Kleine Frau

Zwei Herzen

von Brigitte Sawal

Es sticht auf sie ein, wieder und wieder. Es boxt, würgt, bis ihr schwarz vor Augen wird. Die kleine, blasse Frau hockt vor der braunen Couch, schreit bis ihr die Stimme versagt. Sie hat nur noch einen Gedanken: Die Welt solle endlich untergehen.

Am dritten Tag hat sie sich etwas beruhigt. Die Welt ist nicht untergegangen. Das schwarze Riesenmonster, das ihr diese Riesenqualen bereitet hat, liegt zusammengeschrumpft neben ihr und scheint friedlich zu schlafen.

Vorsichtig, damit es nicht aufwacht, zieht sie sich am Couchtisch hoch, geht zum Fenster und öffnet es weit. Gierig atmet sie die frische Morgenluft. Später setzt sie den Wasserkessel auf den Gasherd, schaut in den Kühlschrank mit seinen spärlichen Resten.

Durch die Wohnung breitet sich angenehmer Duft von frisch gebrühtem Kaffee aus. Noch ganz benommen sitzt sie am Küchentisch und versucht das Ausmaß der Veränderung zu begreifen. Ihr Mann hat sie verlassen!!! Wie soll das weiter gehen? Sie trinkt den heißen, starken Schwarzen aus ihrem blauen Lieblingspott und wundert sich, dass der ihr wie immer schmeckt.

Irgendwann steht sie mit einem Ruck auf und beginnt, die in der ganzen Wohnung verstreut liegenden, zerknüllten Papiertaschentücher aufzusammeln, um sie im Bad zu entsorgen. Im Vorbeigehen kommt sie am Spiegel vorbei. Was sie da sieht, treibt ihr die Worte „O Gott, wie sehe ich denn aus?“ auf die Lippen.

Das schwarze Monster hebt leicht den Kopf und lauscht entzückt, wie die kleine Frau plötzlich lautstark auf ihren untreuen Mann zu schimpfen beginnt, und für Uschi sind Schnepfe und Mistbiene noch die salonfähigsten Schimpfwörter. Das Monster tut ihr nicht mehr weh, und jetzt treibt er sie sogar höhnisch zur Weißglut.

„Jaaaa, ja, die Beiden haben ihren Spaß miteinander. Und du blöde Kuh schleichst seit drei Tagen mit einem verquollenen Gesicht und einer völlig verbogenen Seele herum. Vielleicht lachen sie ja gerade über dich. Und du schämst dich, ihnen zu begegnen“, hetzt es. „Die Beiden müssen sich schämen, jawohl.“

Das wütende Monster sagt ziemlich logische Sachen. Beispielsweise, dass es keine Lösung sei, sich vom Hausarzt krank schreiben zu lassen und Beruhigungstabletten in sich hinein zu stopfen. „Du musst dich der Situation stellen“, empört es sich, „ihr arbeitet nun mal alle drei in diesem Institut.

Und überhaupt? Wolltest du dich nicht schon vor zwei Jahren von Johannes trennen? Hast zu viel Rücksicht genommen. Das hast du nun davon“, gibt das Monster keine Ruhe.

Was dieser Unhold sagt, klingt wirklich vernünftig. Sie nimmt aus dem Küchenschrank das Röhrchen mit den Beruhigungstabletten und wirft es erbost in den Mülleimer. „Das könnte den Beiden so passen“ grollt sie. „Weiter so, weiter so“, treibt der kleine Wutteufel sie an und schreit ihr ins Ohr „Du musst jetzt was unternehmen, was die Beiden nicht von Dir erwarten.

Warte mal“ überlegt er und sagt dann „jetzt hab ich`s. Mach dich wieder hübsch. Niemand soll dich weinen sehen“. Ach, wenn das so einfach wäre. Zwanzig verheiratete Jahre kann man nicht so einfach abtun. Der kleinen Frau mit dem hübschen Gesicht, die in wenigen Tagen 40 wird, stehen schon wieder dicke Tropfen in den Augen.

„Hör endlich auf zu flennen“ donnert der kleine Unhold, und dann, leiser werdend „Na gut, wenn du unbedingt heulen musst, dann verschiebe das auf den Abend, da sieht es keiner. Aber jetzt bringe dich erst einmal in Form.“ Gehorsam geht sie ins Bad, lässt eisiges Wasser über ihr Gesicht laufen, immer und wieder, bis es zwickt. Mit einem flauschigen Tuch rubbelt sie behutsam die Haut rosig.

Dann verwöhnt sie ihre Haut aus einer großen Dose mit einer fingerdicken Schicht Fettcreme. Sie riskiert das erste kleine Lachen, sie ist mit sich zufrieden. Der kleine Wutteufel ist es auch. Er streckt ihr den rechten Daumen entgegen und sagt „Wetten, wenn DIE“, und er meint Johannes und Uschi, „dich morgen im Büro so sehen, werden sie sich gewaltig wundern.“ Es klingt ein bisschen schadenfroh.

Wenn ihr EX sie schon mit der gemeinsamen Arbeitskollegin betrügt, dann soll er sich wenigstens ärgern, dass es ihr offensichtlich nichts ausmacht. Und mit weiblicher List überfliegt sie schon mal gedanklich den Inhalt des Kleiderschrankes. Morgen nach Dienstschluss wird sie in die nächste Boutique fahren und sich eine schicke Bluse kaufen. Sie ist sich sicher, dass er sich darüber doppelt grämen wird, denn er ist so ein Geizkragen.

„Und nun ab ins Bett, schlafe dich gründlich aus“ kommandiert der kleine Unhold, der inzwischen ihr Freund geworden ist. „Auf dich kommt noch viel Arbeit zu, Schwerstarbeit“ sagt er leise. Sie legt sich ins Bett, zieht mit beiden Zeigefingern und Daumen die Mundwinkel nach oben, schließt die Augen und wandelt auf einer grünen, saftigen Wiese mit weißen, roten, gelben und lila Blumen. Der Himmel ist blau, die Sonne scheint warm, Käfer schwirren vorbei und die Kühe scheinen ihr freundlich zuzunicken.

Am nächsten Morgen nickt sie dankbar ihrem Spiegelbild zu. „ Na dann, auf geht`s“ sagt der kleine, vertraute Kerl mit Beraterfunktion, schwingt sich in ihre Umhängetasche und Beide traben ins Büro.