Verpasste Gelegenheit

Eingangsschild für die U2 in Berlin

von Susanne Danowski

Es ist später Nachmittag, eigentlich schon Abend. Ich steige, auf meinem Weg nach Hause, in die U2, der Berufsverkehr ist vorbei, der Zug angenehm leer.
In meinem Wagen sind nur wenige Mitfahrer. Die Türen schließen sich. Ich schaue mich um. Mir gegenüber sitzt ein junger Mann im Sweetshirt und verschlissenen Jeans. Konzentriert schaut er auf sein Smartphon in seiner Hand. Ab und an schiebt er mit dem Finger über das leuchtende Glasfenster.

Drei Plätze daneben lümmelt ein Mädchen, vielleicht 16 Jahre alt, sehr geschminkt, dass die frische Jugendlichkeit in ihrem Gesicht im wahrsten Sinn vertuscht wird. Sie schaut mich kurz an, dann schallt eine laute Musik aus ihrer Jackentasche und sie zieht ein Telefon heraus und befreit es aus einen kleinem Strumpf. Lautstark zwingt sie mich nun, ihre Meinung zu mir fremder Jungen und Mädchen mit anzuhören. Alles ist „ja krass, Alter“ und „Alter, das geht ja überhaupt nicht“.

Um mich abzulenken sehe zu der Nachbarin auf meiner Sitzbank. Sie hat die Augen geschlossen, aber jeder Muskel ihres zarten Körpers zuckt in einem lautlosen Tanz. Die Musik fließt ihr durch Ohrhörer aus einem MP3 Player zu. Ein dumpfes Bum, klackklack bum ist auch für mich zu hören. Weiter weg von mir steht eine junge Frau an der Tür. Ich sehe sie nur von hinten. Sie hält ein Telefon ans Ohr und spricht sehr leise. Ich kann nichts verstehen, aber sie wirkt müde und traurig. Vielleicht weint sie auch.

An der nächsten Station steigt sie aus und eine Gruppe von drei jungen Menschen drängt sich durch die Tür. Sie scheinen zusammen zu gehören, setzen sich nebeneinander. Doch alle drei tippen und wischen über displays, offensichtlich jeder versunken in ein Spiel das alle Aufmerksamkeit beansprucht. Am Ende meiner Bank sitzt eine junge Frau. Ein mit kleinen Zetteln gespicktes Lehrbuch ist ihr auf den Schoß gesunken. Verträumt sieht sie zu meinem Gegenüber, sucht seinen Blick. Ob er jemals wissen wird, wie ihre graugrünen Augen strahlen, wie rosig ihre Wangen glühen könnten? Die Meldungen aus dem immer gegenwärtigen Netz sind ihm derzeit wichtiger.

Oh, ich muss ja aussteigen. Hastig greife ich nach meiner Tasche. Im Vorbeigehen streift mich ein Blick. Als ich mich, an der Tür angekommen, noch mal umsehe, lächelt mich ein Mann, in den besten Jahren, bübischen an. Er hatte sich von mir unbemerkt neben mich gesetzt und mich sicher bei meinen Studien beobachtet. Habe ich da was verpasst? Die Bahn setzt sich langsam in Bewegung und ich bemerke noch ein resignierendes Schulterzucken und ein kleines Winken.