Gemeinsam haben die Berliner Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) und die Architektenkammer Berlin (AK Berlin) am 19.09.2023 zum Online-Fachdialog „Ist die Zukunft schon gebaut? Bestandsumbau und -ertüchtigung vor Neubau“ eingeladen. Über 150 Teilnehmende interessierten sich für beispielgebende Lösungen, wie Bestandsgebäude unter Erhalt eines größtmöglichen Teils der Bausubstanz umgebaut, dabei an neue Nutzungsansprüche angepasst werden können und wie rechtliche Rahmenbedingungen dazu beitragen können. Planerinnen und Planer sowie Architektinnen und Architekten berichteten von erfolgreich mit verschiedenen Bauherrenschaften umgesetzten Projekten und es folgte eine intensive Diskussion zur Rolle von Wirtschaft, Politik und Verwaltung.
Die Veranstaltung wurde durch eine Begrüßung der gastgebenden Institutionen eröffnet: Dr. Benjamin Bongardt, Leiter des Referats I B Kreislaufwirtschaft, Ressourcenschonung, umweltfreundliche Beschaffung, Stadtsauberkeit der SenMVKU, führte aus, dass das Bauwesen mit seiner hohen sozialen, ökonomischen und ökologischen Relevanz eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung des Berliner Zero-Waste-Konzepts und der Einsparung natürlicher Ressourcen und Treibhausgasen einnimmt. Theresa Keilhacker, Präsidentin der Architektenkammer Berlin, betonte, dass in der Planung der gesamte Lebenszyklus eines Bauwerks betrachtet werden müsse. Als wesentliche Stellschraube um den Bestandserhalt zu fördern, benannte Frau Keilhacker das Bauordnungsrecht, das gezielt in Richtung Umbau und Umnutzung gestaltet werden müsse. Gebäudeabbrüche sollten – wie vormals – wieder genehmigungspflichtig werden.
Eine ökologische Bauwende ist dringend vonnöten, da das Bauwesen mit einem erheblichen Anteil zum menschengemachten Klimawandel beiträgt und große Mengen natürlicher Ressourcen verbraucht. Die hohen Umweltwirkungen der Herstellung und Errichtung von neuen Gebäuden können durch den Bestandserhalt ebenso vermieden werden, wie Umweltbelastungen des vorzeitigen Rückbaus. Über den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden und Baustoffen betrachtet bietet der Bestandserhalt außerordentlich hohe Umweltentlastungspotenziale. Daher sollten die steigende Wohnfläche pro Kopf sowie der vorzeitige Abbruch und der Leerstand von Bestandsgebäuden kritisch hinterfragt und möglichst vermieden werden.
Im Themenblock „Bestandsbewahrung als wesentlicher Baustein im Klima- und Ressourcenschutz“ wurde deutlich, dass Konstruktionsverbunde von Komponenten mit unterschiedlicher Lebensdauer von vorn herein bewusst separierbar geplant werden müssen. Dies stellt eine Voraussetzung für ressourcen- und kosteneffiziente Modernisierungen bzw. den selektiven Rückbau dar, wobei möglichst viele Bauteile für eine Wiederverwendung zur Verfügung stehen. So sollte zum Beispiel die technische Gebäudeausrüstung nicht unlösbar mit tragenden Konstruktionen verbunden sein.
Eine vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH im Auftrag einer Wohnungsbaugesellschaft durchgeführte Untersuchung zur Frage, ob eher ein Abriss und Neubau oder eher eine energetische Sanierung und Modernisierung bestehender Gebäude aus Ressourcen- und Klimasicht vorteilhaft sind kam zu dem klaren Ergebnis, dass Ersatz-Neubauten grundsätzlich deutlich materialintensiver als die energetische Sanierung und Modernisierung der Bestände sind. Der CO2-Fußabdruck hängt dabei stark von der bei der Herstellung der Baustoffe eingesetzten sog. „grauen Energie“ und der Art der Wärmebereitstellung ab. Die Umrüstung auf eine klimaneutrale Wärmeversorgung erscheint in beiden Fällen als Mittel der Wahl.
Im zweiten Themenblock „Sanierung und Entwicklung des Bauwerkbestandes“ wurden drei beispielgebende Umbau- und Sanierungsvorhaben anschaulich vorgestellt. Ein Fallbeispiel zeigte, wie ein denkmalgeschütztes Wohn- und Gewerbegebäude unter Einsatz von Strohpanelwänden und Lehmputz ökologisch hochwertig saniert werden konnte. Das Dach wurde unter Wiederverwendung der vorhandenen Dachziegel modernisiert. Durch die Restaurierung des Holzfahrstuhles konnte nicht nur der Charme des Treppenhauses aus der Gründerzeit erhalten bleiben, sondern auch ein wirtschaftlicher Vorteil im Vergleich zum Neukauf erzielt werden.
Das zweite Fallbeispiel demonstrierte eindrucksvoll, wie ein ehemaliges Gefängnis zu einem einladenden Hotel umgewandelt wurde. Nach einer brandschutztechnischen Ertüchtigung konnten die ursprünglichen Türen wiederverwendet und selbst die Gitter vor den Fenstern in die Raumgestaltung mit einbezogen werden.
Das dritte Beispiel zeigte den Umbau von Bestandsgebäuden zu einem modernen Wohnatelier für Studierende. Die erfolgreiche Planung erforderte intensive Abstimmungen mit der Auftraggeberseite, um von der Norm abweichende Bauelemente erhalten zu können. Der Denkmalschutz stellte sich dabei als förderlich heraus.
In der nachfolgenden Diskussionsrunde wurde darauf verwiesen, dass es häufig eine der öffentlichen Ausschreibung vorgelagerte Entscheidung auf Seite der Bauherrschaft darstelle, ob ein (teilweiser) Bestandserhalt vorgesehen ist und diesbezügliche Aspekte überhaupt als Kriterium der Planungsleistung herangezogen würden. Zudem fehle es an Planenden bzw. Handwerkerinnen und Handwerkern, die in Rückbau- und Restaurationsarbeiten ausreichend qualifiziert sind. Es wurde die Erstellung eines Katasters über leerstehende und potentiell für eine Umnutzung geeignete Gebäude angeregt. Gleichzeitig wachse bei Studierenden zunehmend das Interesse, ressourceneffizient zu planen und zu bauen.
Der Themenblock „Umsetzung der Verwaltungsvorschrift Beschaffung und Umwelt im Verwaltungshandeln“ wurde eröffnet durch einen gleichnamigen Impulsvortrag der SenMVKU. Darin wurden zunächst die rahmengebenden politischen Programme und Gesetze zum Klima- und Ressourcenschutz sowie zur umweltfreundlichen Beschaffung erläutert. Der Vorrang der ökologisch höherwertigen Leistung und der umweltschonenderen Form der Bedarfsdeckung gingen ebenso wie die Prüfpflicht im Rahmen der Verfahrensvorbereitung mit einem klaren Vorrang von Sanierung und Umbau von Bestandsgebäuden vor deren Abriss und Neubau daraus hervor.
Es wurde ferner auf die Vielzahl real existierender Entscheidungskonstellationen verwiesen, die aus den ganz unterschiedlichen betroffenen öffentlichen Bauwerkskategorien im Hoch- und Tiefbau, unterschiedlichen Strukturen, Verfassungen, fachlichen und finanziellen Ausstattungen und Entscheidungsprozessen der jeweils betroffenen öffentlich-rechtlichen Baudienststellen resultieren. Schließlich wurde auf unterschiedliche durch die Diskussion betroffene Ausgangsfragestellungen verwiesen, insb. ob von einem zu erhaltenden Bestandsgebäude ausgegangen wird, das weiter genutzt werden soll oder ob von einem neuen öffentlichen Bedarf ausgegangen wird, den es zu decken gilt.
Vor diesem Hintergrund wurden Fallkonstellationen und beispielhafte Bewertungslösungen, Hilfsmittel und bestehende Entscheidungsformen vorgestellt und diskutiert. Aufgrund der bereits bestehenden Prozesse und Vorgaben wurde die Frage gestellt, welche konkreten Vorschläge zur Optimierung bereits zur Verfügung stehen und welche Anforderungen an diese zu stellen sind. Vor diesem Hintergrund wurde auch die Möglichkeit kontrovers diskutiert, die bereits bestehenden Beschaffungsregelungen durch ein weiteres entscheidungsunterstützendes Merkblatt zu ergänzen. Wesentliche Punkte waren hierbei die Anwendbarkeit in einer frühen Planungsphase, die Abwägung unterschiedlicher Rechtsgüter sowie die praktische Umsetzbarkeit in der Verwaltung. Auch die Verfügbarkeit potentiell geeigneter Bestandsgebäude bzw. deren Ermittlung wurde diskutiert.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz lässt derzeit im Rahmen des Projektes „Lebenszyklus-Bilanzierung in frühen Bauplanungsphasen zur Analyse von Umweltauswirkungen “ Bewertungsansätze für eine praxisnahe Lebenszyklusbilanzierung entwickeln, aus der eventuell künftig Methoden und entsprechende Daten zur Entscheidungsunterstützung bezogen werden können.