Landgericht Berlin: Freispruch eines Arztes nach Anklage wegen Vergehens gegen Embryonenschutzgesetz (PM 26/2009)
Die Präsidentin des Kammergerichts
- Pressestelle der Berliner Strafgerichte -
Eine große Strafkammer des Landgerichts Berlin hat einen in Berlin ansässigen Arzt heute vom Vorwurf des Vergehens gegen §§ 1 Abs. 1Nr. 2, 2 Abs. 1 Embryonenschutzgesetz freigesprochen.
Der Angeklagte ist Frauenarzt in Berlin und betreibt eine „Kinderwunschpraxis“.
Die in den angeklagten drei Fällen betroffenen drei
Patientinnen des Angeklagten litten aufgrund von Erbkrankheiten
an einem deutlich erhöhten Risiko genetischer Defekte an
befruchteten Eizellen.
Nach den Feststellungen der Kammer hatte der Angeklagte in der
Zeit von Dezember 2005 bis Mai 2006 aufgrund entsprechender
Behandlungsverträge insgesamt acht extrakorporal befruchtete
Eizellen der betroffenen drei Patientinnen, die jeweils eine
Vorkernbildung aufwiesen, in die Embryokultur übernommen. Im
Anschluss habe er im sog. Blastozystenstadium
präimplantationsdiagnostische Untersuchungen vorgenommen, im
Rahmen derer er gravierende genetische Defekte an insgesamt
vier Eizellen feststellte. Nachdem er seine Patientinnen über
das Untersuchungsergebnis informiert hatte, lehnten diese die
Überführung der genetisch auffälligen Embryonen in die
Gebärmutter ab. Diese seien daraufhin nicht weiter bebrütet
worden, abgestorben und letztlich verworfen worden.
Kernpunkt des heutigen Urteilsspruches war die Rechtsmeinung
des Gerichts, dass die von dem angeklagten Arzt angewandte
Präimplantationdiagnostik (PID)
nicht gegen Strafnormen des Embryonenschutzgesetzes
verstoße.
Dem Angeklagten sei es im Zeitpunkt der künstlichen
Befruchtung eindeutig und ausschließlich darum gegangen,
Schwangerschaften bei seinen Patientinnen herbeizuführen.
Diese Absicht habe zwar unter der objektiven Bedingung
gestanden, dass die befruchteten Eizellen vor der Überführung
keine gravierenden genetischen Anomalitäten aufwiesen. Diese
Bedingung sei jedoch kein eigenständiges Zwischenziel, das
eine Strafbarkeit begründe.
Ein solcher „Kunstgriff“ verkürze den gesamten Lebenssachverhalt in unzulässiger Weise, erklärte der Vorsitzende Richter in seiner mündlichen Urteilsbegründung. Weder verbiete der Wortlaut des Gesetzes die PID, noch ergebe sich ein Verbot der Handlungen des Arztes aus dessen Auslegung. Aus den Gesetzesmaterialien gehe vielmehr klar hervor, dass der Gesetzgeber im Jahre 1991 ein Verbot der Zucht von Embryonen zu reinen Forschungszwecken beabsichtigte, nicht aber eine „Selektion wegen erheblicher schwerster Schäden“. Dies ergebe sich aus einer weiteren Norm des Embryonenschutzgesetzes, die zwar grundsätzlich die Geschlechterwahl sanktioniere, nicht aber dann, wenn bestimmte geschlechtsgebundene Erbkrankheiten drohten.
Im Ergebnis würde sich bei einem Verbot der PID und dem Verwerfen schwerstgeschädigter
Eizellen ein Wertungswiderspruch dahin ergeben, dass der
„Schutz eines im Reagenzglas gezeugten Embryos“ stärker
sei als der auf natürlichem Wege gezeugte. Denn beispielsweise
die legale „Spirale“ verhindere die Einnistung von auf
natürlichem Wege befruchteter Eizellen.
Zudem würde der Transfer mit schwersten genetischen
Auffälligkeiten behafteter Eizellen in die Gebärmutter
letztlich entweder zu einem Abort, einem (legalen)
Schwangerschaftsabbruch nach der dann zu einem späteren
Zeitpunkt durchgeführten genetischen Untersuchung des Fötus,
einer Totgeburt oder einem mit schwersten Behinderungen
geborenen nach wenigen Tagen versterbenden Kind führen. Diese
seelischen und körperlichen Qualen für Eltern gelte es zu
vermeiden.
Der Angeklagte sei letztlich auch aus Rechtsgründen an der Überführung der genetisch geschädigten Eizellen gehindert gewesen, weil die Patientinnen dies verweigert hätten. Das Embryonenschutzgesetz verbiete aber den Transfer von Eizellen gegen den Willen der Frau.
Das gegen ihn geführte Strafverfahren beruhte auf einer Selbstanzeige zur Klärung der rechtlichen Lage. Der Angeklagte hatte bereits vor der ersten Tathandlung im Jahre 2006 ein Gutachten einer Rechtswissenschaftlerin eingeholt, das von Straffreiheit ausgegangen war, aber die rechtliche Situation als höchstrichterlich ungeklärt kennzeichnete. Die Staatsanwaltschaft Berlin stellte das Verfahren im Januar 2006 wegen des Vorliegens eines unvermeidbaren Verbotsirrtums nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Die Ermittlungen wurden „nach Überprüfung der Sach- und Rechtslage“ jedoch alsbald wieder aufgenommen und Anklage erhoben. Eine zunächst befasste große Strafkammer des Landgerichts Berlin lehnte die Eröffnung des Hauptverfahrens sodann aus Rechtsgründen ab. Bereits nach Auffassung dieser Kammer war der Angeklagte der ihm vorgeworfenen Taten nicht hinreichend verdächtig, da sie nicht gegen das Embryonenschutzgesetz verstießen. Die gegen diese Entscheidung des Landgerichts erhobene sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin hatte Erfolg: ein Strafsenat des Kammergerichts eröffnete das Verfahren vor der nun erkennenden Strafkammer und bejahte den Tatverdacht gegen den heute freigesprochenen Arzt.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Es kann durch die Staatsanwaltschaft binnen einer Woche mit dem Rechtsmittel der Revision zum Bundesgerichtshof angefochten werden.
Presseberichterstattung vom 13. Mai 2009
§ 1 Missbräuchliche Anwendung von
Fortpflanzungstechniken
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe
wird bestraft, wer
1.
auf eine Frau eine fremde unbefruchtete Eizelle
überträgt,
2.
es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich
zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau
herbeizuführen, von der die Eizelle stammt,(…)
§ 2 Missbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen
(1) Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor
Abschluss seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen
menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner
Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird
mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft (…)
Iris Berger
Pressesprecherin