Projekt „Jüdisches Leben und Polizei – Vergangenheit trifft Gegenwart“ (JLUP)

Kippa und Polizeimütze

Die Polizei Berlin beteiligt sich mit dem Projekt „Jüdisches Leben und Polizei – Vergangenheit trifft Gegenwart!“ am Jubiläumsjahr 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland, um ein sichtbares Zeichen gegen Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit zu setzen.

Polizeipräsidentin Dr. Barbara Slowik zum Projektstart:
“1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland und wir stehen jetzt dort, wo wir sind, sehen uns einem wieder aufkeimenden Antisemitismus in der Gesellschaft gegenüber. Es braucht deutliche und stete Zeichen von uns allen, von jeder und jedem, ein Bekenntnis zur Vielfalt und die Verurteilung von Antisemitismus. Auch wir als Polizei Berlin sind gefragt und leisten unseren Beitrag. Seien es Projekttage, gemeinsame Gedenkveranstaltungen, die sehr entscheidende Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten bei der Polizei Berlin oder nun ein eigenes Projekt anlässlich des 1700. Jubiläums jüdischen Lebens in Deutschland. Wir wollen dadurch erneut und unmissverständlich deutlich machen, dass wir als Polizei Berlin für Demokratie sowie Gleichwertigkeit der Menschen stehen und wir Antisemitismus, wie auch allen anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, konsequent entgegentreten. Jüdisches Leben muss ein selbstverständlicher Teil von Berlin und auch der Polizei Berlin sein.”

Ziele und Inhalte des Projektes

Nach erfolgreicher Bewerbung im Juni 2020 beim Verein „321-2021: 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland e.V.“ erhält die Polizei Berlin eine Projektförderung aus Mitteln des Bundesministeriums des Inneren, für Bau und Heimat (BMI). Weitere Projektpartner sind das Erzbistum Berlin, die Landeskommission Berlin gegen Gewalt, die Jüdische Gemeinde zu Berlin, Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum, die Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin sowie das Touro College.

  • Die Polizei Berlin setzt ein öffentlichkeitswirksames Zeichen gegen Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit und trägt dazu bei, jüdisches Leben in Berlin und insbesondere innerhalb der Polizei sichtbar zu machen.
  • Die Polizei Berlin regt eine Diskussion zur Thematik Haltung und Verteidigung der freiheitlich demokratischen Grundrechte an.
  • Die Polizei Berlin setzt sich innerhalb der polizeilichen Ausbildung verstärkt mit dem Thema »Jüdische Geschichte und Polizei« auseinander und sensibilisiert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nachhaltig zu den Themen jüdisches Leben in Berlin und Antisemitismus.

Die Umsetzung der Zielstellung erfolgt in mehreren Teilabschnitten

  • Inhaltliche Erarbeitung und Herstellung einer Wanderausstellung (auch digital) – mit Einweihung und Festakt im September 2021
  • Herstellung einer Gedenktafel/-stele mit Einweihung und Festakt im Dezember 2021
  • Jährliche Begegnungsveranstaltungen zwischen Polizeischülerinnen und Polizeischülern sowie jungen Jüdinnen und Juden in Form einer Stadtrallye entlang kontextbezogener, historischer Stätten und Plätze
Eva Petersen

„Wir können lernen, wie wichtig eine eigene Haltung ist“

 
 
Im Gespräch mit Eva Petersen

In diesem Jahr wird mit vielfältigen Aktionen an die erste schriftliche Erwähnung jüdischen Lebens in Deutschland vor 1700 Jahren erinnert. Auch die Polizei Berlin beteiligt sich mit einem Großprojekt. Im Interview berichtet Projektleiterin Eva Petersen von der Zentralstelle für Prävention beim LKA Berlin, wie die Polizei in Vergangenheit und Gegenwart mit dem jüdischen Leben verbunden ist.

  • Frau Petersen, wie sind Sie zum Projekt „Jüdisches Leben und Polizei“ gekommen?

    bq. Auf Initiative unseres katholischen Polizeiseelsorgers, Frank-Peter Bitter, in Zusammenarbeit mit dem Antisemitismusbeauftragten der Polizei Berlin, Wolfram Pemp, erfolgte im Sommer letzten Jahres die Projektbewerbung bei dem deutschlandweit koordinierenden Verein „321-2021: 1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland e.V.“. Im Oktober 2020 wurde ich stellvertretende Leiterin der Zentralstelle für Prävention beim LKA Berlin und mit meiner neuen Aufgabe wurde mir auch die Projektleitung übertragen.

  • Hatten Sie zuvor schon einmal mit dem Thema zu tun?

    bq. Ich denke, jeder hat sich bereits mit jüdischer Geschichte auseinandergesetzt, zum Beispiel in der Schule. Seit dem 1. Februar bin ich allerdings nun auch Ansprechperson der Polizei Berlin für Antisemitismus und andere Phänomene gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und beschäftige mich über das Projekt hinaus intensiv mit dem Thema. Ich finde es sehr wichtig und spannend zugleich und lerne jeden Tag etwas Neues dazu.

  • Ist es das erste Mal, dass sich die Polizei so umfangreich mit jüdischem Leben auseinandersetzt?

    bq. Es ist das erste große Projekt dieser Art. Aber natürlich setzen wir uns schon seit vielen Jahren mit dem Thema Antisemitismus auseinander und sind bundesweit die einzige Polizei mit einem Antisemitismusbeauftragten.

  • Die jüdische Community in Berlin und die Polizei Berlin – welche Berührungspunkte haben die beiden im Alltag?

    bq. Wir feiern in diesem Jahr das Jubiläum „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ – damals wurde in einem Dekret des Kaisers Konstantin erstmals schriftlich erwähnt, dass es Jüdinnen und Juden auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik gab. In Berlin leben heute sehr viele Jüdinnen und Juden. Wir haben hier eine wachsende und eine der größten jüdischen Communities in Deutschland. Insofern ergeben sich alltägliche Berührungspunkte in allen Facetten der Polizeiarbeit, insbesondere bei der Bearbeitung antisemitischer Straftaten. Die Kontakte in die Community werden vom Antisemitismusbeauftragten der Polizei Berlin sowie dem Polizeilichen Staatsschutz geprägt. Und darüber hinaus schützt die Polizei Berlin jüdisches Leben durch Personen- und Objektschutz.

  • Fühlt sich die Community mit dem Schutz wohl?

    bq. Ich glaube, niemand fühlt sich in einer Situation, in der er Schutz braucht, wohl.

  • Wie nimmt die jüdische Community unsere Polizei wahr?

    bq. Das hängt ganz stark davon ab, welche individuellen Erfahrungen gemacht werden. Wir sind uns als Polizei Berlin der hohen Verantwortung bewusst, jüdisches Leben zu schützen, und arbeiten täglich daran, uns das Vertrauen der jüdischen Community zu erarbeiten beziehungsweise dieses zu erhalten.

  • Besteht also noch Handlungsbedarf innerhalb unserer Polizei?

    bq. Wir sind auf einem guten Weg. Wir nehmen insbesondere im Bereich der Aus- und Fortbildung das Thema Antisemitismus viel mehr in den Fokus. Auch dieses Projekt ist ein Baustein dafür, das Bewusstsein der Kolleginnen und Kollegen für das Thema Antisemitismus zu sensibilisieren.

  • Es gibt einige Polizeiangehörige, die offen zu ihrem jüdischen Glauben stehen. Ist das eine Besonderheit der Polizei Berlin?

    bq. Tatsächlich sind uns nur wenige Polizistinnen und Polizisten, die sich ganz offen dazu bekennen, jüdisch zu sein. Da es natürlich nirgendwo erfasst wird, kann ich gar nicht sagen, ob es eine Besonderheit für unsere Polizei ist.

  • Stärkt die große jüdische Community der Stadt diese Kolleginnen und Kollegen darin, offen mit ihrer Religion umzugehen?

    bq. Das kann ich nicht sagen. Es ist vor allem eine individuelle Entscheidung, die jeder für sich treffen muss. Wir als Polizei Berlin müssen ein Klima schaffen, in dem niemand Angst haben muss, wenn er sich offen zu seinem Glauben, seiner Herkunft oder seiner sexuellen Orientierung bekennt. Wenn wir auf das Projekt schauen, möchten wir jüdischen Kolleginnen und Kollegen eine Stimme und ein Gesicht geben. Wir sind sehr interessiert daran, herauszufinden und darzustellen: Wie fühlt man sich, wenn man jüdisch ist und gleichzeitig bei der Polizei Berlin arbeitet?

  • Wie wird das im JLUP-Projekt zur Sprache kommen?

    bq. Wir haben eine Wanderausstellung geplant. Unter anderem wollen wir darin jüdische Kolleginnen und Kollegen porträtieren. Wir möchten ihren persönlichen Eindruck darstellen, weil wir finden, dass dies ein wichtiger Beitrag ist, um jüdisches Leben in der Polizei sichtbar zu machen.

  • Es geht in der Wanderausstellung also nicht nur um historische Persönlichkeiten wie Wilhelm Krützfeld und Bernhard Weiß, sondern auch um Personen unserer Gegenwart?

    bq. Unser Projekt trägt ja schon im Titel den Zusatz „Vergangenheit trifft Gegenwart“. Aktuell wird der historische Teil der Ausstellung von Studierenden der HWR gemeinsam mit unserem katholischen Polizeiseelsorger Herrn Bitter erarbeitet. Inhaltlich wird die Ausstellung beide Aspekte betrachten: Wie war die Beziehung von Polizei und jüdischem Leben damals und heute? Wie war damals die Haltung des einzelnen Polizisten und wie ist sie heute? Im September soll die Ausstellung mit einem großen Festakt in der Neuen Synagoge eröffnet werden. Anschließend soll sie durch verschiedene Polizeidienststellen wandern. Auch eine digitale Version der Ausstellung ist in der Planung. Daneben ist eine Gedenktafel zu Ehren von Wilhelm Krützfeld und seinen Kollegen des Reviers 16, die man nicht vergessen darf, geplant. Sie wird ihren Platz auf dem Gelände der Polizeiakademie haben.

  • Warum stehen der preußische Polizeibeamte Wilhelm Krützfeld und der ehemalige Polizeivizepräsident Bernhard Weiß im Fokus der Wanderausstellung? Sind sie nicht längst allen bekannt?

    bq. Ich glaube nicht. Selbst wenn der Name Krützfeld bekannt ist, ist es die Geschichte, die dahintersteht, oft nicht. Insofern ist es wichtig, dass wir Herrn Krützfeld und seine Kollegen sowie Bernhard Weiß in den Fokus rücken und erklären, dass beide in der dunkelsten Zeit der Polizeigeschichte in Berlin für Gerechtigkeit und Gleichheit eingestanden sind. Insbesondere für Bernhard Weiß war Gleichheit ein Rechtsprinzip. Er war Jude, stand aber letztlich als Deutscher für die Weimarer Verfassung und hat sich insbesondere einen Namen gemacht, weil er als Polizeivizepräsident gegen Ungerechtigkeiten vorgegangen ist, zum Beispiel in diversen Prozessen gegen Joseph Goebbels.

  • Wie ist die Geschichte von Wilhelm Krützfeld?

    bq. Wilhelm Krützfeld und die Kollegen des Reviers 16 hatten einen besonderen Bezug zum jüdischen Leben, weil sie im Scheunenviertel gewirkt haben. Herr Krützfeld war Sozialdemokrat und schaffte es auch, sich im Rahmen seiner Möglichkeiten als Polizist gegen das Unrecht einzusetzen. Besonders herauszuheben ist sein Handeln in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938, als er entgegen des geltenden Befehls die Feuerwehr rief, um die schon brennende Synagoge zu löschen. Er hat das klug angestellt: Er hat sich auf den Denkmalschutz berufen und auf den Schutz der umliegenden Häuser. Er wurde dafür auch abgemahnt, hat aber letztlich nach geltendem Recht gehandelt.

  • Was können wir heute von den beiden Polizisten und ihrem Handeln lernen?

    bq. Anhand der beiden Persönlichkeiten können wir sehen, wie aus einer demokratischen Haltung heraus Handeln wird und wie wichtig es ist, eine eigene Haltung zu haben und diese auch in Handeln umzusetzen. Das gilt für damals genauso wie für heute.

  • Was gibt es in der Wanderausstellung noch zu sehen?

    bq. Wir haben eine ganz tolle, sehr starke Frau im Fokus: Martha Mosse. Sie war Zeitgenossin von Wilhelm Krützfeld und Bernhard Weiß und die erste Polizeirätin im höheren Dienst Preußens. Sie war Jüdin, arbeitete bei der Berliner Polizei, wurde dann aus dem Polizeidienst entfernt, weil sie Jüdin war. Sie wurde nach Theresienstadt deportiert, überlebte und kam zurück nach Berlin. Hier blieb sie. Das hing damit zusammen, dass sie eine Lebenspartnerin hier hatte, die nicht hätte mitauswandern können. Außerdem wollte sie gerne auch wieder Polizistin in Berlin sein und wurde dies auch. Ihr Leben zeigt uns, dass Polizist nicht nur ein Beruf ist, sondern auch eine Berufung.
    Außerdem haben wir Porträts von Polizistinnen und Polizisten aus der Gegenwart geplant, die heutzutage ein klares Zeichen gegen Antisemitismus setzen. Wir stellen den Antisemitismusbeauftragten der Polizei Berlin vor, Personen- und Objektschützer, die jüdisches Leben schützen, und unsere Aus- und Fortbildung im Bereich Antisemitismus, zu der auch eine tolle Bildungsreise nach Israel gehört.
    Wir wollen in der Wanderausstellung auch klarmachen, dass es leider noch notwendig ist, dass diese Aufgabe, der Schutz jüdischen Lebens, von der Polizei überhaupt wahrgenommen wird, weil Antisemitismus in der Gesellschaft noch präsent ist. Damit thematisieren wir auch die dunkle Seite der heutigen Zeit.

  • Wie wird sich das Projekt künftig im Lehrprogramm der Polizeiakademie wiederfinden?

    bq. Am Ende wird die Ausstellung ihren festen Platz in der Polizeiakademie Berlin bekommen, sodass die Polizeischülerinnen und Polizeischüler und die Studierenden an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (Polizeivollzugsdienst) die Möglichkeit haben, sich damit auseinander zu setzen. Letztlich ist es uns wichtig, nicht nur zu informieren, sondern Fragen aufzuwerfen, Fragen zu Ethik und Haltung. Wir wollen Gelegenheit geben, dazu in den Dialog zu treten und Diskussionen zu den Themen Haltung und Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung anregen.

  • Ein weiteres Teilprojekt betrifft die regelmäßige Begegnung von Nachwuchskräften mit der jüdischen Community. Was ist da geplant?

    bq. Wir planen eine jährlich wiederkehrende, themenbezogene Stadtrallye in gemischten Teams, die sich aus Polizeischülerinnen und Polizeischülern sowie jungen Jüdinnen und Juden zusammensetzen. Sport und Begegnung werden so verbunden. Die Rallye soll an entscheidenden Punkten der Stadtgeschichte entlangführen. An bestimmten Orten müssen Aufgaben erfüllt werden. Wir erhoffen uns natürlich, dass wir junge Menschen, die sonst möglicherweise gar nicht aufeinandergetroffen wären, damit zu verbinden. Polizeischülerinnen und -schüler sollen so jüdisches Leben, das fester Bestandteil von Geschichte und Stadtgesellschaft ist, kennenlernen. Wir erhoffen uns, mögliche Vorurteile oder Berührungsängste abzubauen und das Vertrauen in die Polizei Berlin bereits bei der jungen Generation zu stärken – und ganz nebenbei einen Beitrag zur Nachwuchsgewinnung zu leisten. Vielleicht können wir junge Jüdinnen und Juden motivieren, Teil unserer Polizei Berlin zu werden.