Jazz-Tempel in Hellersdorf

Der Pianist und die Sängerin

von Herbert Großmann

Wenn aus dem Kulturforum Hellersdorf ein guter Jazz-Tempel wird, braucht dies einen begeisterten Initiator und einen begeisternden Protagonisten.

Ersterer ist mit dem Kulturring in Berlin e.V. eine seit Jahren bekannte Institution für kräftiges und unerschütterliches kulturelles Leben nationaler und internationaler Lesart. Zweiter steht in Person von Lukas Natschinski in unterschiedlichen Zusammenhängen auf der Bühne des Hauses gleich am U-Bahnhof Neue Grottkauer Straße (der demnächst eine IGA-Umbenennung erfahren wird).

Zum vierten und letzten Mal in diesem Jahr stand Lukas Natschinski am 12. November als Gastgeber mit einem Gast auf der Bühne. Dreimal bestritt der 21jährige Absolvent des Jazz Instituts Berlin mit beinahe gleichaltrigen Männern und Frauen je einen Abend. Kurz vor dem Jahresende holte er ein Urgestein des deutschsprachigen Jazz auf die Bühne: Ruth Hohmann, die inzwischen 85jährige Grand Dame des DDR-Jazz.

Mit ihr geht Natschinski seit knapp vier Jahren durch die Geschichte des Jazz – seit er 18 Lenze zählte und sie 81 Jahre. Natürlich ziehen zwei solch berühmte Namen so sehr, dass zur Freude aller das Kulturforum ausverkauft war. Nichts anderes als den Urknall hatten sich Natschinski und Hohmann vorgenommen, denn sie starteten mit Ragtime aus dem Jahre 1899 („The Entertainer“).

Während Natschinski in der Folge an Klavier oder Gitarre spielt, steht Hohmann am Mikro ihre Frau. Ihre Wachheit, ihr musikalischer Ausdruck, ihr schauspielerisches Talent und ihr sanft aufblitzender Humor sind jede Minute der folgenden zwei Stunden wert. Sie wird im Verlaufe des Abends immer neue Nuancen ihrer in Jahrzehnten messenden Vortragskunst beitragen und das Publikum dauernd aufs Neue in Staunen versetzen.

Stimmlich merkt niemand ihre achteinhalb Jahrzehnte als Belastung, so sicher setzt sie die Töne, ist rhythmisch und dynamisch voll bei der Sache und zeigt mit keiner Faser auch nur die kleinste Schwäche.

Den Blues von 1923 zeigen sie mit „Nobody knows you when you down and out“, das – wie andere Stücke auch – immer als ein Teil der Lebensgeschichte der anerkannten Jazz-Lehrerin aufgefasst werden kann, wie sie in den eingestreuten Interviewpassagen zu ihrem Lebenslauf beiträgt. Dann holen sie Gershwin auf die Bühne: In „Fascinating rhythm“ hüpft Hohmann die Tonleiter nach oben und unten wie ein flinkes Kätzchen – das soll ihr erst mal einer nachmachen!

Tägliches Training, gerade als Gesangslehrerin bis zum heutigen Tag, verschaffen ihrem Instrument, der Stimme, jene Geschmeidigkeit, die es für ihren Vortrag braucht. Und mitunter erlebt man die ältere, nicht zu groß gewachsene Frau, die in jungen Jahren erst beim Ballett war und später Schauspiel studierte, wie einen lustigen Drops, einen ganz und gar lebenslustigen obendrein.

So spielen sich die beiden durch die Jahrzehnte, unter anderem mit „Georgia on my mind“ von 1930, „Bei mir biste schön“ von 1937, „Sentimental journey“ von 1945, „Favourite things“ von 1959 und enden mit dem 1899er „Maple Leaf Rag“ wieder beim Ragtime.

Ruth Hohmann, die nach mehr als 50 Jahren ihren Abschied von der Bühne genommen hat, steht in kleineren Formaten auf kleinen Bühnen und hält den erfahrenen wie den ganz neu hinzukommenden Jazz-Hörern die Tür weit offen. So wie am Abend zelebriert, muss es niemandem bang sein um dieses doch noch relativ junge musikalische Erbe.