Konservierte Töne

Emil Berliner mit der Urform seines Grammophons und einer Zinkschallplatte

von Tristan Micke

Der Lügenbaron Münchhausen erzählte dereinst die Geschichte von einem Trompeter, dem in der russischen Kälte die Töne in seinem Instrument eingefroren waren. Erst während des Aufenthalts in einem warmen Gasthaus tauten die Töne auf und waren verzögert zu hören.

Die Möglichkeit des Konservierens von Tönen und Sprache war zu Münchhausens Zeiten noch ein Wunschtraum. Überlegungen dazu gab es aber schon früher: Ähnlich wie die Schildbürger den Sonnenschein in einem Sack einfangen wollten, dachte man zunächst an die Aufbewahrung von Tönen und Sprache in Dosen und anderen Behältnissen. Im Jahre 1579 wollte der italienische Gelehrte Porta Worte in Bleirohren einfangen und nach Öffnen eines Verschlusses wieder ertönen lassen.

Ein Nürnberger Optiker hatte die Idee, Sprache in einer so komplizierten Spiralstruktur verschwinden zu lassen, dass sie erst nach einer Stunde zu hören ist. In der Zwischenzeit könnte sie, so hoffte der Optiker, an einen anderen Ort transportiert und dort abgehört werden.

Realistischer wurden die Bemühungen, Schall zu konservieren, als man erkannte, dass er aus Luftschwingungen besteht und davon abging, ihn wie eine Flüssigkeit oder ein Gas anzusehen, welche man in Behältnissen aufbewahren kann. 1807 erfand der Engländer Thoms Young einen Apparat, mit dem er die Luftschwingungen, aus denen sich jeder Laut zusammensetzt, sichtbar machen konnte: An einem von den Luftschwingungen erregten Hebel befand sich ein Stift, der über eine rußgeschwärzte, rotierende Walze geführt wurde und je nach Frequenzhöhe des Tones unterschiedliche Schwingungskurven auf der Walze aufzeichnete.

Lange beschäftigten sich Forscher und Erfinder mit dem Problem, die so aufgezeichneten Töne wieder hörbar zu machen. Erst nach 70 Jahren gelang es Thomas Alva Edison eine geeignete Lösung zu finden. Vor gut 140 Jahren, am 29. November 1877 ließ er von seinen Mechanikern eine kleine Maschine bauen, bei der auf einer mit weichem Stanniol belegten, rotierenden Walze von einem Stift die Schwingungen einer lautstark besprochenen Membran eingeprägt wurden.

Durch Abtasten der so entstandenen wendelförmigen Rille mit dem gleichen Stift konnten die Schwingungen später mit einem Stethoskop wieder hörbar gemacht werden. Der Apparat war am 6. Dezember 1877 fertiggestellt und funktionierte auf Anhieb. Edison stellte seinen “Phonographen” (Tonschreiber) dem Redakteur einer führenden populärwissenschaftlichen Zeitschrift Amerikas vor.

Am 22. Dezember 1877 erschien darin ein euphorisch verfasster Artikel über das Gerät, welches Edison am Heiligen Abend 1877 als Patent anmeldete. Die Nachricht, dass die menschliche Sprache nun aufgezeichnet und wiedergegeben werden konnte, wurde in Amerika und in Europa teils begeistert und teils skeptisch aufgenommen. Durch die Vorführung seiner “Sprechmaschine” vor ehrwürdigem und einflussreichem Publikum gelang es Edison auch Zweifler zu überzeugen.

Der Phonograph erregte zunächst viel Aufsehen, welches sich aber bald wieder legte, denn die mit Stanniol belegte Walze hatte zahlreiche Mängel. Die in Leipzig erschienene “Illustrirte Zeitung” berichtete am 31. August 1878 von einer sehr ungleichmäßigen Wiedergabe der Sprache. S-Laute und i-Vokale seien sehr undeutlich gewesen. Das gleiche galt für Musikaufnahmen. Auch war die Aufnahmekapazität der Walze mit etwa 200 Silben stark begrenzt.

Edison sah die Verwendungsmöglichkeiten seines Phonographen in der Archivierung von Stimmen, in der Sammlung von Dialekten, in der Vertonung von Büchern für Blinde, im Sprachunterricht und in der Aufnahme von phonographischen Briefen. Zweitrangig erschien ihm dagegen die Aufnahme von Musik.

Der erste Phonograph war noch sehr verbesserungswürdig. Der Erfinder des Telefons, Graham Bell, und sein Mechaniker verwendeten im Jahre 1886 mit Wachs beschichtete Walzen und erzielten damit eine bessere Aufnahmequalität. Sie verbesserten die Lagerung des Schneidkopfes und schufen einen gleichmäßig laufenden Walzenantrieb, der dem Fußantrieb von Nähmaschinen nachempfunden war.

Zur Tonwiedergabe diente ein Schalltrichter. Die von ihnen verbesserten Sprechmaschinen nannten sie “Graphophone”. Ein langwieriger Patentstreit mit Edison war die Folge. Bell und seine Mitarbeiter zogen sich schließlich aus der Fertigung von Sprechmaschinen zurück. Ab Sommer 1888 verbesserte Edison seinen Phonographen derart, dass er dem Bellschen Graphophon mindestens gleichwertig war. Als Antrieb verwendete Edison einen Elektromotor und verlängerte die Tonwalzen, wodurch sie eine Spieldauer von vier Minuten erreichten.

Durch Abdrehen der obersten Wachsschicht der Walzen konnte eine Aufzeichnung gelöscht und die Walze neu bespielt werden. Seinen “Perfect Phonographen” stellte Edison 1888 auf der Internationalen Ausstellung in London und 1889 auf der Weltausstellung in Paris aus. Die Stimmen des britischen Außenministers Gladstone und des Papstes Leo XIII. wurden mit dem Phonographen aufgenommen und sind heute die einzigen noch existierenden Tondokumente des 19. Jahrhunderts.

Jetzt war auch ein breites Publikum an Musikaufnahmen interessiert. Es musste nun eine Möglichkeit der Vervielfältigungen von Tonaufnahmen gefunden werden, denn bisher konnten mehrere Tonwalzen nur dadurch gleichzeitig bespielt werden, indem man mehrere Walzenschneidgeräte gleichzeitig mitlaufen ließ. Sollte eine größere Auflage produziert werden, so musste das Aufnahmeverfahren so lange wiederholt werden, bis die nötige Anzahl von Walzen bespielt war. Für die Beteiligten war das aber auf Dauer unzumutbar.

Erst die Erfindung der Schallplatte und des “Grammophons” durch den deutschstämmigen Amerikaner Emil Berliner ermöglichte die wirtschaftliche Serienproduktion und die verbreitete Nutzung von Tonkonserven. Berliner verzichtete dabei auf die Möglichkeit des Löschens und Wiederbespielens der Schallplatte durch den Nutzer und konzentrierte sich auf die Verbesserung der Aufnahmequalität.

Anders als bei den Walzen, bei denen die Tonschwingungen in die Tiefe geschnitten wurden, schnitt bei den mit Wachs beschichteten Zink- oder Kupferplatten die aufzeichnende Nadel die Schwingungen seitlich ein, die dann in einem Säurebad in die Zink- oder Kupferplatten eingeätzt wurden und dauerhaft erhalten blieben. Nach Entfernung der Wachsschicht konnten von diesen Platten auf galvanischem Wege Matritzen aus Metall hergestellt und als Form für die Plattenpressung benutzt werden.

Als Material für die Schallpatten benutzte Berliner eine Mischung aus Gesteinsmehl, Fasern (Tierhaare), Schellack als Bindemittel und Ruß zum Färben. Das Abspielen der Schallplatten erfolgte auf dem Grammophon durch eine Abtastnadel, die an einem beweglichen Arm befestigt war und von der spiralförmigen Tonrille der Schallplatte von außen nach innen geführt wurde. Über einen Schalltrichter erfolgte die verstärkte Tonwiedergabe.

Als Antrieb der Grammophone dienten lange Zeit Federwerke, die später von Elektromotoren abgelöst wurden. Mit Schallplatte und Grammophon war eine technisch ausgereifte Möglichkeit zur Konservierung und Wiedergabe von Sprache und Musik entstanden, die in weiterentwickelter Form bis heute genutzt wird.