Mali

Flamme des Friedens in Timbuktu

von Susanne Danowski

Es ist noch früh am Morgen, aber die Sonne zeigt schon ihre Kraft. Träge erwacht das Leben auf den Straßen. In der Oasenstadt Timbuktu beginnt das Wochenende, es ist Samstag.

Plötzlich stören ungewöhnliche Geräusche den morgendlichen Frieden. Erschrocken unterbrechen die Händler das Aufbauen ihrer Marktstände und suchen nach der Quelle des bedrohlichen Dröhnens. Eine Staubfahne treibt über der Wüste und deutet die Richtung an, aus der das Störende herannaht.

Noch frisch sind die Erinnerungen an die plötzlichen Überfälle der Islamisten auf die heiligen Grabstätten der Stadt. Schon im Frühling, im Mai, haben bewaffnete Banden das Mausoleum von Sidi Mahmoud zerstört. Das hatte bei den Menschen tiefe Spuren und grosse Verwirrung hinterlassen. War es doch die beliebteste Pilgerstätte der Bewohner Timbuktus und dann wurde sie entehrt.

Schwere Fahrzeuge brechen in die noch schlaftrunkene Stadt ein. Bis an die Zähne mit Maschinengewehren und Spitzhacken bewaffnete, mit Tüchern verhüllte Männer springen von den Pick Ups. Aus dreißig Kehlen ertönt immer wieder der Ruf „Allah ist groß“ und dann hacken sie frenetisch auf die alten Mauern ein.

Es dauert nur wenige Stunden. Die mit Waffen in Schach gehaltenen Bewohners Timbuktus sehen hilflos der Zerstörung der Grabstätten der Heiligen Sidi Mahmud; Sidi Moctar und Alpha Moya zu. Als kaum ein Stein mehr auf dem anderen steht, springen die Vermummten mit rauem Lachen und dem Brüllen religiöser Parolen wieder auf ihre Fahrzeuge und mit dröhnenden Motoren und quietschende Rädern zieht es sie zu den nächsten, der Zerstörung geweihten, Mausoleen.

Keiner zählt die Abfahrenden und niemand vergleicht sie mit der Zahl der angekommenen Zerstörer.
Machmut kauert hinter einem Haufen zerbröselten Lehms. Seine Hände drücken den Kopf tief zwischen seine Knie. Verbissen kneift er die Augen zu und lauscht angespannt auf die Geräusche auf der andern Seite des Schuttberges. Erst als das angestaute Entsetzen der Menschen in Wehklagen und wütenden Schreien an die Oberfläche drängt, öffnet er vorsichtig die Augen.

Vor ihm kauert ein Mädchen, vielleicht 12 Jahre alt und so hellhäutig, wie die Tuaregs sind. Sie blickt ihn voller Neugier, doch schweigend an. Aber als sie sieht, dass sich der Mann vor ihr, bewegt, holt sie tief Luft und schon will sich ein Schrei der Verwunderung aus ihrem Mund lösen.

Da drückt Machmut ihr seine dunkelbraune Hand ins Gesicht. Als er sieht, wie sich Tränen in den schwarzen furchtgeweiteten Augen sammeln, bittet er das Mädchen flehendlich flüsternd zu schweigen. „Ich tu Dir nichts, bitte, schrei jetzt nicht, ich habe doch auch nur Angst“ Er fürchtet die Rache der wütenden Männer auf der anderen Seite, die ihre Wut in den Himmel schreien.

Schweiß sammelt sich auf seiner Stirn und herab rinnend zeichnet er adrige Spuren in die Staubschicht auf dem dunklen Gesicht. Langsam greift das Mädchen nach der zweiten Hand Machmuts. Aufmerksam sieht sie ihn an und löst dann seine Hand von ihrem Mund. „Komm mit“ flüstert sie und gebückt zieht sie ihn hinter sich her. Er folgt ihr willig. ‚Nur weg von diesem schrecklichen Ort’ denkt er.

Im Laufen entledigt es sich des seines Turbantuches. Es geht durch enge Straßen, über Höfe, treppauf treppab. Erst auf einer glühend heißen Dachterrasse halten sie an. Ein Sonnensegel ist aufgespannt und in seinem Schatten steht ein einfaches Bettgestell, Fluchtstätte für Schläfer des Hauses in den heißen Nächten. Erschöpft und schnaufend lassen sie sich fallen.

Nach kurzer Pause stützt sich das Mädchen auf, sieht ihn wieder prüfend an und sagt: „ Ich heiße Madiha. Und wer bist du? Und warum machst du unsere Denkmäler kaputt und warum bist du nicht mit den anderen wieder weggefahren“
Mit leiser Stimme kommt die Antwort: „Ich heiße Machmut. Danke, dass du mich hierher gebracht hast.“

Dann wendet er sich ab, sein Blick verliert sich in der Ferne. Leise fängt er an zu erzählen, mehr sich selbst als dem Mädchen zugewandt.
„Ich bin in einem kleinen Dorf weit im Süden aufgewachsen. Meine Eltern, nein die ganze Familie waren Moslems. Wir waren arm, wie allem im Dorf, aber ich, der Älteste der acht Geschwister durfte in die Schule gehen.

Ich durfte später auch in die Schule in der Stadt gehen, weil ich gut lernte. Es machte mir Spaß, ich habe Wissen aufgesogen wie ein Schwamm. Im Dorf haben alle gemeinsam die Kosten aufgebracht und sie waren so stolz, wenn ich mein Zeugnis nach Hause brachte.

Nach dem Abschluss, im vergangenen Herbst, konnte ich mich nicht entscheiden, ob ich Religion oder Archäologie studieren sollte. Ich wollte meinem Dorf damit danken. Beim Imam holte ich mir, wie für alles, Rat. Der Imam hat aber von mir vorher einen anderen Dienst verlangt, als Gegenleistung für die Anstrengungen der anderen. Er hat mir gesagt, dass ganz Mali, ganz Afrika, ja die ganze Welt islamisch wird. Die Sharia würde dann für alle gelten und es würde endlich Frieden sein. Und Allah, der einzige Gott.“

Das Mädchen sieht die Tränen und das Glänzen in seinen Augen. Seine Stimme klingt fast euphorisch aber auch sehr bedrückt. Dem Gesagten nachsinnend macht Machmut eine lange Pause. Madiha steht vom Bett auf, bedeutet ihm jedoch sitzen zu bleiben. Sie verschwindet in einem Loch im Boden, um kurz danach wieder mit einem bauchigen Tonkrug in der einen und zwei Gläsern in der anderen Hand, wieder aufzutauchen. Nachdem das Wasser eingegossen ist, trinkt Machmut gierig. Er merkt erst jetzt wie der Staub und das lange Reden seinen Mund ausgetrocknet hat.

„Ja ich wollte meinen Leuten etwas von dem, was mir zugeflossen ist, zurückgeben. So war ich dankbar für den Auftrag und der Imam hat mich zu der Ansar Dine Gruppe gebracht. Ich kam in ein Lager und wir wurden täglich mehr. Wir beteten nach den geltenden Regeln, wir übten mit Waffen umzugehen, wir bekamen reichlich zu essen, wir waren die Auserwählten. Bis Mittwoch.“

Machmut unterbricht seinen Monolog erneut. Er holt ein Taschentuch aus der weiten Hose und wischt sich die Augen. Er fährt jetzt mit brüchiger Stimme fort. Das Mädchen beugt sich weiter zu ihm ran, weil seine Stimme immer leiser wird.
„Mittwochabend kamen die Jeeps und die brachten uns hierher in den Norden, es war mein erster Einsatz.“

Und dann blickte er das Mädchen direkt an. „Ich habe das nicht gewusst, was wir tun sollten, das musst du mir glauben. Es war furchtbar. Aber sowas konnte ich nicht machen, darf keiner machen. Das war mir blitzschnell klar und ich habe mich feige versteckt, bist es vorbei war und bis du mich gefunden hast.“ Tränen rinnen ihm nun ungehindert über das Gesicht und Verzweiflung spiegelt sich in seinen Augen. Madiha streicht dem großen dunklen Mann über das krause Haar und kann ihn doch nicht trösten.

Dann setzt er sich auf und strafft sich. Er atmet tief ein und wieder aus, bis die Schluchzer verschwanden. Er kann nicht auf der Dachterrasse bleiben, er will sich nicht für immer verstecken.

Hier in Timbuktu wird er nicht auf Gnade treffen, zu empört, zu aufgebracht sind die Menschen über das zerstörerische Werk seiner Glaubensbrüder. Zu Recht, gesteht er sich ein. Und sie werden wissen, dass auch er in ihre Stadt gekommen war, um ihre Denkmäler anderer Religionen zu vernichten.

Nach Hause zurück kann er auch nicht. Er hat die Erwartungen, mit denen er losgeschickt wurde nicht erfüllt, ja er hat sie verraten. Er hat nicht das Zeug zu einem Märthyrer. Er will leben, will lernen, die Anstrengungen seiner Familie, seines Dorfes dürfen nicht einfach so vergessen werden.

Mit festem Blick sieht er das Mädchen an: „ich danke dir Madiha, du kleine Tuareg.“ Zärtlich greift er ihr ins unverschleierte Haar und lässt es wie Wasser durch die Finger gleiten. Ich danke dir, dass du mich hergebracht hast und dass du mir so zugehört hast. Nein ich will kein Verständnis, mein Herkommen ist unverzeihlich, das weiß ich. Aber jetzt weiß ich, was ich tun kann.“

Er richtet sich auf „Ich gehe außer Landes und ich werde studieren. Und nun weiß ich auch was: Architektur werde ich lernen. Werde lernen, ich Häuser und Denkmäler bauen kann. Dann zurückkommen und aufbauen statt zu zerstören. Niemand kann den Schaden hier oder anderswo mildern, der im Namen Allahs angerichtet wird. Aber ich weiß, es kann nicht Allahs Wunsch sein, was hier in seinem Namen geschieht. Es gibt so viele Moslems, die genauso wie du und ich nur Frieden wollen, Frieden um zu leben.

Madiha stellt sich neben ihn. Schüchtern umarmt sie den jungen weinenden Mann.
Machmut bleibt bis zum Einbruch der Dunkelheit auf der Dachterrasse. Er schläft, er isst, was Madiha ihn bringt und er schreibt einen Brief an seine Eltern und Geschwister. Madiha verspricht, ihn zur Post zu bringen.

Als die Stadt die Lichter löscht, läuft ein einsamer Mann los. Kein Zweifeln stört sein Denken an seine Zukunft und an die seines Landes.