunderte sie sehr, wo doch ihr Gatte unermüdlich arbeitete. Und eines Tages erreichte dann auch ihren Ohren das Gerücht, dass der Bürgermeister sich von den Damen der Stadt mit Liebesdiensten bezahlen ließ.

Da wurde sie sehr zornig und traurig, aber sie wusste sich keinen Rat. Sie gab sich fortan noch mehr Mühe, ihren Mann abends zu Hause zu halten. Aber für neue verführerische Kleider und teuren Wein fehlte es an Gulden im Haus. Und sie ertrug es schweigend, wenn ihr Mann sich spät auf den Weg machte, um, herausgeputzt wie ein Gockel, seinen Lohn einzufordern.

In einer der einsamen schlaflosen Nächte im verwaisten Ehebett erinnerte sie sich ihrer alten Tante Florentine, der man magische Fähigkeiten nachsagte. Sie wüsste vielleicht ein Mittel, dass sie trotz allem wieder schlafen könne.

Beim nächsten Besuch ihrer kränklichen Mutter, suchte sie nun auch deren Schwester auf, die in einem kleinen Häuschen tief im Wald wohnen sollte. Niemand hatte sie in den letzten Jahren gesehen. Der Weg, den man ihr beschrieben hatte, war beschwerlich und mit Einbruch der Dunkelheit klopfte sie endlich erschöpft an die Tür.

Sie erwartete, dass eine alte Frau, gramgebeugt und faltig, wie es ihre Mutter war, die Tür öffnen würde. Aber dann stand ihr eine prachtvolle Erscheinung mit feuerrotem Haar gegenüber, der man ihr hohes Alter nicht ansah.

Hilde war beeindruckt und völlig sprachlos. Florentine hieß sie freundlich willkommen. Um ihren Fragen zuvorzukommen, erklärte sie lachend der verdutzen Bürgermeistergattin: „Im Wald und auf den Wiesen wachsen mannigfaltige Pflänzchen, die ich nutze, um gesund und jung zu bleiben.“

Sie goss einen blutroten Sud in hohe Tassen und auch Hilde nippte vorsichtig daran. Sogleich spürte sie, wie neue Lebenskraft durch ihre Adern ran und prompt trank sie ihren Becher in einem Zug aus. Florentine lächelte ihr geheimnisvoll zu und füllte die Tasse erneut.

„Aber nun erzähle, was dich nach so vielen Jahren zu mir treibt, mein Kind“. Und aus Hilde purzelten die Wörter nur so raus und all ihre Enttäuschung und Verletztheit gleich mit. Danach fühlte sie sich schon viel besser und schnell trank sie noch was von dem roten Gebräu.

Florentine verschwand indessen in den hinten liegenden Gemächern und kam mit einer Phiole, gefüllt mit einem dunkelgrünen Saft, zurück. Sie setzte sich neben Hilde auf die Bank, legte ihr den Arm um die Schulter und wischte ihr mit einem Zipfel ihres weiten Rockes die Tränen aus dem Gesicht.

„Hast Du einen Namen für den Lümmel deines Mannes“ fragte sie leise die verwunderte Hilde. Diese kicherte nun und flüsterte: „Ja, wir nennen ihn Herkules, aber es ist nun schon so lange her, dass wir ihn gemeinsam beschworen haben“ und erneut kullerten Tränen aus ihren Augen.

„Ahh, das ist prächtig“ freute sich Florentine „Weine nicht mehr. Nimm dieses Fläschchen mit und pass auf, dass es dein Mann nicht findet. Wenn Du dann meinst, dass Dein Gatte auf Abwegen seine Lust befriedigen will, trinkst Du fröhlich noch ein Glas Wein mit ihm. Vorher tröpfelst du ein wenig von der Tinktur in sein Getränk und flüsterst „Herkules“. Du wirst sehen, bald wird er freudig zu Dir zurückkehren.“

Am nächsten Morgen machte sich Hilde ein bisschen zweifelnd auf den Heimweg. Im Rockbund die Phiole mit der Tinktur.
Zu Hause angekommen bemerkte sie beim Blick in den Spiegel, dass ihr Haar leicht rot schimmerte.

Als sich wenige Tage später ihr Mann abends fein ankleidete, wusste sie, dass er wieder mal seinen Lohn einfordern ging. Flink tropfte sie drei Töpfchen des grünen Saftes in sein Weinglas und flüsterte „Herkules“.

Der Bürgermeister freute sich über die anhaltende Arglosigkeit seine Frau, stieß mit ihr an und trank sein Glas in einem Zug leer. Dann verließ er das Haus. Angekommen bei seiner Erwählten, der Luise, begannen sie sofort mit dem Liebesspiel.

Nur sein Lümmel spielte nicht mit. Schlaff hing er herab, als ob ihm das Verlangen seines Meisters nichts anging. Luise wandte all ihre Verführungskünste auf, verwöhnte ihn mit flinken Händen. Der Bürgermeister wand sich vor Lust und Begehren, aber sein Freund blieb völlig ungerührt.

Als alles nichts half, verließ Luise verärgert das Bett. „Aber komm mir nun nicht mit Forderungen, ich habe meinen Teil geleistet“. Der Bürgermeister nickte stumm und verstaute seinen Versager wieder in der Hose. Beschämt und bitter enttäuscht schlich er sich nach Hause. Das war ihm noch nie passiert.

Zwei Tage später startete er einen neuen Versuch. Er machte sich fein und Hilde bereitete ihm geflissentlich seinen Abendtrank zu, wobei sie beim Tröpfeln der geheimen Zugabe wieder „Herkules“ flüsterte.
Beim Bürgermeister rief das Getuschel seiner Frau Unruhe hinter seinem Hosenlatz hervor.

Er trank sein Glas leer und zuversichtlich machte er sich auf den Weg zur Mareike, die ihn für seine Dienste bezahlen sollte. Aber kaum kamen sie sich näher, passierte das gleiche Desaster. Sein Lümmel verweigerte sich stur und alles Bemühen von Mareike half nicht, ihn aufzurichten.

Dann versuchte der Bürgermeister verschämt selbst, ihn in die gewünschte Stellung zu versetzen. Auch das war vergeblich. Er beschimpfte seinen sonst so treuen Begleiter, er zerrt an ihm, er drohte ihm sogar, aber nichts konnte ihn dazu bringen, den Wünschen seines Herrn gerecht zu werden. Unverrichteter Dinge machte sich dieser auf den Heimweg. Es war, als höre er hinter den Mauern seiner Stadt das Kichern der jungen Frauen über sein Unvermögen.

Als es ihn das gleiche Geschick noch zweimal passierte, ging es dem Bürgermeister so schlecht, dass er sich, zu Hause angekommen, nicht mehr von seiner Bettstatt erhob und resümierte, er sei todkrank. So fühlte er sich auch. Hilde kam und war besorgt.

Sie fragte ihn nach seinem Befinden. Aber er winkte nur schwach ab und drehte sich zur Wand. Er würde sterben. Hilde erschrak sehr. Hatte sie ihm versehentlich zu viele von den Tropfen gegeben? Sie setzte sich auf die Bettkante und streichelte ihn reuevoll.

„Ach Mann wir haben Herkules solange nicht zum Leben erweckt. Lass uns noch einmal…“ Weiter kam sie mit ihrer Ansprache nicht. Unter der Bettdecke richtete sich der Lümmel ihres Mannes zur vollen Größe auf, wie schon so lange nicht mehr. Stramm verlangte er nach einer warmen weichen Frau.

Augenblicklich flossen dem Bürgermeister die Lebenskräfte wieder zu. Er schlug die Bettdecke zurück und überließ Herkules dem liebevollen Tun seiner Hilde. Diesmal machte er ihm keine Schande sondern stand „seinen Mann“. Als das Ehepaar erschöpft und zufrieden nebeneinander lag, schwor der Bürgermeister seiner Hilde, sich nie mehr abends aus dem Haus zu stehlen, um zu anderen Weibsbildern zu gehen.

Und nie wieder würde er einer anderen Währung als Gulden für die Bezahlung seiner Dienste zulassen. Denn allein seine Frau Hilde hatte die Macht, seinen Lümmel zum Leben zu erwecken.
Von da an wohnte die Liebe wieder unter ihrem Dach. Hilde aber besuchte regelmäßig Florentine und ihr Haar wurde immer röter und röter.