Entrüstung im Kurpark

Ansicht eines Kurparks mit Bühne

von Christa und Wolfgang Prietsch

Es geschah im Jahre 1997 in einem der bekanntesten Kurorte Deutschlands.
An einem schönen Sommervormittag überquerten zwei schon in den Jahren befindliche Damen, von ihrer Kurpension an der eleganten Schloßstraße direkt am Kurpark kommend, diese ruhige Straße und betraten an dem der Kurkarten-Kontrolle dienenden Eingangspavillion den Kurpark.

Dem warmen Sommerwetter entsprechend waren sie luftig, aber mit gehöriger Eleganz mit schneeweißen bzw. Altrosa-Kleidern gut angezogen. Auf dem Kopf trug jeder der Damen einen weiten durchlässigen Hut mit aufgebrachten Assessoires.
Man ging gemächlichen Schrittes auf die Konzertmuschel im Park zu, heute sollte das Vormittags-Kurkonzert nicht im Kurhaus, sondern hier im Freien stattfinden.
„Ist das nicht wieder ein ganz wunderbarer Tag, liebe Frau Meyer- Schönberg?“ hörten wir.

„Aber ja, meine Liebe“, kam ohne Eile die Antwort, „in Bad Zwischenahn, wo wir uns alle wie in jedem Jahr wieder im Frühling getroffen haben, hat es doch so schrecklich geregnet! Sie haben da nichts versäumt“.
Langsam füllten sich die Bänke im Halbschatten uralter Bäume vor dem Konzert-Pavillon, und die ersten Musiker betraten schon die erhöhte Bühne.

Da erschienen von der Seite hinter der Konzertmuschel kommend drei junge Männer in „hochmodisch“, verwahrlost-provozierenden Outfit. Jeder trug eine offene Bierflasche in der Hand, aus der mal eben ein kräftiger Schluck genommen wurde.

Es ging ein Raunen durch die Bankreihen („wie sind denn die hier in u n s e r e n Kurpark reingekommen“?), als sich die jungen Leute dort in einer der mittleren Reihen bequem und raumgreifend niederließen. Das dort sitzende Konzertpublikum rutsche so weit wie eben möglich weg, so dass sich ein großer Freiraum um die jungen Männer bildete.

Nun aber kam der Primas der ungarischen Kurkapelle, ein feurig aussehender Mann mittleren Alters, der besonders von den Damen mit sichtlicher Begeisterung durch Beifall begrüßt wurde.
Und das Programm begann, wie hier üblich, mit einem Kirchenchoral.

Es ging locker durch die Operettenwelt und erreichte den Höhepunkt mit der unverwüstlichen „Vilja, oh Vilja, mein Waldmägdelein“ aus der Operette „Die lustige Witwe“ von Franz Lehar.
Der Beifall war überwältigend!

Langsam erhob man sich von den Plätzen, unsere beiden Damen wollten vor dem Mittagsmal in der Kurpension noch einen Kurzspaziergang durch den Palmengarten unternehmen, da erbleichten sie: Die beiden jungen Leute kamen direkt über den ordentlich geharkten Kiesweg auf sie zu.
„Hallo, Mädels, wo geht’s denn hier zu eurer Essenausgabe?“ Dabei blickten sie fragend zum im Park gelegenen Hotel Steigenberger.

Sprachloses Entsetzen! Die jungen Männer aber gingen lachend von dannen.
Wir wären gern dabei gewesen, wenn sie vermutlich ihren Kommilitonen an einer in der Nähe gelegenen Hochschule oder Universität von ihrem „Unternehmen Kurgäste aufmischen“ berichtet haben.

Noch am nächsten Tage war dieses schockierende Ereignis Gesprächsgegenstand, man hatte an langen Kurtagen ja ohnehin immer Mangel an Gesprächsthemen.
Und eine aktive Kurgestaltung mit Bädern, Inhalationen oder gar Sport, kam natürlich nicht in Frage.

Hatte man doch neuerdings schon öfter mal Kurer im Trainingsanzug gesehen, die offensichtlich durch die Anwendungen so beansprucht waren, dass sie vor dem Essen nicht mal die Sportsachen wechseln konnten und in diesen durch den Park liefen: Eine Zumutung!