Leben, wo gestorben wird…

Schwarze Schrift auf weißem Grund, Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden!

von Waltraud Käß

Mehrfach schon hat sich die Redaktion der „Spätlese“ mit der Thematik des Lebensendes beschäftigt. Es gibt Beiträge zur Patientenverfügung und zur Vorsorgevollmacht. Wir haben über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen und Entscheidungen zum Thema Sterbehilfe berichtet und dabei die palliative Begleitung Schwerstkranker in den Mittelpunkt gerückt.

Ich selbst trage mich schon länger mit dem Gedanken, einen Beitrag über einen Ort im Bezirk Marzahn-Hellersdorf von Berlin zu schreiben, an dem unheilbar kranke Menschen in Geborgenheit und Ruhe ihren letzten Gang antreten können. Es sind die Palliativstationen in den Krankenhäusern und die Hospize, die gerade in den letzten Jahren eine gute Entwicklung genommen haben, sicher aber noch nicht ausreichend vorhanden sind.

Zwar gibt es eine lange Tradition, sie rückt aber nur dann ins Bewusstsein, wenn man sich mit dem Sachverhalt beschäftigen muss. Die Hospizbewegung kann man bis ins frühe Mittelalter zurückverfolgen. Mönche boten das „Hospitum“ den Pilgern an, die Hilfe, Schutz oder Pflege brauchten. Die moderne Hospizbewegung beginnt erst in den 60-er Jahren des 20. Jahrhunderts in England und nimmt in der Betreuung Schwerstkranker nun immer breiteren Raum ein.

In der Bundesrepublik Deutschland wurde im Jahre 2010 eine „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“ verabschiedet und die notwendigen gesetzlichen Grundlagen beschlossen. Seit elf Jahren ist das Theodorus – Hospiz am Blumberger Damm 231 in Marzahn-Hellersdorf etabliert. Es befindet sich ganz oben in der 7. Etage eines großen, ruhig gelegenen Hauses, in dem man auch eine Seniorenresidenz, betreutes Wohnen und betreutes Wohnen intensiv findet.

Der Wunsch, recht lange ein erfülltes und selbstbestimmtes Leben zu führen, und dann möglichst ohne Schmerzen hinüber zu dämmern auf die andere Seite des Seins, wenn das Ende sich nähert, ist wohl jedem Menschen immanent. Und dennoch wird der Tod noch immer aus dem Leben in den Familien ausgegrenzt. In jungen Jahren ist dieses Ereignis noch kein Thema. Später dann hört die ältere Generation oft den Satz „Aber Du musst Dir doch keine Sorgen machen, so gut, wie Du noch drauf bist.“

Doch unser Leben ist endlich. Und nicht nur im Alter gibt es unheilbare Krankheiten oder schwere Unfälle. Alleinstehende Menschen haben dann in der Begleitung ein absolutes Problem, aber auch nicht jede Familie kann die Pflege ihres Angehörigen bis zuletzt leisten. Schwer erkrankte und „austherapierte“ Menschen, wie die Mediziner sagen, brauchen die besondere mentale und medizinische Zuwendung in den letzten Monaten, Wochen und Stunden ihres Lebens.

„Dem Himmel so nah“, denke ich, als ich im Fahrstuhl den Knopf für die 7. Etage betätige, um in das Hospiz zu gelangen. Ich habe Herzklopfen.

Frau Eisenreich, die stellvertretende Pflegedienstleiterin, nimmt sich viel Zeit für mich und zeigt mir die gesamte Etage. Zur besseren Übersicht haben die Mitarbeiter sie in vier Bereiche eingeteilt, die u.a. die Namen Afrika, Asien oder auch Maritim tragen und eine angepasste Innendekoration aufweisen.

Es gibt 16 Wohneinheiten in einer Größe von 30 qm und mehr, inklusive eines großen Bades für die Gäste, wie die Patienten hier liebevoll genannt werden. Zweckbestimmt und auf den Bedarf der Pflege ausgerichtet ist das Mobiliar. Aber ich sehe Orchideen auf den Fensterbänken, Wände und Möbel in warmen Farben und erfahre, dass die Gäste selbst auch kleines Mobiliar und Andenken aus dem eigenen Haushalt einbringen können.

So schafft man ihnen eine eigene Wohlfühlatmosphäre. Eine Wohnküche/Aufenthaltsraum ist allen Gästen zugänglich. Ich sehe die Schwestern geschäftig über den Flur eilen. Aber es knallt keine Tür und ich spüre keine Hektik. Sondern es ist eine ruhige Betriebsamkeit, die die Gäste in den Zimmern nicht stört.

Frau Eisenreich zeigt mir den „Raum der Stille“, in den die Angehörigen sich nach einem Todesfall zurückziehen können. Gegenüber auf dem Korridor gibt es den Gedenkort für die Verstorbenen. Ein Gedenkbuch mit Fotos verstorbener Gäste ist ausgelegt. Sehr anrührend eine Wand mit Glastränen für die Verstorbenen. Jeder Sterbefall eine Träne – es sind derer viele. Ich weiß plötzlich, wie die Überschrift meines Beitrags lauten wird: „Leben, wo gestorben wird“.

Es ist der Titel eines Romans von Eva Lippold. Das passt. Beides liegt hier so nah beieinander. Zwei Tafeln erregen meine Aufmerksamkeit. Auf der einen finde ich die Leitgedanken des Hospiz, in denen u.a. steht: „Wir respektieren und achten die Wünsche und Bedürfnisse jeden Gastes.“ „Wir begleiten jeden Gast individuell auf seinem „Sterbensweg“. Er führt – wir folgen.“

Es sind insgesamt 13 Leitgedanken, denen die Mitarbeiter sich verpflichtet fühlen.
Ihre Fotos befinden sich auf der zweiten Tafel. Ich sehe in ihre Gesichter und weiß, wie hilfreich, aber auch schwer ihr Dienst an den Schwerstkranken ist. Dreißig Personen – darunter examinierte Krankenschwestern, Altenpfleger und Hauswirtschaftskräfte arbeiten in Voll- und Teilzeit rund um die Uhr in dieser Einrichtung. Es gibt eine Sozialarbeiterin und zwei ehrenamtliche Helferinnen für die Begleitung und soziale Betreuung der Gäste.

Für die ärztliche Begleitung sind vier externe Palliativmediziner zuständig, die bei Bedarf jederzeit zur Verfügung stehen. Der Tagesablauf unterscheidet sich wohltuend von einem Krankenhaus. Hier im Hospiz wird nicht schon um sechs Uhr morgens der Blutdruck gemessen oder das Gesicht gewaschen. Nein. Jeder Gast darf die Gestaltung des Tages seinem eigenen Befinden anpassen. Die Mitarbeiter sind darauf eingestellt. Auch das ist ein Wohlfühlfaktor.

Zum individuellen „Wohlfühlprogramm“ gehört auch die Versorgung mit Speisen und Getränken. Zwischen 10 – 15 Mittagsgerichten können die Gäste wählen, und auch sonst werden ihre Wünsche nach kleinen Extras durch die Mitarbeiter erfüllt. Selbst ein „Gläschen“ am Abend ist möglich und wie mir Frau Eisenreich erzählte, haben die Mitarbeiter im Hospiz auch schon eine Hochzeit organisiert und ausgerichtet. Eine lebensbejahende Entscheidung, die auch den Mitarbeitern Kraft gibt. Weil auch sie mitunter den „Raum der Stille“ betreten.

Bei aller professionellen Abgrenzung, die sie für ihren Dienst am Schwerstkranken brauchen, gibt es doch viele emotionale Momente, die verarbeitet werden müssen. Darum müssen sie darauf achten, dass sie das Leid der Anderen nicht zu nah an sich heranlassen. Nicht alles kann der Mensch tragen. Doch hier in diesem Raum kann man über das Bedrückende reden.

Natürlich müssen alle diese Leistungen auch finanziell abgesichert werden. Gesetzlich ist geregelt, dass 95 % der Kosten durch die Kranken- und Pflegekassen getragen werden, die restlichen 5% müssen durch Eigenleistungen und Spenden selbst erwirtschaftet werden. Für die Gäste entstehen außer der normalen Zuzahlung zu den Medikamenten keine weiteren Kosten. Mir wird warm ums Herz, als Frau Eisenreich erzählt, in welchem Umfang Geld-, Sach- und Zeitspenden geleistet werden. Da steht ein Kamin in der Wohnküche – eine Spende.

Da sind Handwerkerleistungen erforderlich – eine Spende. Da wurden die Blumenkästen auf den Balkonen bepflanzt – eine Spende. Die Aufzählung könnte fortgesetzt werden. Es gibt viele Möglichkeiten zu helfen. Geldspenden sind jederzeit möglich. Sollten Sie dazu weitere Informationen haben wollen, bitte ich Sie, diese direkt bei der Pflegeleitung zu erfragen. Die Telefonnummer bzw. auch die E-Mail-Adresse finden Sie am Ende des Beitrags.

Eine Spendenbescheinigung kann man auf Anfrage erhalten. Auch für die Zuwendung von Sach- und Zeitspenden sollten interessierte Bürger vorher die Pflegedienstleitung kontaktieren. Es gibt sicher viele Menschen, die in einer Patientenverfügung festgelegt haben, dass sie in einem Hospiz ihr Leben beenden möchten. Doch wie geht das? Indem man sich in einem Hospiz anmeldet, wie mir Frau Eisenreich erklärt. Unheilbar erkrankte Menschen können sich selbst anmelden oder die Angehörigen können es für sie tun.

Es gibt Wartelisten: eine so genannte
Bedarfs-Warteliste und eine
Notfall-Akut-Warteliste

Die Einweisung selbst erfolgt dann natürlich durch einen Arzt oder ein Krankenhaus. Sehr beruhigend, wenn man das weiß. Ich hatte vermutet, dass der Name Theodorus Hospiz auf einen kirchlichen Träger hinweist. Ich erfahre, dass dem nicht so ist. Theodorus war der verstorbene Sohn des Betreibers Dr. Georgios Giannakopoulos. Die Einrichtung dieses und eines weiteren Hauses in Berlin- Moabit sind ein würdiges Andenken, wie ich finde.

Vielleicht denken Sie nach dem Lesen dieses Beitrags darüber nach, ob Sie weitere Auskünfte zur Arbeit im Hospiz haben möchten, weil Sie Zeit oder Geld spenden könnten? Vielleicht möchten Sie die Räumlichkeiten für einen nächsten Angehörigen mal selbst in Augenschein nehmen? Dann setzen Sie sich mit der Pflegedienstleitung, vertreten durch Frau Eisenreich und/oder Frau Adloff, unter der Tel.Nr.: (030) 3466 3091 in Verbindung. Oder Sie informieren sich unter www.theodorus-hospiz.de.

Berührt, aber auch beruhigt verlasse ich das Hospiz. Ich habe einen Zufluchtsort gefunden, in dem ein schwerstkranker Mensch im Falle seines Falles aufgenommen und behütet bleibt bis zum Ende. Der Tod gehört zum Leben. Ein Satz, der wahrscheinlich und ganz sicher als Trost gedacht ist. Oder der diesen nicht genau definierbaren Zeitpunkt des Lebensendes relativieren soll. Er ist leicht dahingesagt. Aber wenn der Tod dann da ist …

Vielen Dank Frau Eisenreich, dass Sie mir diese persönlichen Einblicke gewährten.